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Glorreiche Taten (eBook)

Roman | Der Sunday Times-Bestseller: 'Ich liebe dieses Buch.' Douglas Stuart
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01665-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glorreiche Taten -  Ferdia Lennon
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Syrakus im 5. Jh. v. Chr.: Nach ihrer Niederlage in einer legendär gewordenen Seeschlacht darben Hunderte athenischer Kriegsgefangener in den Steinbrüchen der Stadt. Die Freunde Lampo und Gelon, beide arbeitslose Töpfer und große Fans von Euripides, schmieden den Plan, mit den Gefangenen «Medea» zu inszenieren, als Lohn gibt es Brot und Wein. Eine richtige Aufführung, die bis in alle Ewigkeit besungen wird. Doch ein Theaterstück aufzuführen ist fast ebenso gefährlich, wie in den Krieg zu ziehen. Denn das Syrakuser Publikum ist wenig begeistert davon, den Kriegern zuzujubeln, die vorher ihre Familien überfallen haben. Als sich Lampo auch noch in Lyra, eine Sklavin aus Lydien, verliebt, die ihm Lesen und Schreiben beibringen möchte, ist das Chaos perfekt. Schließlich wird der Mut der beiden Freunde auf eine Probe gestellt, die sie sich nie hätten vorstellen können ...

Ferdia Lennon wurde in Dublin als Sohn einer irischen Mutter und eines libyschen Vaters geboren. Er studierte Geschichte und Altphilologie in Dublin und Amsterdam. Für seine Kurzgeschichten hat er bereits diverse Preise erhalten. Ferdia Lennon lebt zwischen Irland und Frankreich.

Ferdia Lennon wurde in Dublin als Sohn einer irischen Mutter und eines libyschen Vaters geboren. Er studierte Geschichte und Altphilologie in Dublin und Amsterdam. Für seine Kurzgeschichten hat er bereits diverse Preise erhalten. Ferdia Lennon lebt zwischen Irland und Frankreich. Thomas Überhoff studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und arbeitete lange als Lektor und Programmleiter Belletristik beim Rowohlt Verlag. Er übersetzte unter anderem Sheila Heti, Nell Zink, Jack Kerouac und Denis Johnson.

Syrakus


412 v. Chr.

1


Sagt also Gelon zu mir: «Lass uns runtergehen und die Athener füttern. Das Wetter ist ideal dafür.»

Gelon spricht die Wahrheit. Weil die Sonne ganz weiß und winzig vom Himmel knallt und du im Laufen die Steine brennen spürst. Sogar die Eidechsen suchen Unterschlupf, strecken den Kopf hinter Felsen und Bäumen raus, als wollten sie sagen: Ist das dein verdammter Ernst, Apoll? Ich stell mir die eingepferchten Athener vor, wie sie hektisch nach ein bisschen Schatten Ausschau halten und ihnen die trockene Zunge zum Hals raushängt.

«Gelon, du sprichst die Wahrheit.»

Gelon nickt.

Wir gehen mit sechs Schläuchen los, vier mit Wasser, zwei mit Wein, dazu ein Topf Oliven und zwei Stücke von dem Stinkekäse, den Mam macht. Ach, was haben wir doch für eine schöne Insel; manchmal denk ich mir, jetzt, wo der Betrieb zugemacht hat, ist meine Chance gekommen, alles neu zu regeln. Dass ich einfach aus Syrakus abhauen und mir ein Häuschen am Meer bauen könnte, keine düsteren Räume mehr, kein Ton und rote Hände, nur das Meer und der Himmel, und wenn ich mit einem frischen Fang über der Schulter nach Hause komme, wird meine Frau, wer immer sie ist, mich lachend erwarten. Dieses Lachen, das hör ich jetzt schon, und es klingt mir ganz sanft und zart in den Ohren.

«Mann, Gelon, ich fühl mich so gut heute!»

Gelon schaut mich an. Er ist hübsch mit seinen Augen, die gefärbt sind wie das flache Meer, wenn die Sonne draufscheint. Nicht so kackbraun wie meine. Er macht den Mund auf, um was zu sagen, aber dann kommt nichts. Er ist oft traurig, dieser Gelon – sieht die Welt wie durch Rauch gefiltert, nichts leuchtet für ihn. Wir gehen weiter. Obwohl die Athener geschlagen sind, ihre Schiffe Feuerholz und die unbegrabenen Toten Futter für unsere Hunde, gehen immer noch Hopliten Patrouille. Nur für den Fall des Falles. Diokles hat nicht erst gestern eine Rede gehalten, dass man bei diesen Athenern ja nie wisse; jeden Tag könne ein neuer Haufen ankommen. Vielleicht hat er recht. Die meisten Spartaner sind weg. Es heißt, sie sind direkt nach Athen unterwegs, entschlossen, es anständig zu belagern. Diesen Krieg zu beenden. Aber ein paar hängen noch hier rum. Krank vor Heimweh und zu nichts mehr nutze. Und tatsächlich laufen grade vier von ihnen vor uns, und ihre roten Umhänge flattern und sehen aus wie Wunden.

«Morgen!»

Sie schauen zurück. Einer salutiert. Arrogant, diese Spartaner, aber ach, was geht’s mir gut.

«Nieder mit Athen!»

Jetzt salutieren zwei, aber schwunglos. Sie sehen müde und traurig aus, wie Gelon.

«Ich sage, Perikles ist ein Arsch!»

«Perikles ist tot, Lampo.»

«Ja, klar, sag ich doch, Perikles ist ein toter Arsch!»

Diesmal lachen zwei der Spartaner, und alle vier salutieren. Ach, und ich fühl mich so glücklich heute. Ich kann’s nicht erklären, aber was ist das für eine Stimmung! Das sind immer die besten. Die, die du dir nicht erklären kannst, dabei haben wir noch nicht mal die Athener gefüttert.

«Welchen Steinbruch nehmen wir denn heute, Gelon?»

Wir stehen an einer Weggabelung, und ein Entschluss muss her. Gelon zögert.

«Laurium?», sagt er schließlich.

«Laurium?»

«Ja, ich glaub schon.»

«Also Laurium!»

Wir biegen links ab. Laurium heißt dieser Tage der größte von den Steinbrüchen. Irgendwer fand es witzig, ihn nach dem attischen Silberbergwerk zu benennen, mit dessen Hilfe die Athener diesen Ausflug finanziert haben. Und der Name ist hängen geblieben. Der Laurium-Bruch ist ein gewaltiges Loch, umgeben von so hohen milchfarbenen Kalksteinklippen, dass man nur an ein, zwei Stellen einen Zaun braucht. An einer davon ist ein Tor, durch das man reinkommt; davor sitzen ein paar Wächter auf dem Hintern und würfeln. Gelon gibt ihnen einen Weinschlauch, und sie winken uns durch. Der Pfad nach unten ist ein kurviger Knochenbrecher. Eine schlagbereite Schlange nennt Gelon ihn, wenn ihn die Muse küsst. Die Athener können wir riechen, bevor wir sie sehen. Weil der Weg so gewunden ist, erlaubt er keinen freien Ausblick, aber der Geruch ist ziemlich furchtbar: Es stinkt so heftig nach Verwesung, dass es fast wie Nebel wirkt. Ich muss einen Moment anhalten, weil mir davon die Augen tränen.

«Es scheint schlimmer als gewöhnlich.»

«Das liegt wohl an der Hitze.»

«Tja.»

Ich halte mir die Nase zu, und wir gehen weiter. Es sind weniger als beim letzten Mal. Bei diesem Tempo werden sie bis zum Winter allesamt hinüber sein. Dabei fällt mir der Abend ein, an dem sie sich ergeben haben. Die Debatte zog sich über Stunden. Diokles marschierte auf und ab und brüllte: «Wohin stecken wir siebentausend von diesen Dreckschweinen?» Schweigen. Also fragt er wieder. Diesmal murmelt der Arsch Hemokrates was von einem Abkommen. Scheiß auf irgendwelche Abkommen, denk ich, und dann spricht Diokles es aus. Nicht mit diesen Worten, aber er meint dasselbe. Er sagt: «Schließt du ein Abkommen mit einer Leiche?» Gelächter macht sich breit, es wird mit dem Zeigefinger gewedelt, und Hemokrates setzt sich und hält die Klappe. Und immer weiter marschiert Diokles und fragt uns, was zu tun sei. Schweigen. Bloß ist es jetzt ein gespanntes. Zum Platzen gespannt. Dann stellt er das Marschieren ein; sagt, ihm sei da was eingefallen. Was Neues und ganz Seltsames. Was, das dem Rest Griechenlands zeigen wird, dass wir es ernst meinen. Dass wir Syrakus sind und gewillt zu bleiben. Ob wir davon hören wollen? «Wollen wir, Diokles!» Er aber schüttelt bloß den Kopf. Eigentlich ist das alles viel zu heftig. Zu seltsam. Jetzt sollte mal jemand anders seinen Senf dazugeben. Aber die Zeit dafür ist längst vorbei. Denn wir sind Syrakus und gewillt zu bleiben, und das sagen wir ihm auch. Also beugt er sich vor und flüstert. Kein Ton. Nur seine Lippen bewegen sich. «Wir können dich nicht hören, Diokles!» Also spricht er es aus. Immer noch leise, aber laut genug, dass wir es hören können. «Steckt sie in die Steinbrüche.» Dann schreit er es raus: «Die Steinbrüche!» Und bald erbebte beinah ganz Syrakus von diesen beiden Worten: die Steinbrüche.

Tja, und genau das taten wir dann auch.

 

Aus der Ferne sehen sie aus wie ein Haufen rote Ameisen, die über die Felsen huschen, obwohl diese Athener wohl kaum huschen. Sie liegen oder kauern oder krabbeln bloß noch rum und suchen nach ein bisschen Schatten. Um fair zu sein, meine Augen sind nicht die besten, und die Unbeweglichsten könnten genauso gut auch tot sein.

«Morgen!»

Ein paar blicken auf, aber keiner erwidert meinen Gruß. Nun, mittlerweile finden einige in der Stadt, wir hätten da einen Fehler gemacht. Dass sie hier in den Steinbrüchen festzusetzen zu weit geht, über das kriegsbedingt Notwendige hinaus. Sie meinen, wir sollten sie einfach umbringen, versklaven oder nach Hause schicken, aber ach, ich mag das mit den Steinbrüchen. Es gemahnt uns daran, dass alles sich ständig ändert. Ich erinnere mich an die Athener, wie sie vor einem Jahr waren: Ihre Rüstungen schimmerten wie Wellen, wenn der Mond draufscheint; ihr Kriegsgeschrei hielt dich nachts wach und ließ die Hunde heulen, und dann diese Schiffe, die zu Hunderten um unsere Insel glitten, prachtvolle Haie vor einem Festmahl. Die Steinbrüche zeigen uns, dass nichts von Dauer ist. Sagt Diokles. Sie zeigen uns, dass Ruhm und Macht Schatten an der Wand sind. Ach, und ich mag es, wie sie riechen. Sie riechen, aber sie riechen wunderbar. Sie riechen nach Sieg und mehr. Jeder Syrakusaner spürt das, wenn er diesen Geruch in die Nase kriegt. Sogar die Sklaven. Wohlhabend oder nicht, frei oder nicht, du kriegst diesen Geruch aus den Steinbrüchen in die Nase, und du fühlst dich irgendwie reicher als zuvor, deine Decken fühlen sich wärmer an, dein Essen leckerer. Du bist auf dem richtigen Weg oder zumindest auf einem besseren als diese Athener.

«Morgen!»

Eins der armen Schweine sieht meinen Knüppel und hebt die Arme. Ein Strom Worte folgt; das meiste kann ich nicht verstehen, weil es nur ein heiseres Krächzen ist, aber ich höre «Zeus», «bitte» und «Kinder» heraus.

«Fürchte dich nicht», sag ich. «Wir sind nicht da, um euch zu bestrafen, obwohl ihr athenischen Hunde Strafe verdient. Wir sind da –»

«Halt den Mund.»

«Was, Gelon? Ich spreche die Wahrheit.»

«Sei einfach still.»

Ich kichere.

«Verstehe, du hast mal wieder eine deiner Anwandlungen.»

Er kniet bereits bei dem armen Schwein und gibt ihm Wasser.

«Irgendwas von Euripides?», sagt er.

Der Mann saugt am Ziegenschlauch, als wär’s Aphrodites Nippel, und Wasser läuft ihm über den Bart. Er ist rosa. Richtig schweinchenrosa. Fast alle sind sie rosa, ein paar sogar richtig rot.

«Euripides, Mann. Kennst du was von ihm?»

Der Mann nickt und saugt...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2024
Übersetzer Thomas Überhoff
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antike • Athener • Bestseller • Debütpreis • Eugen Ruge Pompeji • Euripides • Freundschafts-Roman • Glorious Exploits deutsch • Griechische Antike • griechische Geschichte • historienromane • Historienschmöker • Historische Bücher • historische Romane Neuerscheinungen 2024 • Historischer Roman • Hoffnung • Irische Literatur • irischer Autor • klassische Tragödie • Literatur • Medea • Menschlichkeit • Moderne Literatur • Neuerzählung • Peleponnesischer Krieg • Retelling • Roman historisch • roman neuerscheinung 2024 • Sunday Times Bestseller • Syrakus • Überleben • Zeitgenössische Literatur • Zeitreise in Vergangenheit und Gegenwart
ISBN-10 3-644-01665-8 / 3644016658
ISBN-13 978-3-644-01665-1 / 9783644016651
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