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SMS Group (eBook)

Unternehmensgeschichte
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
600 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-31599-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

SMS Group -  Gregor Schöllgen
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Ein deutscher Anlagenbauer in der Welt
Wie die Zukunft aussieht, weiß man nicht. Aber man kann sich ihr stellen. Wie das geht, zeigt ein Maschinen- und Anlagenbauer im Siegerland. 1871 von der Familie Weiss als »Werkzeug-Fabrik« ins Leben gerufen, hält das innovative Hightech-Unternehmen seither die Konkurrenz auf Distanz. 150 Jahre nach ihrer Gründung ist die SMS group mit ihren weltweit 14.500 Mitarbeitern ein Pionier der smarten Fabrik und der Wegbereiter für eine umweltneutrale und nachhaltige Metallurgie. So schreibt man Geschichte.

Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, lehrte von 1985 bis 2017 Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen und in der Attachéausbildung des Auswärtigen Amtes. Er wirkte als Gastprofessor in New York, Oxford, London und Zürich, war Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes sowie des Nachlasses von Willy Brandt.

Als profilierter Biograph folgte er den Spuren unter anderem von Willy Brandt, Ulrich von Hassell, Martin Herrenknecht, Gustav Schickedanz, Theo Schöller, Gerhard Schröder und Max Weber sowie von bedeutenden Unternehmerfamilien wie Brose, Diehl und Schaeffler. Zuletzt erschien bei DVA seine Geschichte der Familie Weiss und ihres Unternehmens, des Anlagenbauers SMS.

Der Erfolg ist durchschlagend. Nachdem die noch bei der Firma Carl Weiss in Auftrag gegebenen zehn Kohlewagen Ende März an die Preußische Staatsbahn übergeben worden sind, geht bei der SEAG ein Folgeauftrag über 120 Waggons für 15 Tonnen Tragfähigkeit ein. Am 2. Mai 1908 wird das Aktienkapital auf 750000 Reichsmark erhöht, von denen die Werkzeugfabrik Carl Weiss knapp die Hälfte hält. Am Jahresende beschäftigt die SEAG 76 Arbeiter und sieben Angestellte. Dass 1910 eine Betriebskrankenkasse eingerichtet wird, zeigt an, dass der Waggonbau keine Eintagsfliege ist.12

Tatsächlich wird die Siegener Eisenbahn-Bedarf Aktiengesellschaft (SEAG) für einige Jahre zum Zentrum der unternehmerischen Aktivitäten der Familie Weiss. Am 26. September 1910 beschließt die Generalversammlung der SEAG eine Fusion der drei Betriebe. Im Zuge dieser Neuordnung übernimmt die neue Gesellschaft zum einen die Aktiva und Passiva der Siegener Stanz- und Hammerwerk GmbH und gewährt ihr dafür Aktien im Wert von 300000 Reichsmark. Zum anderen verkauft die Firma Carl Weiss ihre am Kirchweg gelegenen Anlagen nebst Vorräten für knapp 871000 Reichsmark an die SEAG, die damit auch sämtliche Bankschulden, nicht aber die Außenstände übernimmt. Etwa die Hälfte des Kaufpreises wird durch alte und neue Aktien der SEAG abgegolten. Um das stemmen zu können, wird das Aktienkapital um 500000 auf 1250000 Reichsmark erhöht.13

Fortan hat die SEAG drei »Betriebsabteilungen«, die intern als »Stanzwerk«, »Carl Weiss« und »Tiefenbach« firmieren. Der Ausbau der Werke, die Erweiterung der Produktpalette und der Aufbau der Belegschaft gehen zügig voran und machen im Herbst 1912 und im Herbst 1917 neuerliche Erhöhungen des Aktienkapitals um insgesamt 1,05 Millionen Reichsmark erforderlich. Mit der zweiten Aufstockung finanziert die SEAG im Oktober 1917 die Übernahme der Elisenhütte in Nassau an der Lahn, die seit 1910 im Waggonbau tätig ist. Das Unternehmen fertigt mit rund 200 Arbeitskräften vor allem offene Güterwagen für die Staatsbahn und erfreut sich, wie die Werkschronik vermerkt, »der Gunst des Eisenbahnministers Breitenbach«. Die Elisenhütte hatte bis 1901 Werner von Siemens, dann der Gewerkschaft Käfernburg gehört, die sich wiederum mehrheitlich im Besitz der Société Anonyme Métallurgique et Minière du Nassau à Bruxelles befindet. Mit der Elisenhütte erwirbt die SEAG auch ein Röhrenwerk und damit eine weitere Fertigungslinie. Am Ende des Ersten Weltkriegs produziert die SEAG rund 1200 Waggons jährlich.14

Von alledem trennen sich die Brüder Weiss im Frühjahr 1918, als sie die Siegener Eisenbahn-Bedarf Aktiengesellschaft (SEAG) zehn Jahre nach der Gründung verkaufen. Was genau hinter dieser Entscheidung steckt, lässt sich nicht in allen Facetten rekonstruieren. Natürlich denken die beiden nicht daran, sich ins Privatierdasein zurückzuziehen, im Gegenteil: Sie wollen sich wieder ganz auf ihre Kernkompetenz, also die Maschinenfabrik, konzentrieren und sich im Zuge des Verkaufs von sämtlichen Investoren beziehungsweise Teilhabern trennen. Um das zu schaffen, soll zunächst der Mischkonzern, zu dem sich die SEAG inzwischen entwickelt hat, komplett verkauft werden. Sofern sich ein Käufer findet. In einem zweiten Schritt wollen die Brüder dann alles bis auf den Eisenbahnbedarf wieder in ihren Besitz bringen.

Käufer der SEAG ist die Aktiengesellschaft Charlottenhütte Niederschelden, die inzwischen zu großen Teilen Friedrich Flick gehört. Friedrich Flick, der am 10. Juli 1883 im siegerländischen Kreuztal das Licht der Welt erblickt hat, zählt zu den umtriebigsten und erfolgreichsten Industriellen seiner Generation. Wie andere seines Schlages hat Flick nach einer kaufmännischen Lehre und dem einjährig-freiwilligen Militärdienst von 1905 bis 1907 unter anderem bei Eugen Schmalenbach studiert, dem Direktor des Seminars für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsprüfung an der Handelshochschule Köln. Schmalenbach, Jahrgang 1873, ist nicht nur Akademiker, sondern auch Praktiker, arbeitet als Bilanzprüfer und Unternehmer und gibt seinen Schülern dieses Rüstzeug mit auf den Weg in ihre Karrieren. Wie nachhaltig der Einfluss des jungen Schmalenbach, der unter anderem von 1911 bis 1933 als Aufsichtsratsvorsitzender der Kölner Treuhand-Gesellschaft Generationen heranwachsender Wissenschaftler und Unternehmer geprägt hat, auf Friedrich Flick tatsächlich gewesen ist, lässt sich nicht sicher sagen.

Anders sieht es mit seiner sich daran anschließenden fünfjährigen Tätigkeit als kaufmännischer Leiter und Prokurist bei der Aktien-Gesellschaft Bremer Hütte in Geisweid am Rande von Siegen aus. Hier hatte Flick schon seine zweijährige kaufmännische Lehre absolviert, und auch während des stark praxisorientierten Studiums hielt er engen Kontakt zu der Eisenhütte. Das Fundament seines Erfolgs als selbstständiger Unternehmer legt Friedrich Flick allerdings – nach einer Zwischenstation als Vorstand bei der sauerländischen Eisenindustrie zu Menden und Schwerte AG – seit 1915 als kaufmännischer Direktor bei der Aktiengesellschaft Charlottenhütte. Binnen weniger Jahre formt er den kleinen Betrieb zu einem nennenswerten Akteur der deutschen Stahlindustrie – und bringt ihn schrittweise in seinen Besitz.

Dabei spielen die Hochkonjunktur der Stahlindustrie – eine Hauptlieferantin der Rüstungsindustrie während des Ersten Weltkriegs –, ferner profitable Geschäfte mit Schrott und nicht zuletzt das zügig verfeinerte »Arsenal an Taktiken und Methoden« eine Rolle, mit dem Flick die rasante Expansion vorantreibt. So lässt er zweimal Vorzugsaktien ausgeben, um vermeintliche Übernahmedrohungen abzuwehren, die er in Wahrheit selbst in Szene gesetzt hat. Trotz alledem ist nach Auskunft seiner Biographen »bis heute ungeklärt«, wie es dem kaufmännischen Direktor gelungen ist, »binnen kürzester Zeit zum Hauptaktionär seines Unternehmens aufzusteigen« und bis spätestens 1921 die Kapitalmehrheit unter seine Kontrolle zu bringen.15

Heinrich Weiss, der Sohn von Bernhard Weiss, der seinen angeheirateten Großonkel Flick Anfang der Fünfzigerjahre nach dessen Entlassung aus der Landsberger Haft kennenlernt und ihn hernach immer wieder einmal trifft, beschreibt diesen im Rückblick als »große Autoritätsperson«, als »spröden Menschen ohne wirkliche Freunde«, als »Einzelkämpfer und Machtmenschen – aber in einer bäuerlichen Tarnkleidung«.16

Die faktische Übernahme der Charlottenhütte ist der erste Schritt auf einem Weg, der Friedrich Flick mit Geschick, Skrupellosigkeit und erheblichem Durchsetzungsvermögen innerhalb von anderthalb Jahrzehnten zum Ziel führen wird: Am 10. Juli 1937 wird die Dachgesellschaft seiner Unternehmensgruppe in die »Friedrich Flick KG« umgewandelt. Die Holding, eine Personengesellschaft, trägt nicht nur erstmals den Namen des Konzernarchitekten »Flick«, sondern sie befindet sich auch vollständig im Besitz der Familie.

Auf dem Weg Friedrich Flicks hin zum Hauptaktionär der Charlottenhütte spielt der Kauf der Siegener Eisenbahn-Bedarf Aktiengesellschaft (SEAG) von den Brüdern Weiss im Frühjahr 1918 auch deshalb eine wichtige Rolle, weil dieser Schritt als einer der Anlässe für die neuerliche Kapitalanhebung der Charlottenhütte dient. Dass Flick den Aktionären der SEAG einen Preis zahlt, der immerhin 400 Prozent des Nominalkapitals beträgt, sorgt dafür, dass die Transaktion im preußischen Handelsministerium noch Jahre später unter dem Verdacht der Vetternwirtschaft steht – zu Unrecht, wie man heute weiß.17

Die Familie Weiss muss das nicht interessieren. Für sie zählt, dass Friedrich Flick ihr in einem entscheidenden Moment unter die Arme greift. Es wird nicht das letzte Mal sein. Natürlich ist das kein karitativer Akt. Auch Flick profitiert von der Transaktion. Allerdings ist er nicht auf dieses Geschäft angewiesen. Die Brüder Weiss hingegen brauchen Flick für ihr ambitioniertes Vorhaben. Die Übernahme ihrer SEAG-Aktien hilft ihnen, den Ausbau des eigenen Unternehmens voranzutreiben, ohne sich finanziell zu verheben.

Denn 1916 haben sie, wie erwähnt, die »Siegener Maschinenbau-Aktiengesellschaft vormals A. & H. Oechelhäuser« (SMAG) übernommen. Diese geht in Betrieb, als Johannes Oechelhäuser 1818 im Leimbachtal eine Walkmühle erwirbt und sie zu einer Papiermühle umbaut. 1820 läuft die Papierfabrikation an, wenig später folgt der Einstieg in die Maschinenfertigung zunächst für die Papierfabrikation: Patente auf eine Kautschmaschine, eine hydraulische Presse, einen Lumpenreißer und ein Stampfwerk zeugen von der Innovationskraft des Unternehmens und erklären, warum sich die »Maschinenbau-Werkstatt A. & H. Oechelhäuser« im Laufe der Jahrzehnte zu einem führenden Unternehmen im deutschen Maschinenbau entwickeln wird.

So firmiert der Betrieb, seit Adolf Oechelhäuser, ältester Sohn des Firmengründers, 1860 seinen Bruder Heinrich in die Firma aufgenommen hat. Hinter ihr liegen gute und schlechte Zeiten, am 24. März 1848 kommt es gar zum Konkurs, der zum 1. Januar 1852 durch einen Vergleich beendet wird. Für diesen Rückschlag gibt es eine Reihe von Gründen, nicht zuletzt die zögerliche Industrialisierung des Siegerlandes, die im Prinzip erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt, also etwa drei Jahrzehnte später als im benachbarten...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 2023 • Biografie • Biographien • deutsche familienunternehmen • Deutsche Wirtschaft • eBooks • Firmengeschichte • Maschinen- und Anlagenbau • Neuerscheinung • sms group
ISBN-10 3-641-31599-9 / 3641315999
ISBN-13 978-3-641-31599-3 / 9783641315993
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