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Schlimmer geht immer (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3402-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schlimmer geht immer - Helga Glaesener
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Mit Familie ist das Chaos garantiert!

Kea hat die Nase gestrichen voll. Nach einem Burn-out soll die toughe Unternehmensberaterin nicht mehr arbeiten. Sie flieht ins Haus ihres Vaters nach Ostfriesland. Doch Ruhe findet sie dort nicht. Ihr Vater ist völlig durchgeknallt und will im Garten ein Kolosseum bauen. Außerdem ist ihre Schwester abgehauen und hat ihren Mann mit den beunruhigend kreativen Kindern sitzen lassen. Kea wird klar: Hier ist ein Profi wie sie gefragt. Nur erweist sich ihre Familie als beratungsresistenter Problemkunde. Als wäre das nicht schon schlimm genug, verliebt sie sich auch noch ...

Das E-Book ist vormals unter dem Titel 'Es geht immer noch schlimmer' und dem Pseudonym Ida Hansen erschienen.



Helga Glaesener hat ursprünglich Mathematik und Informatik studiert, bevor sie sich entschloss, freie Autorin zu werden. Gleich ihr erster Roman »Die Safranhändlerin« wurde ein Besteller. Sie lebt heute in Oldenburg.

Im Verlag Rütten & Loening erscheint von ihr: »Die Wikingerin«, im Aufbau Taschenbuch liegt ihr Roman »Das Erbe der Päpstin« vor.

1

»Arigatõ gozaimashita«, sagte Herr Yamaguchi, als Kretschmar ihm die Tür zum Quadriga aufhielt. Das ist Japanisch und heißt »danke schön«. Er benutzte den Ausdruck gern und oft, obwohl er perfekt Deutsch sprach. Ich glaube, es war seine Art, mir und Herrn Kretschmar zu zeigen, wie sehr er sich über unseren Vertragsabschluss freute.

Ich sagte: »Dõitashimashite.« Das heißt »gern geschehen«, und es war meine Art auszudrücken, dass ich mein horrendes Honorar zu Recht bekam, weil ich mir sogar eine komplizierte japanische Floskel aneignete, um meinen Kunden glücklich zu machen. Mein Briefträger, der sich ein paar Jahre in der Welt herumgetrieben hatte, hatte sie mir beigebracht, und ich hatte sie mir sicherheitshalber mit einem Kuli auf den Arm gekritzelt.

»Arigatõ gozaimashita«, lächelte Herr Yamaguchi, als ich ihn und Kretschmar zu dem Tisch führte, den ich für uns reserviert hatte.

»Dõitashimashite«, lächelte ich zurück. Ich wartete ab, bis meine beiden Gäste sich gesetzt hatten, und ließ mich dann auf den dritten Stuhl fallen. Donnerwetter – was für ein Moment! Darauf hatte ich vier verdammte Monate hingearbeitet. Ich wartete auf das Glücksgefühl, das sich bei mir in solchen Augen­blicken einstellt, aber ich fühlte nur Müdigkeit. Kretschmar hatte mich ausgelaugt.

Mein Kunde besaß einen 30-Mann-Betrieb, der sich mit dem Ausstopfen verstorbener Haustiere befasste, und weil der Laden miserabel lief, hatte er unsere Unternehmensberatung engagiert. Es hatte viel Mühe gekostet, ihn zu überzeugen, dass Excel-Tabellen der Buchführung auf Post-its überlegen waren, und noch mehr Mühe, ihm abzugewöhnen, seine Kunden mit einem präparierten Hyänenkopf zu unterhalten – auch wenn der mittels MP3-Player im Unterkiefer »Muffi hat Mama lieb« krächzen konnte und das total witzig war. Ich hatte die Bücherkiste mit den Mängelexemplaren von Friedhof der Kuscheltiere aus dem Wartebereich entfernt. Ich hatte ihm günstigere Lieferanten besorgt und seiner Frau verboten, mit seinen Kunden die Auswirkungen künstlicher Hüftgelenke auf die Verdauung zu debattieren. Ich hatte also aus seinem Kramladen einen effektiven, wettbewerbsfähigen Betrieb gemacht.

Und als alles wie am Schnürchen lief, hatte ich ihn mit Herrn Yamaguchi zusammengebracht, der in Japan ein Imperium aus Seniorenheimen aufbaute und nach neuen Möglichkeiten suchte, seiner Kundschaft das Alter zu verschönern. Herr Yamaguchi war von der Idee, Haustiere auszustopfen, begeistert, und nun würden wir im Quadriga feierlich die Unterschriften unter die Verträge setzen.

»Wobei ich persönlich ein sehr weltoffener Mensch bin«, erklärte Kretschmar Herrn Yamaguchi gerade. »Und Japan find ich besonders klasse. Wir haben so eine verwandte Mentalität, was? Nur das mit den Autos habt ihr versaut. Ich hab meinen Toyota wegen der Fensterheber in die Werkstatt bringen müssen.« Er schlug Herrn Yamaguchi kumpelhaft auf die Schulter, und ich merkte, wie mein Magen sich verkrampfte.

Der Kellner brachte uns die Weinkarten. »Arigatõ gozaimashita«, sagte Herr Yamaguchi.

»Dõitashi –«

»Hoffentlich habt ihr auch anständige Weine!«, fiel Kretschmar mir ins Wort und fegte die Dekoration zur Seite, um Platz für die Karten zu schaffen.

»Ich denke, wir können Sie zufriedenstellen«, murmelte der Kellner.

Herr Yamaguchi lächelte.

»Was nun die Autos angeht – da solltet ihr mal deutsche Ingenieure hinzuziehen«, half Kretschmar unserem Gast mit einem guten Rat weiter. »In Sachen Technik seid ihr ja nicht schlecht, aber mehr so in Richtung Computer, was?«

»Und in Sachen Medizintechnik und … eigentlich auf jedem anderen Gebiet auch«, sagte ich und wünschte mir, ich könnte meinem Schützling die Hände um den feisten Hals legen. Ich hatte diese Geschäftsbeziehung bis ins letzte Detail geplant. Kretschmar würde sie doch nicht im letzten Moment platzen lassen?

»Ich war mal in Peking – das ist ja fast das Gleiche wie Japan«, plauderte Kretschmar, während sein Finger über die Weinkarte fuhr. »Und muss sagen: Donnerwetter! Also dieser Barbarenwall. Mauern bauen könnt ihr, da beißt kein Huhn einen Faden ab.«

»Ein Huhn?«, fragte Herr Yamaguchi.

»Das ist nur eine Redensart«, erklärte ich nervös.

»Drei Flaschen von eurem Besten«, bestellte Kretschmar beim Kellner.

Als Herr Yamaguchi sich erhob, um das diskrete Örtchen aufzusuchen, bat ich Kretschmar mit unter dem Tisch geballten Fäusten, sich zurückzuhalten.

»Warum denn?«, fragte er verblüfft.

»Japaner sind eher stille Menschen. Sie lieben den förmlichen Umgang. Sie reden nicht so viel.«

»Echt jetzt?« Kretschmar versprach, es zu berücksichtigen, hakte aber sicherheitshalber noch mal nach, als Herr Yamaguchi zurückkehrte. »Quassel ich Ihnen die Hucke voll? Also, können Sie ruhig sagen, wenn ich nerve. Nerv ich Sie?«

»Keineswegs«, sagte Herr Yamaguchi.

»Na bitte!« Kretschmar zwinkerte mir zu, um anzudeuten, dass ich eben auch nicht alles wisse.

Ich knibbelte an der Speisekarte. Eigentlich war ich es gewohnt, mit solchen Situationen umzugehen. Aber in den letzten vier Jahren hatte ich kaum Urlaub gemacht, und an diesem Abend fühlte ich mich wie ein ausgewrungener Waschlappen. Hatte ich mich vielleicht übernommen? Ging mir die Puste aus?

»Nur das mit den Haifischflossen – das find ich nicht korrekt von euch. Jetzt mal vom Tierschutz her. Und ziemlich eklig ist das auch«, sagte Kretschmar, während der Kellner vor uns den Wein abstellte.

Herrn Yamaguchis Lächeln wurde so dünn, dass man die Sonne hindurchscheinen sah. Mir war klar: Ich musste intervenieren und dafür sorgen, dass die Stimmung wenigstens lange genug hielt, um den Vertrag in trockene Tücher zu bekommen. Dann war mein Auftrag erfüllt, und ich konnte meine Rechnung ausstellen. Aber mir fiel nichts ein, außer dass ich mir einen harten, stumpfen Gegenstand wünschte, um Kretschmar zum Schweigen zu bringen.

»Vielleicht sollten wir den Vertrag unterschreiben, bevor das Essen kommt?«, schlug ich vor.

Herrn Yamaguchis dünnes Lächeln galt jetzt mir. Fand er es unhöflich, dass ich drängelte? Galt so etwas in Japan als peinlich?

»Oder wir unterschreiben später – im Grunde ist es ja egal.« Ich war so fertig. Ich wollte nach Hause und mich verkriechen. Hundert Jahre schlafen. Ich unterdrückte den Drang, hysterisch zu kichern.

»Frauen haben’s immer so eilig!«, lachte Kretschmar. »Die sind von Natur aus aufm Sprung. Nie geht ihnen was schnell genug. Meine ist genauso. Nicht, dass ich an ihr was auszusetzen hätte. Das ist ’ne gute Seele. Tut und werkelt. Aber am liebsten sind sie uns doch, wenn sie das Nest warm halten und uns machen lassen, was!« Er boxte Herrn Yamaguchi mit grölendem Gelächter in die Seite.

Das Glas in meiner Hand zitterte. Ich packte es fester und schüttete Kretschmar meinen Rotwein ins Gesicht.

Als ich Stunden später meiner besten Freundin Jo in meinem Wohnzimmer gegenübersaß, zitterte ich immer noch. Das hörte gar nicht mehr auf. »Weißt du, ich hab wochenlang auf Frau Kretschmars Röntgenbilder gestarrt und die Ähnlichkeit ihres künstlichen Hüftgelenks mit dem Schattenriss eines Pekinesen bewundert. Ich habe meinen Urlaub geschmissen, und ich hab Frau Kudrjawzew ein doppeltes Gehalt gezahlt, damit sie nicht zur Arbeit kommt und mich stört. Letzte Woche hab ich sogar kotzen müssen, vor lauter Müdigkeit.«

»Das ist richtig«, meldete sich Frau Kudrjawzew von nebenan, wo sie mit dem Geschirr klapperte. »Hat sie ekelhaftes Geräusch bei gemacht. Ich werde nicht bezahlt, zu hören ekelhaftes Geräusch.«

»Du hast gekotzt?«, fragte Jo.

Ich brach in Tränen aus. Jo reichte mir mitfühlend die Porzellanrosenbox mit den Kleenex und kaute auf ihrer Lippe. Während ich heulte wie ein Schlosshund, schaute sie mehrere Male auf die Uhr. Draußen im Auto wartete Sören. Den hatte sie vor einem halben Jahr bei einem Aktivurlaub in der mongolischen Steppe kennengelernt. Oder bei einem Zahnarztbesuch. Ich wusste es nicht mehr genau. Wir waren ja kaum noch zum ­Reden gekommen vor lauter Arbeit. Die beiden wollten nach Amerika rüber, Wildwasser paddeln oder Grizzlybabys kraulen.

»Du musst los«, sagte ich.

Jo nickte. »Dieser Widerling Kretschmar hat dich also gekränkt, und da hast du …«

»Wahrscheinlich bin ich gestolpert. Kann sein, das Ganze war nur ein Versehen. Eine Riesenungeschicklichkeit.« Hoffnungsvoll blickte ich meine Freundin an.

»Du hast gesessen und bist dabei gestolpert?«

Sie hatte recht. Ich schrumpfte wieder in mich zusammen und heulte erneut. Das lief bei mir momentan wie die Niagarafälle. Auf der Straße hupte ein Auto. Sicher Jürgen, der Angst um seinen Urlaub hatte. Ich zog meine Freundin hoch und drückte ihr die Handtasche in die Hand.

»Hast du schon mit Axel gesprochen?«, fragte sie, während sie über den Staubsauger stolperte, den Frau Kudrjawzew im Flur hatte stehen lassen.

»Klar«, log ich. Genau genommen hatte ich nur auf seinen Anrufbeantworter gesprochen. Axel Heiner war mein Geschäftspartner, und außerdem das, was man mit dem eckigen Wort Lebensabschnittsgefährte umschreibt. Wir wohnten zwar nicht zusammen, weil wir das für spießig hielten, aber wir liebten uns und waren immer füreinander da.

»Ist kein guter Mensch, Herr Heiner. Hat einen krummen Charakter. Würde sonst Frau Hinrichs zu eine ehrbare Frau machen«, gab Frau...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2023
Sprache deutsch
Original-Titel Es geht immer noch schlimmer
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Ostsee • Urlaub
ISBN-10 3-8412-3402-X / 384123402X
ISBN-13 978-3-8412-3402-5 / 9783841234025
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