Im Fußball-Himmel (eBook)
176 Seiten
bene! eBook (Verlag)
978-3-96340-266-1 (ISBN)
Rainer Maria Schießler, geboren 1960, ist katholischer Pfarrer. Durch seine unkonventionelle Art und medienwirksame Aktionen gehört er zu Deutschlands bekanntesten Kirchenmännern. Seine Bücher »Himmel, Herrgott, Sakrament«, »Jessas, Maria und Josef« und »Die Schießler-Bibel« wurden zu Bestsellern. Sein Anliegen: Mit zugespitzten Appellen aufrütteln und für eine lebhafte, engagierte Kirche eintreten. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian in München.
Rainer Maria Schießler, geboren 1960, ist katholischer Pfarrer. Durch seine unkonventionelle Art und medienwirksame Aktionen gehört er zu Deutschlands bekanntesten Kirchenmännern. Seine Bücher »Himmel, Herrgott, Sakrament«, »Jessas, Maria und Josef« und »Die Schießler-Bibel« wurden zu Bestsellern. Sein Anliegen: Mit zugespitzten Appellen aufrütteln und für eine lebhafte, engagierte Kirche eintreten. Seit 1993 ist er Pfarrer in St. Maximilian in München.
1
Auf dem Bolzplatz
»Macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig, dass ihr nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst.« (Phil 2,2–3)
Keine große Fußballerin, großer Fußballspieler kommt als solche(r) auf die Welt. Entscheidend ist das Milieu, das uns prägt; die Lebenswelt, in der wir aufwachsen. Viele große Fußballstars betonen immer wieder, dass es auch die Bolzplätze ihrer Kindheit waren, die sie letzten Endes zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Bei mir war es ein Hinterhof im Münchner Stadtteil Laim, auf dem ich zu kicken begann – bekanntermaßen wuchs ich dennoch nicht zu einem Profifußballer heran. Aber manches ist mir später dennoch gelungen. Und ich erinnere mich gerne an die Kindheitstage in Laim. Wir waren damals viele Kinder, die dort im Hinterhof spielten, besonders viele Jungs; und wir spielten mit allem, was man kicken konnte. Eine besondere Ausrüstung ist für das Fußballspiel zum Glück ja auch nicht notwendig, zwei improvisierte Tore und die vier Eckpunkte des Spielfeldes sind im Handumdrehen eingerichtet.
Was mich im Rückblick am meisten an diesem oft stundenlangen Gekicke fasziniert, ist das ausdrückliche Fehlen einer bestimmten Qualifikation. Du durftest da einfach mitmachen! Egal, wie gut du fußballerisch drauf warst. Niemand wurde ausgeschlossen. Es war natürlich zunächst mehr ein Durcheinander und ein ›Alle-gehen-auf-einen-Ball-drauflos-Spiel‹, aber jeder war irgendwie wichtig dabei. Es ging um nichts und doch um alles. Die erzielten Tore zählte jeder im Geiste mit, und dennoch war es ziemlich unwichtig, wer am Ende gewann.
Manchmal erinnerte man sich an einen hohen Sieg oder eine Niederlage beim letzten Spiel und zog daraus die Konsequenzen – wusste dann, wie zukünftige Mannschaften besser nicht zusammengestellt werden sollten, um eine weitere Pleite zu vermeiden. Aber wir lernten vor allem bereits als Kinder etwas über die unglaublich befreiende Wirkung dieses Mannschaftsports: Jeder gehört dazu, der Teamgedanke ist wichtig. Und: Im Spiel zählt der volle Einsatz, er lohnt sich, so oder so. In diesem Sinne erweist sich der Sport als ein unersetzbares Element, das eine stabile Gemeinschaft, eine ganze Gesellschaft positiv prägen kann und will.
Natürlich kann das einzelne Spiel immer auch hochdramatisch sein. Wenn die eine Mannschaft kurz vor dem Abpfiff noch ein Tor erzielt und dann in Führung geht. Wird es noch gelingen, den Ausgleich zu erzielen? Kommt es zu einer Verlängerung oder gar zum Elfmeterschießen?
Es war damals laut im Hinterhof, im Laufen schrien wir uns Kommandos zu: »Los, gib ab!« Oder: »Jetzt alle schnell nach vorne!« Stundenlang konnten wir uns damit beschäftigen, dem anderen den Ball vor der Nase wegzuschießen oder dem Gegner wieder abzujagen. Geschützt im Hinterhof, waren wir weg von der Straße, wie man gerne sagt. Das war unseren Eltern natürlich sehr lieb. Aber wir waren auch akustisch mit ihnen zu Hause verbunden, sie hörten aus dem Hof unser Schreien und Lärmen und wussten: »Die spielen noch, die sind noch da.« Auch ohne Handyverbindung (gab’s ja noch lange nicht …) war der Kontakt da.
Leider ist die ganz besondere, positive Bedeutung des Spielens auf dem Bolzplatz in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten. Und manchmal ist es auch schlicht nicht mehr gewollt, dass da eine Horde über die Wiese hinter dem Haus tobt. Da gibt es in Wohnsiedlungen Ruhe- und Spielverordnungen, die Kinder in die Schranken weisen.
Kinderlärm war in unserer Jugendzeit jedenfalls kein Grund dafür, dass sich Anwohner irgendwie und irgendwo darüber beschweren mussten. Die Generation meiner Eltern hatte gerade den Zweiten Weltkrieg überstanden und wusste um ihren Auftrag, ein Land, das in Trümmern liegt, wieder aufzubauen. Kinderlachen, fröhliches Herumgerenne und freudiges Spiel gehörten dazu, waren ein Zeichen, dass es weitergeht. Eine neue Toleranz, die das Vergangene heilen, die Gegenwart segnen und der Zukunft eine neue Ausrichtung geben wollte, war unausgesprochen vielerorts Programm. Ja, Kinder sind willkommen!
Nach so vielen Jahren der Zertrümmerung menschlichen Lebens war jedes Kind ein Geschenk und wurde als solches behandelt. Aus dieser Toleranz erwuchs die Freiheit, die es uns ermöglichte, alle Spielmöglichkeiten zu nutzen. Man schaffte Wohn- und Lebensräume für die Menschen – den Bolzplatz haben wir genau so empfunden.
Diese Toleranz, diese Weite und Offenheit mit Blick auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern in unseren Städten darf nicht noch mehr verloren gehen, als sie uns ohnehin schon an vielen Stellen abhandengekommen ist. Ist in unseren modernen Städten eigentlich überhaupt noch Platz für einen Hinterhof? Alles wird ja zugebaut, jeder Quadratmeter als Wohnraum genutzt. Spielplätze und »Entdeckerräume« sind leider oftmals Mangelware.
Wenn die Rede davon ist, dass der Fußballsport unbedingt auf jedwede Art gefördert werden muss, beginnt dies mit ebenjener Toleranz spielenden Kindern gegenüber.
Auf dem Bolzplatz, mitten im Getümmel
© Privat
Ganz unschätzbar wertvoll ist auch die soziale Kompetenz, die das Fußballspiel fördert. Es beginnt beim Kicken im Freundeskreis und setzt sich später in Vereinen fort. Auch Hinterhofmannschaften besitzen im Übrigen bereits ihre eigene Struktur, die sich selbst dann bildet, wenn Kinder eine Dose hin und her kicken. Schnell stellt sich dabei heraus, wer die talentierten und versierten Spielerinnen und Spieler sind und wer eine Führungsrolle einnimmt. Man spürt beim Zuschauen, die oder der kann das!
Denke ich an meine Jugend, sind es meistens gerade die eher Schweigsamen unter uns gewesen, die sich dann als echte Talente herausstellten und sehr bald den Sprung in einen Fußballverein schafften. Auch auf unserem Hinterhof in München-Laim bildete sich im Laufe der Zeit eine Rangfolge heraus, es zeigte sich relativ schnell, wer die besten Spieler waren. Und auch, wer eine natürliche Autorität besaß, die natürlich oft auch sportlich begründet war. Der Bessere wurde anerkannt und respektiert. Er hatte das Sagen, übte mit uns erste taktische Schritte, heizte die Stimmung an, motivierte uns souverän. Als kleiner Indianer – wie ich – war man stolz, in dessen Mannschaft spielen zu dürfen, vom »Kapitän« einen Platz in Team zugewiesen zu bekommen. Und vor allem, wenn man gelobt wurde, weil man etwas besonders gut gemacht, sich voll eingesetzt hatte, ganz einfach ein Held war. Und wir hatten alle keine Schwierigkeiten damit, uns in diesem System ein- und unterzuordnen.
Was sich damals rudimentär auf dem Bolzplatz entwickelte, hat uns, hat mich zu mündigen, gewissenhaften und verantwortungsbewussten Staatsbürgern gemacht. Zu dem, was wir heute sind. Allein deswegen bin ich ein unglaublicher Fan dieser ersten Schritte, die Kinder und Jugendliche in solchen Situationen machen. Ob sie nun dabeibleiben, den Sport später amateur- oder vereinsmäßig weiter betreiben oder gar ins obere Segment des Spitzensports hineinkommen oder nicht. Die Anfänge müssen gemacht werden. Die Motivation, die in Kinder- und Jugendtagen unter Gleichaltrigen entsteht, ist unersetzlich.
Das erste Kicken auf dem Bolzplatz ist für mich beinahe so wichtig wie der erste Schritt beim Laufenlernen. Verbunden mit der nie verloren gegangenen Erfahrung unbeschwertester Jugendstunden, sind mir meine Mitkicker von damals alle noch in bester Erinnerung: die Könner und Profis ebenso wie die Schwächeren, die alles andere als Loser waren. Im Gegenteil: Gerade sie machten das Spiel erst unbeschwert, weil sie mitspielten, auch wenn sie (noch) nicht die erforderliche Fertigkeit besaßen. Die Besten unter uns konnten wir uneingeschränkt bewundern und in ihrem Glanz auch unsere eigene Teilnahme am Spiel in der Mannschaft krönen.
»Wenn die Sonne tief steht, werfen auch kleine Tiere große Schatten«, sagt ein Sprichwort. Es zielt auf diejenigen ab, die sich in der Nähe bedeutender Menschen unheimlich stark fühlen. Diese Erfahrung konnten wir als Kinder tatsächlich genau so machen. In so einer Truppe von begabten und auch weniger begabten Spielern hatte jeder seinen berechtigten Platz. Wenn wir Bolzplatzkicker von damals uns heute gelegentlich wiedersehen, stimmen alle ein in diese wunderbaren Erinnerungen an eine schöne Zeit.
Nein, wir waren nicht besser und auch nicht frömmer als andere Kinder unserer Zeit. Ja, es stimmt, die meisten von uns haben sich auch sonntags in der Kirche getroffen. Beides gehörte zusammen, das Katholischsein und das Kicken im Hinterhof. Wir spürten vielleicht insgeheim: »Da wächst etwas ganz Wesentliches für unser Leben zusammen!«
Am Ende waren es nur wenige, die den Sprung vom Bolzplatz auf den grünen Rasen eines Sportvereins gemacht haben. Fußballprofi ist keiner von uns geworden, aber alle sind heute aufrichtige und gewissenhafte Menschen.
Dass mir der Sprung in den Fußballverein nicht gelungen ist, dass ich das, wenn ich ehrlich bin, eigentlich auch gar nicht angestrebt habe, liegt an der Prägung durch mein Elternhaus, das für vieles wesentlich und bestimmend war und heute noch ist. Anderes war eben auch wichtig und der Sport eine von vielen Möglichkeiten, die sich mir boten. Es gab eben noch mehr.
Heute stehe ich als Verkündiger des Evangeliums Jesu...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
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Schlagworte | Bundesliga • christlicher Glaube im Alltag • Der Pfarrer spricht • die schönste Nebensache der Welt • FC Bayern • Fußball EM 2024 • Fußball Europameisterschaft 2024 • Fußballgott • Fußball Gott • fußball meisterschaft • fußball religion • fußball und christlicher glaube • Fußball und Glaube • Fußball und Kirche • fußballverückter Pfarrer • Fußball WM • Glaube und Sport • Pfarrer Schießler • pfarrer schießler münchen • Philipp Lahm • Rainer Maria Schießler • rainer maria schießler buch • Rainer M. Schießler • Wie Gott über Fußball denkt • Wiesnglück |
ISBN-10 | 3-96340-266-0 / 3963402660 |
ISBN-13 | 978-3-96340-266-1 / 9783963402661 |
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