Das kann es doch nicht gewesen sein!, denkt Thea, als ihr 40. Hochzeitstag vor der Tür steht und ihr Gatte Ronny das gemeinsame Eheleben mental schon mal ins Altenheim verfrachtet hat. Was ist aus Leidenschaft und Abenteuer geworden? Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind und endlich mal Zeit für die eigenen Träume ist? Es wird Zeit, die Reißleine zu ziehen. Also verkünden die beiden auf der Party zu ihrem Hochzeitstag vor versammelter Mannschaft, dass sie ab jetzt getrennte Wege gehen. Die frisch gebackenen Singles sind bestens vorbereitet. Doch dann kommt alles anders als gedacht ...
Carla Berling, unverbesserliche Ostwestfälin mit rheinländischem Temperament, lebt in Köln, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Mit der Krimi-Reihe um Ira Wittekind landete sie auf Anhieb einen Erfolg als Selfpublisherin. Mit »Der Alte muss weg« wechselte sie sehr erfolgreich in die humorvolle Unterhaltung. Unter dem Pseudonym Felicitas Fuchs schreibt sie darüber hinaus historische Familiengeschichten. Bevor sie Bücher schrieb, arbeitete Carla Berling jahrelang als Lokalreporterin und Pressefotografin. Sie tourt außerdem regelmäßig mit ihren Romanen durch große und kleine Städte.
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Neun Wörter waren es, die schließlich alles veränderten. Neun eigentlich unbedeutende Wörter, in freundlichem Ton dahingesagt, an einem Montagabend um Viertel vor elf.
Ich saß auf der Bettkante und massierte meine Füße. Ronny schlüpfte in seinen Schlafanzug. Die Hose war ihm an den Beinen zu kurz und das Oberteil am Bauch zu weit. Um zu wissen, was er tat, brauchte ich nicht hinzusehen, ich kannte das Geräusch jedes einzelnen Handgriffs. Das Ächzen, wenn er sich die Strickjacke über die Schulter zog, das Geräusch der Hose, die auf den Boden fiel, bevor er sie akkurat auf den stummen Diener hängte, das Schleifen seiner Unterhose über die trockene Haut seiner sehnigen Schenkel. Sobald Ronny im Nachtgewand war, hatte er die Angewohnheit, den rechten Daumen in den elastischen Bund der Schlafanzughose zu stecken. Er ließ das Bündchen dezent auf seinen flachen Bauch flitschen, bevor er sich, barfuß übers Laminat tapsend, auf den Weg ins Bad machte. Beim Gehen knackten seine Gelenke. Die Türen des Spiegelschrankes klappten; ich wusste, dass er jetzt die Zahnpasta portionierte, dann ertönte das laute Brummen der elektrischen Zahnbürste. Abends putzte Ronny sich die Zähne, während er auf dem Klo saß.
Ja, er saß.
Seit er mal eine Weile das Bad hatte sauber machen müssen – ich hatte mir das Schlüsselbein gebrochen und war für derlei Verrichtungen ausgefallen –, hing überm Klo die Attrappe einer Überwachungskamera neben einem Schild, auf dem stand: Bei Stehpinklern schaltet sich automatisch die Kamera ein!
Die Brille blieb fortan sauber, bei uns saßen alle.
Normalerweise hockte Ronny also auf dem Klosett und sorgte dafür, dass er nachts nicht rausmusste, dabei summte die elektrische Zahnbürste exakt zwei Minuten lang. Dann hörte ich die Toilettenspülung und anschließend das Klacken, wenn er die Zahnbürste zurück in die Halterung steckte.
An diesem Abend drehte er sich entgegen allen regulären Bewegungsabläufen in der Tür kurz um und schaute mich grinsend an. »Ich gehe Zähne putzen, soll ich deine gleich mitnehmen?«
Mein Unterkiefer fiel herunter. Ich bekam den Mund sekundenlang nicht zu. Normalerweise konnte ich auf Ronnys speziellen Humor gelassen reagieren, das ist eben so, wenn man seit der Schulzeit ein Paar ist, aber an diesem Abend geschah etwas mit mir.
Ich merkte es nicht sofort, sondern erst Wochen später.
»Ronny«, sagte ich an jenem Abend milde, »es ist eine Beißschiene und kein Gebiss, das außerhalb meines Körpers in einem Wasserglas mit Corega-Tabs übernachten musste. Deine Scherze waren auch schon mal besser.«
Ich zog mir die Decke über den Kopf. Als er zurückkam, bewegte ich mich nicht und tat, als würde ich schon schlafen.
Er knipste sein Leselicht an und murmelte: »Lass uns morgen endlich mit der konkreten Reiseplanung anfangen. Ehe man sich’s versieht, haben wir Silvester.«
»Hm«, brummte ich.
Die Mottoparty. Wir wollten unseren vierzigsten Hochzeitstag, der auch unser beider sechzigster Geburtstag sein würde, mit Freunden von damals feiern. Ronny hatte recht, bis Silvester waren es noch acht Monate; wir mussten sehen, dass wir in die Gänge kamen.
Ronny und ich sind am 1. Januar geboren, aber nicht nur das: Wir heißen beide von Geburt an Schmidt. Ich bin also Thea Schmidt, geborene Schmidt. Natürlich sorgten derlei Zufälle schon in der Schule für Erstaunen oder Verwirrung, denn da wir im selben Ortsteil aufgewachsen sind, wurden wir auch am selben Tag in derselben Klasse eingeschult. »Seid ihr Geschwister?«, fragte jeder, der uns kennenlernte. Dass wir später beide eine Lehre in der Sparkasse machten, war dann irgendwie die Krönung der Gemeinsamkeiten.
Ich fand es erst immer doof, Neujahr Geburtstag zu haben. Als Kind ging mir der höchste Feiertag des Jahres flöten, an dem ich endlich mal die Hauptperson hätte sein können. Aber als junge Erwachsene war es prima, mit Böllern und Feuerwerk reinzufeiern.
Ronny und ich sind in der Silvesternacht zu unserem achtzehnten Geburtstag zusammengekommen. Na ja, was heißt zusammengekommen … Ein Paar waren wir schon früher, aber platonisch. Nur mit Knutschen. Fast nur.
Wir gingen jedenfalls miteinander, seit wir sechzehn waren. Und an jenem Silvester feierten wir mit der Clique in der Kellerbar von Olli Holländers Eltern. Olli hatte sturmfrei, die Eltern waren im Sauerlandstern.
Wir hatten zu Peter Maffay getanzt. Eng. Sehr eng. Als ich Ronny fragte, ob er nicht seinen Schlüssel aus der Hosentasche nehmen könnte, der würde ein bisschen stören, ließ er mich für einen Moment los, um mich fassungslos anzusehen. Dann zupfte er an seinem mit Rauten gemusterten Pullunder und tanzte entschlossen und noch enger weiter.
So bist duhuhu … Nie hatte ein Text so zu mir und meinen Gefühlen gepasst. Denn wenn ich geh, dann geht nur ein Teil … Ich musste nur an diesen Song denken und hatte tagelang einen Ohrwurm.
Jedenfalls war das die unvergessliche Nacht gewesen, in der Ronny und ich unsere Unschuld verloren. In Holländers Gartenhäuschen, auf einer geblümten, muffigen Auflage für den Liegestuhl, bei fünfzehn Grad minus. Heiße Nächte sind anders. Aber wir haben danach immer wieder geübt, bis es uns richtig Spaß machte.
Und zwei Jahre später, am 31. Dezember, einen Tag vor unserem zwanzigsten Geburtstag, haben wir geheiratet.
Meine Eltern waren entsetzt, als ich ihnen unsere vollzogene Verlobung beichtete.
»Eine Hochzeit mit Rückenwind«, jammerte meine Mutter, »wie stehen wir vor den Leuten denn jetzt da …«
»Wie ’ne junge Oma!«, antwortete ich, was sie nicht wirklich tröstete. Die Erlaubnis zur Hochzeit musste sie trotzdem geben. Jedenfalls war es eine großartige Party, auch wenn ich als »gefüllte Braut«, wie mein Schwiegervater es charmant nannte, mit Capri-Sonne und Dunkelbier anstieß. Die anderen konnten es richtig krachen lassen: zwei zwanzigste Geburtstage, Silvester und eine Hochzeit an einem Tag, wann hatte man je so viele Anlässe auf einmal.
Nun, das war knapp vierzig Jahre her. Ronny und ich hatten also die »Rubinhochzeit« und den runden Geburtstag vor uns.
»Mama, dass ihr euren Sechzigsten feiern wollt, klar, finde ich grundsätzlich klasse. Aber eine Rubinhochzeit? Die Silberhochzeit feiert man groß und dann die Goldene, wieso hängt ihr ein krummes Jubiläum denn so hoch?«, fragte unsere älteste Tochter.
»Franziska, die erste Frage, die ich mir stelle, lautet: Wer ist noch mal ›man‹?« Kopfschüttelnd fuhr ich fort: »Wir haben eine Pandemie hinter uns. Wir haben keinen Klimawandel mehr, sondern eine sehr bedrohliche Klimakrise. Wir haben immer häufiger Starkregen, Hochwasser, Orkane, Dürren und Waldbrände. Hier, bei uns in Deutschland, nicht jottwehdeh. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt. Außerdem ist es vielleicht der letzte runde Geburtstag, an dem ich tanzen kann, mit siebzig gehe ich womöglich am Stock. Ich möchte zeitnah feiern. Was ich hab, das hab ich.«
»Du immer mit deinem Pessimismus«, moserte Franziska.
»Ich nenne das Realismus«, erwiderte ich.
Ronny war auf meiner Seite: Unsere Rubinhochzeit war ein toller Anlass für ein Fest, und er hatte sofort die Idee mit der Mottoparty.
»O ja«, rief ich begeistert, »sollen wir alles in einer Farbe machen? Kleidung, Deko, Getränke und Essen in Rot? Oder Grün? Oder vielleicht lieber eine Flower-Power-Party?«
Natürlich hätte ich wissen müssen, dass Ronny für nichts Schräges zu haben war, er wollte immer alles elegant, mit Stil und Klasse. Um nichts in der Welt wäre er je irgendwo in nachlässiger Kleidung aufgetaucht. Deswegen feierte er (als gebürtiger Rheinländer!) auch seit Jahrzehnten keinen Karneval mehr.
Natürlich gab ich nach. Also würde es nach seinem Wunsch eine Party mit dem Titel Comme au Cinema werden. »Wie im Kino«, na, das war ein weites Feld, dazu würde gewiss jedem etwas einfallen.
Nun war das Motto beschlossen und verkündet, aber die Gästeliste war noch nicht fertig. Einige unserer damaligen Freunde waren inzwischen leider verstorben, ein paar waren ausgewandert und nicht zu erreichen, mit manchen hatten wir uns für immer und ewig zerstritten, andere hatten wir irgendwann einfach aus den Augen verloren. Wochenlang hatte ich nachgeforscht, wer wo abgeblieben war, und oft hatte ich Ronny abends mit den Worten begrüßt: »Hör mal, weißt du, wer auch tot ist?«
»Kümmerst du dich bitte um die Liste der Überlebenden?«, hatte er schließlich gefragt.
Natürlich kümmerte ich mich. Ich kümmere mich immer um alles. Nicht umsonst werde ich von unseren drei Töchtern »Kümmermonster« genannt. Ich weiß nie so recht, ob es liebevoll gemeint ist oder sie genervt sind.
Zeitnah wollten Ronny und ich uns zusammensetzen und die Liste der Überlebenden und nicht Verschollenen durchgehen, dann würden wir sie aufsuchen und persönlich einladen. Die Besuchstour sollte die Urlaubsreise ersetzen, über deren Ziel wir uns dieses Mal nicht hatten einigen können.
Wir waren vor der Pandemie in Bayern gewesen – ein Kompromiss, ein fauler dazu. Ronny hatte eigentlich lässig in München flanieren wollen, sich elegant anziehen, stundenlang in Straßencafés sitzen, schlemmen und Wein trinken wollen. Ich liebte aber die Natur, wollte wandern, abschalten, Ruhe haben, die Stille hören. Also hatten wir uns auf eine Woche in München und anschließend sieben Tage Tegernsee geeinigt.
Ich hasste es, durch eine...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • 50plus • 60plus • Der Alte muss weg • eBooks • Eheleben • Frankreich • Hochzeitstag • Humor • Klammerblues um 12 • Köln • Komödie • lustig • lustige • Neuerscheinung • Neustart • Nizza • Provence • Reisen • Roman • Romane • Trennung • was nicht glücklich macht, kann weg |
ISBN-10 | 3-641-31310-4 / 3641313104 |
ISBN-13 | 978-3-641-31310-4 / 9783641313104 |
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