Café Engel (eBook)
526 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-5620-4 (ISBN)
Der 5. Band der opulenten SPIEGEL-Bestsellersaga um die Familie Koch und ihr Traditionscafé
Wiesbaden, 1965. Das Café Engel erlebt goldene Zeiten unter Hildes Führung, und neues Personal wird dringend benötigt. Doch als Hilde den italienischen Kellner Giuseppe einstellt, tun sich ihre Eltern schwer mit der Mentalität des 'Südländers'. Turbulenzen gibt es auch in der Ehe von Bruder Willi, der am Wiesbadener Theater wahre Triumphe feiert, während er mit einer hübschen Kollegin anbandelt. Als sich die Lage im Café zuspitzt, packt Hilde kurzerhand die Koffer. Inspiriert von Giuseppes Beschreibungen seiner Heimat macht sie sich gemeinsam mit ihrer Schwägerin Swetlana auf den Weg nach Italien. Beide Frauen sehnen sich nach einer Auszeit, aber können sie das Café gerade jetzt ihrer Familie überlassen? Die Aussicht auf Sommersonne und blaues Meer lässt alle Zweifel vergessen - mit ungeahnten Folgen ...
<p><strong>Marie Lamballe</strong>wuchs in Wiesbaden auf. Sie studierte Literatur und Sprachen und begann schon kurz nach dem Studium mit dem Schreiben von zunächst Kurzgeschichten, später Theaterstücken, Drehbüchern und Romanen. Inzwischen lebt sie als freie Autorin in der Nähe von Frankfurt am Main und hat unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche Romane - darunter mehrere Top-Ten-<i><b>SPIEGEL</b></i>-Bestseller - veröffentlicht.</p>
Mai 1965
HILDE
Der Frühling hat in diesem Jahr auf sich warten lassen. Bis weit in den April hinein sind Wintermantel und Wollschal unentbehrlich gewesen, und die hübschen Frühjahrskostüme der Wiesbadener Damen mussten in den Schränken bleiben. Nun aber, gerade rechtzeitig zu den Maifestspielen, explodiert die Natur im warmen Sonnenlicht. Die Stadt hat sich zu dem alljährlich wiederkehrenden Theaterereignis festlich geschmückt: In den Kuranlagen leuchten bunte Blumenrabatten, die Büsche hat man noch rasch beschneiden müssen, die Rasenflächen sind frisch gemäht, und allerorten weisen Fahnen und Plakate auf die Festspiele hin. In diesen Maitagen ist Wiesbaden international – Touristen aus aller Herren Länder mischen sich unter die Einheimischen, flanieren in der Wilhelmstraße, sitzen in den Straßencafés und finden sich zu den Veranstaltungen der Maifestspiele im Theater ein.
Auch im Café Engel ist Hochbetrieb, denn hier treffen sich die Künstler und Theaterleute, man nimmt noch rasch einen Imbiss vor den Proben, sitzt mit Kollegen bei einem Glas Wein zusammen und diskutiert fachkundig über die Gastveranstaltungen aus Russland oder Frankreich. Und auch die Presseleute schauen vorbei, um diesen oder jenen Künstler zu einem Interview zu bewegen.
Gestern wurde »Katerina Ismailova« von Schostakowitsch im Opernhaus gegeben, da haben Künstler und Gäste hinterher noch bis spät in die laue Nacht hinein an den Außentischen gesessen. Heute ist wieder großartiges Sonnenwetter, und die Außentische sind sogar schon am Vormittag alle besetzt.
Doch drinnen herrscht Gewitterstimmung.
»Ausgerechnet im Mai müssen sie heiraten!«, schimpft Mutter Else. »Können sie denn nicht bis zum Sommer warten? Wenn’s denn schon sein muss …«
Es ist kurz vor eins, unten im Café herrscht lebhafter Betrieb, aber Hilde steht in ihrer Wohnung vor dem Kleiderschrank und stöhnt, dass sie nicht weiß, was sie anziehen soll.
»Zieh das Grüne an«, ruft Mutter Else, die in Hildes Küche sitzt und sich die schmerzenden Beine mit Salbe einreibt. »Das reicht. Hinterher rennst du in Eltville doch nur herum, um die Hochzeitsgäste im Hof zu bedienen.«
»Aber das sitzt nicht mehr richtig«, seufzt Hilde. »Und aus der Mode ist es auch …«
Sie ist nervös, was ihr eigentlich selten passiert. Alles, was das Café betrifft, organisiert sie mit größter Ruhe und Sicherheit. Auch wenn es eng wird, auf Hilde ist immer Verlass. Aber sich für eine Hochzeitsfeier hübsch zu machen fällt ihr schwer. Man ist ja keine Zwanzig mehr, die Hüften sind runder, obenrum hat sie auch zugenommen, und vor ein paar Wochen hat sie die ersten grauen Haare zwischen den blonden Löckchen entdeckt. Und dann ist sie ja auf repräsentative Kleidung auch nicht eingestellt, weil sie tagein tagaus im Café wirkt und meist Rock und Bluse trägt.
»Ich verstehe Mischa ja nicht«, sagt Mutter Else und ächzt, weil sie sich beim Einreiben bücken muss.
»Lass das doch Mama, ich mach es dir gleich …«
»Nein, nein – du musst dich jetzt anziehen, und wir werden ja auch ohne dich fertig«, ist die Antwort. »Aber dass Mischa unbedingt eine Frau heiraten will, die fünf Jahre älter ist – das kann doch nicht gutgehen! So ein hübscher Kerl wie der Mischa, der könnte doch etwas Jüngeres finden …«
Hilde schweigt, weil dieses Thema schon seit Wochen in der Familie heiß diskutiert wird. Mischa und Simone sind mittlerweile seit vier Jahren ein Paar ohne Trauschein, sie wohnen auf Jean-Jacques’ Weingut in Eltville, und Mischa ist auf dem besten Weg, ein guter Winzer zu werden. Was ganz sicher auch Simones Einfluss zuzuschreiben ist, die ihm fröhlich und zuversichtlich zur Seite steht und sich als ausgezeichnete Wirtin der kleinen Schänke erwiesen hat. Warum also sollten die beiden nicht heiraten?
Sie schaut auf die Uhr und stellt fest, dass jetzt eine Entscheidung ansteht. Die Trauung ist auf vierzehn Uhr angesetzt, unten am Stammtisch im Café warten die Schulkinder Sina, Marion und Petra, die Hilde in ihrem Auto mitnehmen will, und ihr lieber Ehemann Jean-Jacques hat sich auch noch nicht in der Wohnung blicken lassen. Dabei hat sie ihm den guten Anzug schon an die Schlafzimmertür gehängt und ein frisches Hemd nebst Socken und Schlips zurechtgelegt.
»Also, meinetwegen das Grüne«, sagt sie resigniert und verschwindet im Badezimmer, um sich fertig zu machen. Natürlich will das Haar ausgerechnet heute nicht so liegen, wie sie es wünscht, das Kleid spannt an den Hüften und faltet sich in der Taille – na wunderbar, da wird sie als Trauzeugin in der Kirche eine großartige Figur abgeben!
»Du hast ja ordentlich zugelegt«, sagt Mutter Else denn auch prompt, als Hilde schlecht gelaunt im Flur erscheint. »Aber mach dir keine Gedanken, Kind, das sind die Wechseljahre, da geht man halt in die Breite. Später geht das alles wieder weg.«
Mütter sind mitunter unfassbar gefühllos. Hilde ist zweiundvierzig und keineswegs der Ansicht, schon in den Wechseljahren zu sein.
»Hast du Jean-Jacques gesehen?«, fragt sie verärgert.
»Der ist eben gerade ins Schlafzimmer gerannt. Nicht einmal ›Allô, ma chère‹ oder so was hat er zu mir gesagt …«
Hilde eilt ins Schlafzimmer, wo Jean-Jacques den Kleiderschrank aufgerissen hat und darin herumwühlt.
»Wo ist denn der gute Anzug, ma colombe? Ich muss mich schön machen für die junge Braut …«
»Mach die Augen auf«, knurrt sie ihn an und weist auf die bereitgelegten Sachen. »Und zieh die schwarzen Schuhe an, die hab ich extra für dich geputzt.«
»Wenn ich dich nicht hätte, mon chou …«
»Beeil dich, wir müssen gleich los!«
Und mit diesen Worten ist Hilde auch schon wieder im Flur und untersucht ihre Handtasche. Hat sie alles, was sie braucht? Führerschein, Ausweis, Taschentuch, Kamm, ein Fläschchen Kölnisch Wasser für Notfälle … Halt, die Autoschlüssel. Und den Wohnungsschlüssel.
»Wenn du mich fragst«, sagt Mutter Else, die an der Wohnungstür steht, um hinunter ins Café zu gehen. »Die will doch nur sein Geld.«
Diesen Verdacht hat sie schon mehrfach geäußert. Schließlich hat Mischa zu seiner Volljährigkeit vor drei Jahren das umfangreiche Erbe seiner verstorbenen Großmutter angetreten, das sein Stiefvater, der Rechtsanwalt August Koch, bis dahin für ihn verwaltet hatte.
Hilde findet diesen Verdacht absurd. »Es reicht, Mama! Simone ist keine Mitgiftjägerin, das weiß ich genau.«
»Wenn du dich da nur nicht täuschst, Hilde!«
Warum ihre Mutter ständig an allem herumnörgelt und immer nur das Schlechte sieht? Mit ihrem Alter allein – sie ist inzwischen über siebzig – ist das nicht zu erklären. Papa ist schließlich ein paar Jahre älter und trotz seiner Kriegsverletzung am Bein stets freundlich und ausgeglichen.
Unten im Café flitzt der neue Kellner an ihnen vorüber, das Tablett voller Gläser und Flaschen. Seit Februar arbeitet Giuseppe Marcelli im Café Engel, Gastarbeiter aus Neapel, ein schlanker, mittelgroßer junger Mann mit schmalen Gesichtszügen und dichten schwarzen Augenbrauen. Hilde hat ihn gegen den Willen ihrer Mutter eingestellt, weil er ihr willig und geschickt erschienen ist und außerdem nicht viel Lohn kostet. Bisher macht er seine Sache sehr gut, nur das Kassieren übernimmt Hilde vorsichtshalber noch selbst, aber auch da wird er sich bald hineinfinden, denn Giuseppe ist nicht auf den Kopf gefallen. Trotzdem kann Mutter Else sich ihre Kritik an dem »kleinen Italiener« nicht verkneifen; sie bedenkt ihn reichlich mit boshaften Bemerkungen, und Hilde kann nur hoffen, dass Giuseppes Deutschkenntnisse für diese Unfreundlichkeiten nicht ausreichen.
»Faul ist der Kerl«, meint sie auch diesmal. »Packt das Tablett so voll, dass er es kaum schleppen kann, anstatt zweimal zu laufen. Wenn ihm das runterfällt – na Mahlzeit! Und wie er den Frauen schöne Augen macht!«
Papa hält oben in der Wohnung sein Mittagsschläfchen, dafür haben sich Sina, Petra und Marion am Stammtisch breitgemacht und ihre Jacken und Schulranzen großzügig auf die Stühle verteilt. Petras Geige liegt sogar auf dem Tisch. Giuseppe, der Kinder über alles liebt, hat ihnen in eigener Machtvollkommenheit Gulaschsuppe und italienischen Salat serviert, weil er der Meinung ist, dass Kinder gut essen müssen, wenn sie aus der Schule kommen. Wenigstens in diesem Punkt ist er mit Mutter Else einer Meinung, wobei sie allerdings nichts von diesem »Mischmasch« hält, den die Italiener als Salat essen. Käse, Schinken und Salami gehören auf ein Butterbrot und nicht auf den Salatteller, findet sie.
»Habt ihr die Hausaufgaben gemacht? Wir fahren gleich«, mahnt Hilde die Rasselbande. »Was ist mit dir, Sina? Du solltest doch das Kleid anziehen, das deine Mutter für dich hiergelassen hat.«
Sina verdreht die Augen und schaut ihre Freundin Petra hilfesuchend an. Swetlanas Tochter ist jetzt dreizehn, immer noch zu mollig, das blonde Haar dünn und flusig, und die dicke Brille hat inzwischen dazu geführt, dass sie von boshaften Mitschülern am Gymnasium »Frosch« genannt wird. Dabei spielt viel Neid eine Rolle, denn Sina ist ungewöhnlich begabt und hat schon eine Klasse übersprungen.
»Das Kleid steht mir nicht«, meint sie bekümmert.
Hilde kann das arme Mädchen verstehen. Leider hat Swetlana kein bisschen Geschmack, was die Kleidung ihrer Tochter betrifft, sie kauft ihr ständig irgendwelche Sachen, die sie »süß« findet, die jedoch an Sina schrecklich aussehen.
»Aber deine Mutter möchte, dass du es anziehst«, wendet sie ein, weil sie Ärger mit...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2024 |
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Reihe/Serie | Café-Engel-Saga | Café-Engel-Saga |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 68er • Affäre • Backen • Eifersucht • Emanzipation • Ermächtigung • Familiendynastie • Familiensaga • Film • Gastarbeiter • Italien • Konditorei • Konkurrenz • Kuchen • Liebe • Mittelmeer • Nachkriegszeit • Reise • Rheingau • Roadtrip • Saga • Schauspiel • Sechzigerjahre • Serie • Studentenbewegung • Süden • Theater • Torten • Wein • Wiesbaden • Winzer • Wirtschaftswunder |
ISBN-10 | 3-7517-5620-5 / 3751756205 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5620-4 / 9783751756204 |
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Größe: 1,4 MB
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