Allein mit dir in der Unendlichkeit (eBook)
384 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-31340-1 (ISBN)
Sally Rooney für die GenZ
Regan und Aldo könnten unterschiedlicher kaum sein und doch verbindet sie, dass sie sich in diesem Leben seltsam fremd fühlen. Wo ist hier der richtige Platz für sie?
Für Regan sind die Menschen vorhersehbar und unspannend, besonders sie selbst. Sie begegnet der Langeweile des Daseins nach dem Studium, indem sie so impulsiv wie möglich lebt und sich vorstellt, dass jede unüberlegte Entscheidung eine neue, alternative Zukunft für sie schafft.
Für Aldo fühlt sich die Welt beunruhigend chaotisch an. Er übersteht die Tage, indem er sie in strikte Routinen unterteilt, ein beinahe mathematisches Gerüst aus Regeln und Formeln. Ohne sie würde der gesamte Rahmen seiner Existenz zusammenbrechen.
Erst in der Beziehung zueinander finden sie die Sicherheit, nach der sie so lange gesucht haben. Doch die Realität findet immer wieder einen Weg in ihren eigenen, kleinen Kosmos. Und je heftiger die beiden sich ineinander verlieben, desto deutlicher wird, dass die Welt nicht nur aus zwei Menschen bestehen kann.
Olivie Blake liebt und schreibt Geschichten - die meisten davon fantastisch. Besonders fasziniert ist sie von der endlosen Komplexität des Lebens und der Liebe. Sie arbeitet in Los Angeles, wo sie von ihrem Lieblings-Pitbull gnädig toleriert wird. Ihre Fantasy-Trilogie »The Atlas Six« wurde auf TikTok zur Sensation.
In der Mitte des Raums saß ein junger Mann im Schneidersitz auf dem Fußboden. Er zeichnete etwas in ein Notizbuch. Anfänglich wurde Regan eher von seiner Tätigkeit (akribisch) als von seinem Aussehen (von ihrer Position im Türrahmen nicht deutlich zu erkennen) abgelenkt, aber eins führte zum anderen, und schließlich drängte sich ihr unvermeidlich die Schlussfolgerung auf, dass er einen unfassbar schrecklichen Haarschnitt verpasst bekommen hatte. Seine Frisur, ein braun-schwarzer Mopp dicker Locken, war mehr als nur das Ergebnis schlechter Behandlung. In Regans Vorstellung erhob sie sich zu einem institutionellen Versagen: ein Konstruktionsfehler. Immer wieder strich er sich Strähnen aus dem Gesicht, was Regan mehr für eine verärgerte Reflexbewegung als für Angeberei hielt.
In dem Moment, als Regan sich daran erinnerte, dass sie auch da war, trat sie ein paar Schritte vor.
»Verzeihung, aber du kannst hier nicht sitzen«, begann sie zu schimpfen, stockte aber, nachdem sie ihren Gedankengang verloren hatte, als sie die Zeichnungen des jungen Mannes erspäht hatte. Auch aus der Entfernung konnte sie sehen, dass es ein strenges, präzises geometrisches Muster war, von dem Teile schraffiert oder vollständig ausgemalt waren.
Die ganze Figur war mit so gleichmäßigen und überlegten Linien gezeichnet, dass die Kugelschreiberspitze sich in den Papierblock darunter gebohrt hatte, wo sie schwache Furchen hinterließ und das Blatt sich kräuselte.
»Was zeichnest du?«, fragte sie ihn, und er sah auf.
Seine Augen waren von einem Haselnussbraun, das von einem auffallenden Grün überlagert wurde; ein krasser Gegensatz zu seiner Haut. Auch war ihr Blick etwas leer, als hätte er Mühe, seine Aufmerksamkeit von etwas anderem loszureißen.
»Hexagone«, sagte er, und dann: »Du siehst nicht aus wie eine Charlotte.« Sie blickte auf ihr Namenschild. »Ich werde nicht Charlotte genannt. Warum Hexagone?«
»Ich arbeite an etwas.« Er hatte eine interessante Stimme, schärfer als erwartet und auch etwas rauer. Wenn er einen Witz erzählen müsste, so vermutete Regan, würden die meisten Leute im Raum ihn nicht kapieren. »Heißt du überhaupt so?«
»Ja«, erwiderte sie. »Warum sollte ich lügen? Und außerdem«, wiederholte sie, »du kannst hier nicht sitzen.«
»Ich weiß nicht, warum du lügen solltest. Ich weiß nur, dass es nicht richtig zu sein scheint.«
»Warum Hexagone?«, fragte sie erneut.
»Ich versuche, etwas zu lösen.« Diese Antwort war eine Nuance besser als die, die er ihr zuvor gegeben hatte, wenn auch nicht wahnsinnig erhellend.
»Das funktioniert besser, wenn ich etwas mit den Händen mache, und Hexagone sind leicht zu zeichnen. Und relevant. Ich würde rauchen«, bemerkte er nebenbei, »aber ich glaube, das ist hier verpönt.«
»Zigaretten sind total out. Und sie sind schlecht für die Gesundheit. Und du kannst hier nicht sitzen.«
»Das weiß ich. Keine Zigaretten.« Er hob den Kopf und blinzelte irgendwohin, und reflexartig spähte Regan in die gleiche Richtung – hielt Ausschau nach dem, was er sah, was mit ziemlicher Sicherheit nichts war –, bevor sie sich sammelte und ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zuwandte.
»Was versuchst du zu lösen?«, fragte sie.
»Zeitreisen«, antwortete er, und sie blickte erstaunt.
»Was?«
»Also, Zeit. Aber der Eternalismus geht davon aus, dass wir in der Raumzeit zu demselben Ort zurückkehren können«, sagte er, weder geduldig noch ungeduldig. Die gleiche Frage musste ihm schon früher gestellt worden sein, obwohl es ihn anscheinend nur wenig kümmerte, was sie, und wahrscheinlich auch die anderen vor ihr, von seiner Antwort hielten. »Die Leute sind anderer Meinung, aber von einem theoretischen Standpunkt aus betrachtet, kann man dem Gedanken eine gewisse Realisierbarkeit nicht absprechen. Nicht, dass man sich jemals schneller als die Zeit bewegen könnte«, erklärte er ihr, oder der Luft um sie herum, »das ist ausgeschlossen. Man würde in Stücke zerfetzt werden. Aber Wurmlöcher, solche Sachen, das ist um der Argumentation willen plausibel. Die allgemein bekannteste Theorie besagt, dass eine kontinuierliche Flugbahn von Lichtkegeln, falls es sie gibt, kreisförmig wäre, aber das ist höchst unwahrscheinlich. In der Natur gibt es keine perfekten Kreise. Hexagone hingegen kommen recht häufig vor.«
Er riss den Blick von der gegenüberliegenden Wand los und wandte seine Aufmerksamkeit widerstrebend ihr zu.
»Bienen«, sagte er.
»Bienen?«, echote Regan skeptisch.
»Ja, Bienen«, sagte er. »Hexagone. Zeit.«
Er klang nicht verrückt, aber es war auch nicht so, dass er nicht wie ein Irrer geklungen hätte.
»Du glaubst, dass Bienen das Geheimnis der Zeitreise kennen?«, fragte sie.
Das schien er hochgradig unsinnig, vielleicht sogar beleidigend zu finden. »Natürlich nicht. Ihre Gehirne sind nicht dafür geschaffen, Überlegungen anzustellen. Eine nutzlose Evolution«, murmelte er vor sich hin, »aber hier sind wir.«
Er schlug sein Notizbuch zu und stand abrupt auf.
»Wenn du nicht Charlotte genannt wirst, wie dann?«, fragte er.
»Rat mal.«
»Charlie. Chuck.«
»Sehe ich aus wie eine Chuck?«
»Mehr wie Chuck denn wie Charlotte.« Er schien sie nicht aufzuziehen, obwohl sie sich nicht entscheiden konnte, ob dieser Umstand es besser oder schlechter machte.
»Wie heißt du?«, entgegnete sie, und dann, nachdem sie sich eines Besseren besonnen hatte: »Nein, warte. Lass mich raten.«
Er zuckte die Achseln. »Dann mal los.«
»Ernest. Hector. Nein, ich wette, es ist ein total normaler Name wie David«, sagte sie mit unbestimmter Kampflust, »und du kannst ihn nicht leiden, stimmt’s?«
»Nein, das stimmt nicht«, erwiderte er. Und dann: »Wie ist dein Nachname?«
Eigentlich hatte sie nicht die Absicht gehabt, irgendwelche persönlichen Fragen zu beantworten, aber während der vergangenen zwei Minuten hatte er Talent bewiesen, sie auf dem falschen Fuß zu erwischen. »Regan.«
»Aha.« Er schnippte mit den Fingern. »Das ist es. Das ist dein Name.«
»Gibst du mir einen Namen?«
»Nein, aber das ist der Name, den du benutzt«, erwiderte er. »Das ist total entspannt, wie du ihn benutzt. Man kann sehen, wie sich die Variablen zusammenfügen.«
»Das kannst du sehen?«
»Ja«, antwortete er, und es war keine Angeberei. Er sagte es in der gleichen Art, wie er von einer Grippeerkrankung hätte berichten können, und auf eine ähnliche Weise glaubte sie ihm. »Ich bin sicher, andere Leute auch.«
»Dann sag mir, wie du heißt«, forderte sie ihn auf.
»Rinaldo«, erwiderte er.
Sie kniff die Augen zusammen.
»Das ist es nicht«, sagte sie, und seine Mundwinkel zuckten leicht.
»Nein«, sagte er. »Ich werde Aldo genannt.«
Aha. Er hatte recht. Sie konnte den Unterschied hören. »Rinaldo und wie weiter?«
»Damiani.«
»Bist du so italienisch, wie du klingst?«
»Beinahe.«
»Beinahe, aber nicht ganz.« Regan bemerkte seine Gesichtszüge, seine Haarstruktur und Hautfarbe und ordnete ihn gemäß den Schichten der Porträtmalerei in eine Kategorie ein. Eine italienische Herkunft erforderte natürlich ein anderes Pigment als, zum Beispiel, eine nordeuropäische, aber für Aldo, schätzte Regan, würde sie einen noch sehr viel satteren Farbton als selbst die dunkelste Schattierung des mediterranen Olivs benötigen. Wenn sie beabsichtigte, ihn zu malen, was sie nicht vorhatte, wäre noch eine Farbauflage im Sienaerde-Ton erforderlich oder eine ausgeprägt rötliche Glanzfarbe.
»Meine Mutter ist Dominikanerin«, sagte Aldo, was alles erklärte.
»Und sie hatte kein Problem damit, dass dein Vater dir diesen ausgesprochen italienischen Namen gegeben hat?«
»Sie war nicht da, um ihn abzuhalten«, erwiderte er.
Auch das war nüchtern gesagt. Heute ist die Sonne herausgekommen. Seine Mutter hatte ihn verlassen, als er noch ein Baby war. Vielleicht war er eine Art Genie. Er war … schätzte Regan, eins neunundsiebzig, vielleicht eins achtzig. Nicht übermäßig groß, aber gewiss nicht klein. Außerdem trug er eine Menge Leder für jemanden, der gerade in der Waffensammlung eines Kunstmuseums Hexagone zeichnete.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie. »Warum Zeitreisen?«
»Ich bin gern mit einem Langzeitproblem beschäftigt«, antwortete er.
»Was, wie ein Computerprogramm?«
»Ja.« Sie hatte es witzig gemeint, aber er definitiv nicht.
»Bist du so ’ne Art Mathe-Nerd?«
»Eine bestimmte Art Mathe-Nerd, ja.«
Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die oben am Kopf eindeutig zu lang waren.
»Hoffentlich hast du nicht viel Tip für diesen Haarschnitt gegeben«, bemerkte sie. »Er ist nicht sehr gut.«
»Das war mein Vater, als ich das letzte Mal zu Hause war. Er hat nicht viel Freizeit.«
Nun, jetzt kam sie sich wie ein Miststück vor.
»Warum zeichnest du hier drinnen?«, fragte sie.
»Ich mag es hier«, sagte er. »Und ich habe eine Jahresmitgliedskarte.«
Also war er kein Tourist. »Warum?«
»Weil ich es hier mag«, wiederholte er. »Hier drinnen kann ich denken.«
»Es wird doch voll«, hob sie hervor. »Lärmig.«
»Ja, aber es ist die richtige Art Lärm.«
Je länger sie ihn ansah, desto attraktiver wurde er. Er hatte eine interessante Kieferpartie. Er schlief nicht gut, so viel war...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2023 |
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Übersetzer | Carola Fischer |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Alone with you in the ether |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2023 • 2024 • Aldo • Asperger-Syndrom • atlas complex • atlas six • before we were strangers • Bestsellerautorin • Bienen • Bipolare Störung • Booktok • booktok deutsch • BookTok Germany • cleopatra & frankenstein • cleopatra und frankenstein • eBooks • Erste Liebe • Gabrielle Zevin • gen z • Gespräche mit Freunden • Liebesgeschichte • Liebesromane • Love Story • masters of death • Neuerscheinung • normale Menschen • one for my enemy • regan • renee carlino • Roman • Romane • Sadbooks • sally rooney • TBR • The Atlas Six • the things we leave unfinished • tiktok made me buy it • TikTok-Sensation • to be read • tomorrow and tomorrow • weird sad girl |
ISBN-10 | 3-641-31340-6 / 3641313406 |
ISBN-13 | 978-3-641-31340-1 / 9783641313401 |
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