Maddrax 624 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5839-0 (ISBN)
Wer würde nicht gern seinem Gott begegnen - zu Lebzeiten natürlich? Nun ja... kommt darauf an, ob es der gütige Gott ist, den man heutzutage predigt - oder der aus dem Alten Testament, der in seiner Wut schon mal sieben Plagen schickt oder den Tod des Erstgeborenen fordert.
Tautropfen stand kurz davor, ihren Gott zu treffen. Doch was sie in den letzten Tagen über die ferne Stimme erfahren hatte, ließ sie zweifeln... nein, verzweifeln. Wie gütig war ein Gott, der die Ahnen ihres Volkes in einen Vernichtungskrieg schickte...?
Die ferne Stimme
von Christian Schwarz
Tautropfen stolperte durch den dichten Dschungel. Todesangst schnürte ihr die Kehle zu und ließ jeden Atemzug zur Qual werden. Doch viel schlimmer noch war der Zorn ihres Gottes. Unablässig hämmerte die ferne Stimme, die nun gar nicht mehr fern war, sondern ihren Kopf ausfüllte, auf sie ein: Du hast mich an die Fremden verraten! Dafür werde ich dich strafen!
Tautropfen wusste nur zu genau, wie sinnlos ihr Fluchtversuch war. Warum tat sie es dann trotzdem, anstatt auf die Knie zu fallen und sich dem Gott zu unterwerfen? Weil es Unrecht ist! Weil nicht ich meinen Gott, sondern er mein Volk verraten hat!
Plötzlich verschwamm ihre Umgebung. Die Bäume um sie her begannen sich zu bewegen, kamen auf sie zu und kreisten sie ein. Tautropfen erkannte, was die Bäume wirklich waren. Der Schock ließ sie aufschluchzen.
Tautropfen zitterte am ganzen Körper. Gehetzt sah sie sich um. Aber da war keine Lücke, durch die sie hätte schlüpfen können. Undurchdringlich stand die Phalanx ihrer... nein, nicht ihrer Gegner, sondern ihrer Ahnen. Die von der fernen Stimme geschickt wurden, um sie zu bestrafen.
Immer näher kamen die knotigen, nur noch entfernt an Menschen erinnernden Bäume, in denen Tautropfen die verstorbenen und verholzten Ahnen erkannte. Dass ausgerechnet sie ihre Henker sein sollten, erfüllte Tautropfen mit Grauen.
Äste, an deren Enden wie Finger aussehende Zweige saßen, peitschten durch die Luft. Wie Snaaks krochen sie heran, zuckten in ihre Richtung.
Tautropfen warf sich flach auf den Boden, streckte die Arme vor und drückte ihr Gesicht in die regenfeuchte Erde. »Du hast dich in mir getäuscht, ferne Stimme«, rief sie schluchzend. »Ich war dir immer treu und gehorsam ergeben! Ich bin keine Verräterin!«
Die Stimme, nun ganz nah, erklang in ihrem Kopf. Du hast es nicht verdient, den Weg der Ahnen zu gehen! Er wird dir auf ewig verwehrt bleiben!
Plötzlich stand Tautropfen wieder auf ihren Beinen, ohne zu wissen, wie sie in die Aufrechte gekommen war. Die kalten, holzigen Zweigfinger der Ahnen schnellten vor, packten Tautropfen am Hals und drückten erbarmungslos zu. Sie bekam keine Luft mehr, gurgelte, versuchte verzweifelt, den Würgegriff zu lösen.
Sie hatte keine Chance. Der eiserne Griff um ihren Hals verstärkte sich noch. Dann wurde sie plötzlich hochgehoben. Ihre Beine zuckten in der Luft; sie spürte, wie sich ihre Blase entleerte. Eine derartige Angst hatte sie noch nie zuvor verspürt.
Ungehorsam ist Verrat und wird mit dem Tod bestraft!
Die Stimme des Gottes klang nun triumphierend. Und Tautropfen spürte den Tod nahen. Zuerst waberten rote Schlieren vor ihren Augen. Dann bemerkte sie die finsteren Schatten, die von allen Seiten auf sie zukamen.
Aber die junge Nocturna wollte nicht in das Reich der Finsteren eingehen! Tautropfen schrie auf und wehrte sich mit letzter Kraft. Und fuhr in die Höhe.
Die Dunkelheit war von einem Summen erfüllt, das ihr seltsam vertraut vorkam. Auch die Umrisse, die sich aus dem Zwielicht schälten, hatte sie schon einmal gesehen.
Ein Ruck warf sie fast von ihrem Lager. Sie keuchte erschreckt und hielt sich fest.
In diesem Moment begriff Tautropfen, dass sie in Sicherheit war. Sie hatte sich im Bauch des Metalltieres zum Schlafen hingelegt. Dabei hatte ein böser Traum sie heimgesucht.
Die ferne Stimme jagte sie nicht. Es gab auch keine finsteren Schatten. Tautropfen stieß einen Seufzer purer Erleichterung aus.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Laderaum. Graues Tageslicht strömte durch die offene Rampe herein. Es war düster genug, um ihr nicht weh zu tun.
Der große Oberflächenmensch, den seine Leute Dakaa nannten – so zumindest hatte sie seinen Namen verstanden – trat ein. Er musterte sie forschend und sagte etwas in dieser Sprache, die sich kaum vom Brummen des Metalltiers unterschied.
Tautropfen war es rätselhaft, wie man mit so einem monotonen Singsang überhaupt verständliche Ausdrücke formulieren konnte. Er war so unendlich weit weg von ihrer eigenen Sprache, dass sie sich niemals mit Worten würden verständigen können.
Aber Tautropfen gelang es immer besser, Körpersprache und Mimik der Fremden zu begreifen. Die querliegenden Falten auf der Stirn bedeuteten, dass Dakaa sich Sorgen um sie machte. Sie spürte zudem, dass er es ehrlich meinte. In seinen Gefühlen konnte sie keinen Falsch erkennen.
Dakaa kratzte sich kurz in seinem Gesichtspelz, der Wangen und Kinn überwucherte. Das tat er immer, wenn er sich Sorgen machte oder angestrengt überlegte. Wie kamen die Frauen der Oberflächenmenschen bloß mit diesem Gestrüpp zurecht, ohne sich überwinden zu müssen?
Wieder sagte Dakaa etwas. Dabei lächelte er. Er wollte eindeutig wissen, wie sie sich fühlte.
Schlecht, wenn du es genau wissen willst. Ich bade in meinem Schweiß, das Gewand klebt mir am Körper, und ich muss dringend mein Wasser abschlagen. Aber ich bin froh, dass ich nur das Opfer eines bösen Traums war.
Wie schön wäre es gewesen, ihm das sagen zu können. Einfach so. Sie hätte es gerne getan, denn sie vertraute Dakaa mittlerweile. Aber es ging nun mal nicht, damit musste sie sich wohl abfinden.
Immerhin konnten sie sich durch Zeichensprache verständigen. Gequält lächelnd hob sie beide Daumen in die Höhe. Das bedeutete: Alles gut, ich bin in Ordnung. Auch diese Geste kannte sie inzwischen.
Dakaa bewegte ein paar Mal den Kopf von oben nach unten. Das Zeichen der Zustimmung.
Tautropfen hatte in der unteren der beiden übereinander liegenden Kojen geschlafen. Sie setzte sich zuerst auf den Rand, bevor sie geschmeidig aufstand. Dann deutete sie auf ihren Schritt und beugte die Beine ein wenig.
Dakaa kannte dieses Zeichen bereits. Er verließ das Abteil. Sie folgte ihm. Den engen gegenüberliegenden Raum mit der seltsamen weißen Schüssel, in die die Oberflächenmenschen ihre Geschäfte zu verrichten pflegten, streifte sie nur mit einem kurzen Blick. Keine zehn Khryssokks1 hätten sie dazu gebracht. Nocturno verrichteten ihre Geschäfte so, wie es sich gehörte: direkt auf den Boden, damit die Ausscheidungen wieder eins mit der Natur werden konnten.
Dakaa hatte auch das kapiert. Er deutete auf das offene Maul des Metalltiers. Als Tautropfen nach draußen trat, kniff sie die Augen zusammen und duckte sich leicht.
Es war zwar Tag, aber über dem Dschungel hingen so dicke graue und schwere Regenwolken, dass kaum Sonnenlicht durchkam. So konnte sie die Helligkeit ertragen. Die feuchte Schwüle war aber unerträglich.
Das Gefährt, das sie bei sich immer noch ein Tier nannte, obwohl sie längst begriffen hatte, dass es eine Maschine war, in der die Fremden reisten, stand am Rand einer kleinen Lichtung, auf der hohes Gras wucherte. Ringsherum erhoben sich die Urwaldriesen, von deren Ästen und Blättern das Wasser tropfte, bis fast an den Himmel. Es musste bis vor kurzem geregnet haben.
Dichtes Gebüsch wucherte um sie her; überall sah sie Gespinste aus weißen Pilzfäden, die von Bäumen hingen oder sich über den Boden zogen – eine beruhigende Erinnerung an die Höhlen ihres Volkes, in denen es seit Generationen lebte. Die schier unendliche Oberflächenwelt würde ihr wohl immer unheimlich bleiben.
Einige Augenblicke lang ließ die Nocturna die Blicke schweifen. Sie suchte verholzte Ahnen zwischen den Bäumen. Aber da waren keine. Erleichtert drehte sie sich um. Dakaa stand im Maul des Metalltiers, seine Donnerwaffe in der Hand. Er passte auf sie auf, dass ihr nichts passierte.
Natürlich braucht er mich, weil ich für ihn zur fernen Stimme sprechen soll; er selber kann es ja nicht, dachte sie. Andererseits spürte sie seine ehrliche Sorge um ihr Wohlergehen. Beruhigt hockte sie sich ins nasse Gras, nachdem sie den Platz genau inspiziert hatte.
Aber erst nachdem sie sich an einer Pfütze gründlich gewaschen hatte, ging es ihr wieder besser.
Dakaa wollte wissen, ob er das Metalltier noch in die richtige Richtung lenkte. Tautropfen zögerte einen Moment. Eine dumpfe Furcht überfiel sie. Dann gab sie sich einen Ruck und horchte gezielt nach der fernen Stimme. Sofort hörte sie ihr Wispern und Raunen. Die Feindseligkeit darin, die sie im Traum gefürchtet hatte, gab es nicht. Alles war wie immer.
Sie zeigte Dakaa die Richtung an. Er schaute auf das bunte Bild, das sich ständig bewegte. Dann brachte er das Metalltier erneut zum Laufen. Er hatte es wohl angehalten, um nach ihr zu sehen, als sie schreiend aus dem bösen Traum erwacht war.
Zu gerne hätte sich Tautropfen mit Dakaa über die Oberflächenwelt unterhalten. Sie war neugierig, auch wenn sie keinerlei Bedürfnis verspürte, diese Welt selber zu erkunden. Weil das aber nicht möglich war, kletterte sie auf den Stuhl neben ihm. Von hier aus konnte sie wenigstens die Oberflächenwelt betrachten. Das sorgte für ein wenig Abwechslung, und hier fühlte sie sich auch sicher.
Das Metalltier walzte durch den Dschungel und...
Erscheint lt. Verlag | 16.12.2023 |
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Reihe/Serie | Maddrax |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • 2265 • Abenteuer • action • Alien • Bestseller • brandon-morris • Cliff Allister • Cliff-Allister • Deutsch • Dr Who • eBook • E-Book • eBooks • Endzeit • ex vitro • ex-vitro • Fantasy • Fortsetzungsroman • heliosphere • Horror • Horror-Thriller • Kindle • Kurzgeschichten • Military • Multiversum • Perry Rhodan • Perry-Rhodan • Post-Apokalypse • Raumfahrt • Raumflug • Raumschiff • Raumstation • RaumZeit • Rekrut • rhen-dark • Rhen Dark • Romane • Roman-Heft • Science Fiction • Science Fiction Romane • Sci-fi • Sci Fi • SciFi • Space-opera • spannend • Star Trek • Star-Trek • Star Wars • Star-Wars • Techno • Thariot • Thriller • timothy-zahn • Timothy Zahn • tom-schnellhardt • Transport • troopers • Weltall • Weltraum-Abenteuer • Zyklus |
ISBN-10 | 3-7517-5839-9 / 3751758399 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5839-0 / 9783751758390 |
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