Tagebücher aus Südwestafrika 1904-1905 (eBook)
184 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-6112-7 (ISBN)
Prof. Dr. med. Dr. phil. h. c. Otto Dempwolff (1871-1938) war ein deutscher Arzt und Sprachwissenschaftler. Dempwolff war tätig als Schiffsarzt auf Passagierschiffen zwischen Europa und Südamerika, als Arzt in Papua-Neuguinea und als Stabs- bzw. Oberstabsarzt der deutschen Schutztruppen in Afrika. Zeitweise arbeitete er unter Robert Koch in der Malariaforschung. Als Sprachwissenschaftler wurde er bekannt mit seinen Studien über austronesische und afrikanische Sprachen. Nach seiner ärztlichen Tätigkeit leitete er als nb. ao. Professor das Seminar für Indonesische und Südseesprachen an der Universität Hamburg.
Feldlager bei Okaharui 9.V.04.
Am 3. Mai war die 4. Comp., ein Gebirgsgeschütz u. ein Maschinengewehr von Otjisasu nach Okatumba als Avantgarde vorausgeschickt u. hatte Oviumbo, Katjapia frei vom Feinde gemeldet.
Am 4. vormittags rückten wir in der Stärke von etwa 700 Mann nach: 1. Comp., 2. Comp. u. (in der Nacht erst aus Okahandya angekommene) 6. Comp. der Sch.tr. beritt. u. 4 Masch.gew. 2. Batt. (4 Gebirgsgeschütze) u. 3. Batt. (4 moderne 96 Geschütze), dazu pro Truppenteil 1 Eselskarre u. als Sanitätsmaterial 2 Ochsenkarren aus. Bagage in 1. Staffel 15 Ochsenwagen u. in 2. Staffel 21 Ochsenwagen folgten unter Bedeckung von der 2. Comp. Mar. Inf. zu Fuss u. von je einem älter. Geschütz. Führer der Expedition: Major von Estorff, dem Hptm. Bayer vom grossen Generalstab u. Hptm. Oertzen als Artillerieführer beigegeben sind.
In Okatumba, 10 km ndl. von Otjisasu blieben wir bis zum 5/5; liessen dort beide Staffeln u. rückten als Gros weiter nordwärts. Mittagsrast gegenüber Katjiapia, dicht hinter unserem Gefechtsfeld vom 13/4 bei Oviumbo, wo die nicht geborgenen 4 Leichen u. dazu die von uns beerdigten 3 wieder ausgegraben als Gerippe von Schakalen und Hyänen benagt herumlagen. Sie wurden wieder bestattet, u. Estorff hielt eine kurze, vorzügliche [48] Ansprache über das Thema: „kein schönrer Tod ist in der Welt, als wer vorm Feind erschlagen, in dürrer Haid auf weitem Feld darf nit hören gross Wehklagen“. [Schon von dem Gefechtsfeld bei Okandjira am (9/4) hatten unsere Patrouillen berichtet, dass die Gräber eröffnet, den Toten die Kleider geraubt, u. die Gebeine umhergeworfen waren. Und für diese Leichenschänder erwärmt sich Bebel u. ein Teil des deutschen Volkes! Es ist keine reine Freude mehr Deutscher zu sein. Als Gegenstück dazu: bei Okandjira waren 2 uralte Weiber u. 1 Kind in der geräumten Werft zurückgeblieben; diese wurden von uns gefüttert, bekamen Tabak (das Kind war von Hptm. Franke persönlich gepäppelt worden), u. schliesslich, wie wir nach Otjisasu zogen, wurden die 3 zu den ihrigen laufen gelassen, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmt war.]
In Oviumbo sahen wir mit Kummer, dass 300 m vor unserer letzten Stellung der dichte Busch aufhörte u. eine freie Fläche weites Schussfeld bot. Der Mangel an Terrainkenntniss hatte uns in die Falle gehen lassen. Lehre: Aufklärungsdienst verschärfen! [49]
Am Nachmittag des 5. zog das Gros nach Otjikuoko u. bezog Lager zu beiden Seiten des Swakop. Unterwegs hatten wir vom Okakangoberg Signale blitzen sehen, (wir führen überall Heliographen mit, die nachts von Acetylenlampen bedient werden) u. machten uns Gedanken, ob die Hereros das auch schon nachgeahmt hätten, wie sie die ihnen von Glasenapp in die Hände gefallenen Raketen schon prompt benutzt haben, ohne uns aber irre zu führen. Es war aber eine unserer eigenen Patrouillen. Estorff sorgt gut für Aufklärung, aber es gehört zu seinen Eigentümlichkeiten, dass er seine Officiere über seine Absichten u. Operationen im Unklaren lässt: so braucht er auch keine Missgriffe einzugestehen. Ein älterer Hptm. citierte über ihn: „Mancher hat durch ernstes Schweigen / und durch würdevolle Art / das Geheimnis seiner Dummheit / bis an seinen Tod bewahrt.“ Aber ein eigenes Urteil über Estorff habe ich noch nicht, u. komme auf meine Vermutungen zurück, dass seine so übel kritisierten Unternehmungen im März durch Kränklichkeit beeinflusst waren.
Am 6. blieben wir in Otjikuoko, die 1. Staffel wurde nachgezogen u. traf nachts um ½ 2 ein. Vorher um 7 Uhr gab es bösen Alarm. Von 2 [50] Gefangenen (Hereros), die den uns begleitenden Rehobother Bastards anvertraut waren, riss einer aus. Die ihm nachgesandten Kugeln gingen in der Dunkelheit in unsere eigenen weidenden Pferde, erschossen eins, verwundeten ein zweites u. jagten die anderen so durcheinander, dass 240 Tiere (Pferde u. Maulesel) in die Nacht hinein wegliefen. Bis auf etwa 50 sind sie bisher wiedergefangen, aber diese Arbeit hielt uns so auf, dass wir erst am 7. abends weiter hierher konnten, wo schon die Avantgarde seit dem 5. abends liegt; ja die Geschütze haben erst gestern, am 8. abends hierher nachkommen können, da gerade ihre Esel bis fast nach Otjisasu zurückgelaufen waren. Übrigens war dieses Ereignis ein experimenteller Beweis, dass um uns alles von Hereros geräumt ist: sonst hätten sie uns wohl die meisten Tiere abgetrieben. Das u. derartige Vorfälle können uns ganz lahm legen, genau so wie es den Engländern gegangen ist, wenn ihnen die Maultiere von den Buren in die Berge gejagt wurden.
Also am 7. u. 8. bezogen wir hier in Okaharui Lager. Hierher kommt heute die 2. Staffel nach, die uns bis etwa zum 18. Proviant bringt. Die leeren [51] Wagen sollen zurück gehen, um Nachschub zu holen. Jetzt sickert über die Lage etwa Folgendes durch: Alle grösseren Abteilungen der Herero unter allen ihren Häuptlingen sind am Omuramba u. Omatako versammelt, etwa mit dem Waterberg als Centrum. Wir folgen ihnen mit der Tendenz, sie von Osten abzuschneiden. Die Hauptabteilung – 1000 Mann – braucht bis Ende Mai zur Organisation u. geht dann westlich des Omuramba nordwärts. Eine Nordabteilung – 250 Mann – soll in diesen Tagen von Karibib aus auf der alten Pad über Omaruru, Outjo, Otavi nach Grootfontein gehen, um dort zum 1. Juni den Omuramba abzusperren. Abteilung von Glasenapp ist ausser Aktion gesetzt, Abteilung Puder räumt zurückgebliebene kleine Hereroabteilungen in 60 km Umkreis um Windhuk auf. Das Marine Expeditionskorps wird nach Hause gezogen. Neue 1100 Mann füllen seine Lücken auf, bezw. bleiben an der Bahnlinie als Reserve, als „Schwamm“. – Ganz nett so weit auf dem Papier, wenn uns nur die Herero den Gefallen tun zu warten, bis wir sie eingekesselt haben. Doch „erstens kommt es anders u.s.w.“ [52]
Wir befinden uns auf einem Plateau von 1400 m Meereshöhe, noch im Gebiet des zum Atlantic abwässernden Swakop. Morgen, wenn wir nach Onjatu kommen, werden wir im Quellgebiet des zum indischen Ocean abwässernden Omuramba sein; und dicht dabei liegt auch die Wasserscheide zum Eisep, der abflusslos in das Binnenbecken der Kalahari führt. 2 km östlich vom Lager auf einem sanften Höhenzug ist unser Heliographenposten aufgestellt. Ich war gestern früh oben: man hat eine wundervolle Rundsicht: im Süden die Kuppen um Otjisasu, im Südosten die Gipfel der Onjatiberge, im Osten eine einzelne Kuppe (Daobis??), im Nordwesten das Zwillingspaar der Omatakoberge [etako heisst Gesäss, Plural omatako die Arschbacken – naturalia non sunt turpia], im Südwesten die Okamungutaklippen – u. bis an diese blauen Höhen heran in sanften Wellen eine grüne, dicht dornbuschbestandene Hochebene – ein schönes Land voll jagdbaren Wildes, wert darum zu kämpfen. Eine Stunde von uns liegt das Gefechtsfeld vom Ostersonntag [53] (ich war selbst nicht dort), wo die Kolonne Glasenapp 1 Off. 30 Mann verloren hat. Es soll ein Kampf um die Bagage gewesen sein, bei dem der Führer derselben, Hptm. Fischel, gegen den Einspruch seiner Officiere Befehl zum Rückzug gegeben habe, ohne die Verwundeten mitzunehmen. Es heisst, man habe ihn vor ein Kriegsgericht stellen wollen, aber vorgezogen, ihn als „nervös“ heimzusenden. Die Wahrheit werden wir wohl noch mal hören, aber nicht aus den amtlichen Berichten, denn in Variation eines Scherzes aus den „lustigen Blättern“ wird hier im Orlogslatein gesagt: mundus vult decipi = der Generalstabsbericht.
Die Nächte sind bitterkalt (+3 °C) u. der Rum (anderen Alkohol kennen wir nur vom Hörensagen) geht zur Neige. Liebesgaben wollen auch nicht eintreffen, für die Buren sind 8 Millionen gesammelt, nach China gingen Schiffsladungen voll Delikatessen, aber uns, die wir wirklich übel dran sind, behandelt unser Vaterland stiefmütterlich. Nun, wir werden auch so fertig werden. Der Gesundheitszustand ist gut; Typhus bei uns erloschen, aber wohl neu zu erwarten, da wir jetzt an denselben Stellen lagern, wo die typhusdurchseuchte [54] Ostabteilung ihre Keime gelassen hat. Malaria nur sporadisch, wenn einer sich vor der Chininprophylaxe gedrückt hat, keine andere Seuche, nur Rheuma, Dornrisse, Durchfälle ohne Bedeutung. Mir selbst geht’s immer unverdient gut, wie ich in einem kombinierten Feldtelegramm heute nach Hause melden will: K0006.07.29.48 d. h. „Befinden fortgesetzt gut. Bin im Inneren, kann in nächster Zeit keine Nachrichten schicken. Seid ohne Sorge. Gruss.“ – Das alles kostet nur 9 Mark.
An alle, die diese Tagebuchnotizen – die früheren ebenso u. die etwa folgenden – zu Gesicht bekommen, sende ich beste Grüsse u. richte die nie oft genug zu wiederholende dringende Bitte, aus diesen Aufzeichnungen von Eindrücken nichts in weitere Kreise oder gar in die Presse dringen zu lassen.
Otto Dempwollf. [55]
Feldlager in Okamatangere 26/5 04.
Einige Aufzeichnungen über das vorgestrige Gefecht – mein viertes – ehe die Eindrücke sich verwischen.
Am 20. hatte es in Otjosondu gehiessen, wir würden dort bis zum 22. bleiben. Am frühen Morgen des 21. wurde aber schneller Aufbruch befohlen, weil in der Nacht...
Erscheint lt. Verlag | 6.4.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-7519-6112-7 / 3751961127 |
ISBN-13 | 978-3-7519-6112-7 / 9783751961127 |
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Größe: 5,2 MB
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