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Issa (eBook)

Roman | 'Ein bewegendes und zutiefst berührendes Porträt einer Familie voller starker Frauen.' Daniela Dröscher
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01848-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Issa -  Mirrianne Mahn
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Kunstvoll verwebt Mirrianne Mahn die Schicksale von fünf Frauen miteinander, deren Leben mehr als ein Jahrhundert auseinanderliegen und doch über die Linien kolonialer Ausbeutung und dem Streben nach Selbstbestimmung verbunden sind. Ein empowerndes, ein kraftvolles, ein eindringliches Debüt. Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen, unter den Adleraugen ihrer Omas. Doch so einfach ist das alles gar nicht, wenn man in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu deutsch ist. Der Besuch wird für Issa eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind. «Ich kenne ihre Geschichten so gut, dass ich manchmal glaube, ich hätte sie selbst erlebt.»

Mirrianne Mahn wurde 1989 in Buea/Kamerun geboren und wuchs in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Mittlerweile lebt sie in Frankfurt, wo sie sich als Aktivistin und Theatermacherin gegen Diskriminierung und Rassismus engagiert. Sie ist Referentin für Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung und seit 2021 Stadtverordnete in Frankfurt am Main. Für ihr politisches Engagement wurde sie vom FOCUS Magazin zu einer der 100 Frauen des Jahres 2021 gewählt.

Mirrianne Mahn wurde 1989 in Buea/Kamerun geboren und wuchs in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Mittlerweile lebt sie in Frankfurt, wo sie sich als Aktivistin und Theatermacherin gegen Diskriminierung und Rassismus engagiert. Sie ist Referentin für Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung und seit 2021 Stadtverordnete in Frankfurt am Main. Für ihr politisches Engagement wurde sie vom FOCUS Magazin zu einer der 100 Frauen des Jahres 2021 gewählt.

Enanga, 1903


Enanga kniete auf dem staubigen Boden des Feldes und grub nach Cassava-Wurzeln. Die Hitze der Trockenzeit lastete schwer auf ihr, die Sonne brannte unbarmherzig auf ihr Gesicht. Ihr Korb lag neben ihr und füllte sich langsam mit den erdigen Schätzen, die sie sorgfältig ausgrub. In der Ferne hörte sie das Zirpen der Zikaden, deren zartes Lied den heißen Nachmittag begleitete. Ein paar Vögel zwitscherten über ihr in den kargen Bäumen auf der Suche nach Schatten und Nahrung. Enanga hob den Blick, um den Stand der Sonne zu überprüfen. Sie würde sich beeilen müssen, wenn sie noch vor dem Heimweg bei der Arbeit ihrer Mutter vorbeischauen wollte. Ihre Augen wurden von einem majestätischen Adler gefangen, der am Himmel kreiste. Oh, wie sie sich sehnte, ein Adler zu sein, jenes majestätische Geschöpf der Lüfte, das seine Sehnsucht mit ausgebreiteten Schwingen ergriff und sich leicht wie ein Hauch emporhob. Wie der sanfte Atem des Morgens wollte sie sein, nicht die Pflicht haben, die Alten zu pflegen oder die jungen Kinder zu hüten. Keine Felder zu bestellen und Stoffe zu weben, nicht mehr dieser Schatten der Verantwortung, sondern königlich in den Strahlen der Sonne zu baden und ihre Sorgen wie Nebel vom Wind verwehen lassen.

Enanga schnürte den gefüllten Korb zu und warf einen letzten Blick auf das Feld. Die Trockenzeit hatte ihnen Glück gebracht, und die Felder waren ertragreich. Ihre Mutter hatte eine Ziege auf dem Feld geopfert, und die Ahnen dankten es ihr. Bald würde die Regenzeit kommen, der Himmel sich öffnen und sein Blau in ein Grau verwandeln, dem Boden das nötige Wasser geben, um weitere Knollen hervorzubringen. Sie trug den Korb stolz auf ihrem Kopf und machte sich auf den Weg zu ihrer Mutter. Die Bakala, die ihre Mutter gestern Abend vor dem Zubettgehen geflochten hatte, spannte immer noch und kribbelte. Das Kokosöl lief ihr den Nacken hinab und sammelte sich im Knoten ihres Tuchs, das sie am Nacken zusammengebunden hatte. Enanga und ihre Mutter gehörten zu den wenigen Mädchen und Frauen, die seit der Ankunft der Deutschen die neu gebauten Häuser putzten und lernten, die Speisen der Weißen zuzubereiten. Ihre Mutter wurde dafür im Dorf immer wieder verspottet und von den anderen Frauen gehänselt, denn den meisten Frauen blieb nichts anderes übrig, als für die Deutschen zu arbeiten, sie hatten ihre Männer im Kampf gegen die Weißen verloren und mussten ihre Familien ernähren. Ihanna aber war aus freien Stücken hier. Sie gehörten dem Bakweri-Stamm aus Buea an, der das Land in Fako am Fuß des Kamerunbergs bewohnte. Die Legende des Stammes besagte, dass ein Wanderer, der mit seinem Freund auf dem Berg Elefanten jagte, von ihm getrennt wurde und sich selbst in einen Elefanten verwandelte und sein Zuhause fortan die Wildnis in der Nähe von Bonakanda war. Auch der andere wurde zu einem Elefanten, der sich weiter entlang des Flusses, nahe des heutigen Buea, niederließ. Als ihre Frauen sie in den Elefanten erkannten, lebten sie fortan als Gemeinschaft am Fuße des Berges zusammen, der sich immer mehr Menschen anschlossen, die sich in der Wildnis verirrten. Sie wurden zu den Kindern des Berges, Bonakanda und Buea ihre Heimat, Orte, die das Versprechen von Fülle und Wohlstand hielten.

Seit dem Tag, an dem Enanga zum ersten Mal einen weißen Menschen sah, war sie von ihnen und ihrer Lebensweise fasziniert. Doch Keke, ihr Vater, erlaubte es ihr und ihrer Mutter erst nach langen Verhandlungen, bei den Deutschen zu arbeiten. Mittlerweile konnte Enanga sogar einige deutsche Sätze sprechen. Als Lohn erhielt ihre Mutter oft Trockenfisch oder Gari, manchmal auch Reis, Zucker oder Salz. Die Sprüche und Neckereien der Frauen ignorierte Ihanna meistens. «Diese Hühner verstehen nicht, dass sich die Welt verändert. Sie wollen für immer in der Vergangenheit bleiben, aber das ist vorbei.» Sie war davon überzeugt, dass die Weißen gekommen waren, um zu bleiben. Ihre Fußabdrücke prägten das Land und die Menschen so deutlich, dass es nicht mehr möglich war, sie zu ignorieren.

Endlich hatte Enanga das weiße Haus erreicht. Es war so groß, dass mindestens zehn Hütten aus dem Dorf dort Platz gefunden hätten, und war von einem Garten mit Kies und Sand umgeben. Enanga fragte sich zum wiederholten Male, warum die Deutschen das Gras immer unter Kies und Sand begruben und dann darüber klagten, dass der Regen in der Regenzeit nicht abfließen konnte. Ihre Mutter hatte gesagt, dass die Weißen ihre Häuser auf Füße stellten, um Ungeziefer und Schlangen daran zu hindern, ins Haus zu gelangen. Für Enanga schienen die Häuser frei in der Luft zu schweben, wie ein mächtiger Zauber. Und was sollte eine Schlange denn überhaupt in einem Haus machen? Allein der beschwerliche Weg über Sand und Kies würde sie abschrecken. Von den Jugendlichen im Dorf hatte sie aber gehört, dass die Stelzen einen Voodoo-Zauber in sich trugen, der die Weißen in den Häusern unsterblich machte. Das erklärte auch, warum es unter ihnen nur wenige alte Menschen gab. Angelehnt an das Eisentor vor dem Haus, schlief der Wachjunge Tatu im Stehen. Enanga schlich sich an ihn heran. Sein Kopf sah aus wie der eines schönen Pferdes.

«Eh Eh, schläft da etwa der Wächter des Hauses?»

Tatu schreckte aus dem Schlaf hoch und grinste breit, als er Enanga erkannte. Er hatte ein freundliches Gesicht und weit auseinanderstehende Augen.

«Schön siehst du mit deiner Frisur aus. Hat deine Mutter deine Haare so hübsch geflochten?»

«Ja, Bruder. Das hat sie gestern Abend gemacht, und seitdem tut mein Kopf weh.»

Tatu lachte, sein Lachen klang wie das einer hungrigen Ziege.

«Wie geht es deinem Vater?»

«Ihm geht es gut. Seine zweite Frau ist endlich schwanger.»

«Ah, gesegnet seien die Ahnen.»

Tatu schnalzte mit den Fingern.

«Und wie geht es deinem Bruder? Er war doch krank.»

«Ihm geht es gut. Aber der Husten ist immer noch da. Bah hat gestern dafür eine Ziege geopfert.»

«Ashya. Ich werde für ihn beten. Und wie geht es deiner Cousine Emefa?»

«Emefa geht es auch gut. In vier Tagen wird sie heiraten, danach wird sie mit ihrem Mann nach Motengene gehen.»

«Wie schön. Eine Hochzeit bringt immer Segen.»

Tatu wurde von einem Hustenanfall geschüttelt, Enanga kannte ihn nicht ohne diese Anfälle, manchmal hustete er so stark, dass seine Augen groß und rot aus seinem Kopf herauszutreten schienen. Tatu war wenige Jahre jünger als Enanga, und die beiden kannten sich schon lange, sie waren im selben Dorf aufgewachsen, doch seit sein Vater in der Schlacht um Bowa getötet worden war, musste Tatu mit seiner Mutter in eine Hütte hinter dem großen weißen Haus ziehen und gemeinsam mit seiner Mutter für die Deutschen arbeiten. Dass er den Weißen gehörte, erkannte man auch an dem Brandmal auf seinem Handrücken. Enanga vermisste ihn im Dorf, er war immer nett zu ihr gewesen, auch wenn andere Kinder sie ärgerten. Sie stellte ihren Korb vor dem Tor ab und öffnete vorsichtig den Knoten im Tuch. Mit ihrem kleinen Messer, das sie immer dabeihatte, schnitt sie ein großzügiges Stück der Cassava-Wurzel ab und reichte es Tatu. «Für deine Geschwister», sagte sie und eilte schnell durch das Tor, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen.

«Du seist gesegnet, Schwester», rief Tatu ihr hinterher.

Enanga fand ihre Mutter hinten im Hof. Sie hing gerade riesige weiße Laken auf einer Leine auf. Wie sie im Wind wehten, erinnerten sie Enanga an die Wolken, die am Morgen nach einem Sturm am Himmel erschienen. Ihre Mutter war eine schöne Frau, ihre Haut war kupferbraun und so glatt wie ein Mondstein. Sie hatte schillernde, kastanienbraune Augen und halbmondförmige Wangenknochen. Jetzt lächelte sie über das ganze Gesicht, und Enanga konnte ihre kalkweißen Zähne und die Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen sehen, die in ihrer Familie so typisch war. Jede Frau in ihrer Verwandtschaft war stolz auf diese Lücke und benutzte sie regelmäßig zum Spucken.

«Enanga! Warst du auf dem Feld, so wie ich es dir gesagt habe?»

«Ja, Mah.»

«Und hat Emefa dich begleitet?»

«Nein, sie wollte nicht mitkommen, weil sie ihre Haare für die Hochzeit flechten lassen will. Sie interessiert sich nur noch für diese blöde Hochzeit.»

Ihanna lächelte.

«Wenn du eines Tages heiratest, möchtest du an deinem Hochzeitstag auch schöne Haare haben.»

«Ja, aber ich werde deswegen niemals aufhören, mit meiner Cousine zu spielen.»

«Enanga, sei nicht so dumm. Emefa ist viel älter als du und kein Kind mehr. Sie wird heiraten und bald ihre eigenen Kinder haben. Sie hat keine Zeit mehr, mit ihrer kleinen Cousine Chakalaka zu spielen.»

Enanga schnaubte. Ihre Cousine war ihre beste Freundin, auch wenn sie fünf Jahre älter war, aber seit ihrer Verlobung saß sie nur noch mit den älteren Mädchen und jungen Frauen im Dorf zusammen und trank mit den Erwachsenen Palmwein. Kam Enanga mit einem Beutel voller Kieselsteine zu ihr, um Chakalaka zu spielen, schickte Emefa sie genervt weg.

«Sah, Herr Wilhelm will dich sehen. Geh rein, bevor er nach dir rufen muss.»

«Ja, Mah», sagte Enanga und lief in Richtung Haus davon. Sie hatte gehofft, dass Herr Wilhelm heute nicht da war. Er roch nach den dicken Zigarren, die er rauchte und von denen ihr die Augen tränten. Sie rochen bitter und scharf, anders als der süßliche Geruch der Pfeife ihres Vaters oder ihrer älteren Brüder. Seine Zähne waren so gelb wie seine Haare, die überall am Körper waren, er hatte sogar gelbe Haare auf seinem Rücken. Die harten Stoppeln in seinem Gesicht kratzten auf ihrer Haut. Und wenn er...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-644-01848-0 / 3644018480
ISBN-13 978-3-644-01848-8 / 9783644018488
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