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Alles, was wir uns wünschen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60587-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alles, was wir uns wünschen -  Laura Tanner
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Nein, es sieht dieses Jahr ganz und gar nicht nach entspannten Weihnachten aus. Leonie, die sich in ihrer altmodisch-charmanten Wohnung über den Dächern der Zürcher Altstadt rundum zuhause fühlt, findet eines Tages die Kündigung im Briefkasten. Haus verkauft, Luxussanierung geplant und in Stadt und Umgebung nur noch astronomische Mieten. Unerschwinglich für die junge Geigenbauerin. Was tun? Leonie verdrängt die Nachricht nach Kräften, der heiße Sommer und die Bekanntschaft mit dem jungen Violinisten Niels helfen ihr dabei. Doch als es nicht bei einer schlechten Nachricht bleibt, hat sie nur noch einen Wunsch: weg - zu Sina, ihrer besten Freundin, die in einem katalonischen Dorf lebt. Sie glaubt fest daran, dass ihr dort die Lösung für ihre Probleme einfallen wird. Weihnachten in Spanien, warum nicht? Doch Sina will endlich wieder einmal weiße Weihnachten erleben. Und das in den Graubündner Bergen. Dass sie die Reise zu dritt antreten würden, hat Leonie nicht erwartet, aber das ist nur der Anfang einer Reihe von Ereignissen, die ihr Leben in völlig anderer Weise umkrempeln, als sie sich das je hätte vorstellen können. In der zauberhaften Winterwelt von Bergün wartet das geliebte »Kurhaus« auf sie, aber auch ein nostalgisches Zuckerbäcker-Café und die eine oder andere Überraschung ...

Laura Tanner wurde in Frankfurt am Main geboren, studierte Germanistik und Geschichte an verschiedenen europäischen Universitäten und lebt heute als freie Journalistin und Autorin in Zürich. Sie liebt das »Kurhaus Bergün« und würde sich wünschen, es gäbe im Dorf ein Café in der schönen alten Tradition der berühmten Bündner Zuckerbäcker, die sie in ihrem Roman auf zauberhafte Weise in Erinnerung ruft

Laura Tanner wurde in Frankfurt am Main geboren, studierte Germanistik und Geschichte an verschiedenen europäischen Universitäten und lebt heute als freie Journalistin und Autorin in Zürich. Sie liebt das »Kurhaus Bergün« und würde sich wünschen, es gäbe im Dorf ein Café in der schönen alten Tradition der berühmten Bündner Zuckerbäcker, die sie in ihrem Roman auf zauberhafte Weise in Erinnerung ruft

2


Der alte Bruno hatte keine Lust mehr auf Nachrichten. Er saß wie jeden Morgen mit seinem Kaffee vor der Zeitung und sah wie jeden Tag auf die wechselnden und eigentlich immer negativen Schlagzeilen, die ihm, wie der Name schon andeutete, häufig einen Schlag in die Magengrube versetzten, ob es nun um lokal-, innen- oder außenpolitische Nachrichten ging.

Heute ging es um Lokalpolitik, aber, wenn man so wollte, um eine global verbreitete Folge eines bestimmten, auf Spekulation beruhenden Wirtschaftens.

Er las: »Selbst Gutverdienende finden in Zürich kaum mehr eine Wohnung«. Die augenblickliche Leerstandsquote in der Stadt, so stand es da, betrug 0,07 Prozent. Und auch gut ausgebildete Personen mit branchenüblichem, durchschnittlichem Gehalt (als Beispiel wurde eine Direktionsassistentin angeführt) lebten nach aussichtsloser Suche – wieder bei den Eltern. Italienische Verhältnisse! Himmelherrgott, wo soll das denn noch hin, dachte Bruno. Zürich, eine Stadt reserviert für Millionäre, Investoren, Immobilien-Spekulanten!

Sein eigener Sohn Fabio, davon konnte man ausgehen, hatte nicht vor, wieder bei seinem Vater einzuziehen, er war erfolgreicher Banker und wohnte mit seiner Frau, die ebenfalls eine erfolgreiche Bankerin war, in einer großzügigen, luxuriösen Neubauwohnung, wie sie in den letzten Jahren zwischen den alten Villen am Zürichberg entstanden waren.

Bruno hingegen lebte in dem kleinen alten Giebelhaus, in dem er schon aufgewachsen war und das – anachronistisch bescheiden mit Gärtchen mitten im Zentrum – in der Nähe des Steinwiesplatzes stand. Im Erdgeschoss hatte Bruno sein Geigenbau-Atelier eingerichtet, im ersten Stock lebte er. Viel hatte er nicht verändert, nachdem seine Frau vor einigen Jahren gestorben war.

Es war schwer gewesen, die Wohnung nicht zum Museum alter, glücklicher Zeiten erstarren zu lassen und einen Ausgleich zu finden zwischen Erinnerung und neuem Leben. Aber das hatte er mit einigen Mühen dann doch ziemlich gut geschafft. Marisa, seine Tochter, hatte ihm dabei geholfen. Das alte Schlafzimmer hatte er weggegeben und sich mit leichteren Möbeln eingerichtet, die vielseitiger zu verwenden waren. Aber der große alte Esstisch war geblieben. Sie hatten so gern Besuch gehabt! Der muss bleiben, hatte auch Marisa verlangt, er war doch immer das Zentrum des Hauses!

Bruno trank seinen Kaffee aus und sah noch einmal auf die Schlagzeile. Nein, er mochte die Zeitung heute nicht lesen. Auf Seite zwei stand sicher nichts Schöneres. Aber er brauchte noch einen Kaffee, am besten einen starken Espresso aus der Bialetti, um »in die Gänge zu kommen«, wie Fabio das nannte, der Unmengen Kaffee trank und dementsprechend wohl immer im vierten Gang fuhr, trotz der bequemen Automatik seines Tesla.

Bruno öffnete die Fenster im Atelier und ließ die Morgenluft herein, bevor die Hitze wieder einsetzte, die seit Wochen wie eine drückende Glocke über Zürich lag.

Er kam nicht gut zurecht mit dem heißen Wetter, er hatte das Gefühl, sein Körper müsse mit aller Kraft dagegenhalten, und das strengte ihn an.

In der Küche röchelte und gurgelte die Bialetti. Er stellte das Gas ab, dachte kurz darüber nach, ob er eher einen Elektroherd anschaffen sollte, aber Strom und Gas, beides wurde ja immer teurer, und darum konnte es eigentlich getrost so bleiben, wie es war. Bruno goss sich mit einem leisen Seufzen seinen Espresso ein.

Noch eine Viertelstunde wollte er in seinem Lieblingssessel sitzen, ja, er wollte einfach noch ein bisschen dasitzen und nachdenken … oder auch gar nichts denken, bis Leonie kam. Gut, dass er sie fest angestellt hatte, das nahm viel Druck von ihm. Er wollte das Gefühl nicht wahrhaben, aber die Dinge gingen ihm nicht mehr so leicht von der Hand wie vor wenigen Jahren noch.

Er faltete die Zeitung ungelesen ordentlich zusammen, denn Ordnung war für einen Witwer das halbe Leben, wenn er nicht zu einem miefigen Alten werden wollte, und dachte an sein letztes, nicht besonders erfreuliches Gespräch mit seinem Sohn Fabio, der gestern Abend vorbeigekommen war, um ihm wieder mal die Leviten zu lesen.

»Du solltest endlich darüber nachdenken, Papa, das Haus zu verkaufen. Preise wie im Moment, die erzielst du nie mehr! Der Markt ist total ausgetrocknet! Die Leute suchen händeringend nach Häusern. Das Grundstück hier ist Millionen wert, mitten im Zentrum, die Hypothekarzinsen – noch – tief. Wenn man das Häuschen abreißt, lässt sich ein Block mit mehreren Wohnungen hier hinstellen, und jede einzelne davon kannst du locker für fünftausend Franken im Monat vermieten, wenn du nicht Eigentumswohnungen daraus machst. Da würde jede weit mehr als eine Million bringen.«

Es war nicht das erste Mal, dass Fabio vorschlug, das Haus zu verkaufen, aber mit den ins Astronomische steigenden Preisen für Wohneigentum wurde sein Vorschlag dringlicher.

Bruno winkte ab. »Für Menschen, die sich hauptsächlich für Geld und seine Vermehrung interessieren, und als Banker musst du das ja, mag das stimmen. Da hast du schon recht. Ich interessiere mich aber mehr dafür, dass ich in diesem Haus geboren und aufgewachsen bin. Oder dafür, dass deine Mutter und ich hier glücklich gelebt haben, du übrigens auch als Kind, hoffe ich. Und Marisa liebt das Haus. Vielleicht zieht sie ja mal zurück von Genf nach Zürich und möchte dann das Haus übernehmen? Und seit vierzig Jahren habe ich unten das Atelier. Eine schöne Ewigkeit. Wie gern sind die Musiker immer hierhergekommen! Und stell dir vor, ich habe im Sinn, noch eine Weile weiterzuarbeiten.«

Dass er manchmal unter Herzbeklemmungen litt, würde er seinem Sohn ganz sicher nicht unter die Nase reiben.

»Aber Papa, du bist längst im Pensionsalter, so lange wirst du dann doch nicht mehr arbeiten. Dann hockst du hier allein in diesem Haus, das zu groß für dich ist, um es mitsamt seinem Garten in Schuss zu halten.«

»Im Moment kümmere ich mich noch gern selbst um meinen Garten und meinen Haushalt«, antwortete Bruno trotzig. »Auch wenn du mich lieber im Altersheim sehen würdest. Und davon abgesehen: Ich könnte mir einen Gärtner nehmen. Und eine Putzfrau.«

»Ja … natürlich.« Fabio sah sich um. In der Tat sah alles sehr ordentlich aus. Aber so schnell gab er sich nicht geschlagen. Alte Menschen sind eben eigensinnig. Und sein Vater war schon immer ein Sturkopf gewesen.

»Trotzdem, Papa. Jetzt fühlst du dich noch gut. Im Moment hast du das Gefühl, dass es immer so bleibt. Aber das Alter lässt sich nicht aufhalten. Auch du wirst irgendwann Hilfe brauchen. Lucy und ich können uns nicht um das Haus kümmern, du weißt ja, wie viel wir arbeiten.«

»Um mich könnt ihr euch nicht kümmern, willst du doch sagen. Nenn die Dinge doch beim Namen!«, fuhr Bruno ungeduldig auf. Aber Fabio wollte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Nicht von dem alten Mann.

»Und wir wollen nicht, dass du hier irgendwann, überfordert von allem, vereinsamst …«

»Und vor dich hin verwest, ohne dass es jemand merkt«, ergänzte Bruno. »Danke für die Fürsorglichkeit. Ich kümmere mich schon selbst darum, wenn es Zeit wird, ein Altersheim zu suchen. Aber wahrscheinlich hast du schon erste Zeichen von Demenz bei mir festgestellt, die mir selbst entgangen sind.«

Da war Fabio aufgestanden, jetzt ärgerlich wie sein Vater.

»So bringt das doch nichts!«, sagte er ungehalten. »Du willst mich nicht verstehen. Und du willst vor dir selbst nicht zugeben, dass du älter wirst. Wenn wir das Haus verkaufen, hättest du bis ans Lebensende finanziell alle Möglichkeiten, dir ein wunderbares Leben zu machen und andere für dich sorgen zu lassen. Nach genau deinen Vorstellungen und Wünschen.«

»Und genau das tue ich«, entgegnete Bruno. »So, wie du mir das ausmalst, lebe ich nämlich. Jetzt schon. Ohne das Haus zu verkaufen. Das Wohnen kostet mich kaum noch was, die Hypotheken sind abbezahlt und Rücklagen für Reparaturen, die anfallen könnten, habe ich. Ich bin wunschlos glücklich, mein Lieber, wie der Fischer, der nicht investieren will, wie der Manager es ihm vorschlägt, damit er irgendwann andere für sich arbeiten lassen kann, weil er nämlich da schon ist, wo er nach Meinung des Managers irgendwann hingelangen könnte – nämlich dahin, einfach sorgenfrei nach Herzenslust zu fischen. Ich kann nach Lust und Laune...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Engandin • Liebe • Weihnachten
ISBN-10 3-492-60587-7 / 3492605877
ISBN-13 978-3-492-60587-8 / 9783492605878
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