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Ein ereignisreicher Sommer 1988 -  Anton Reiter

Ein ereignisreicher Sommer 1988 (eBook)

Auf Umwegen zum Fluchthelfer für zwei junge Ostdeutsche

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99152-565-3 (ISBN)
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Der Autor nimmt im Juni 1988 an einer Tagung zum Thema Künstliche Intelligenz im Internationalen Congress Center in Berlin teil. Bei einem Kurzbesuch in Ostberlin, Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, begegnet er Nina, einer Angestellten der Berliner Verkehrsbetriebe. Sie eröffnet ihm, dass sie und ihr Mann aus der DDR in den Westen fliehen wollen. Er verspricht ihr, sie dabei von Österreich aus zu unterstützen. Fast den ganzen Sommer 1988 über beschäftigt sich der Autor in seiner Freizeit intensiv und umfassend mit möglichen Fluchtplänen. Am 20. August, dem wichtigsten Nationalfeiertag in Ungarn, ist es dann soweit: Jens und Nina wagen nach Mitternacht den Übertritt nach Jugoslawien - schwimmend über die Drau. In den einzelnen Kapiteln dieser autobiografischen Erzählung geht der Autor auch auf seinen damaligen beruflichen und privaten Alltag ein. Zudem verarbeitet er Wissenswertes aus Geografie, Geschichte, Politik sowie den Zeitgeist der 1980er-Jahre.

Anton Reiter, Jg. 1954, Mag. Dr. phil., studierte ab 1973 Germanistik, Geschichte, Philosophie, Psychologie an der Univ. Wien für das Lehramt an AHS und absolvierte zudem eine EDV-Ausbildung. Ab 1984 war er im BMUK als Referats- und später Abteilungsleiter an der Einführung der Schulinformatik in Österreich maßgeblich beteiligt. In den 1990ern wirkte er als Lehrbeauftragter für Multimedia-Didaktik an den Universitäten Wien und Innsbruck. Bis zu seiner Pensionierung 2018 wurden unter seiner Leitung zahlreiche schulische und universitäre Evaluationsprojekte zum Einsatz der neuen Medien im Unterricht und der Lehre erfolgreich durchgeführt. Er ist Autor und Hrsg. von Fachpublikationen und Verfasser von wissenschaftlichen Aufsätzen in diversen Fachzeitschriften. Seit 2001 betreibt er Marathonlaufen als Freizeitsport (bisher 450 Finishes in 78 Ländern) und liegt an 2. Stelle der österr. Sammlerwertung. Seine 55 absolvierten Marathons im Jahr 2013 wurden bisher hierzulande nicht überboten.

Ankunft in Westberlin – carpe diem et noctem

Am 18. Juni 1988 um 11.35 Uhr an einem Samstag hob die Douglas DC-9 der Austrian Airlines pünktlich vom Flughafen Wien-Schwechat ab, um nach ca. 1 Stunde 10 Minuten in Berlin/Schönefeld bei bewölktem Himmel und leichtem Regen zu landen. Alle Passagiere nach West-Berlin hatten sich nach der Ausweiskontrolle in den Ankunftsbereich des Terminal K zu begeben. Mein blauer Dienstpass ersparte mir eine sonst bei den anderen Ankommenden sehr strenge Ausweis- und Gepäckskontrolle.

Abb. 2-1: Beleg-Scan meines AUA-Flugtickets nach Berlin am 18. Juni 1988.

Wir bestiegen einen der auffallend schmutzig-gelb lackierten Transitbusse der Berliner Verkehrsbetriebe, dessen spartanisches Interieur durch enge, unbequeme Sitze jegliche Bequemlichkeit vermissen ließ. Mit 7 DM war die Einzelfahrt allerdings relativ billig, die Kapazität an Sitzplätzen reichte aus, um die geschätzt ca. 30-40 Fahrgäste unterzubringen. Der Flughafen Berlin-Schönefeld befand sich ca. 20 km südlich vom Berliner-Stadtkern und lag im Hoheitsgebiet der DDR. Bis zum Grenzübergang nach Westberlin an der Waltersdorfer Chaussee fuhr ein Angehöriger der Passkontrolleinheiten im Transferbus mit und stieg dann aus.

Ich hatte mir in einer Buchhandlung in Wien einen Reiseführer für Westberlin mit beigelegtem Stadtplan besorgt, um mich schon vorweg etwas zu informieren und vor Ort orientieren zu können. Die gebuchte Pension lag in der Nürnberger Straße im Tauentzien Viertel. Beim berühmten Kurfürstendamm, Ecke Adenauerplatz, damals für Touristen Flaniermeile und Hotspot in Westberlin, befand sich eine der Aus- und Einstiegstellen für den Transferbus. Von dort war die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, eines der Wahrzeichen von Berlin, schätzungsweise (auf Basis des Maßstabs 1:20.000 der Karte) ca. 1,5 km entfernt. Ich kannte mich mit den Verkehrsverbindungen hierorts nicht aus, war es doch meine erste Reise in die nach dem Mauerbau seit 1961 geteilte Stadt. Obwohl ich mich trotz Flug und der ca. 40 Minuten dauernden Busfahrt auf einem unbequemen Sitzplatz nicht müde fühlte, wollte ich mit einer vollgepackten Reisetasche nicht so weit zu Fuß gehen, sondern zog es vor, ein Taxi zur Nürnberger Straße zu nehmen.

Am Taxistandplatz waren lauter beige Mercedes 190 aufgereiht, mein um 20 Jahre älterer Nachbar in unserer Wohnhausgarage in Wien fuhr auch so ein Modell, nur weiß lackiert – für ihn war der Mercedes ein Prestigeauto. Mein daneben geparkter, gebraucht gekaufter silberfarbener Volvo 240 mit Benzinmotor konnte laut Typenschein PS-mäßig mithalten, wenngleich es bisher nie einen Anlass gegeben hatte, dies je in der Praxis auf der Autobahn bei einem Wettrennen (eig. ja verbotenerweise) mit ihm auszuprobieren.

Ich bestieg das Taxi und nannte die Adresse. Das Taxameter zeigte 9,80 DM an, als wir bei der Nürnberger Straße ankamen. Sicherheitshalber hatte ich 150 DM bei meiner Hausbank, der Zentralsparkasse in der Schottenbastei im 1. Bezirk in Wien, gewechselt und zudem 500 öS Bargeld bei mir. So zahlte ich 10 DM in Cash, 20 Pfennige waren gewiss nur ein kleines Trinkgeld für den Chauffeur.

Schon seit meiner Jugend, sobald ich alt genug war, zählten Reisen zu meinen Hauptinteressen. Wenn ich zurückdenke, wie eingeschränkt waren doch die Zahlungsmethoden in den 1970er und auch noch 1980er Jahren. Man zahlte in der Regel in bar und immer vor Antritt, nur wenige Hotels wie eben die Pension in der Nürnberger Straße, akzeptierten eine Buchung nach telefonischer Reservierung, die nicht im Voraus über das Reisebüro bezahlt worden war. Zusatzausgaben wurden ebenfalls vor Ort entweder mit Wechselgeld in der Landeswährung in bar, mit von der Bank ausgestellten und vorher dort 1:1 einbezahlten Euroschecks in Westeuropa und Traveller Cheques etwa von American Express in Übersee bezahlt. Von Kreditkarten hatte ich schon gehört, meine Bankfiliale in Wien hatte 1985 in einem Brief an alle Kunden dafür Werbung gemacht. Aber mir war diese bargeldlose Zahlungsform, die ich – und wohl die meisten modernen Menschen in der industrialisierten Welt – heute nicht mehr entbehren könnte, noch etwas suspekt.

Ich checkte gegen 15 Uhr in der Pension ein, die gepflegte Dame an der Rezeption, die vom Aussehen und ihrem selbstbewussten Auftreten auch die Besitzerin hätte sein können, sprach mit starkem Berliner Dialekt: „Juten Tach Herr Reiter, Se haben bei uns telefonisch 5 Nächte reserviert, wie ick sehe, jeht dat in Ordnung.“ Sie händigte mir den Zimmerschlüssel aus, den ich lieber gleich während des Aufenthalts behalten soll, falls ich vorhabe, später als um 22 Uhr zurückzukommen, denn Nachtportier gebe es derzeit keinen hier im Haus, erläuterte die Dame. „Der Frühstücksraum ist im ersten Stock, ab 7 Uhr können Se kommen, morjen Sonntag machen wir erst um acht auf.“

Ich reichte ihr nach Aufforderung nicht meinen Dienstpass, für sie wohl Rückversicherung für die ausstehende Zahlung von 325 DM bei Abreise und hier üblich, sondern meinen grünen Reisepass, der keinen Einreisestempel aufwies. Den Dienstpass, den Ministeriumsangehörige bei uns beantragen konnten, hatte ich bei der Einreisekontrolle vorgezeigt und jetzt gerade nicht griffbereit. Die freundliche Frau um die 50 mit einer an einen Pudel erinnernden Dauerwelle prüfte das nicht weiter nach, der Pass enthielt viele andere Stempel. „Sollt'n Se Fragen haben, dann fragen Se“. „Danke, auf das komme ich gerne zurück“, antwortete ich trotz 15 Jahre Aufenthalt mit Hauptwohnsitz in Wien nicht in inzwischen angeeigneter dortiger Mundart, sondern in Hochdeutsch ohne erkennbaren Herkunftsakzent – das lernte ich durch Vorträge vor einem Auditorium. Meine Kindheit in Oberkärnten verbrachte ich im Sommer vielfach neben deutschen und holländischen Urlauberkindern. Seit damals glaube ich übrigens fest daran, dass die Deutschen pauschal gesehen „gescheiter“ (oder gebildeter) als wir Österreicher sind, sie formulieren einfach besser – ich fand etwa die Rhetorik von Bundeskanzler Helmut Schmidt, den „Mann mit der schnellen Schnauze“, dem ich gerne und oft im deutschen Fernsehen zuhörte, einfach grandios.

In Berlin stand der Sommerbeginn vor der Tür, obwohl es draußen regnete und mit 18 ° C eher ein Herbstwetter herrschte. Bisher war der Juni auch in Wien ziemlich verregnet gewesen. Mir kam es im knapp 700 km nördlich von Wien gelegenen Berlin kälter als beim Abflug vor.

Als ich 1973 von Oberkärnten kommend nach Wien zum Studieren übersiedelte, bemerkte ich den Temperaturunterschied zwischen dem Süden von Österreich und dem Wiener Becken, das in der Pannonischen Tiefebene liegt, bald. Marillenanbau und Weinkulturen waren und sind klimatisch in Kärnten auch in Lagen mit direkter Sonneneinstrahlung wie an Hauswänden oder südlich ausgerichteten Hängen nur sehr beschränkt möglich.

Wenn ich im Herbst nach München zum Einkaufen fuhr – in den 1980ern war Kleidung in Deutschland qualitativ besser und trotzdem billiger als in Österreich – , behielt ich die neue Lederjacke nach dem Probieren und Zahlen gleich an, so frisch war es auch in der innenstädtischen Kaufingerstraße. Statistisch gesehen ist der Jahrestemperaturmittelwert in München etwas tiefer als in der Bundeshauptstadt Wien, das mag auch für Berlin im Vergleich zutreffen.

Das Zimmer im 2. Stock der Pension war einfach eingerichtet, aber geräumig und sauber. Ein Badezimmer mit Wannenbad gab es auch. Ich hatte ein Doppelbett reserviert, bei meiner Körpergröße von 1,92 m konnte ich so durch diagonales Liegen gut Platz finden. Bei all den genannten Vorzügen störte mich der uralte tragbare 100-Hz-Bildröhrenfernseher von Philips mit ausziehbarer Antenne, abgestellt auf dem Nachtkästchen, nicht. Ob er überhaupt funktioniert, würde ich schon noch herausfinden – wer reist schon in eine Stadt voller Leben wie Westberlin, um die Nächte vor dem TV-Gerät zu verbringen?

Ich wollte natürlich das verlängerte Wochenende von Samstagnachmittag bis zum Konferenzbeginn am Montag ab 9 Uhr ungeachtet des Wetters privat sinnvoll nutzen, um so viel wie möglich von Berlin, Kulturstadt Europas 1988, getrennt durch die Mauer in zwei ideologische Systeme, nämlich der prosperierenden, von der Bundespolitik in Bonn unterstützen kapitalistischen Westhälfte und dem Kommunismus im nach marxistischer Doktrin regierten Ostteil auf DDR-Seite, zu sehen. Doch am Anfang meines Aufenthalts stand das pulsierende Leben in der Westzone mehr im Mittelpunkt meines Interesses.

Schon in den 1970er-Jahren hatte die mit vielen Vorzügen ausgestattete (keine Wehrpflicht für Männer, keine Sperrstunde für Lokale, hohe Subventionen aus Bonn für Unternehmen und Betriebe) und abgekoppelte Enklave West-Berlin eine besondere Anziehung für Freigeister aller Art, die sich gerne im Stadtteil Kreuzberg ansiedelten wie Mario aus Graz, der mir bei unseren wiederkehrenden...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-99152-565-8 / 3991525658
ISBN-13 978-3-99152-565-3 / 9783991525653
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