Die Blumentöchter (eBook)
400 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3152-2 (ISBN)
Tessa Collins ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Ziegler. Sie lebt mit ihrer Familie in Weinheim an der Bergstraße. Wenn sie nicht auf Reisen ist, schreibt sie sich ihre Traumländer herbei oder verbringt Zeit in der Natur.
Tessa Collins ist das Pseudonym der deutschen Autorin Silke Ziegler. Sie lebt mit ihrer Familie in Weinheim an der Bergstraße. Wenn sie nicht auf Reisen ist, schreibt sie sich ihre Traumländer herbei oder verbringt Zeit in der Natur.
Prolog
Cornwall
Rose blinzelte gegen die blendende Sonne. Den ganzen Vormittag hatte es unentwegt genieselt, und ein feuchter Schleier hatte schwer über der Landschaft gelegen, doch pünktlich zum Nachmittagstee hatte das Wetter endlich Erbarmen gezeigt. Der grau verhangene Augusthimmel war einem wolkenlosen Blau gewichen, das die Blütenpracht der Gärtnerei von Blooming Hall zum Leuchten brachte.
Lilian und Nara, die älteste und die jüngste Tochter, hatten sich den ganzen Vormittag in der Küche eingesperrt, um ihrer Mutter Rose zum fünfundachtzigsten Geburtstag ein exquisites Festmahl aufzutischen. Den zarten Lammbraten mit gedünsteten Karotten und Rosenkohl hatten sie im Salon des alten Herrenhauses gegessen, danach waren sie auf die Terrasse gewechselt. Die Festtafel hätte einem Fünf-Sterne-Restaurant jede Ehre gemacht.
Lilian hatte zur Feier des Tages die weiße Tischdecke von Alberts Mutter aus dem Schrank geholt. Filigrane Stickereien umrahmten den edlen Stoff aus dickem Leinen. Das elegante Stück war älter als Rose selbst, doch wer wusste schon, wie viele Geburtstage ihr noch vergönnt sein würden. Man musste die Feste feiern, wie sie fielen, gerade in ihrem Alter.
Wehmut stieg in Rose auf, denn es war ihr erster Geburtstag ohne ihren geliebten Mann Albert. Wochenlang hatte sie sich vor dem heutigen Aufwachen gefürchtet. Sie hatte sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn er ihr nicht das Geburtstagsfrühstück ans Bett brachte, wie er es jahrzehntelang getan hatte, und wenn sie zum ersten Mal diesen besonderen Tag ohne seine zärtliche Umarmung beginnen musste. Albert fehlte ihr unendlich. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede einzelne Sekunde.
Rose wusste, dass sie großes Glück gehabt hatte, schon vor so vielen Jahrzehnten den Mann ihrer Träume getroffen und lieben gelernt zu haben. Und sie wusste, dass sie etwas hatte erleben dürfen, was vielen anderen Menschen ihr Leben lang nicht vergönnt war. Umso schmerzvoller hatte sie sein plötzlicher Tod im letzten Jahr getroffen. Sie waren abends gemeinsam zu Bett gegangen, und er hatte ihr wie jeden Tag in den letzten sechzig Jahren einen Kuss auf die Lippen gehaucht. »Gute Nacht, meine wunderschöne Rose.« Das waren seine letzten Worte an sie gewesen.
Irgendwann in den darauffolgenden Nachtstunden hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Albert war friedlich im Schlaf gestorben. Ohne Schmerzen, ohne endloses Dahinsiechen. Mit einem wachen Geist, der ihn bis zu seinem Ende ausgezeichnet hatte. Genau so hätte er es sich gewünscht. Dennoch war Rose untröstlich gewesen, als sie am nächsten Morgen bemerkte, dass Albert sie für immer verlassen hatte. Sie hatte sich gefragt, wie sie ihr Leben weiterführen sollte, das stets von bedingungslosem Vertrauen und wundervollen Momenten mit ihrem Ehemann geprägt gewesen war. Es war ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis sie wieder etwas Freude hatte empfinden können.
Nachdenklich ließ sie nun ihren Blick über die Terrasse schweifen. In der Zeit nach Alberts Tod hatte ihre Familie sie aufgefangen. Sie alle waren für sie da gewesen. Ihre Kinder und Enkelinnen hatten keine Mühen gescheut, um in Rose wieder neuen Lebensmut zu wecken. Sie hatten sie bekocht und zu Ausflügen überredet, auf die Rose erst gar keine Lust gehabt hatte. Im Nachhinein war sie froh, dass sie mitgekommen war, denn es waren lauter kleine Schritte zurück ins Leben gewesen. Ihre Enkelin Soley hatte ihr ein Lied gewidmet, und ihre andere Enkelin Dalia hatte heute früh sogar Alberts Aufgabe übernommen und Rose ein fürstliches Geburtstagsfrühstück ans Bett gebracht.
Gerade im Rückblick empfand Rose große Dankbarkeit. In ihrer Kindheit und Jugend hatte sie es wahrlich nicht leicht gehabt. Sie hatte kämpfen, Widerstände überstehen und mehrmals neu anfangen müssen. Erst als sie Albert traf, hatte sich mit einem Schlag alles zum Guten gewendet, und ihnen war das große Glück beschert worden, fünf ganz wunderbare Kinder zu bekommen.
Beim Gedanken an ihre verstorbene Tochter Camellia wischte sich Rose verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Kein Kind sollte vor seinen Eltern sterben müssen, und doch hatten sie die Tragödie nicht verhindern können. Obwohl der Tod ihrer Tochter achtundzwanzig Jahre zurücklag, saß der Schmerz über den furchtbaren Verlust tief in ihrem Herzen.
»Na, Granny, wie schmeckt dir dein Geburtstagskuchen?«, fragte Dalia und zwinkerte ihr zu.
Rose bemühte sich um ein Lächeln. »Ganz fantastisch. Du bist eine großartige Bäckerin.«
»Danke, das freut mich«, sagte Dalia und unterhielt sich weiter mit ihrer jüngsten Cousine, der elfjährigen Welwitschie, Naras Tochter.
»Mum, möchtest du noch etwas Tee?« Lilian stand mit der weißen Porzellankanne in der Hand neben ihr und blickte sie fragend an.
Rose sah auf. »Wenn es nicht zu früh dafür ist, hätte ich lieber einen Cider.«
Cedar, ihr ältester Sohn, der direkt neben ihr saß, bedachte seine Schwester mit einem breiten Grinsen. »Mum wird nur einmal fünfundachtzig. Tee kann sie doch jeden Tag trinken.«
Lilian verdrehte die Augen, rief aber über die Schulter Richtung Terrassentür: »Gunnar, bringst du bitte zwei Flaschen Cider mit, wenn du zurückkommst?«
Aus dem Inneren des Hauses erklang ein undeutliches Grummeln.
»Das soll wohl Ja bedeuten«, erklärte Lilian lachend und setzte sich wieder neben ihre Tochter Soley.
Nachdenklich betrachtete Rose ihre hellblonde Enkelin mit dem zarten Teint. Soley hatte schon ungewöhnlich früh großen Erfolg als Sängerin gehabt, und auch wenn Rose wenig mit ihrer Musik anfangen konnte, so erkannte sie doch den Zauber in der Stimme ihrer Enkelin. Heute allerdings wirkte sie fahrig und nervös, während sie sich leise mit ihrer Mutter unterhielt.
Rose hatte den Eindruck, dass Soley ähnlich wie ihre Cousinen Dalia und Lali ihre eigentliche Bestimmung, den für sie passenden Weg noch nicht gefunden hatte. Anders als Magnolia, die genau zu wissen schien, was wichtig in ihrem Leben war, wirkten ihre drei jüngeren Enkelinnen unsicher, rastlos, suchend.
Während Rose ihren Blick über das Anwesen mit den schier endlos langen Beeten, den Blumenfeldern, den leuchtend grünen Wiesen und dem bunt blühenden Garten schweifen ließ, kam sie mehr und mehr ins Grübeln. War es möglicherweise ihre Schuld, dass die jungen Frauen noch nicht ihr großes Glück gefunden hatten? Natürlich, Soley genoss den Ruhm, die Aufmerksamkeit, die Privilegien, die sie als »Star« erfuhr. Wer würde das nicht tun in ihrem jungen Alter? Und auch Dalia war mit Herz und Seele bei der Sache, wenn sie neue Werbekampagnen für die Gärtnerei austüftelte. Lali hingegen konnte sich stundenlang mit den Kräutern und Düften der Heilpflanzen beschäftigen, die in Blooming Hall angebaut und verkauft wurden. Rose hatte sie öfter dabei beobachtet, wenn sie zwischen den Beeten und Gewächshäusern herumstreifte. Und doch schienen die drei sich noch zu suchen. Immer wieder meinte Rose aus den Gesprächen mit den jungen Frauen eine unterschwellige Unzufriedenheit herauszuhören. Zu gern würde Rose sie noch bei ihren weiteren Schritten begleiten.
Sie sah zu Maia, Cedars Frau. Wie verletzlich und unsicher sie gestern Abend gewirkt hatte, als sie alle gemeinsam einen kleinen Spaziergang um das weitläufige Grundstück herum unternommen hatten. Und wie selbstbewusst dagegen ihre Tochter Magnolia auftrat. Was würde Albert sagen, wenn er die vergangenen Tage mit der ganzen Familie verbracht hätte? Rose presste die Lippen aufeinander. Sie wusste genau, was er ihr raten würde, nämlich das, was er ihr schon lange gepredigt hatte. Sie solle endlich mit der Geheimniskrämerei aufhören. Albert hatte Lügen, Täuschung und Betrug abgrundtief gehasst. Ihm waren insbesondere innerhalb der Familie Offenheit und Transparenz sehr wichtig gewesen.
Doch war Rose wirklich eine Lügnerin? Sie schloss kurz die Augen, als die Erinnerungen auf sie einprasselten. All die Jahre hatte sie ihre Familie nur schützen wollen. Ihre Kinder, ihre Schwiegerkinder, ihre Enkelinnen. Sie hatte manches verschwiegen, um Leid von ihren Liebsten abzuwenden. Dabei hatte sie nie etwas Böses gewollt. In manchen Fällen war die Wahrheit einfach nicht der richtige Weg, denn die Menschen mussten sie auch ertragen und aushalten können. Rose hatte nicht gelogen, und sie hatte auch nicht betrogen. Niemals. Vor allem Albert gegenüber war sie immer ehrlich gewesen. Ihr Mann war der Einzige gewesen, der alles von ihr wusste. Zwischen ihnen hatte es keinerlei Geheimnisse gegeben. Bis zum letzten Tag nicht.
»Mum, ist es nicht ein schöner Tag heute?«
Sie öffnete die Augen. Nara sah sie aufmunternd an.
»Es ist ein wunderbarer Tag, Nara. Ihr habt diesen Geburtstag zu etwas ganz Besonderem gemacht. Ich danke euch allen von Herzen dafür.« Sie räusperte sich, als sie bemerkte, dass auch die anderen ihre Gespräche eingestellt hatten und sie ansahen. »Wenn ihr schon alle zuhört, möchte ich euch sagen, dass ich sehr glücklich bin, dass ihr alle gekommen seid.« Rose suchte Cedars Blick. »Ich...
Erscheint lt. Verlag | 15.4.2024 |
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Reihe/Serie | Die Blumentöchter | Die Blumentöchter |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2 Zeitebenen • 5 Bände • 5 kontinente • 7 Schwestern • Atlas • Cornwall • dramatisch • Erbe • exotisch • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Familienroman • Frauenunterhaltung • Geheimnis • Großmutter Enkelin • Lucinda Riley • Mexiko • pa salt • Saga • Soraya Lane • Töchter • Vergangenheit • Verlorene Tochter |
ISBN-10 | 3-8437-3152-7 / 3843731527 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3152-2 / 9783843731522 |
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