'Nicht das Freuen, nicht das Leiden ...' (eBook)
348 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-5081-4 (ISBN)
Ralph-Michael Schreyer ist Jurist und lebt mit seinem Mann bei Herborn. 'Nicht das Freuen, nicht das Leiden ...' ist sein erster Kriminalroman. Seine Motivation beim Schreiben war es, anhand einer Familiengeschichte aus dem Westerwald auf aktuelle gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen. Die juristischen Kenntnisse des Autors sind natürlich auch in den Roman eingegangen. Eine Hommage an die Region zwischen Lahn, Dill und Sieg.
PROLOG
Frankfurt 1993
Es war eine eisige Nacht im November. Ungewöhnlich früh für die Jahreszeit hatte es zuvor bis tief in die Niederungen geschneit. In den folgenden Tagen waren die Temperaturen kaum über null Grad gekommen. Der Frost warf einen dünnen Nebel über die menschenleere Innenstadt, nur ein paar Autos bewegten sich noch am verschneiten Mainufer entlang. Aus der Ferne läuteten die Kirchenglocken schon den neuen Tag ein. Der Vollmond spiegelte sich im Fluss wider und warf sein Licht auf die Wolkenkratzer der Großstadt. Mit einem so schönen Antlitz hatte er Frankfurt noch nie gesehen.
Marco Weintraud stand betrunken am Mainufer. Gefühlt hatte er mindestens zwei Promille im Blut. Tränen der Verzweiflung rannen über sein Gesicht. »Spring endlich!«, befahl ihm diese strenge, unbarmherzige Stimme im Kopf, die er schon so lange kannte. In Gedanken hatte er bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Ein letztes Stück Hoffnung wartete aber immer noch darauf, dass Peter ihn von seinem Plan abhalten würde. Wie in einem Film liefen die letzten Stunden des vergangenen Abends noch einmal vor seinen Augen ab …
Seit Wochen hatten Peter und er sich nicht mehr gesehen. Niemand durfte von ihrem Verhältnis wissen, vor allem nicht Peters Ehefrau! Geradezu akribisch und mit einer fast demütigenden Perfektion hatte Peter stets darauf geachtet, nicht mit Marco in Verbindung gebracht zu werden. Obwohl Peter Gutleuth bereits die vierzig überschritten hatte, war er erst seit zwei Jahren mit Carmen verheiratet. Bis dahin hatte er sein Junggesellenleben und den Ruf als Herzensbrecher in vollen Zügen genossen. Dass er auch auf Männer stand, hatte er sein Leben lang verbergen können.
So trafen sie sich nur heimlich, wenn Peters Ehefrau bei ihrer dementen Mutter in Herborn übernachtete. »Du kannst meiner Schwiegermutter eigentlich dankbar sein. Ohne die Nachtwachen von Carmen könnten wir uns nicht mehr sehen, und ich hätte das mit dir längst beendet«, hatte Peter schon viel zu oft zu Marco gesagt. Marco hatte ihm immer wieder verziehen. Er liebte Peter unendlich. Schon seit ihrer gemeinsamen Kindheit in Breitenbergen, diesem kleinen Ort im Westerwald. Marco lebte nun allein in Frankfurt, einsam war er, ohne Freunde. Seine Ehefrau und die Kinder hatte er bereits vor Jahren verlassen. Was blieb ihm also anderes übrig, als zu verzeihen?
Wenn Marco und Peter sich trafen, lief alles nach dem gleichen, perfiden Plan ab. Gegen 20.00 Uhr rief Peter im Haus seiner Schwiegermutter an. Meistens war Carmen direkt am Telefon und gerade dabei, ihre Mutter zu Bett zu bringen. Dann gab er seiner Stimme einen von Schmerzen geplagten Klang und heuchelte Carmen vor, es ginge ihm mal wieder schlecht. Er habe bereits eine Tablette genommen und wolle früh schlafen gehen. Da Peter seit Jahren unter Migräneattacken litt, wurde Carmen nie misstrauisch. Danach beendete er schnell das Gespräch und machte sich zu Fuß auf den Weg. Hinter dem Ortseingang von Breitenbergen wartete bereits ein Taxi, das ihn zu Marco nach Frankfurt brachte. Als Förster von Breitenbergen verdiente Peter gut genug, um sich das leisten zu können. In Frankfurt angekommen, rief er Marco dann aus einer Telefonzelle an.
Meistens trafen sie sich im »Blue Angel«, einer bekannten Schwulen-Disco. Um bei den Treffen mit Marco nicht erkannt zu werden, trug Peter immer eine Baseball-Cap und eine Brille. Selbst damit sah er noch verdammt gut aus. Meistens feierten sie bis spät in die Nacht. Den Rest der Zeit verbrachten sie eng umschlungen in Marco Weintrauds kleiner Wohnung, bevor Peter gegen Morgen mit dem Taxi wieder nach Breitenbergen fuhr. Wenn seine Ehefrau von der Nachtwache nach Hause kam, war Peter bereits wieder frisch geduscht und umgezogen. Als ob nichts gewesen wäre.
»Was bist du nur für ein mieses Schwein!«, hatte Marco ihm schon etliche Male wütend vorgeworfen. »Du betrügst doch alle, vor allem dich selbst, und hast dabei noch nicht mal ein schlechtes Gewissen!«
»Was regst du dich eigentlich so auf? Nur weil ich dich ab und zu mal ficke, bin ich noch lange nicht schwul«, hatte Peter dann immer gelassen geantwortet. »Wenn es dir nicht passt, können wir es auch sein lassen. Ich brauche dich nicht und vor allem keinen Ärger wegen dir.« Peter hatte recht. Zu viel stand für ihn auf dem Spiel. Seine Ehe und sein Ruf als »echter Kerl«. Die Frauen hatten ihm immer zu Füßen gelegen. Außerdem war Carmen schwanger!
An diesem Abend hatten sie sich zunächst in einer Bar namens »Good Old Mainhattan« verabredet. Bei dröhnender Eurodance-Musik hatte Peter von den letzten Neuigkeiten aus Breitenbergen erzählt, während Marco sich Mut für sein Geständnis antrank, das ihm schwer auf der Seele lag. Gegen 23.00 Uhr waren sie weiter ins »Blue Angel« gezogen. Wortlos hatten sie auf einem der großen roten Plüschsofas Platz genommen und weiter Bier getrunken.
»Ich muss dir was sagen«, hatte Marco unvermittelt mit seiner Beichte begonnen und unter Tränen erzählt, dass sein letzter HIV-Test positiv ausgefallen war! Alle Sorgen, die er sich wegen einiger merkwürdiger Beschwerden gemacht hatte, waren begründet gewesen. Sein Arzt hatte ihm eine vorbeugende Therapie vorgeschlagen. Wie vom Blitz getroffen, hatte ihn Peter angestarrt.
»Marco, sag bitte, dass das nicht wahr ist!«, waren seine ersten Worte gewesen. Selbst im Halbdunkel der Disco war deutlich zu erkennen, wie stark sich Peters Gesicht gerötet hatte.
»Wie konntest du nur? Willst du mich umbringen?!«, hatte er plötzlich gebrüllt. Mit einem Schlag wurde Marco bewusst, dass er sich keine Sekunde um ihn sorgte. »Von mir kannst du es jedenfalls nicht haben«, hatte Peter dann sarkastisch gemeint und hektisch nach einer Zigarette gegriffen. Dann hatte er völlig die Beherrschung verloren.
»Mein Gott, was bin ich naiv! Da setze ich für ein Treffen mit dir meine Ehe aufs Spiel, und du hast in Frankfurt nichts Besseres zu tun, als ungeschützt mit dem Nächstbesten rumzuficken? Gott sei Dank, dass ich dich nie geküsst und immer ein Kondom benutzt habe, du verlogener Arsch!«, hatte er geschrien, bevor sie gebeten wurden, das Lokal zu verlassen …
Laut schreiend waren sie durch die Innenstadt geirrt und am Mainufer gelandet. Dort war ihr Streit dann vollends eskaliert.
»Es ist dir wohl klar, dass ich morgen früh als Erstes einen HIV-Test machen werde, und wenn der positiv ist, dann Gnade dir Gott!«, hatte Peter plötzlich gedroht.
»Bitte hör mir doch zu. Es war ein Unfall. Das Kondom …«, hatte Marco versucht zu erklären, bevor ihm Peter das Wort abschnitt:
»Wage es ja nicht, mir diesen Dreck auch noch im Detail zu erzählen und auf mein Mitleid zu hoffen! Ich will gar nicht wissen, auf welchem Bahnhofsklo du dich nicht beherrschen konntest! Ich kann nur hoffen, dass ich mich nicht angesteckt habe. Nie wieder im Leben will ich dich sehen! Nie wieder! Hast du mich verstanden?«
Peters Gebrüll riss Marco wieder aus seinen Erinnerungen …
»Warum hast du es nicht dabei belassen, wie es war? Wir waren die besten Freunde. Aber du musstest ja unbedingt mit mir ins Bett! Fast alles hast du getan, um mich rumzukriegen«, schrie Peter den verzweifelten Marco an.
»Du hast es doch genauso gewollt!«
»Überschätz dich mal nicht. Selbst wenn ich schwul wäre, wärst du nicht mein Typ, und du weißt auch, warum«, fuhr Peter auf, verbunden mit einer eindeutigen Handbewegung. »Jetzt muss ich wegen dir auch noch Angst vor Aids haben. Bis zum zweiten Test. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutet. Verschwinde endlich aus meinem Leben! Für mich bist du schon jetzt gestorben!« Verzweifelt spielte Marco sein letztes Ass aus.
»Wenn du mich verlässt, erzähle ich alles deiner Frau.« Peters Gesichtszüge froren ein. Hasserfüllt blitzte er Marco an: »Dann bringe ich dich um! Darauf kannst du dich verlassen. Weißt du, was das Beste daran wäre? Niemand würde dich vermissen, Marco Weintraud! Nicht mal deine Ex-Frau und deine Kinder, und ich am allerwenigsten. Ich verfluche den Tag, an dem ich mich auf dich eingelassen habe. Und jetzt hau bloß ab! Ich kann dich nicht mehr sehen.« Peter wandte sich um, Marco rannte ihm verzweifelt nach.
»Bitte bleib bei mir. Ich liebe dich! Es tut mir leid. Niemals würde ich es deiner Frau erzählen, das weißt du doch. Bitte, bitte, geh nicht weg. Lass uns in Ruhe reden«, flehte er Peter schluchzend an. Aber es war zu spät. Er hatte eine Tür geöffnet, die er nicht mehr schließen konnte.
»Marco, ich warne dich!«, zischte Peter kalt. »Von nun ab trennen sich unsere Wege, und jetzt lass mich gehen.«
»Nein, bitte geh nicht«, klammerte Marco sich an ihm fest. »Du bist doch der einzige Mensch, den ich noch habe, und ich bin todkrank. Du kannst mich doch jetzt nicht so einfach im Stich lassen. Wenn du das tust, springe ich in den Main!«, hörte Marco sich selbst sagen. Doch Peter riss sich von ihm los, spuckte ihm ins...
Erscheint lt. Verlag | 3.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7578-5081-5 / 3757850815 |
ISBN-13 | 978-3-7578-5081-4 / 9783757850814 |
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