Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Glühen (eBook)

'Ein feministisches und körperliches Buch.' Salzburger Nachrichten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02043-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glühen -  Theodora Bauer
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Am liebsten will sie sich selbst vergessen, sogar ihren Namen in der stressigen Stadt zurücklassen. Lima nennt sich die junge Frau, die sich in den Bergen bei einer knarzigen Alten einquartiert. An der Universität denkt sie über Frauen und weibliches Begehren nach - privat braucht sie dringend eine Pause, um ein paar Sommertage lang alles hinter sich zu lassen: Freunde, Familie, die Männer, die ganze polykriselnde Gegenwart mit Krieg und Klimakatastrophe. Aber sogar hier ist der Wald so trocken, dass er knistert, und natürlich wird sie ihre kreisenden Gedanken nicht los - bis sie auf Michael trifft, der oben am Berg Heu mäht und schön ist wie ein Engel. Erst ist Lima nicht sicher, ob er wirklich existiert, denn der junge Mann mit der Sense wirkt wie einer anderen Zeit entsprungen. Aber er ist auch am nächsten Tag auf der Wiese, und ganz federleicht nähern sich die beiden einander an - bis Michael verschwindet und die Junihitze um Lima herum immer bedrohlicher wird. Theodora Bauer erzählt eine hinreißende, rätselhafte Liebesgeschichte inmitten der sommerschönen wie unheimlichen voralpinen Landschaft - und von der Suche nach Nähe und Wahrheit im krisenhaften Heute. Eine außergewöhnliche junge Stimme.

Theodora Bauer, geboren 1990, studierte Philosophie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Sie ist Autorin vielfach ausgezeichneter Romane und Theaterstücke. Ihr Romandebüt, «Das Fell der Tante Meri» (2014), stand auf der ORF-Bestenliste und war für den Literaturpreis Alpha nominiert; über ihren zweiten Roman, «Chikago» (2017), urteilte die «Frankfurter Neue Presse»: «sprachlich und dramaturgisch ein großer Genuss». Theodora Bauer moderierte fünf Jahre lang die Fernsehsendung literaTOUR. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

Theodora Bauer, geboren 1990, studierte Philosophie, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Sie ist Autorin vielfach ausgezeichneter Romane und Theaterstücke. Ihr Romandebüt, «Das Fell der Tante Meri» (2014), stand auf der ORF-Bestenliste und war für den Literaturpreis Alpha nominiert; über ihren zweiten Roman, «Chikago» (2017), urteilte die «Frankfurter Neue Presse»: «sprachlich und dramaturgisch ein großer Genuss». Theodora Bauer moderierte fünf Jahre lang die Fernsehsendung literaTOUR. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

1.


Der Weg wand sich nach links, dort oben sah sie das zweistöckige Haus mit den ruinösen Holzbalkonen stehen. Kein einziges Auto in der letzten halben Stunde, noch immer nicht, vielleicht war es schon zu spät für Autos oder für Menschen ganz allgemein. Sie hatte sich diese Pension ausgesucht, weil es sie schon lange gab. Auf seine Weise ein schönes Haus. Diese Balkone, eine gewisse Verwunschenheit, die das dunkle Holz verströmte, hoch aufragende Tannen ein wenig zu knapp vor den Fenstern. Aber eigentlich war es die Jahreszahl über der Tür gewesen, die den Ausschlag gegeben hatte. 1862 – mit Google Street View gesehen, und schon am Bildschirm war sie seltsam berührt gewesen. Die alte Frau, die die Pension führte, hatte sich am Telefon so angehört, als müsse sie über das gesamte Jahrhundert hinüberschreien. Gleichzeitig laut und heiser, ein verwegenes Lärmen, das den älteren Damen mehr zustand als den jüngeren. Wahrscheinlich hatte sie bloß versucht, ihre eigene Schwerhörigkeit wegzuplärren. Nur bar, hatte die Alte in größtmöglicher Lautstärke ins Telefon gekrächzt, sie hatte auf der anderen Seite stumm genickt, und nach einem heiser gebrüllten Bitte? hatte sie sich gezwungen gesehen, Ja zurückzuschreien.

 

Ob sie wirklich eine Pause brauchte? Nein, sie brauchte keine Pause. Die Welt machte keine Pausen. Es war nicht die Intensität der Welt, die sie schmerzte, oder die schiere Menge von allem. Es war das Ende der Welt, das sich zwar noch unscharf, aber doch immer deutlicher hinter allem abzubilden schien. Wenn man es so aussprach, in einem normalen, alltäglichen Gespräch, das Ende der Welt, dann lachten sie einen aus. Da gab es aber nichts zu lachen. Alle spürten es doch, es war doch vollkommen klar. Nur die Worte mussten sich noch zurückhalten. Aber Worte, die ohne Grund zurückhaltend waren, hatten sie noch nie interessiert. Worte, die sich vor dem zu Sagenden in Demut verbeugten und dabei umso deutlicher bezeichneten, ja. Aber Worte, die Dinge voller Angst umschifften, die sich ihnen nicht zu nähern getrauten, weil sie tatsächlich glaubten, das Wort injiziere die Dinge erst in die Welt, jede unbedachte Bemerkung eine selbsterfüllende Prophezeiung. Die sich derart hart überschätzten und damit an sich selbst scheiterten. Nein. Solche Worte nicht.

Meistens gab es Worte, die zu viel wollten oder das Falsche, oder es gab zu wenige Worte. Die richtige Dosis von Worten nannte man Literatur. Davon gab es wenig. Es war eine hohe Kunst, die Menschen mit den Worten nicht zu vergiften oder sie verhungern zu lassen an der ausgestreckten Hand, sie zu unter-füttern, ihnen den Stoff zum Denken zu nehmen oder sie so darunter zu begraben, dass sie ganz dumm wurden. Sie mochte Literatur, weil sie ernsthaft bestrebt war, der Welt die richtige Menge an Worten und gleichzeitig die richtige Art von Worten zukommen zu lassen. Vielleicht beschäftigte sie sich mit Literatur, weil sie Rezepte, Anleitungen, Lösungen erkennen wollte. Das gelang ihr aber nicht. Nicht im Wesentlichen: Sie konnte sich nur vor dem jeweiligen Werk verneigen, das sie untersuchte, und hätte nicht sagen können, wie ein Werk, das all das in der Vergangenheit bewerkstelligt hatte, in der Gegenwart aussehen würde. Aber genau so ein Werk brauchte es jetzt, oder vielmehr Werke, vielmehr Worte und Wortarrangements für diese Welt hier. Aber an diesem Punkt wurde es kompliziert.

 

Sie zog den Koffer die letzten Meter zur Haustüre hinter sich her. Jetzt Erde, die Räder gruben sich in den moosigen Grund, halb versunkene Steinplatten auf dem Weg mit zentimeterbreiten Erdfurchen dazwischen. Das verhaltene Blauschimmern eines Fernsehers aus dem Raum im Erdgeschoss, wahrscheinlich Wohnzimmer, vielleicht Aufenthaltsraum für die Gäste. Keine Stufen vor dem Eingang. Sie hob den Kopf. 1862 schaute schief auf sie hinunter. Die 2 schön geschwungen, am Ende eine kleine kühne Schleife ins Nichts. Das geborstene Holz, die wegstehenden graubraunen Späne. Sie holte aus und schlug dreimal kräftig gegen die Tür.

Als die Alte öffnete, glaubte sie, sie starre rückwärts durch die Jahre zurück in eine Zeit der Dutts, der beengten schwarzen Baumwollkleider mit hohen Krägen, der sittsam gefalteten Hände, der ewigen dunkelschweren Jesusse an der Wand, die mit gesenkten Lidern auf die halb abgebrannten Osterkerzen zu ihren Füßen blickten. Hinter der Alten zuckte das blaue Leuchten an den Wänden, ein schummriges Haus, ein übermenschliches Blitzen. Die Frau trat aus der Finsternis auf sie zu, ein kurzes Flackern ging ihr durchs Herz, nicht mehr als eine Anwandlung. Auf den zweiten Blick sah sie statt des krinolinehaften Kleides einen dunklen Hausanzug mit ausgeleiertem Rollkragenpullover, der über dem schmalen Körper Wellen schlug, eine in grauschwarzem Leopardenmuster gehaltene Fleeceweste, augenscheinlich neue Polyesterpantoffeln mit aufgestickten Kätzchen, die ihre Augen aufrissen, als hätten sie eine grausame Bluttat mit angesehen. Sie blinzelte. Der erste Schauer war geblieben und sollte bleiben, ein zartes Gewürz auf allen Dingen hier. Besorgnis, nicht mehr als ein sachtes Zirpen im Hintergrund. Die Frau stand in der Türe, warf einen Blick hinauf zum dunkelnden Himmel hinter ihr, dem späten Gast, was sie veranlasste, sich selbst umzudrehen und zurückzuschauen.

 

Weinhager, krächzte die Frau, es war keine Frage, es war die Feststellung eines Umstandes, der ihr nicht zu gefallen schien. Sie sind zu spät.

Sie wandte den Blick wieder der Alten zu, der schöne Himmel mit den verblassenden Zuckerwolken noch in ihrem Kopf. Sie war zu spät?

Also sind Sie die Frau Weinhager. Oder nicht, sagte die Alte. Sie führte keine Fragezeichen im Repertoire.

Ja, sagte sie und zog den Koffer etwas näher zu sich heran, ich bin die Frau –

Gut, unterbrach sie die Alte, dann kommen Sie herein.

 

Sie wollte den Wald. Sie wollte die Ruhe. Sie hatte sich in eine Welt hineingeträumt, der die jeweils nächste Katastrophe noch bevorstand, die ihr als Leserin aber schon bekannt war, in der sie mehr wusste als die Menschen, die durch die Geschichten wuselten. Das war beruhigend: Das Schreckliche zwar als kommend lesen, aber vergangen wissen. War es nicht ähnlich gewesen wie heute? Wien der Nabel der empfundenen Welt, die toten Fiakerpferde unangenehme Nebenerscheinungen von Feiern und Geschäftigkeit, die schwingenden Kleider von Näherinnen an der Kreuzung, die forsch adjustierten Schiebermützen der Zeitungsjungen, die auf der anderen Straßenseite im Gewühl verschwanden. Menschen, die in Weingärten vögelten, auf der Praterallee vögelten, in abgetrennten Hinterzimmern vögelten. Krachen, Scheppern. Gestank. Immer alles haben, in moderaten Mengen, für die meisten eigentlich schön, eigentlich ruhig. Den Ruin ahnen, aber noch nicht spüren. Wissen, dass etwas kommt, obwohl sich der Körper noch in Sicherheit wiegt, der Körper sich mit sich selbst betrügt. Das Lauernde hinter dem absolut Harmlosen, der Inbegriff von Horror.

Wann hatte dieses Wissen um die noch unbekannte Katastrophe eingesetzt? Sie stellte sich nicht die Frage, wie sie es schon so oft getan hatte, ob die Katastrophe hätte abgewendet werden können. Sie hatte zu ahnen begonnen, dass das nicht mehr die relevante Frage war. Sondern ab wann die Katastrophe, wie auch immer sie dann beschaffen wäre, am Horizont als konturloses Faktum aufgetaucht war. Sie dachte an Wien im Jahre 1913. War nicht irgendwo Weltausstellung gewesen? Sie hatte gehört, dass nach diesem und jenem Maßstab die Welt sogar globalisierter gewesen war als unsere. Menschen reisten, Waren gingen um den Globus, Bohemiens bohemierten, der Himmel über allem war blau und wolkenlos. Unbesiegbarer Eroberungsgeist, Triumph des Fortschritts, alles Eisen und in klebrigen Wolken aufsteigender Ruß. Die Landschaft von Lokomotiven und mühsam voranrumpelnden Automobilen zerschnitten, eine warme Zukunft, eine große Fläche vielversprechenden Jahrhunderts. Ein schönes, ein wohlgeordnetes Bild, an dem doch irgendetwas nicht stimmte. Finde den Fehler. Und dann das. Dann was? Das Gefühl zwischen der Ahnung und dem Ereignis. Eine Ratte im Unterholz, das Einrieseln von Angst, obwohl doch alles friedlich scheint, tumb starrende Augen, ein kurzes Zittern im widergespiegelten Licht. Die Sekunde, bevor das Raubtier zupackt. Sie dachte an den Tiger im Dschungel, an den Krieg, daran, dass sie jetzt im Dschungel war. Panther in Katzenpantoffeln, Dickicht zwischen den Tannen. Der Untergang ist naturgemäß ein Prozess. Etwas kommt in Bewegung, löst sich, beginnt zu bröckeln. Wie den Untergang fassen, wenn man nicht weiß, wohin alles entgleitet? Bewegung überall. Richtig schön ist er erst zu beschreiben, wenn alles schon in Trümmern liegt. Doch wofür dann? Vielleicht nur spüren, dass etwas im Rutschen ist. Annehmen, dass es bergab geht, weil wir nicht optimistisch sind. Weil wir an die Schwerkraft glauben.

 

Als sie den Fuß auf die Schwelle setzte, dachte sie an den Pudel. Sie war der Pudel. Nein, falsch herum. Sie stieg in den Pudel, trat ihm in den Bauch. An ihrem Kern nur Wasser. Dennoch, ein Schritt, Sandalen auf dem abgetragenen Holz. Fast wäre sie gestolpert. Mit einem Ruck hoppelte der Koffer hinter ihr über die Schwelle. Hätte Sie etwas fühlen sollen? Nichts fühlte sie. Sie war zu spät.

 

Sie bleiben lange, sagte die Alte, wieder kein Fragezeichen. Sie sprach zu laut wie schon am Telefon. Da gehen Sie hinauf, es ist das Zimmer links. Hier haben Sie den Schlüssel. Ihr...

Erscheint lt. Verlag 14.5.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Arthur Schnitzler • Aussteiger-Roman • bücher literatur • Bücher Neuerscheinungen 2024 • digital detox • Frauen • Frauenromane • Gegenwartsliteratur • Geschenke für Frauen • kleine geschenke für frauen • Klimakrise • Klimawandel • Krieg • Krisen überwinden • Landleben • Liebe • liebesbücher • Liebesgeschichten • Liebesroman • Männer • Mareike Fallwickl • Moderne Literatur • Moderner Roman • Pandemie • Romane für Frauen • romane neuerscheinungen 2024 • Roman Frauen • Roman Liebe • Rückzug • Sinnlichkeit • Stadtleben • Stefanie Sargnagel • Zeitgenössische Literatur
ISBN-10 3-644-02043-4 / 3644020434
ISBN-13 978-3-644-02043-6 / 9783644020436
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 7,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
CHF 20,50