Dorian Hunter 130 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5091-2 (ISBN)
Ein markerschütternder Schrei aus dem Kinderzimmer riss Margot in die Wirklichkeit zurück. Sie stürzte aus der Küche.
Rose schrie noch immer, als sie ins Kinderzimmer kam. Sie lag auf dem Rücken, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich. »Geht weg! Fort mit euch, ihr garstigen Ungeheuer!«, rief sie dabei verzweifelt.
Margot stürzte sich auf ihre Tochter, versuchte ihre Arme zu packen und drückte sie an sich. Rose schrie wieder unartikuliert. »... tiefer Abgrund ... Felsnadeln ... klebriges Spinnennetz.«
Dorian, Coco und Olivaro befinden sich noch immer auf dem Weg zum Berg der Berge, als unvermittelt die achtjährige Rosemarie Wagner, eine der Kontaktpersonen Dorians von der Erde, nach Malkuth transferiert wird. Rosemaries Albträume werden wahr ...
2. Kapitel
Rosemarie begann im Schlaf auf einmal wieder zu sprechen. Dabei hatte der Psychologe Heino Spazzek den Eindruck, als würde sie Traumerlebnisse wiedergeben. Es musste ein fantastischer Traum sein, wie ihn nur ein Kind mit Roses Fantasie haben konnte. Heino Spazzek war von dem Gehörten fasziniert. Und er zeichnete es auf.
»Der Himmel ist so grün wie der Rasen unserer Anlage im Sommer. Einmal grün wie Gras, dann wie Eichenlaub oder Tannennadeln – oder giftgrün wie der Klecks, den ich Andrea in der Zeichenstunde auf die Nase gemalt habe. Der Wind ist furchtbar kalt. Die Luft ist so heiß, dass ich nur durch die Nase atme, weil sonst mein Mund ganz trocken wird und ich Durst bekomme.«
Heino Spazzek träufelte dem Mädchen aus einem Schwamm Wasser auf die Lippen. Rose zeigte keine Reaktion.
Margot kam ins Zimmer. Der Psychologe bugsierte sie sofort wieder hinaus und in die Arme seiner Frau Helga. Als Heino Margots bittenden Blick sah, deutete er auf das Aufnahmegerät. Margot konnte sich die Aufzeichnung am nächsten Tag anhören.
Er setzte sich wieder an Rosemaries Bett.
Sie schien im Traum eine gewaltige Strecke zurückgelegt zu haben – bekanntlich spielen im Traum Entfernungen und Zeit keine besondere Rolle –, denn sie befand sich plötzlich in einer bergigen Gegend.
»Da ist eine Höhle, wo ich vor den Blitzen Schutz suchen kann. Was für eine eigenartige Höhle! Die Wände sind ganz glitschig. Und der Luftzug wechselt ständig seine Richtung. Mal kommt er aus der Tiefe der Höhle, dann wieder vom Höhleneingang. Wenn die Luft in die Höhle weht, ist sie frisch und kühl, aus der anderen Richtung jedoch ist sie stickig. Ob in der Höhle ein Tier lauert? Es muss riesig sein, wenn es einen so starken Atem hat, dass er wie ein Wind wirkt. Jetzt höre ich ein Geräusch, das wie Schnarchen klingt. Es kommt aus tiefer Brust. Der Höhleneingang wird erschüttert. Ein Steinschlag. Felsbrocken rollen den Abhang hinunter. Die Höhlenöffnung verengt sich. Ich laufe hinaus. Hinter mir klappt die Öffnung zu. Erst jetzt sehe ich das riesige Gebiss. Und ich ... ich habe mich im Rachen eines Ungeheuers befunden.«
Rosemaries Körper begann zu zittern. Über ihre bebenden Lippen kam ein ängstliches Wimmern.
Heino Spazzek ging ins Wohnzimmer und zündete sich eine Zigarette an. Seine Hand zitterte. Rose war verstummt. Dafür hörte er die Stimmen der beiden Frauen aus dem Schlafzimmer: Margots Weinen und Helgas tröstende Worte.
Was war mit Rose los? Sie musste irgendein Trauma haben.
Das von den latenten Psi-Fähigkeiten hatte er nur gesagt, um Margot zu beruhigen. Irgendeine tröstende Erklärung musste er schließlich für sie finden. Aber vielleicht war was Wahres dran? Es konnte ja auch sein, dass jemand mit starker geistiger Ausstrahlung Rose in seinen Bann geschlagen hatte und sie nun beeinflusste, ihr diese Albträume vermittelte. Was für eine perverse Fantasie musste dieser Jemand haben!
Der Psychologe drückte die Kippe im Aschenbecher aus, genehmigte sich einen Schluck Barack aus der Flasche und kehrte ins Kinderzimmer zurück.
Rose sprach wieder im Schlaf, aber mit so leiser Stimme, dass er sie nicht hören konnte. Er steuerte das Mikrofon des Tonbandgeräts aus und setzte sich wieder neben sie.
Die Szene hatte inzwischen wieder gewechselt. Rose war in ein Tal gekommen, in dessen Mitte ein Hügel mit einer Art Burg stand. Sie schilderte das Bauwerk zumindest als Burg mit lauter »Antennen und Blitzableitern« darauf. Zu dieser Burg führte nur ein einziger Weg – und zwar durch ein gläsernes Labyrinth. In manchen Glaswänden sah sich Rose wie in einem Spiegel, andere wieder reflektierten fremdartige Geschöpfe.
Rose wurde an eine Fahrt in der Geisterbahn erinnert, die sie an ihrem achten Geburtstag im Prater unternommen hatte. War der Schock damals so stark gewesen, dass er ihr noch heute diese Albträume verursachte? Aber nein. Hinter diesen so intensiv empfundenen Traumerlebnissen musste mehr stecken.
»Ein Lachkabinett, das nicht zum Lachen ist. Aber endlich bin ich draußen. Au! Ich bin gegen eine Glaswand gerannt. Dahinter ist ein uralter Mann aufgetaucht, der mich beobachtet. Er hat ein gemeines Gesicht. Seine Augen sehen mich an, als wollte er mich damit verschlingen. ›Bitte, lassen Sie mich raus!‹
›Nur weiter so, kleiner Psycho! Ich studiere dein Verhalten!‹«
Psycho! Bei diesem Wort horchte Heino Spazzek auf. Wieso bezeichnete sich Rose selbst so? Oder – besser gesagt – warum ließ sie sich von einer ihrer Traumfiguren so nennen?
»Der alte Mann lässt mich nicht aus den Augen. Jetzt dreht er seinen Kopf herum. Er hat auf der Rückseite noch ein Gesicht! Ein Totenschädel starrt mich an. Aber sofort wieder zeigt er mir das erste Gesicht, das runzelige Gesicht. Er rollt mit den Augen. Hoch oben zucken Blitze, sie schlagen in die Antennen der Burg ein. Es müssen wohl doch Blitzableiter sein. ›Es kommt Besuch! Ich werde dich in meine Festung bringen, kleiner Psycho. Aber versuche nicht, mich zu überlisten! Ich war schon auf Malkuth, bevor ihr Psychos zu einer Plage geworden seid.‹«
Malkuth! Da war schon wieder so ein Begriff, der nicht zu Roses Wortschatz gehören konnte. Oder hatte das Wort keinerlei Bedeutung? Hatte Roses Unterbewusstsein es nur erfunden?
Heino Spazzek schüttelte den Kopf. Er hatte dieses Wort schon einmal gehört, und irgendwie brachte er es mit der Kabbala in Verbindung. Er würde sich später darum kümmern. Im Augenblick fesselte ihn Roses Bericht zu sehr.
»Der alte Mann hat mich in die Burg geführt. Ich habe Angst vor ihm. Er muss ein Zauberer sein, obwohl er nicht so gekleidet ist. Aber er hat so seltsame Dinge in seiner Burg und macht immer wieder Zeichen in die Luft, woraufhin irgendwas passiert. So haben zum Beispiel die Türen keine Klinken. Er braucht nur mit dem Finger zu schnippen, was sehr kompliziert aussieht, ihm aber keine Schwierigkeiten macht, und schon geht eine Tür auf. In manchen Räumen stehen Käfige mit Tieren darin, wie ich sie noch in keinem Zoo gesehen habe. Manche erinnern mich zwar an die Affen oder Giraffen oder Schlangen in Schönbrunn, aber es besteht nur eine geringe Ähnlichkeit. Und der alte Mann redet dauernd auf mich ein. Er hat auch einen Namen: Gezo. So möchte ich nicht heißen. Er sagt, dass ich ein seltsamer Psycho sei; vielleicht aber gerade deswegen besonders bösartig und gefährlich bin, weil ich das verbergen kann. Kinder der Erde, sagt er, hätten besonders grausame Psychos – wenn sie überhaupt welche hatten. ›Selten genug, dass mir ein Kinder-Psycho über den Weg läuft‹, sagt er. ›Ich weiß auch, warum es so wenige gibt. Kinder sind in ihrer Unschuld grausam, aber nicht im eigentlichen Sinne böse. Erst wenn sie älter werden, passen sie sich den gesellschaftlichen Normen an, werden so heuchlerisch und verschlagen wie ihre Vorbilder – ihre Eltern und Lehrer und andere Idole. Dann erst verlieren sie ihre Unschuld und können Psychos produzieren.‹ Das alles und mehr noch sagt der alte Mann, und ich kann es nicht verstehen.«
Heino Spazzek dagegen verstand sehr wohl.
Unvermittelt wurde der Psychologe an Freuds psychoanalytische Thesen von der dreigeteilten Persönlichkeit des Menschen erinnert. Das Ich bildet dabei die mittlere Schicht und wird vom Es zum Bösen und vom Über-Ich zum Guten beeinflusst. Bei einem Kind ist das Ich noch dominant. Es und Über-Ich werden erst durch Erziehung und Lebenserfahrung entwickelt.
Keine Frage, dass der Alte aus Roses Traum das triebhafte Es für die Psychos verantwortlich machte.
Aber woher hatte Rose solche Gedanken?
»Und auf einmal stößt er mich auf ein finsteres Loch zu. Ich falle hinein, kann mich nicht bewegen. Der alte Mann sagt, dass ich mich nicht zu fürchten brauche. Er wolle mich nur verstecken, denn er würde Besuch bekommen. Aber ich fürchte mich. Ich habe solche Angst. Ich möchte aufwachen. Mama, hilf mir aufzuwachen! Verscheuche diesen furchtbaren Traum!« Rosemarie verstummte. Ihren Körper durchlief ein Zittern, dann begann sie wieder um sich zu schlagen und mit den Beinen zu strampeln.
Der Psychologe ging ins Schlafzimmer, um ihre Mutter zu holen. Aber Margot war eingeschlafen.
»Verdammt!«, fluchte Lillom. »Wie sollen wir diese Festung knacken? Aus diesem gläsernen Irrgarten finden wir nie wieder raus, Dorian, du musst die Wehranlagen mit dem Ys-Spiegel umpusten.«
»Dann lassen wir es lieber«, meinte Dorian.
»Aber ich will mir den Kopf des Einsiedlers holen!«, rief Lillom fast trotzig. »Es wäre sträflicher Leichtsinn, an dieser Festung einfach vorüberzugehen.«
»Wir schaffen es auch ohne den Ys-Spiegel«, sagte Olivaro da. »Es gibt einen Weg, die Abwehranlagen zu umgehen.«
»Woher weißt du das, Olivaro?«, fragte Lillom. Dorians Psycho betrachtete den Januskopf misstrauisch. »Oder willst du uns in eine Falle locken?«
»Dich jederzeit, Psycho«, erwiderte Olivaro, »aber Coco und Dorian sind...
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2023 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-5091-6 / 3751750916 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5091-2 / 9783751750912 |
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