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Achtsam morden durch bewusste Ernährung (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28670-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
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Guten Appetot!
Dank Achtsamkeit hat Björn Diemel seine Mitte gefunden. Seine Problemzonen sind nun allerdings die Ränder seines Körpers, die sich immer weiter von dieser Mitte entfernen. Björn erkennt, dass In-sich-Ruhen und Mangel an Bewegung zwei grundverschiedene Dinge sind.

Als Unbekannte versuchen, Björns Tochter zu entführen, gelingt es ihm aufgrund seiner Körperfülle nur mit Mühe, die Täter in die Flucht zu schlagen. Also lässt Björn sich von Joschka Breitner in Bezug auf die Grundsätze bewusster Ernährung coachen. Er taucht ein in die faszinierende Welt des Heilfastens und der Ernährungsbausteine. Noch ahnt Björn nicht, wie wunderbar sich Ernährung, Entspannung und das Auflösen von Gewaltfantasien miteinander kombinieren lassen.

KARSTEN DUSSE, Jahrgang 1973, Rechtsanwalt, Studium in Bonn, Lausanne und Los Angeles. Nach erfolgreicher Tätigkeit als Drehbuch- und Sachbuchautor wurde sein Debütroman ACHTSAM MORDEN zum meistverkauften Taschenbuch des Jahres 2020.
Seine Romane wurden bislang in 26 Sprachen übersetzt und stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Hörbuchpreis. Seine Hörbücher haben Gold- und Platin-Status erreicht.

Noch eine Woche vor der versuchten Entführung meiner Tochter ließen sich alle Probleme in meinem Leben auf einen einzigen Knopf reduzieren: den Knopf an meiner Jeans. Den über dem Reißverschluss. War der Knopf auf, war ich glücklich. War der Knopf zu, war ich es nicht. Dank Achtsamkeit hatte ich meine Mitte gefunden. Der Knopf wies mich immer wieder schmerzhaft darauf hin, dass sich die Ränder meines Körpers offensichtlich immer weiter von dieser Mitte entfernten.

Ich hatte seit längerer Zeit dieses Rilke-Gefühl. Alles bei mir drehte sich um meine Mitte. Und zwar in so kleinen Kreisen, dass ich gar nicht bemerkte, wie Gitterstäbe aus Ereignislosigkeit, Genügsamkeit und Homeoffice an mir vorüberzogen. Den Willen, der ab und an zwischen diesen Gitterstäben hindurch in die erfrischenden Gefahren der Freiheit entweichen wollte, betäubte ich mit Nahrung. So lange, bis mein Körper nicht mehr durch die selbst gesetzten Stäbe passte.

Dank meines Achtsamkeitscoaches Joschka Breitner hatte ich gelernt, Stresssituationen wertungsfrei und liebevoll zu begegnen. Ich wusste, welchen Einfluss mein inneres Kind auf mein Verhalten hatte. Ich war auf dem Jakobsweg dem Sinn des Lebens näher gekommen. Dank Osho wusste ich es zu schätzen, im Hier und Jetzt zu leben.

Mangels akuter Probleme hatten wir den Coachingrhythmus inzwischen auf eine Sitzung alle zwei bis drei Monate heruntergefahren. Nächsten Donnerstag war wieder einer dieser Termine, auf die ich mich regelmäßig freute.

Aber seit ich in mir selbst ruhte, fehlte mir vor allem eines: Bewegung. Geistig wie körperlich.

Immer wenn der Knopf zu war, wurde mir das schmerzhaft bewusst.

Es gab Tage, an denen beschränkte sich mein Bewegungsradius auf das Treppenhaus des Altbaus, in dem ich wohnte. Das Treppenhaus verband alle meine Lebensbereiche miteinander. Ganz oben, in der dritten Etage, unter dem Dach, wohnte ich. In der Etage darunter befand sich meine Rechtsanwaltskanzlei. In der ersten Etage wohnte Sascha, ein Freund und Arbeitskollege. Im Erdgeschoss befanden sich die Räumlichkeiten des von ihm geleiteten Kindergartens, den ich regelmäßig zum Mittagessen aufsuchte. Ich konnte ganze Tage innerhalb meines Wohnhauses verbringen und zwischen Familienleben, Arbeit, Freundschaft und Freizeit wechseln, ohne auch nur ein einziges Mal die Hose schließen zu müssen.

Der einzige Mensch, der mühelos zwischen den Stäben durchkroch und meinen künstlichen Käfig mit Realität flutete, war meine Tochter Emily. Wenn sie, wie heute, bei mir übernachtete, kreiste ich nicht um mich, sondern um sie. In einer gemeinsamen Umlaufbahn mit meiner Ex-Frau. Dass es dabei zu keinerlei Kollisionen kam, lag nicht nur an unserem guten Verhältnis zueinander, sondern auch an unserer guten elterlichen Kommunikation. Wenn sich zwei unterschiedliche Kinderzimmer ein perfektes Kind teilen, dann geht das manchmal nicht ohne logistische Absprache. So wie heute. Während ich mit offener Hose am Schreibtisch meiner Kanzlei saß und zum x-ten Mal die Homepage meiner bevorzugten Tageszeitung aktualisierte, ohne dass sich die Nachrichtenlage der Welt dadurch auch nur einen Hauch änderte, klingelte mein Handy. Es war Katharina, meine Ex-Frau.

»Ist morgen nicht Spieletag in der Schule?«, fragte sie mich ohne langwierige Begrüßungsfloskeln.

Seit Emilys Einschulung vor über einem Jahr hatten wir als Eltern gelernt, uns das Denken in Mon-, Diens-, Donners- oder Freitagen abzugewöhnen. Die Schulwoche teilte sich im Wesentlichen auf in Spiele-, Kuscheltier- und Maltage, an denen, statt Unterricht, Lieblingsspiele oder Lieblingskuscheltiere mitgebracht werden konnten und Lieblingsbilder gemalt wurden. Aufgelockert wurde diese liebevolle Distanz zum Unterricht durch Ausflugs- und Projekttage. Alles, was mich nach eineinhalb Jahren Grundschulalltag tatsächlich noch gewundert hätte, wäre gewesen, wenn es mal eine einzige Woche voller ganz normaler Schultage mit Unterricht gegeben hätte.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Diese Woche ist irgendein Projekttag mit Theaterstück und ein Spieletag. Aber wann was ist … Stand das nicht in dem Elternbrief?«

»Ist der bei dir?«

»Hast du den nicht?«

Ich war nie ein Freund von digitaler Kommunikation gewesen. Aber auf den Rechnern von zwei getrennt lebenden Eltern wären zwei PDF-Dateien mit Schulterminen der gemeinsamen Tochter wahrscheinlich weniger schnell verloren gegangen als ein einzelner, auf Ökopapier ausgedruckter Elternbrief im Ranzen einer Achtjährigen beim Pendeln zwischen zwei Kinderzimmern. Katharina löste sowohl das Problem der Verantwortlichkeit für das Verlieren des Elternbriefes als auch der daraus folgenden Konsequenzen pragmatisch.

»Da wir nicht am Telefon klären können, wo du den Elternbrief hingelegt hast, tun wir einfach so, als sei jeder nächste Tag Spieletag. Emily will Kroko-Doc mit in die Schule bringen. Ich schmeiß dir den Karton gleich kurz rein, damit sie ihn morgen mitnehmen kann, okay?«

»Kroko-Doc … Das ist dieses Russisch Roulette für Kinder, richtig?«, erinnerte ich mich. Alle Spieler mussten im Wechsel einem Plastik-Krokodil einen Zahn im Mund eindrücken – so lange, bis durch einen Zufallsmechanismus das Maul zuschnappte und der betroffene Spieler rausflog. Toll für einen Spieleabend. Nichts, wofür der Staat Grundschulen errichten musste.

»Richtig«, bestätigte Katharina. »Ich bin in zehn Minuten vor der Tür. Kommst du runter?«

Ich schaute auf die Uhr. In zehn Minuten wäre ohnehin Cateringzeit im Kindergarten. Eine Uhrzeit, die mir mein Magen mit einem Grummeln bestätigte. Wie üblich, wenn ich alleine schlief, hatte ich heute noch nichts gefrühstückt.

»Alles klar, bis gleich«, verabschiedete ich mich von der Mutter meiner Tochter.

Ich würde von Katharina an der Haustür das Spiel entgegennehmen und dann im Anschluss gleich im Kindergarten im Erdgeschoss etwas essen gehen. Ich würde durch einen einzigen Gang die Treppe hinunter zwei Dinge erledigen können. Das war der Unterschied zwischen Effizienz und Bewegung.

Noch vor vier Jahren hätte ich mir nichts sehnlicher als die heutige Bewegungsarmut gewünscht. Damals war ich als angestellter Anwalt in einer Großkanzlei tätig gewesen. Dort ganz befreit mit offener Hose rumzulaufen, wäre undenkbar gewesen. Ich betreute damals 24/7 einen einzigen Mandanten, Dragan, einen Großkriminellen. Damals sah ich aufgrund meiner Arbeitszeiten meine Tochter nicht, dafür aber meine Ehe in die Brüche gehen. Ein zu enger Hosenknopf als größtes meiner Probleme wäre mein Paradies gewesen. Dank meines achtsamen Lebenswandels hatte sich all dies fulminant geändert. Ich hatte meinen Mandanten getötet, in der Kanzlei gekündigt, mich in Freundschaft von meiner Frau getrennt, arbeitete als Einzelanwalt und hatte viel Zeit für meine sich prächtig entwickelnde Tochter.

In meinem neuen Leben hatte ich nun alles unter einem Dach.

Und fühlte mich trotzdem wie Rilkes Panther.

In moppelig.

Mein neues Leben hatte seinen Preis. Dessen größeren Teil hatte dankenswerterweise mein krimineller Ex-Mandant bezahlt. Mit seinem Leben. Aber damit mein neues Leben unbehelligt funktionierte, musste ich seitdem vor aller Welt so tun, als würde Dragan noch leben, indem ich seine Geschäfte in dessen Namen als sein Anwalt weiterführte. Diesen Preis musste ich zahlen. Täglich. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Meine private Haltung zum Verbrechen war rein pragmatischer Natur: Es war nun einmal vorhanden. Auch Staatsanwälte und Polizisten konnten ohne Gewissensbisse einen seriösen Beruf darauf aufbauen. Warum also nicht ich? Früher hatte ich Dragans Verbrechen lediglich als Anwalt vertuscht. Heute musste ich sie zusätzlich auch noch planen. Meine persönliche Schuld an den illegalen Handlungen, die ich koordinierte, betrachtete ich rein betriebswirtschaftlich: Ich schaute nicht auf die negative Differenz zwischen meinem Handeln und legalem Handeln. Ich schaute nur auf den positiven Saldo im Vergleich zwischen Dragans Brutalität und meiner. Ich als Einzelperson konnte das Verbrechen an sich von außen ohnehin nicht stoppen. Aber von innen konnte ich es zumindest menschlicher gestalten. Nur aussteigen war keine Option. Ich war die zentrale Karte, die mein legal aussehendes Kartenhaus zusammenbrechen lassen würde, wenn ich sie herauszöge. Die Karte, die, gestärkt durch eine achtsame Lebensweise, auch unter der Last weiterer achtsam begangener Morde nicht zusammenbrach.

Dazu bestand auch nicht wirklich Anlass zur Sorge. Ich hatte mir mein neues Leben eingerichtet. Ich hatte den Mut gefunden, Dinge zu ändern, die ich ändern konnte. Notfalls durch Mord. Ich hatte die Gelassenheit gefunden, die Dinge zu akzeptieren, die nicht zu ändern waren. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich gemordet hatte. Und während ich nach der Weisheit suchte, diese änderbaren Dinge von den unveränderlichen Dingen zu unterscheiden, stopfte ich Junkfood in mich hinein.

Wie sich herausstellte, war vor allem Dragans autoritärer Führungsstil bei der Vertuschung seines Todes eine große Hilfe. Er hatte von seinen Mitarbeitern stets mit grober Gewaltandrohung absoluten Gehorsam gefordert. Ich machte das anders. Da ich die Begriffe Gewalt und Gehorsam nicht mochte, basierte mein Führungsstil auf dem wunderbaren Begriff der Solidarität. Das lief zwar auf das Gleiche raus – wer aus der Reihe tanzte, wurde ausgegrenzt –, klang aber viel schöner. Meine solidarischen Mitarbeiter waren bei illegalen Aktionen viel begeisterter bei der Stange zu halten als Dragans...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2024
Reihe/Serie Achtsam morden-Reihe
Achtsam morden-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • eBooks • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung
ISBN-10 3-641-28670-0 / 3641286700
ISBN-13 978-3-641-28670-5 / 9783641286705
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