Romantic Thriller Spezialband 3033 - 3 Romane (eBook)
500 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-8233-6 (ISBN)
1
Unzählige Male hatte Sandra Allan den mittlerweile stark zerknitterten Brief bereits gelesen, aber mit jedem Mal erschien er ihr noch seltsamer als zuvor.
Es war ein amtliches Schreiben. Der Briefkopf lautete auf einen Notar in Wolverhampton. Nicht das Wolverhampton im Norden von Birmingham, sondern es handelte sich um einen kleinen Ort gleichen Namens in Cornwall, den Sandra erst nach langer Suche auf einer Karte hatte entdecken können.
Der Brief war nur kurz. Es stand nicht mehr darin, als dass Carl Brannigan am 15. August gestorben sei und sie in seinem Testament als Haupterbin eingesetzt hätte. Sie möge sich baldmöglichst in Wolverhampton einfinden, um über den Antritt des Erbes zu entscheiden.
Unterzeichnet war der Brief mit Eric Lawrence.
Diesen Namen hatte Sandra vor Erhalt des Schreibens noch nie gehört, aber Carl Brannigan kannte sie gut. Zu ihrem größten Bedauern sogar viel zu gut. Immerhin war sie drei Jahre lang mit ihm verheiratet gewesen. Drei endlos lange Jahre, die die reinste Hölle für sie gewesen waren.
Das anfängliche Glück hatte sich rasch in nichts aufgelöst. Bereits in den ersten Wochen nach der Hochzeit hatte es in ihrer Beziehung zu kriseln begonnen. Brannigan hatte sein wahres Gesicht gezeigt, und das entsprach absolut nicht dem Bild, das Sandra sich von ihm gemacht hatte. Er war brutal und herrschsüchtig, aber sie hatte es vorher nicht wahrhaben wollen. So hatte es lange gedauert, bis sie endlich den Mut zu einer Scheidung aufgebracht hatte.
Sandra Allan zündete sich eine Zigarette an und starrte aus dem Zugfenster. Sie saß allein im Abteil, und sie war froh darüber, denn so konnte sie ihre Situation noch einmal in aller Ruhe überdenken. Es würde noch rund eine Viertelstunde bis zum Eintreffen des Zuges in Wolverhampton dauern.
Sie sah ihren Ex-Mann deutlich vor sich, seine große, breitschulterige Gestalt, das kantige Gesicht mit dem gepflegten Vollbart und den blauen Augen, umrahmt von schwarzen Haaren. Carl Brannigan war ein gut aussehender Mann gewesen, und sie war darauf hereingefallen. Erst zu spät hatte sie erkannt, wie er wirklich war. Und nicht einmal dann hatte er von ihr ablassen wollen, obwohl auch er sie nicht wirklich liebte. Aber es hatte seinen Stolz gekränkt, dass Sandra ihn verlassen wollte, und so war die Scheidung zu einer hässlichen Affäre mit unzähligen Winkelzügen und Tricks seines Anwalts geworden, die fast ein Jahr gedauert hatte. Schließlich hatte sie doch Erfolg gehabt und sogar ihren alten Namen wieder annehmen können. Sie wollte durch nichts mehr mit Carl Brannigan verbunden sein, nicht einmal mehr seinen Namen tragen.
In eintöniger Gleichförmigkeit zog die Landschaft hinter dem Fenster vorüber. Felder, Wiesen, Wälder und Dörfer reihten sich aneinander.
Nur eines änderte sich immer mehr und bereitete Sandra Sorgen. Das Wetter. So schön es den ganzen Tag über gewesen war, so bedrohlich mutete es jetzt an.
Schwere, bauchige Wolken bedeckten den Himmel und kündigten ein Gewitter an. Nach der drückenden Hitze war Wind aufgekommen und erreichte mittlerweile fast schon Sturmstärke. Die Sträucher und kleinen Bäume am Rande der Bahnstrecke wurden von Böen gepeitscht. Der Himmel hatte stellenweise ein mattes, schwefeliges Gelb angenommen.
Es erschien Sandra Allan fast, als wäre das Gewitter eine letzte Gehässigkeit Carl Brannigans. Er hatte gewusst wie sehr sie sich schon seit ihrer Kindheit vor Blitz und Donner fürchtete und oft genug darüber Witze auf ihre Kosten gemacht.
Überhaupt verstand sie nicht, warum er ausgerechnet sie zur Erbin gewählt hatte. Ihr Kontakt zueinander war vor Jahren schon völlig abgerissen, und Sandra konnte nicht sagen, dass sie darüber betrübt wäre. Brannigan hatte sie wie ein Stück Dreck behandelt, und nicht einmal jetzt, da er tot war, konnte sie freundlich über ihn denken.
Aber finanziell hatte er immer auf gesunden Füßen gestanden, also würde sein Erbe höchstwahrscheinlich beträchtlich sein. Warum aber wollte er jetzt ausgerechnet ihr seinen Besitz vermachen? Hatte er eingesehen, wie niederträchtig er sich verhalten hatte, und wollte wenigstens einen Teil der Schuld nach seinem Tod abtragen? Sandra konnte es sich kaum vorstellen, aber eine andere Erklärung fand sie nicht.
Sie erhob sich, verließ das Abteil und trat in den kleinen Waschraum am Ende des Waggons. Dort erfrischte sie sich mit etwas kaltem Wasser und kämmte sich die langen, kastanienbraunen Haare, während sie sich im Spiegel musterte. Sie sah hübsch aus und konnte mit sich zufrieden sein, aber sie übersah auch nicht die kleinen Fältchen, die sich trotz ihrer erst achtundzwanzig Jahre schon in ihr Gesicht eingegraben hatten. Ein Andenken an die schlimme Zeit mit Brannigan.
Sie kehrte in ihr Abteil zurück. Draußen war es inzwischen fast so dunkel geworden, als wäre die Nacht hereingebrochen, aber an der Abteildecke brannte eine Neonlampe. Ein Blitz schien den Himmel zu spalten, und kaum eine Sekunde später ließ ein gewaltiger Donnerschlag Sandra zusammenzucken. Als wäre der Donner ein Signal gewesen, öffnete der Himmel nun seine Schleusen. Ungeheure Wassermassen rauschten auf die Landschaft nieder. Vom Wind wurde der Regen gegen die Zugfenster gepeitscht. Die Tropfen verursachten einen Trommelwirbel, der Sandra zurückweichen und die Hände gegen ihre Ohren pressen ließ. Zugleich schloss sie die Augen. Sie zitterte wie Espenlaub.
Es war eine verrückte Reaktion, doch obwohl sie es wusste, kam sie nicht gegen ihre unterbewusste Angst an, die wie eine Stichflamme in ihr hochloderte. Im Alter von vier Jahren war sie während einer Gewitternacht allein zu Hause gewesen. Ihre Eltern waren zu einer Party gegangen. Bei Ausbruch des Gewitters war Sandra aufgewacht und hatte panische Angst bekommen, da niemand da war, der sie trösten konnte. Dieses schreckliche Ereignis hatte ihre Angst vor Gewittern begründet, und auch als sie älter wurde, war die Furcht vor Blitz und Donner nie gewichen. Dafür saß sie zu tief in ihrem Unterbewusstsein verankert. Nicht einmal ein Psychiater, den sie vor einigen Jahren aufgesucht hatte, hatte sie davon befreien können, und Sandra hatte sich allmählich damit abgefunden. Wenn es ein Gewitter gab, schloss sie zu Hause gewöhnlich die Jalousien und stellte die Musikanlage so laut, dass sie vom Toben der Naturgewalten nichts mitbekam.
Das aber war hier nicht möglich. Durch das große Fenster, das fast die ganze Seitenwand einnahm, drang der Widerschein der Blitze ungehindert herein und die grelle Helligkeit fraß sich sogar durch ihre geschlossenen Augenlider. Der Donner war so laut, dass ihre gegen die Ohren gepressten Hände ihn kaum zu mildern vermochten.
In diesem Zug bin ich sicher!, hämmerte Sandra Allan sich immer wieder ein. Nach einigen Minuten hatte sie sich wenigstens so weit wieder gefasst, dass sie die ohnehin wirkungslosen Hände herunternahm und die Augen wieder öffnete. Ihr bot sich ein beängstigendes Bild.
Es war fast, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor. Blitz auf Blitz zuckte vom Himmel und der Donner grollte mit der Lautstärke von Kanonendonner übers Land.
Das Gewitter hatte sich noch nicht gelegt, als der Zug bald darauf in die kleine Bahnstation von Wolverhampton einlief. Hastig raffte sie ihr Handgepäck zusammen und stieg aus. Der Bahnsteig war nicht überdacht, und obwohl es nur wenige Schritte bis zur Tür der kleinen Station waren, wurde Sandras sommerliche Kleidung von dem sintflutartigen Regen durchnässt. In der Wartehalle angekommen, schüttelte sie sich die Regentropfen aus dem Haar und blickte sich um.
Als einen richtigen Bahnhof konnte man die kleine Station nicht einmal mit viel Fantasie bezeichnen. Es gab lediglich diese Wartehalle, in die sich allerhöchstens zehn Menschen hineinquetschen konnten, aber auch nur zehn sehr schlanke Menschen. Der Fahrkartenschalter war geschlossen, wahrscheinlich schon seit mehreren Jahren, wie ein ausgebleichtes Schild andeutete. Dafür gab es einen Automaten in der Mitte der Halle.
Sandra trat zu dem Ausgang zur Straße hin. Verbittert stellte sie fest, dass nicht einmal ein Taxi zu sehen war. Dafür hing ein Fernsprecher in einer Nische dicht neben dem Ausgang. Sie durchstöberte das Buch, bis sie die Nummer des wohl einzigen Taxiunternehmens am Ort gefunden hatte. Telefonisch bestellte sie einen Wagen, und brauchte auch nur wenige Minuten zu warten, bis er vorfuhr.
Bei ihrer schlechten Laune und der Provinzialität dieses Dorfes hätte es sie nicht mal mehr sehr gewundert, wenn eine Pferdekutsche gekommen wäre, aber ganz so schlimm war es nicht. Das Taxi war immerhin noch mit Mühe als Auto zu erkennen, wenn es sich auch um ein völlig veraltertes, mit Rostbeulen übersätes Fahrzeug handelte.
Der Fahrer, ein bärtiger Mann im mittleren Alter, beugte sich über den Sitz und öffnete ihr die Beifahrertür. Sandra stieg ein. Sie zog den Brief aus der Tasche und las die Adresse vor.
"Ah, Sie wollen zu diesem Lawrence",...
Erscheint lt. Verlag | 3.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
ISBN-10 | 3-7389-8233-7 / 3738982337 |
ISBN-13 | 978-3-7389-8233-6 / 9783738982336 |
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