Hin und weg (eBook)
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60697-4 (ISBN)
Madeleine Becker, geboren 1992 in Speyer, Rheinland-Pfalz, zog mit sechs Jahren in die Nähe von Köln. Später studierte sie Geschichte, Politik- und Kommunikationswissenschaften in Jena. Seit 2019 lebte und arbeitete die selbsternannte »Kuhschelfachkraft« auf einem Bauernhof in Mörtschach in Österreich, bevor sie im Sommer 2023 den Schritt wagte und mit ihrem Freund Lukas und einigen Vierbeinern einen eigenen Hof in der Steiermark bezog. Von dort aus unterhält Madeleine ihre stetig wachsende Followerschaft auf Instagram mit Fotos und Storys vom Hof.
Madeleine Becker, geboren 1992 in Speyer, Rheinland-Pfalz, zog mit sechs Jahren in die Nähe von Köln. Später studierte sie Geschichte, Politik- und Kommunikationswissenschaften in Jena. Seit 2019 lebte und arbeitete die selbsternannte »Kuhschelfachkraft« auf einem Bauernhof in Mörtschach in Österreich, bevor sie im Sommer 2023 den Schritt wagte und mit ihrem Freund Lukas und einigen Vierbeinern einen eigenen Hof in der Steiermark bezog. Von dort aus unterhält Madeleine ihre stetig wachsende Followerschaft auf Instagram mit Fotos und Storys vom Hof.
Flocktown
Über einen Winter, der noch einen draufsetzt
Jahreswechsel 2020/2021
Nach dem Schlagsahne-Winter 2019/20 war ich offen gestanden davon überzeugt, dass ich nun gegen alles, was in Zukunft an harten Wintern so auf mich zukommen mag, gewappnet sein würde. Doch der darauffolgende Winter sollte mich in dieser Hinsicht eines Besseren belehren.
Am 2. Dezember 2020 fiel der erste Schnee. Doch wie schon im Vorjahr waren es nicht bloß ein paar Zentimeter, sondern direkt eine ordentliche Ladung, die da vom Himmel herunterrieselte. Es war so viel und es kam so unverhofft, dass ich, die gerade für einige Erledigungen nach Lienz gefahren war, sofort alle offenen Punkte auf der Einkaufsliste für nicht weiter notwendig befand und mich auf den Weg zurück zum Hof machte. Ich tat gut daran, denn das Schneetreiben auf dem Iselsbergpass, den man auf dem Weg von Lienz nach Mörtschach überqueren muss, wurde quasi im Minutentakt dichter und letztlich auch gefährlicher. Ich fuhr nur noch im Schneckentempo und passierte etliche Lastwagen, Transporter und auch ganz normale Pkws, die in den plötzlichen Schneemassen keine Straßenhaftung mehr hatten und sich entweder mitten auf der Straße quer stellten oder irgendwo am Seitenstreifen zum Stehen kamen. Meine Rettung waren die Spikes des Jeeps, denn andernfalls hätte ich mich in die traurige Ansammlung der liegen gebliebenen Fahrzeuge einreihen können. Kaum dass ich auf dem Hof angekommen war, teilten die Behörden über das Radio mit, dass der Pass nun für den Verkehr endgültig gesperrt sei.
Was auf dem Bergpass schon für massive Probleme sorgte, war bei uns auf dem Hof in den ersten Tagen noch recht hübsch anzusehen. Es war kein nasser oder gar eisiger Schnee, der uns hier ein Winter Wonderland bescherte, sondern feinster Pulverschnee. In den ersten Tagen hatten wir alle noch unsere Freude damit, und ich kann mich sogar erinnern, wie Lukas, meine Schwägerin Anna-Lena und ich in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember aus einer Laune heraus in unsere Schneeanzüge schlüpften und hinaus in den knapp dreißig Zentimeter hohen Schnee sprangen. Wir veranstalteten kurz vor Mitternacht eine epische Schneeballschlacht und lachten uns kringelig, als wir Lukas dabei beobachteten, wie er mit dem Fahrrad (!) über den Campingplatz fuhr und irgendwann an einer besonders tiefen Stelle einfach stecken blieb. Triefnass und mit roten Wangen kehrten wir irgendwann völlig glückselig ins Haus zurück. Keiner hatte mit dem gerechnet, was wir acht Stunden später beim Blick aus dem Fenster sehen würden, denn am Morgen des 5. Dezember stand ich hüfthoch im Schnee. Es hatte die ganze Nacht durchgeschneit, und dank der Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt stapelte sich Flocke auf Flocke fein säuberlich auf der Erde. Selbst zu diesem Zeitpunkt war ich noch recht amüsiert und ließ mich rücklings in den tiefen Schnee fallen, während der Kater, der mich skeptisch von einem trockenen Plätzchen unter dem Dachvorsprung aus beobachtete, meinen Enthusiasmus über die Flocken definitiv nicht zu teilen schien. Nachdem wir am Vormittag sämtlichen Wetterprognosen aufmerksam gelauscht hatten, wurde uns doch recht schnell klar, dass wir nun damit beginnen sollten, die Schneemassen in den Griff zu bekommen. Laut Wetterbericht würde es so schnell nicht mehr aufhören zu schneien, weswegen Lukas und sein Vater nun anfingen, den Schnee von den Wegen und der Hofeinfahrt zu räumen. Lukas saß in unserem Hoflader, einem Fahrzeug, das sehr viel wendiger ist als ein herkömmlicher Traktor und dementsprechend mit engen Gegebenheiten sehr viel besser klarkommt, und bediente die Schneefräse, während sein Vater mit dem großen Traktor und dem Schneeschild unterwegs war. Im Grunde schoben sie den Schnee wortwörtlich nur von A nach B, denn – wie bereits erwähnt – im Gegensatz zum Vorjahr, als wir klatschnassen und extrem schweren Schnee zu bewältigen hatten, war dies hier nun lockerer Pulverschnee, der auch so schnell nicht in sich zusammenfiel. Sagen wir so: Es war recht viel Volumen, das da aus dem Weg geräumt werden musste.
Besagtes Volumen wurde bis zum Abend hin auch nicht merklich weniger, und das, obwohl Lukas und sein Vater fast ununterbrochen mit Räumungsarbeiten beschäftigt gewesen waren. Gegen 18 Uhr fiel schließlich zum ersten Mal der Strom aus. Ich staffierte das gesamte Obergeschoss mit Kerzen aus, um wenigstens ein bisschen was zu sehen und mir nicht zum dreihundertachtundfünfzigsten Mal den großen Zeh an einer der schweren alten Holztruhen im Flur zu stoßen. Als der Strom etwa drei Stunden später zumindest für kurze Zeit wieder ansprang, hängten wir sämtliche elektronischen Geräte an die Ladekabel und hofften bloß, dass es bei diesem einen Stromausfall bleiben würde. Surprise: Es blieb natürlich nicht dabei. In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember machte ich schließlich wortwörtlich kein Auge zu, denn da es immer weiter schneite und langsam bedenklich viel Schnee auf den Dächern lag, gingen nun nach und nach die ersten Dachlawinen ab. Sehr zu meinem Leidwesen stürzten diese Schneemassen direkt vor unserem Schlafzimmerfenster herab, und das klang zumeist, als würde der Schnee das gesamte Dach mit sich reißen. Es rumpelte und krachte, und ich weiß noch, wie ich mich irgendwann gefragt habe, wie nach all diesen Dachlawinen überhaupt noch Schnee dort oben liegen kann. Nachdem es morgens gegen 5:30 Uhr einen besonders lauten Schlag tat, gab ich die Sache mit dem Schlaf endgültig auf. Als es langsam hell wurde und ich auf den Balkon hinaustrat, um mir einen Überblick zu verschaffen, erkannte ich, was in der vorangegangenen Nacht für so viel Lärm gesorgt hat: Zwischen den Schneemassen, die vom Dach gerutscht waren, fanden sich einige in ihre Einzelteile zerbrochene Dachziegel wieder, und als ich den Blick vom Boden in Richtung Dach wandte, sah ich, dass sich die Verkleidung des Dachüberstandes auf einer Länge von gut anderthalb Metern gelöst hatte. Sie hing scheinbar nur noch an einem seidenen Faden am Haus. Ich wusste nicht, was mich mehr verwundert hat: die lose herumtaumelnde Dachverkleidung oder die Tatsache, dass Lukas bei all dem Lärm trotzdem wie ein Baby schlafen konnte.
Am Nikolaustag waren wir alle, das heißt Lukas, sein Vater sowie sein Bruder, Anna-Lena und ich, eifrig damit beschäftigt, das Schneechaos etwas einzuhegen. Unglücklicherweise gingen die Dinge nicht so geschmiert, wie wir es uns erhofft hatten: Lukas’ Vater blieb mit dem großen Traktor an einer unwegsamen Stelle im Schnee stecken und war zu allem Überfluss noch im Begriff, langsam mit dem gesamten Gefährt hinunter in Richtung Hoppelhütte zu rutschen. Wir mussten sofort handeln, und es blieb uns nichts anderes übrig, als den Nachbarn, der gerade selbst mit Traktor und Schneeschieber unterwegs gewesen war, herbeizuwinken und darum zu bitten, unser Gefährt aus der Bredouille zu ziehen. Anna-Lena und mir erging es kaum besser, denn unsere Aufgabe bestand darin, den Unterstand der Kälber, der schon ohne Schnee nicht gerade die vertrauenerweckendste Konstruktion darstellt, von der gut anderthalb Meter hohen Schneeschicht zu befreien. So weit, so gut – wenn nicht allein der Weg dorthin uns schon fast eine halbe Stunde gekostet hätte. Vom Hauptweg (der in den letzten Stunden regelmäßig von Lukas geräumt wurde) sind es nur etwa zehn oder vielleicht fünfzehn Meter in Richtung Hoppelhütte; ein Weg, für den man für gewöhnlich keine dreißig Sekunden braucht. Das Areal hinter dem Stall ist in Terrassen aufgebaut, sodass man von der Etage mit der Hoppelhütte bequem auf das Dach des Kälberunterstands (der sich in der untersten Terrasse befindet) steigen könnte. Doch die Betonung liegt hier eindeutig auf könnte, denn normalerweise muss man sich nicht erst durch die immense Schneemasse kämpfen, die Anna-Lena und mir mittlerweile bis über den Bauchnabel reichte. Wir hatten keine Möglichkeit, über die geschlossene Schneedecke zu laufen, da der luftig leichte Pulverschnee sofort unter unserem Gewicht nachgab und wir im wahrsten Sinne des Wortes versanken und feststeckten. Also robbten wir bäuchlings über den Schnee und sahen dabei vermutlich wie unbeholfene Seelöwen aus, die völlig die Orientierung verloren hatten. Zu...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Alm • Aussteigerin • Autobiografie • Bäuerin • Bauernhof • Bauernhofidylle • Berge • Erstmal für immer • Frau Freudig • Hofleben • Hühner • influencerin • Instagram • Kärnten • Kühe • Landleben • Landwirtschaft • Lebensgeschichte • Lebenstraum • Liebesglück • Memoir • Sehnsuchtsort • Selbstfindung • Selbstverwirklichung • Wahre Geschichten |
ISBN-10 | 3-492-60697-0 / 3492606970 |
ISBN-13 | 978-3-492-60697-4 / 9783492606974 |
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Größe: 40,6 MB
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