John Sinclair 2351 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5250-3 (ISBN)
Als sie erwacht, ist es dunkel in ihrem Schlafzimmer. Eigentlich zu dunkel, denn die Vorhänge stehen offen und es hätte längst Tageslicht durch die Fensterscheiben fallen sollen. Doch der Raum wirkt wie in tiefster Nacht.
Müde und mit schweren Gliedern stemmt Samantha sich hoch. Dann hört sie das Plätschern aus dem Wohnzimmer und das seltsame Summen im Flur. Es sind Geräusche des Waldes - aber die gehören nicht in die sechste Etage einer Großstadtwohnung ...
Im Wald des Verderbens
Von Thomas Williams
Völlig erschöpft machte sich die Krankenschwester Samantha Kraft nach einer langen Nachtschicht auf den Heimweg. In ihrem Apartment angekommen, ließ sie sich sofort aufs Bett fallen und schlief ein.
Als sie wieder erwachte, war es dunkel im Schlafzimmer. Eigentlich zu dunkel, denn die Vorhänge standen offen und es hätte Tageslicht durch die Fensterscheiben fallen müssen. Doch die Schwärze war für die Augen undurchdringlich.
Sie versuchte ihre anderen Sinne zu schärfen und hörte plötzlich seltsame Geräusche und roch einen eigenartigen Geruch von feuchter Erde und etwas Süßem, das sie nicht einordnen konnte. Fast so, als befände sie sich mitten im Wald ...
Während die meisten Bürger der Stadt London sich in den Berufsverkehr stürzten, um zur Arbeit zu kommen, befand sich Samantha Kraft auf dem Weg nach Hause. Nach einer langen Schicht und Überstunden im King George Hospital stand sie mit schmerzenden Füßen und Beinen in der überfüllten U-Bahn. Immer wieder drohten ihre Augenlider zuzufallen.
Samantha lebte in einem Wohnkomplex in Brixton. Von der Haltestation würde sie noch zwei Blocks weit gehen müssen, bevor sie sich zu Hause müde, erschöpft und vor allem hungrig auf ihr Bett werfen konnte. Während ihrer Schicht hatte sie nichts essen können. Dafür war keine Zeit gewesen. Und danach musste sie sich beeilen, um ihre Bahn zu kriegen. Die fuhr zwar alle paar Minuten, doch je länger sie wartete, desto voller wurden die Züge. Schon jetzt gab es keinen freien Sitzplatz mehr, und eigentlich konnte das Samantha nur recht sein. Im Sitzen wäre sie auf der Stelle eingeschlafen und hätte ihre Station verpasst.
Sie sah an den zwei Frauen vorbei, die ihr gegenüber an der Seitenwand des Großraumwagens saßen, und betrachtete sich selbst im Fenster, während der Zug durch einen Tunnel jagte.
In der Spiegelung wirkte sie schrecklich blass, dass sie fast glaubte, ihre Augenringe deutlich sehen zu können. Ihr brünettes Haar hatte sie mit einem Haargummi zum Zopf gebunden, doch einzelne Strähnen hingen zu beiden Seiten an ihrem schmalen Gesicht herab.
Samantha Kraft war Single, denn für einen Freund hatte sie kaum Zeit und seit ein paar Monaten weder Nerven noch Interesse. Der Beruf im Krankenaus fraß sie und ihre Kolleginnen und Kollegen regelrecht auf. Wenn es so weiterging, würde Samantha nach einer anderen Stelle Ausschau halten müssen, doch noch hoffte sie auf eine Besserung. Dass mehr Personal eingestellt wurde oder irgendetwas anderes geschah, um sie und die anderen zu entlasten. Sie wusste, dass das ein sehr dünner Strohhalm war, an den sie sich klammerte. Und doch schien es besser als nichts zu sein.
An ihrer Haltestelle stiegen mehr Menschen hinzu als aus, und so musste Samantha sich durch einen Strom aus Leuten drängeln, die gar nicht daran dachten, sie vorbeizulassen.
Sie war zu müde, um sich noch darüber aufzuregen. Zu Hause wartete ein gemütliches Bett auf sie, und wenn sie geschlafen hatte, konnte sie ein heißes Bad nehmen, frühstücken und ihren einzigen freien Tag in der Woche genießen. Zumindest, solange ihr Handy stillstand, denn es konnte durchaus passieren, dass ihre Station sie wegen eines weiteren Personalausfalls anrief. In diesem Fall würde sie schon bald wieder in der U-Bahn sitzen und ins Krankenhaus zurückfahren.
Sie mochte ihren Job, doch seit einiger Zeit wünschte sie sich, nie damit begonnen zu haben.
Samantha versuchte, positiv zu denken und hoffte, dass das Handy heute einmal stumm blieb. Auf den Straßen herrschte bereits reger Verkehr, Menschen standen an Bushaltestellen, in Cafés und an Zeitungsständen. Samantha nahm das alles nur am Rande wahr. Ihr Kopf schwirrte bereits von dem langen Tag. Den Wohnkomplex zu erreichen, hatte sich selten so gut angefühlt wie heute. Nun musste sie nur noch mit dem Aufzug in den sechsten Stock, und dann war sie fast angekommen.
Die Türen des Lifts öffneten sich, und fast wäre Samantha einfach eingestiegen, als eine protestierende Stimme rief: »Hallo? Darf ich vielleicht erst einmal aussteigen?«
Erschrocken wich Samantha wieder zurück. Sie hatte die andere Frau tatsächlich völlig übersehen, schob es auf ihre Müdigkeit, dachte aber auch an die Menschen an der U-Bahnstation, die sie fast wieder in den Zug gedrängt hatten.
»Tut mir leid. Ich wollte nicht ...« Sie war sogar zu müde, um die richtigen Worte zu finden. »Ich hatte einen langen Tag.«
Sie kannte die Frau nur vom Sehen. Für gewöhnlich grüßten sie einander, wechselten aber sonst kein Wort. Bis heute.
»Den habe ich noch vor mir.« Die Fremde machte einen Schritt vorwärts, und Samantha hielt bereits eine Hand in die geöffnete Tür, damit sie sich nicht schloss. Auch das schien der Frau zu missfallen. Mit gerümpfter Nase sah sie die Krankenschwester von oben bis unten an.
»Vielleicht sollten sie mal etwas mehr schlafen und sich einen Job suchen, statt die ganze Nacht feiern zu gehen. Es ist mitten in der Woche, Herrgott nochmal!«
Müdigkeit hin oder her, das ging Samantha zu weit. Mit lauter werdender Stimme erwiderte sie: »Ich arbeite als Krankenschwester. Hoffen Sie besser, niemals als meine Patientin eingeliefert zu werden, denn vielleicht entschließe ich mich in dem Augenblick, feiern zu gehen!«
Fast hätten ihr die Worte leidgetan, doch sie war zu wütend, um es zu bereuen. Beim Betreten des Fahrstuhls rempelte Samantha die Frau unbeabsichtigt an. Die bekam keinen Ton mehr heraus und starrte Samantha mit offenstehendem Mund nach, während sich die Tür schloss.
»Na, hören Sie mal ...«, hörte Samantha sie doch noch fluchen, aber da war die Tür bereits geschlossen und die Kabine setzte sich mit einem leisen Brummen in Bewegung.
Von nun an würden ihre flüchtigen Begegnungen mit dieser Frau wohl anders ablaufen.
Als sie im sechsten Stock ausstieg, stand bereits der nächste Nachbar bereit, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Diesmal blieb es zum Glück bei einem flüchtigen Gruß.
Samanthas Wohnung lag am Ende eines langen Flurs. Es roch nach Zigaretten, die in den anderen Apartments geraucht wurden. Zwar gab es Fenster im Gang, aber in den paar Jahren, die Samantha hier wohnte, hatte noch nie eines offen gestanden.
Sie hatte ihr Apartment fast erreicht, als die davorliegende Tür geöffnet wurde und jemand in den Flur blickte.
Nicht jetzt, dachte Samantha, wissend, was sie nun erwartete. Ich will doch einfach nur meine Ruhe ...
Der ihr entgegentretende Mann war zehn Jahre jünger als sie, ließ sich einen dünnen Bart stehen und trug wie immer eine bunte Schirmmütze auf dem Kopf. Sie konnte den Fernseher in seiner Wohnung hören. Den Geräuschen nach schaute er wieder eine seiner Animeserien.
»Samantha«, sagte er, als hätte er gar nicht mit ihr gerechnet, und sie fragte sich, wie, zum Kuckuck, er sie bemerkt haben konnte. Ständig fing er sie ab, ganz gleich, wie leise sie sich bewegte. Dabei war er nie unfreundlich oder aufdringlich, sondern suchte lediglich das Gespräch mit ihr. Wenn er in sie verliebt war oder irgendwelche Absichten hegte, zeigte er das ziemlich schlecht.
»Kommst du von der Arbeit oder gehst du zur Arbeit?«, fragte er mit einem Lächeln. Sogar zu dieser Uhrzeit wirkte er hellwach. Er trug ein schwarzgelbes Baseballtrikot mit dem Emblem von Batman auf der Brust. Seine Kappe zierte das Zeichen der Ghostbusters.
»Ich komme gerade nach Hause, und ich bin wirklich müde. Also nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich ...«
»Viel los im Krankenhaus, hm?«
»Ja ...«
»Ja, ich habe auch viel zu tun. Ich muss noch drei Videos schneiden und die Tage alle hochladen. Hast du inzwischen mal reingeguckt?«
»Ich hatte nicht wirklich Zeit ...«
»Ist ja nicht schlimm. Die laufen nicht weg. Aber vielleicht ist ja was dabei, das dich interessiert. Ich durfte letztens wieder zwei Pressevorführungen besuchen. Die Filme waren super, aber ich darf noch nicht verraten, welche es waren.«
»Aha ...«
»Okay. Nur so viel. Einer handelt von Superhelden.«
»Welch eine Überraschung.«
»Der andere war ein Horrorfilm.
»Das ist toll. Aber ich würde jetzt wirklich gerne ...«
»Was hast du denn in letzter Zeit geguckt?«
»Ich hatte da gar keine Zeit für.«
»Aah, das tut mir leid. Aber vielleicht findest du ja was, was dir gefällt, wenn du meine Videos guckst. Über dreihunderttausend Zuschauer weltweit können sich nicht irren.«
Samantha unterdrückte ein Seufzen, setzte ihr überzeugendstes, falsches Lächeln auf und sagte: »Ich bin gespannt. Wir sehen uns, Rick.«
Damit ging sie an dem jungen Mann vorbei. Sie wusste, dass er ihr nachsah. Sogar dann noch, als sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, denn erst Sekunden später schloss er seine eigene.
Tief ausatmend ließ sie die Tasche und ihr Schlüsselbund auf eine Kommode im Flur fallen, zog sich die Schuhe und den...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2023 |
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Reihe/Serie | John Sinclair |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Academy • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horrorthriller • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-5250-1 / 3751752501 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5250-3 / 9783751752503 |
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