Greg Loone erwartete heute keine Kundschaft mehr. Er war zufrieden. Ein Haufen reicher Touristen aus Europa war am Vormittag über seinen Juwelierladen hergefallen. Irgendein Reiseführer hatte Loones Laden als Geheimtipp angepriesen.
Pfeifend traf Loone die üblichen Vorbereitungen, den Juwelierladen zu schließen. Er ging zu dem Sicherungskasten hinter dem Verkaufstresen und schloss ihn auf. Er dachte dabei, wie glücklich er sich schätzen konnte, diesen kleinen Laden in Manhattans Diamond District bekommen zu haben. Soviel er wusste, war er der einzige schwarze Juwelier in dieser Gegend.
Loone drückte den Knopf, der die Rollläden draußen vor den Schaufenstern herunterfahren lassen würde. Die Stahllamellen schoben sich ratternd aus dem Kasten über den Fenstern.
Da wurde die Ladentür plötzlich aufgestoßen, und drei in Schwarz gekleidete Gestalten tauchten unter dem herabfahrenden Rollladen hindurch. Ihre Köpfe waren in Ledermasken gehüllt. In ihren behandschuhten Fäusten hielten sie silbrig blitzende Pistolen.
Loone erstarrte - er wusste, dass ihm die schrecklichsten Momente seines Lebens bevorstanden…
Die Ledermasken, die die Eindringlinge trugen, hatte Loone schon einmal in einer Late-Night-Show im Fernsehen gesehen. Die Kerle, die sie getragen hatten, verwendeten sie für perverse Sexspiele. Das schwarze Leder schloss die Köpfe vollständig ein. Nur für die Augen gab es kreisrunde Öffnungen, während sich dort, wo sich der Mund befand, ein Reißverschluss befand.
Einer der Kerle riss den Arm hoch und feuerte.
Loone warf sich unwillkürlich auf den Boden. Die Kugel schlug über ihm neben der Wanduhr ein - dort, wo sich die Überwachungskamera befand.
Verzweifelt robbte der Juwelier über den Boden zur Mitte des Verkaufstresens, wo auch die Computerkasse stand. Dort befand sich, unter der Tischplatte versteckt, der rote Alarmknopf. Er war Loones einzige Rettung, denn er war ganz allein in dem Laden!
Da erschienen vor dem Schwarzen plötzlich ein paar Springerstiefel. Mit dumpfem Schlag setzten sie auf dem roten Teppichboden auf, mit dem der ganze Laden ausgelegt war. Der Kerl, der in den Stiefeln steckte, war über den Verkaufstresen gesprungen und direkt vor Loone gelandet, als hätte er geahnt, wohin der Juwelier sich hatte begeben wollen.
Mit einem verzweifelten Schrei stieß Loone den Arm hoch zum Alarmknopf. Doch bevor seine Finger ihn erreichten, traf ihn der Springerstiefel mitten ins Gesicht. Der Tritt war so heftig, dass Loones Oberkörper hochgerissen wurde. Seine Hand verfehlte den Knopf. Loone stürzte zurück auf den Boden.
Er röchelte, schmeckte Blut und spürte plötzlich einen ausgebrochenen Zahn auf der Zunge.
Der Maskierte packte den Juwelier an den Schultern und riss ihn auf die Beine.
Loones Knie waren butterweich. Alles um ihn herum drehte sich. War das wirklich noch sein Laden? Die Vitrinen waren zerschlagen. Scherben lagen überall auf dem roten Teppichboden. Die beiden anderen Vermummten stopften Diamanten in ihre schwarzen Beutel. Die Rollläden waren inzwischen ganz heruntergefahren. Niemand auf der Straße würde mitkriegen, was in dem Juwelenladen geschah!
Loone war taub vor Schmerz. Er wäre gestürzt, hätte sein Gegenüber ihn nicht mit unerbittlichem Griff festgehalten.
»Mach die Kasse auf!«, kam es dumpf unter der Ledermaske hervor. Die Augen hinter den runden Ausschnitten starrten ihn kalt und brutal an.
»Es… es sind nur Schecks in der Kasse«, presste Loone zitternd hervor. »Damit könnt ihr doch nichts anfangen.«
»Schnauze!«, bellte der Vermummte. Hart presste er dem Schwarzen den Lauf seiner Waffe gegen die Stirn. »Ich weiß, dass du Geld in der Kasse hast! Also, mach das verdammte Ding jetzt auf!«
Loone nickte hektisch. Es war idiotisch gewesen, sein Leben für die Tageseinnahmen zu riskieren. Die Kerle waren zu allem entschlossen. Außerdem kannten sie sich anscheinend bestens in seinem Laden aus!
Mit zitternden Fingern tippte Loone den Code in die Computertastatur, der die Kasse öffnen würde. Mit einem hellen Glockenton sprang die Lade auf. Der Vermummte griff hinein und stopfte sich die Dollarscheine in die Hosentasche. Dabei hielt er die Waffe auf Loones Kopf gerichtet.
»Seid ihr fertig?«, rief der Vermummte dann seinen Komplizen zu.
»Alles klar, Boss. Fehlen nur noch die Klunker im Tresor!«
»Mach den Tresor auf!«, forderte der Maskierte, packte Loone am Kragen und drückte ihn rücklings auf den Tresen.
Schmerzhaft bog sich das Kreuz des Schwarzen durch.
»Bitte!«, flehte Loone ächzend. »Mein ganzes Leben steckt in diesem Laden. Ihr… ihr dürft mir nicht alles nehmen!«
»Der Tresor!«, schnauzte sein Gegenüber und lehnte sich über den Schwarzen, sodass die Ledermaske Loones verschwitztes Gesicht fast berührte.
»Er… er ist offen«, flüsterte der Juwelier mit versagender Stimme. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte das schreckliche Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.
Der Vermummte richtete sich abrupt auf. »An die Arbeit, Jungs! Der Tresor gehört euch!«, rief er seinen Komplizen zu, ohne sich zu ihnen umzudrehen. Stattdessen richtete er seine Pistole nun mit ausgestrecktem Arm auf das Herz des Schwarzen, der noch immer mit dem Rücken auf dem Tresen lag, die Hände in einer lächerlich wirkenden Geste erhoben.
»Nein!«, krächzte Loone voller Panik und starrte auf die Waffe. »Bitte nicht! Töten Sie mich nicht!«
Der Maskierte lachte hysterisch.
Das war das Letzte, was Loone hörte, bevor der Schuss in seinen Ohren explodierte und das Leben des Juweliers mit unwiderruflicher Endgültigkeit auslöschte.
***
».’. möchte ich diese kleine Party zum Anlass nehmen, meinen beiden Rettern herzlich zu danken!«
Die Frau, die dies sagte, stand auf einem kleinen Podest inmitten blühender Rosenhecken. Hinter ihr befand sich eine pompöse Villa aus dunklem, massiven Holz und mit grauem Schieferdach. Die Frau war um die vierzig. Sie trug ein weißes Kleid mit Schleppe und geraffter Taille. Ihr blondes Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie erinnerte mich ein wenig an eine römische Statue. Ihr Name passe allerdings nicht zu diesem Bild. Sie hieß Loretta Trade. Sie war Millionärin, wie fast alle, die sich am Strand von Coney Island eine Villa leisten konnten. Lorettas Mann, der vor fünf Jahren an Krebs gestorben war, hatte ihr mehrere Zucker- und Schokoladenfabriken hinterlassen.
»Nur dem beherzten Vorgehen der beiden G-men habe ich es zu verdanken, dass ich an diesem herrlichen Abend im Garten meiner Villa stehen kann«, ertönte ihre Stimme aus den versteckten Lautsprechern hinter den Rosenhecken. »Ohne diese beiden Männer würde ich mich wahrscheinlich noch immer in der Gewalt meiner Entführer befinden…«
Lorettas Stimme klang nun ein wenig brüchig. Mit einer theatralischen Geste zog sie ein Taschentuch aus dem tiefen Dekollete ihres Kleides und tupfte sich die Tränen fort. Dann warf sie beide Arme nach vorn, als wollte sie jemanden umarmen. Ihr Gesicht zeigte eine leidenschaftliche Miene, und ihr Blick war direkt auf Milo und mich gerichtet, die wir mitten in dem Pulk nobel gekleideter Gäste standen, die sich vor dem Podest versammelt hatten.
»Agent Jesse Trevellian und Agent Milo Tucker!«, schmetterte Lorettas Stimme über die Köpfe der Versammelten hinweg. »Tausend Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben!«
Die Leute drehten sich zu Milo und mir um. Wir blickten in die lächelnden Gesichter der Frauen - und in die der Männer, die zurückhaltenden Respekt ausdrückten. Dann fing plötzlich jemand an zu klatschen. Die anderen stimmten mit ein, sodass der Garten der Villa schließlich von brandendem Applaus erfüllt war.'
Milo schaute sich um, nickte und grinste zufrieden. Dann schlug er mir mit der flachen Hand auf die Schulter.
»Hat dir je jemand auf diese Weise seinen Dank ausgesprochen?«, meinte er. »Mann, Junge! Mir geht das runter wie Öl.«
»Ein einfaches Dankeschön hätte es auch getan«, erwiderte ich. »Ich verstehe Loretta Trade nicht. Es sind erst drei Tage vergangen, seit wir sie in dem abgebrannten Haus in der Bronx fanden, wo die Entführer sie gefangen hielten. Und sie hat nichts Besseres zu tun, als eine Party zu feiern.«
Milo zuckte gelassen mit den Schultern. »So sind sie eben, die Reichen«, erklärte er lapidar und nahm einem der livrierten Diener, die zwischen den Gästen umhereilten, zwei volle Champagnergläser von dem Tablett, reichte mir eins und prostete mir augenzwinkernd zu.
»Chers, Partner«, rief er, während der Applaus endlich verebbte. »Lass uns darauf anstoßen, dass New York in Zukunft noch mehr so dankbare und großzügige Bürger aufzuweisen hat wie Loretta Trade.«
Ich erhob mein Glas, prostete Milo zu und führte es...