Dallmayr. Das Erbe einer Dynastie (eBook)
598 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-27020-9 (ISBN)
München 1933: Eine eigene Kaffeemischung für das Hause Dallmayr - für Lotte Randlkofer sieht so die Zukunft aus. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als dass die Räume des Delikatessenhauses in der Dienerstraße erfüllt werden von dem Aroma der feinen Bohnen, die über die Weltmeere schon längst den Weg nach Hamburg und Bremen finden. Nun sollen sie ihren Zauber auch in München entfalten. Denn was könnte die erlesenen Pralinen aus Frankreich und der Schweiz, die im Mund wie zarte Butter zergehen, besser begleiten als der nussige Geschmack von Kaffee? Lotte ist überzeugt, genau das hätte sich ihre Schwiegermutter Therese Randlkofer für die Zukunft des Dallmayr gewünscht. Doch während Lotte wagemutig das große Erbe der Matriarchin antritt, beginnt der Schrecken von Deutschland Besitz zu ergreifen.
Akribisch recherchiert und mitreißend geschrieben - der Abschluss einer unvergesslichen Familiensaga rund um den Feinkostladen Dallmayr. Ein liebevoll gestaltetes Paperback vollendet dieses Lesevergnügen!
Lisa Graf ist in Passau geboren. Nach Stationen in München und Südspanien schlägt sie gerade Wurzeln im Berchtesgadener Land. Sie hat nicht viele Schwächen, aber zu Lindt-Schokolade konnte sie noch nie nein sagen. Mit ihrer grandiosen Familiensaga Dallmayr eroberte sie sowohl die Herzen ihrer Leserinnen als auch die Bestsellerliste und schaffte es bis an die Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Nun erscheint die mit Spannung erwartete neue Saga Lindt & Sprüngli, in der sie die bewegte Geschichte rund um die weltberühmten Schweizer Chocolatiersfamilien erzählt.
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1934
Paul wusste, dass er sich beeilen musste. Für elf Uhr war der Termin vor dem Schiedsgericht anberaumt, und vorher musste er sich noch in den Fall einlesen. Den Vormittag hatte er sich mit Mühe freigeschaufelt und hastete jetzt von der Schrammer- in die Maffeistraße. Nie konnte er an dem Haus, in dem jetzt die Vereinsbank residierte, vorbeigehen, ohne an der Fassade hinaufzuschauen und das Fenster im zweiten Stock zu suchen, hinter dem sich früher sein erstes Kinderzimmer befunden hatte. Im Erdgeschoss war das erste Lebensmittelgeschäft seiner Eltern gewesen. Paul versuchte, sich seinen Vater in der langen dunklen Schürze vorzustellen. Das Bild verblasste jedoch langsam, und der Vater in seiner Erinnerung ähnelte immer mehr dem auf dem Foto, das im Blauen Salon, der guten Stube in der Dienerstraße, hing. Es war einige Jahre vor seinem Tod aufgenommen worden. Damals trug er einen dunklen Vollbart, sein Haar war schon etwas schütter, und er lächelte ganz fein. Irgendwann würde es gar kein anderes Bild seines Vaters mehr geben. Dagegen waren die Erinnerungen an seine Mutter noch frischer, auch wenn sie ebenfalls ihren Platz an Antons Seite im Blauen Salon eingenommen hatte.
Paul kam am Hotel Bayerischer Hof vorbei, überquerte den Promenadeplatz und dann den Maximiliansplatz und lief auf das schmucke und repräsentative Gebäude der Industrie- und Handelskammer zu. Mehr als eine Million Reichsmark hatte die Kammer für den Gebäudekomplex an der Max-Joseph-Straße bezahlt. Der Architekt Gabriel von Seidl hatte ihn gebaut, nicht für die IHK, sondern als privates Wohn- und Geschäftshaus für den jüdischen Antiquitätenhändler Arnold Drey. Jetzt tagte hier das freiwillige Schiedsgericht der IHK. Seit den Zwanzigerjahren hatte Paul der Tarifkommission des bayerischen Einzelhandels angehört, und bis heute war er Mitglied des Schiedsgerichts. Fragte sich nur, wie lange noch. Bei dem Termin, der für heute anberaumt war, ging es um den Zuckerbäcker Josef Leiminger aus Riem im Münchner Osten. Ihm war als Lieferant für die Wiesn gekündigt worden, weil er, so seine Annahme, kein Parteimitglied war. Daraufhin hatte der Mann sich an das Schiedsgericht gewandt.
Paul kam am Sitzungssaal vorbei und sah auf die Liste der vermerkten Termine, fand aber keinen Eintrag unter dem Namen Leiminger. Für elf Uhr war überhaupt keine Sitzung eingetragen. Hatte man den Termin verlegt und vergessen, ihm Bescheid zu sagen? Er folgte einem Seitengang bis zum Zimmer 06 und klopfte bei seinen Freund Egon Koller, den er schon seit ewigen Zeiten kannte. Von Koller, dem immer schon sehr mageren, schlaksig wirkenden Mann mit dem schütter werdenden mausbraunen Haar, erfuhr er, dass die Klage des Bäckers abgewiesen worden war.
»Der Mann hat keine Möglichkeit mehr für einen Einspruch«, erklärte ihm sein Freund Koller mit gedämpfter Stimme. »Solche politischen Verfahren werden jetzt praktisch nicht mehr verhandelt.«
»Ach so?«, fragte Paul. »Wurde das irgendwo so entschieden?«
»Entschieden und uns als Weisung mitgeteilt.« Egon Koller sah immer wieder unauffällig zur Tür.
»Was ist denn mit dir, Egon?«, fragte Paul. »Du wirkst so gehetzt.«
»Ich weiß nicht, wie lange ich mich hier noch halten kann, Paul. Irgendwann werden sie mich gegen einen Linientreuen austauschen.«
»Außer du besorgst dir das richtige Parteibuch«, bemerkte Paul.
»Das könntest du genauso machen«, antwortete Egon.
»Ich? Ich bin doch ein freier Kaufmann«, sagte Paul.
»Das ist der Bäcker Leiminger auch. Aber wenn er seine Brezen und Semmeln nicht mehr verkaufen darf, dann nützt ihm das nichts.«
»Er darf sie ja noch verkaufen«, wandte Paul ein. »Nur auf der Wiesn nicht.«
»Das ist aber sein Hauptgeschäft, schon in der dritten Generation«, behauptete Koller. »Das heißt, es war sein Hauptgeschäft.«
Die IHK war seit letztem Jahr nicht mehr das, was sie einmal gewesen war. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft war noch im Jahr von Hitlers Machtübernahme beendet worden. Kammerpräsident Joseph Pschorr, der aus einer berühmten Münchner Bierbrauerfamilie stammte, war aus seinem Amt entfernt worden. Ebenso Hauptgeschäftsführer Edmund Simon. Beide hatte man durch stramme Parteileute ersetzt.
»Dich haben sie bestimmt auch schon auf dem Kieker«, sagte Egon Koller. »Werden dir noch Bankette angeboten?« Er sah Paul an. »Dachte ich mir. Merkst du, wie dir der kalte Wind um die Nase pfeift oder geht’s noch?«
»Es geht noch«, antwortete Paul. Der Kerl machte ihn nervös mit seiner ständigen Beobachtung der Tür. Was würde er denn tun, wenn sie wirklich aufging und irgendein Vorgesetzter hereinkäme? »Heil Hitler« rufen und den Arm ausstrecken?
»Hoffentlich kannst du dich noch eine Zeit lang halten.«
»Warum bist du denn so pessimistisch, Egon? Dallmayr ist in München doch eine Institution. Die richtet man nicht einfach so zugrunde. Das würde schon für Aufsehen sorgen.«
»Umso wichtiger wäre es für die, euch auf ihrer Seite zu wissen. Haben sie dir schon ein Angebot gemacht?«, fragte Koller.
»Ich rede nicht mit denen.«
»Du traust dich was! Bist du sicher, dass du dir das leisten kannst?«
Paul nickte zuversichtlich.
»Was macht dich so sicher? Meinst du, euer Kaffeegeschäft beeindruckt sie so, dass sie euch in Ruhe lassen? Wie läuft es denn mit der Rösterei?«
»Hervorragend. Wir haben jetzt schon vier Hausmischungen, und die Kunden sind ganz verrückt danach.«
»Da hast du ja wieder den richtigen Riecher gehabt. Ich habe erst kürzlich die Zahlen gesehen. Letztes Jahr sind über hunderttausend Tonnen Bohnenkaffee nach Deutschland eingeführt worden. Und das Pfund kostet etwa das Zehnfache vom Ersatzkaffee. Um die zwei Reichsmark fünfzig, oder?«
Paul schmunzelte. »Bei uns geringfügig etwas mehr, wie du dir denken kannst. Dafür schmecken unsere Mischungen auch besser als die im Geschäft an der Ecke.«
»Aber mitgebracht hast du mir keinen, du Geizkragen.«
»Entschuldige, Egon, da habe ich wirklich nicht dran gedacht.«
»Na, macht ja nichts. Ein andermal vielleicht. Aber fühl dich nicht zu sicher, Paul. Und halte Augen und Ohren offen. Eine größere Spezlwirtschaft, als wir sie jetzt in der Politik und Verwaltung haben, hat es vielleicht nie zuvor gegeben, glaub mir.« Koller warf wieder einen schnellen Blick zur Tür und lauschte kurz. »Vetternwirtschaft und dazu noch skrupellos. Die Mischung hat es in sich«, behauptete er. »Explosiv wie Dynamit.«
Paul fragte sich, was mit seinem Freund Egon Koller passiert war. Früher hatte er sich doch auch nicht so schnell einschüchtern lassen. Er stand auf.
»Ich muss mal diesen Leiminger in Riem anrufen. Vielleicht kann er seine Brezen und Semmeln zur Wiesnzeit ja an uns liefern. Unser Umsatz ist zwar nicht so hoch wie auf der Theresienwiese, aber unsere echten Wiesnbrezen werden auch sehr gern gekauft.«
»Denk dran, Paul: Nicht mit dem Feuer spielen! Übertreib’s nicht mit deiner Opposition. Diese Leute kennen keinen Spaß.«
»Ich meine es auch gar nicht spaßig«, sagte Paul und verabschiedete sich von Egon Koller. Vorsicht war die eine Sache. Angst eine andere. Und Angst wollte er keine haben.
***
Bald musste er kommen, der Moment, wenn die Landstraße hinter der letzten Kurve den Blick auf das Meer freigab. Elsa fieberte ihm jedes Mal entgegen, wenn sie sich mit Uri auf den Weg nach Haifa machte. Diese Kurve – war sie nun die letzte? Ja, sie war es. Vor ihnen lag das Mittelmeer, und unter ihnen die weite, natürlich entstandene Bucht von Haifa. Die Kreuzfahrer waren die ersten Europäer gewesen, die sie entdeckt und als Hafen genutzt hatten, denn die Einfahrt war leicht und die See ausreichend tief für ihre Segelschiffe. Danach war er über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten, bis die Engländer begannen, den neuen Hafen von Haifa, der bislang nur von einigen kleinen Fischerbooten der Araber genutzt wurde, auszubauen. Nach über zehn Jahren Bauzeit war er vor einem halben Jahr fertiggestellt worden. Er wirkte eigentümlich groß für die Stadt, aber wer wusste schon, wie sie und das ganze Land Palästina sich noch entwickeln würden. Unter ihnen lag jetzt das arabische Wohnviertel Wadi Salib, in dessen Seitengassen oder verwinkelten Hinterhöfen Uri immer eine dieser winzigen Werkstätten fand, in der jemand an seinem Lkw herumschweißen und -reparieren konnte. Das geschah unter viel Palaver und Fachsimpelei zwischen Männern, die sich alle brennend für Motoren, Achsen, Stoßdämpfer und passende Ersatzteile interessierten. Davor fuhr er Elsa zum Hafen und ließ sie dort an der Mole aussteigen. Nach einer Stippvisite bei den Autobastlern würde er sie hier wieder abholen. Hoffentlich zusammen mit Marie. Aber ob ihr Schiff planmäßig in Haifa einlaufen würde, war nicht sicher. Das einzige zivile Dampfschiff, das Elsa unter den militärischen Kreuzern der Engländer ausmachen konnte, war die »Gerusalemme«. Ein Hafenarbeiter, den sie nach dem Schiff fragte, sagte ihr, es käme aus Triest und habe jüdische Einwanderer an Bord. Wegen der Proteste der Araber verringerten die Briten laufend die Kontingente an Flüchtlingen, denen sie Zugang nach Palästina gewährten.
Immer wenn Elsa hier auf das Meer hinaussah, stellte sie sich vor, dass ihre Heimat zwar ganz weit weg, aber doch über dieses Meer zu erreichen war. Die Hafenstadt Triest, von wo die »Gerusalemme« ausgelaufen war, gehörte vor dem Krieg zur Donaumonarchie. Von dort gelangte man am schnellsten nach München. In Gedanken schickte...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2023 |
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Reihe/Serie | Dallmayr-Saga | Dallmayr-Saga |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2023 • Anne Jacobs • Bayerische Geschichte • bestseller saga • buchgeschenk weihnachten • deutsche familienunternehmen • Deutsche Geschichte • deutsche romane bestseller • Die Schokoladenvilla • Die Tuchvilla • eBooks • Familiensaga • Frankreich • Frauenromane • Geschichte München • Historischer Roman • Jeffrey Archer • Kaffeehändler • Liebesroman • Liebesromane • München • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Reihe • Serie • Spiegel Bestseller Autorin • Unterhaltung mit Anspruch • Weihnachtsgeschenke • weihnachtsgeschenke kleinigkeiten • weihnachtsgeschenk für frauen |
ISBN-10 | 3-641-27020-0 / 3641270200 |
ISBN-13 | 978-3-641-27020-9 / 9783641270209 |
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