Im Zauber der magischen Steine (eBook)
204 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-8489-5 (ISBN)
Daniela Böhm wurde 1961 in der Schweiz geboren und lebt heute in Bayern. Ein neuer und von Respekt getragener Umgang der Menschen mit der Natur und all ihren Bewohnern ist ihr ein Herzensanliegen, genauso wie das Schreiben. Seit vielen Jahren bemüht sie sich aktiv um eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses Mensch/Tier und bringt das auch auf unterschiedliche Weise in ihren Büchern zum Ausdruck. Als Tierrechtsautorin hat sie seit 2012 zahlreiche Artikel verfasst, schreibt Kolumnen zum Thema Tierrechte und spricht auf verschiedenen Veranstaltungen als Gastrednerin. 2018 gründete sie mit anderen den Verein Ein Licht der Hoffnung e.V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Lebenshöfe in Not zu unterstützen.
Am Siebensilbensee
Mit hängenden Flügeln und gesenktem Kopf saß Kria am Ufer des spiegelglatten Siebensilbensees. Der Himmel spannte sich in weitem Bogen über das Altaigebirge und erstrahlte im leuchtenden Blau des beginnenden Sommermorgens. Die erfüllende Gewissheit eines langen Tages lag in der Luft, und obwohl es noch früh am Morgen war, spürte Kria bereits die wärmenden Strahlen der Sonne auf ihrem weißen Gefieder.
Doch nichts konnte ihr Trost spenden, nicht einmal die Ruhe und Schönheit dieses Ortes, den sie so sehr liebte. Still und ruhig lag der See vor ihr, sein Ufer eingesäumt von den wie Marmor glänzenden Steinen.
Die ganze Nacht hatte sie bedrückt und unruhig auf dem Ast der Fichte vor ihrer Baumhöhle verbracht und an nichts anderes denken können, als das Schicksal ihrer Schwester, welches auf furchtbare Weise besiegelt schien. Araun und die anderen Freunde hatten ihr Mut zugesprochen, auch der große Tamaruk, aber als sie schließlich allein zu ihrer Baumhöhle zurückgeflogen war, hatten sie der Schmerz und die Trauer mit voller Wucht getroffen.
Als die Morgendämmerung angebrochen war, hatte sich Kria entschlossen, zum Siebensilbensee zu fliegen. Sie wusste nicht, ob sie das Orakel befragen sollte, sie hatte nur fortgewollt von ihrem Zuhause. Alles erinnerte sie schmerzvoll an Lila und die gemeinsam verbrachten Stunden in Krias Baumhöhle, seit das Abenteuer mit den sechs magischen Steinen begonnen hatte. Wie lange schien das her …
Obwohl sie es nicht wollte, spürte Kria Wut in sich aufsteigen. Die magischen Steine! Sie waren schuld daran, dass Lila in Tundurkins Gefangenschaft geraten war und die Dunkelheit von ihrer Seele Besitz ergriffen hatte.
Ihr Blick fiel auf den Kristall, der direkt vor ihr lag. „Warum konntest du mir nicht helfen? Und keiner der anderen magischen Steine? Keine List und kein Zauberspruch konnte Lila aus den Fängen der Finsternis befreien! Warum nur?“, stieß sie aufgebracht hervor.
Kria fühlte sich so hilflos wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie, die immer einen klaren und kühlen Kopf bewahrt hatte, selbst in den schwierigsten Situationen. Sie war es gewesen, die ihrer Schwester Kraft gegeben und sie beruhigt hatte, wenn Ängste oder Vorahnungen ihr das Leben zu schwer gemacht hatten. Von Kindheit an war Kria die Besonnenere und scheinbar Stärkere gewesen. Einige Monde bevor ihre Mutter gestorben war, hatte sie zu Kria gesagt: „Gib gut Acht auf Lila. Sie ist die Zartere von euch beiden, auch wenn sie die gleichen Zauberkräfte besitzt. Doch Lila ist verletzlicher, ihre Seele empfindsamer, und sie hat so manche Vorahnung, die sie schwer einschätzen kann. Sie wird deine Stärke immer wieder brauchen.“
‚Es ist meine Schuld!‘, dachte Kria verzweifelt und schloss die Augen. ‚Ich hätte Lilas unheilvolle Vorahnung ernster nehmen sollen! Sie hätte nicht allein mit Terik durch Zeit und Raum in die Eiswüste fliegen dürfen, um den schwarzen Diamanten zurückzubringen. Warum habe ich sie nicht davon abgehalten oder es selbst getan? Warum habe ich sie nicht begleitet?’
Kria begann zu weinen. Wie Regentropfen perlten die Tränen an ihrem Gefieder ab und fielen auf einen der herzförmigen Steine vor ihren Krallen. Er funkelte im Sonnenlicht und plötzlich begann der Stein zu flimmern. Es war ein kaum sichtbares Leuchten, denn es war heller Tag, doch die Luft vibrierte auf einmal, auch die anderen Steine entlang des Ufers begannen stärker zu glänzen. Aus dem magischen Kristall strömten jetzt sanfte Strahlen und bildeten über der Wasseroberfläche sternförmige Muster.
Kria bemerkte von all dem nichts; zu tief war sie in ihrem Schmerz versunken.
Das Wasser des Siebensilbensees kräuselte sich auf einmal, leichter Wind kam auf. Kria spürte die wohltuende Brise, die über ihr Federkleid strich, und genau in dem Augenblick, als sie an das Orakel dachte, vernahm sie seine tiefe Stimme. Vollkommen überrascht öffnete sie die Augen und blickte zum See. Wie war das möglich? Sie hatte dem Orakel noch gar keine Frage gestellt!
„Mächtig ist die Dunkelheit in dieser schweren Zeit.
Doch verzage nicht, vertraue weiterhin dem Licht.
Was deiner Schwester Seele quält, hat sie nicht gewählt.
Doch eines Steines Kraft, nach einer unheilvollen Nacht,
mag das Schicksal wenden und ihr tiefes Leid beenden.“
„Von welchem Stein sprichst du? Wie soll das geschehen? Kann dieser Stein auch die grauen Schattendrachen besiegen?“
Ihre Fragen an das Orakel sprudelten nur so aus ihr heraus, doch nachdem sie eine Weile gewartet hatte und der See wieder spiegelglatt geworden war, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Nun gut, ich weiß ja, dass auch du nicht allwissend bist. Ich bin dir sehr dankbar, denn du hast mir Mut und Hoffnung gegeben, selbst wenn ich keine Ahnung habe, wie Lila zu retten wäre.“
Ein paar Augenblicke blieb Kria unbeweglich in der Morgensonne sitzen, bevor sie den magischen Kristall vorsichtig in ihren Schnabel nahm und an die Lichtung dachte.
***
Im nächsten Moment landete sie dicht neben der großen Zeder, unter der Shazan und der Hüter des Lichts saßen und sie erwartungsvoll anblickten. Sie schienen auf Kria gewartet zu haben.
„Bringst du Kunde vom Orakel?“, fragte der Hüter des Lichts. „Wir waren bei deiner Baumhöhle, doch du warst nicht da. Wir haben vermutet, dass du zum Siebensilbensee geflogen bist.“
Kria nickte. „Ich habe eine Nacht voller Kummer und Sorge hinter mir. Bei den ersten Strahlen der Morgensonne bin ich aufgebrochen. Entschuldigt“, fügte sie hinzu, „ich hätte es euch sagen sollen, schließlich bin ich mit dem magischen Kristall dorthin, um schneller zu sein.“
Der Hüter des Lichts blickte sie verständnisvoll an. „In dieser Situation wäre es auch nicht ratsam, den Kristall unbeaufsichtigt zu lassen.“
„Hat dir das Orakel einen Hinweis gegeben?“, fragte Shazan. Auch er hatte nach dem anstrengenden Kampf wenig Schlaf gefunden; bis tief in die Nacht hatte er seinem Bruder Mimo ausführlich von den Ereignissen in der Eiswüste erzählt, während Terik bereits tief und fest geschlummert hatte.
Kria zupfte sich zunächst ein paar Federn zurecht und wiederholte dann langsam die Worte des Orakels. Schneeweiß glänzte ihr Gefieder im flirrenden Sonnenlicht und ihre mondgelben Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt.
„Immerhin war das Orakel ja hoffnungsvoll“, meinte Shazan. „Doch von welchem Stein redet es? Und was hat das zu bedeuten: ‚Nach einer unheilvollen Nacht‘? Wird dieser Stein auch die grauen Schattendrachen besiegen?“
„All das wollte ich selbst gerne wissen, erhielt aber keine Antworten auf meine Fragen“, antwortete Kria.
„Alle Steine besitzen große Kraft“, sagte der weiße Wolf und blickte sie nachdenklich an. „Meint es den magischen Kristall? Er ist der Stein der weißen Magie, doch wie sollte er Lila retten, wenn Tundurkin doch gerade hinter diesem Stein her ist?“
„Das war auch mein erster Gedanke“, sagte Kria. „Lila steht unter Tundurkins Zauberbann, es braucht ein enormes Maß an Magie, um ihn zu brechen.“
„Genauso könnte jeder andere Stein in Betracht kommen“, warf Shazan ein. „Außer dem schwarzen Diamanten, der unter seinem schrecklichen Einfluss steht.“ Er kratzte sich mit der linken Hinterpfote an der Seite.
„Das ist richtig“, pflichtete ihm der Hüter des Lichts bei. „Die Steine sind kristallisierte Wesenheiten, ihre Kraft und Weisheit ist gewaltig.“
Kria seufzte. „Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass das Orakel in Rätseln spricht und nur Hinweise gibt oder uns warnt.“
„Doch selbst wenn wir sicher wüssten, welcher Stein die Kraft besitzt, um Lila von ihrem dunklen Bann zu befreien: Wie soll das geschehen?“, fragte Shazan. „Hier gibt das Orakel ein noch größeres Rätsel auf!“
„Genauso ist es“, meinte Kria ratlos. „Auf welche Weise wird der Stein das Schicksal wenden? Wie und durch wen?“ Sie stieß einen noch tieferen Seufzer aus. „Je mehr Zeit vergeht, desto stärker ergreift die Dunkelheit von Lilas Seele Besitz. Wir müssen schnell handeln.“
Der Hüter des Lichts blickte Kria aufrichtig und voller Mitgefühl an. „Deine Sorge um Lila ist auch die unsere, doch wir dürfen nichts überstürzen! Das Orakel weiß um die Macht der grauen Drachen: ‚Mächtig ist die Dunkelheit in dieser unheilvollen Zeit.‘ Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sind nach dem Kampf in der Eiswüste geschwächt. Ein unüberlegtes vorschnelles Handeln könnte für unseren Feind zum Vorteil werden.“ Kria senkte den Kopf. Mutlos hingen ihre Flügel herab und der Schmerz um das Schicksal ihrer Schwester erfasste sie erneut mit voller Wucht. Der weiße Wolf hatte recht, das wusste sie, und genauso wusste sie, dass Lilas Seele bereits vollkommen...
Erscheint lt. Verlag | 25.7.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7578-8489-2 / 3757884892 |
ISBN-13 | 978-3-7578-8489-5 / 9783757884895 |
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