12 Wyoming Western August 2023 (eBook)
1300 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-8339-5 (ISBN)
Teil 1
Bear River, Wyoming, September 1868
Wie ein großer, schmutziger Fleck schmiegte sich die Ansammlung grauer Holzhäuser an den bewaldeten Hang. Virgil Potter lenkte seinen Schimmel durch den Fluss und ritt in den schmutzigen Fleck hinein.
Die einzige Straße des Ortes war erfüllt vom Hufschlag vieler Pferde und Maultiere, vom Geschepper Dutzender Karren und vom Gelächter und Geschrei unzähliger Männer. Lauter abgerissene, schmutzige Gestalten in fleckigen, blauen Nietenhosen mit Picken und Schaufeln auf den Schultern und großen Blechpfannen unter den Armen. Goldsucher, die aus ihren Claims in die Stadt zurückkehrten.
Das Goldfieber hatte Bear City in jenen Tagen im Griff. Die Stadt pulsierte vor Geschäftigkeit und vor Gier.
Virgil Potter ritt langsam durch die Menge der Pferde, Gespanne und Goldsucher. Kaum jemand nahm Notiz von dem jungen Reiter, dessen blonde Lockenpracht unter einem schwarzen Hut hervorquoll. Die wachen, blauen Augen in seinem glattrasierten, sonnenverbranntem Gesicht spähten aufmerksam über die Menge und zu den grauen Fassaden der aus dem Boden gestampften Häuser. Virgil Potter war damals, als die vier sich zum ersten Mal begegneten, gerade mal sechsundzwanzig Jahre alt.
Saloons, Hotels, Stores und Friseurläden wechselten sich ab. Die Goldsucher zogen eine Menge Geschäftemacher in die nördlichen Rockys.
Virgil zog die Zügel an, der Schimmel blieb stehen. Er blickte über die Dächer der Häuser links und rechts der Straße. Wolken hingen über den Gipfeln der Rocky Mountains. Das Licht der untergehenden Sonne lag auf ihnen, wie ein rötlicher Seidenschleider.
Unschlüssig blickte Virgil von einer Straßenseite auf die andere. In welchem Saloon sollte absteigen? >Riverside Billard Room< oder >Mountain Hall<. Er entschied sich für den >Riverside Billard Room<, der ihm größer erschien und nach ein paar Zimmern aussah.
Eine schicksalsträchtige Entscheidung, wie sich zeigen sollte. Zwei Jahre später würde Virgil sich an diesen Augenblick erinnern.
Er band den Schimmel am Geländer des Bürgersteigs fest, warf sich seine abgeschabte Mochila über die Schulter und zog seinen Sattelkarabiner aus dem Holster. Seine Sporen klirrten, als er den Bürgersteig hochstieg und über die staubigen Holzbohlen schritt.
Er stieß die Schwungtür auf und betrat den Saloon. Auf dem kurzen Weg zur Theke wanderten seine Augen über Tische, Barhocker und Wände.
Sechs Männer hockten an der Theke, Goldsucher in schäbiger Kleidung zumeist. Nur die Hälfte der Tische war besetzt. An einem, nicht weit von der Schmalseite der Theke, saß eine junge Frau - blond, scharfgeschnittene Nase, schmales Gesicht. Sie trug ein dunkelblaues Reisekleid mit weißem Rüschenkragen. Neben ihr stand ein großer, geflochtener Bastkoffer.
In der linken Ecke des quadratischen Raumes, am Pokertisch, sah er vier Männer sitzen. Drei weitere standen hinter ihren Stühlen und sahen ihnen beim Pokern zu.
Virgil registrierte beiläufig den konzentrierten Blick eines der Männer. Ein wuchtiger Bursche mit dichten, schwarzen Brauen und einem gewaltigen Schnurrbart. Und Virgil registrierte die angespannte Körperhaltung des Spielers, von dem er nur den Rücken sehen konnte. Ein Mann mit langem, etwas schütterem Blondhaar. Er trug einen eleganten Frack, ein weißer Hut lag neben ihm auf dem Tisch, und er mischte die Karten so flink, dass man Hände und Karten kaum unterscheiden konnte.
Es war Virgil Potter zur zweiten Natur geworden solche Einzelheiten wahrzunehmen. Sie hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet, diese zweite Natur - als Scout und Jäger in der Wildnis, als Späher bei der sechsten US-Kavallerie während des Bürgerkriegs.
Das, was am äußersten Rand seines Blickfeldes lag, sah er genauso scharf, wie die Dinge im Zentrum seines Gesichtskreises. Die Shoshonen hatten ihm das beigebracht. Er hatte eine Zeitlang Pferde an die Indianer im Norden Wyomings verkauft.
Der silberbeschlagene Kolben seines Revolvers schlug gegen den Barhocker, als er sich auf die Sitzfläche schwang. Ein .32er Smith&Wesson Armeerevolver, Modell No. 2. "'Nabend, Ma'am." Er lüftete seinen schwarzen Hut und setzte sein charmantestes Lächeln auf. Die Frau nickte, doch ihr schmales Gesicht blieb verschlossen.
"'N Kaffee würd mich glücklich machen", wandte er sich an den Wirt. "Und 'n Teller Bohnen wär auch nicht verkehrt."
"Kein Problem", knurrte der Wirt - ein ziemlich gewichtiger Bursche mit langem, weißem Bart.
"Na prächtig! Und wie stehts mit 'nem Zimmer?"
Der Wirt musterte ihn aus kleinen, verschlagenen Augen. "Schwein gehabt, Mister - hab nur noch ein freies Bett. Für einen Quarter können Sie's haben."
Virgil grinste die Frau an. "So gehts mir immer, Ma'am - ich komm in irgendein Kaff am Ende der Welt, und das Glück ist schon da und drückt mich an seinen Busen." Er wandte sich wieder dem Wirt zu. "Darauf trink ich doch glatt einen Whisky!"
Die Frau dachte nicht daran zu reagieren. Kühl und ohne Scheu taxierte sie ihn. Virgil bemerkte den energischen Zug um ihre grünen Augen und um den großen Mund. Er schätzte, dass sie ein, zwei Jahre jünger sein mochte, als er. Vielleicht auch drei. Was treibst du in diesem schmutzigen Bergnest, dachte er...
Sein Blick wanderte zum Pokertisch. Immer noch die stechenden Augen des großen Mannes mit dem Walrossschnauzer. Trotz des mächtigen Schädels und der buschigen Brauen hatte sein Gesicht etwas Mildes, fast Kindliches. Er war merkwürdig korrekt frisiert und trug ein Jackett aus dunkler, grober Baumwolle.
Unablässig beobachtete er sein Gegenüber, den Mann mit dem dünnen, langen Blondhaar und dem teuren Anzug. Der wandte plötzlich den Kopf zur Seite. "Einen Doppelten, Jason!", rief er dem Wirt zu.
In dem Augenblick sah Virgil den blonden Schnurrbart des Mannes und sein Raubvogelprofil. Und in dem Augenblick wusste er, dass er den Mann kannte - Bill Henning, ein Kartenhai von der übelsten Sorte.
O Mann..., dachte Virgil, grast du seit neustem die Goldgräbersiedlungen ab?
Er hatte vor noch nicht einmal einem Jahr zwanzig Dollar an Henning verloren. Ein ausgekochter Fuchs. Unten, in Santa Fe. Auch in Denver und in Fort Smith war er ihm schon begegnet.
Seine Augen wanderten zwischen dem glühenden Blick des Schwarzhaarigen und dem drahtigen Rücken des Kartenhais hin und her. Virgil bedauerte schon Essen und Trinken bestellt zu haben. Fast körperlich konnte er jetzt die Spannung spüren, die sich vom Pokertisch aus im Saloon ausbreitete. Und er begriff, dass es Ärger geben würde...
Virgil rutschte vom Hocker und schlenderte an der kühlen Schönheit vorbei zum Pokertisch. Dort lehnte er sich vor einem leeren Stuhl gegen die Wand und beobachtete die vier Kartenspieler. Einer der drei Männer, die hinter ihnen standen, musterte ihn feindselig. Ein unrasierter, struppiger Bursche mit einem Strohhut und einer zu großen, speckigen Jacke. Virgil grinste ihn an. Die Augen des Typs verengten sich.
Der Perlmuttgriff von Hennings .45er Colt ragte aus dessen Holster. Virgil spähte zu den Hüften des Schwarzhaarigen mit den glühenden Augen. Er konnte keinen Waffengurt entdecken. Seh ich recht, oder trägt das Rindvieh keinen Revolver...?
*
Tom Smith warf einen Blick auf seine Münzen. Die letzten beiden Türme schrumpften jetzt auch schon zusammen. Gut dreißig Dollar hatte er in den letzten beiden Stunden verloren. Dass die Männer links und rechts von ihm noch mehr Federn hatten lassen müssen, tröstete ihn wenig. Im Gegenteil - es machte ihn misstrauisch. Der drahtige Mann ihm gegenüber mischte die Karten. Ein Wirbel aus Fingern und Karten tanzte vor Toms Augen.
Links sah er die Gestalt eines jungen Burschen auftauchen. Ganz in schwarz gekleidet und dichte, blonde Locken. Tom beachtete ihn nicht weiter. Auch die in kleinen Gruppen hereinströmenden Goldsucher und Minenarbeiter nahm er kaum wahr.
Er starrte die Hände des Mannes an, der ihm gegenüber saß. Das Gefühl, der propere Gentleman könnte falsch spielen, hatte ihn beschlichen. Doch so aufmerksam er ihn auch beobachtete - er konnte keine faulen Tricks erkennen.
Wie er die Karten mischte! Wie ein Profi. Aber dass er hier mit keinem Greenhorn am Tisch saß, wusste Tom schon seit zwei Stunden. "Sie machen einen unglücklichen Eindruck, Smith", sagte der Spieler. Er hieß Bill Henning, und sein Gesicht erinnerte Tom an einen Habicht. "Der Abend ist noch lang, und das Glück eine launische Frau." Ein spöttisches Grinsen flog über das hagere Gesicht des blonden Gentlemans.
"Da mögen Sie Recht haben", grollte Tom mit seinem tiefen Bass. Er ließ den Mann keinen Moment aus den Augen. Der Kerl schien gut bei Kasse zu sein. Jedenfalls sprach seine teure Garderobe dafür. Und seine hohen Einsätze. Tom schätzte, dass Henning in seinem Alter war, Ende dreißig also.
Tom konnte den Bewegungen seiner Hände kaum folgen, als Bill Henning austeilte. Nacheinander nahm er die Karten auf. Die vierte, die Henning ihm über den Tisch warf, rutschte über die Tischkante und fiel zugedeckt auf den Boden.
Blitzschnell stieß sich der blonde Lockenkopf von der Wand ab, bückte sich und griff nach der Karte. Mit dem Bild nach unten legte er sie auf den Tisch. Langsam schob er sie zu Tom. Der sah auf, und für Sekunden begegneten sich ihre Blicke. Tom sah in blaue, listige...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-7389-8339-2 / 3738983392 |
ISBN-13 | 978-3-7389-8339-5 / 9783738983395 |
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