Maria Callas (eBook)
367 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962181-4 (ISBN)
Arnold Jacobshagen, geb. 1965, ist Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Nach dem Studium in Berlin, Wien und Paris promovierte er 1996 an der Freien Universität Berlin. Er begann als Musikdramaturg am Staatstheater Mainz und war von 1997 bis 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth am Forschungsinstitut für Musiktheater. Arnold Jacobshagen zählt zu den weltweit renommiertesten Forschern zur Operngeschichte.
Arnold Jacobshagen, geb. 1965, ist Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Nach dem Studium in Berlin, Wien und Paris promovierte er 1996 an der Freien Universität Berlin. Er begann als Musikdramaturg am Staatstheater Mainz und war von 1997 bis 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth am Forschungsinstitut für Musiktheater. Arnold Jacobshagen zählt zu den weltweit renommiertesten Forschern zur Operngeschichte.
Callas heute
Leben
1 New York
2 Athen
3 Aufstieg
4 Italien
5 Zenit
6 Gegenwind
7 Rückzug
8 Abschied
Kunst
1 Stimme
2 Interpretation
3 Spiel
4 Team
5 Rollen
6 Studio
Mythos
1 Biographik
2 Liebe
3 Märchen
4 Diva
5 Medien
6 Opfer
Callas morgen
Anhang
Anmerkungen
Literaturhinweise
Abbildungsverzeichnis
Rollenverzeichnis
Auswahldiskographie
Zeittafel
Personenregister
Danksagung
1 New York
2. August 1923. Als die Eheleute Evangelia und George Kalogeropoulos mit ihrer sechsjährigen Tochter Yakinthi auf einem Passagierschiff in den Hafen von New York einliefen, war Evangelia bereits im fünften Monat schwanger. Die wochenlange Überfahrt hatte ihr sichtlich zu schaffen gemacht. Nach dem frühen Tod ihres zweiten Kindes Vasily hatte George seine Familie ziemlich überstürzt zur Auswanderung nach Amerika bewogen. Er folgte dem Beispiel zahlloser griechischer Landsleute, darunter dem eines befreundeten Arztes namens Leonidas Lantzounis, der kurz zuvor in New York eingetroffen war.
Bei der Ankunft in der damals größten und modernsten Stadt der Welt sprachen die Kalogeropoulos kein Wort Englisch. Selbst in alltäglichen Belangen waren sie auf die Hilfe von Lantzounis angewiesen. Er besorgte ihnen eine kleine Mietwohnung in der Sixth Avenue Nr. 87 im Stadtteil Astoria im Bezirk Queens. Das auch als ›Little Athens‹ bekannte Viertel wurde überwiegend von griechischen Migranten bevölkert. »Manche Dinge hatten sich kaum verändert: Wir sprachen weiterhin Griechisch und lebten unter griechischen Einwanderern, so dass unser großes Abenteuer an einem fernen Ort deutlich eingeschränkt war«, wird Yakinthi (Jackie) später berichten.1 George musste sich jahrelang mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, solange er noch kein englisches Sprachzeugnis besaß.
Evangelia, die von allen ›Litza‹ genannt wurde, blieb mit Yakinthi zu Hause und sah ihrer nächsten Entbindung entgegen. Sehnsüchtig wünschte sie sich einen Sohn, der an die Stelle Vasilys treten sollte. Schließlich brachte sie am 2. Dezember 1923 im eleganten Beaux-Arts-Gebäude des Fifth Avenue Hospital ihre zweite Tochter zur Welt. In der Geburtsurkunde Nr. 49149 des State of New York lauten die beiden Vornamen Sophie und Cecelia, von Maria oder Mary ist noch nicht die Rede.2 Der Familienname wurde zu ›Kalos‹ vereinfacht, woraus sich mit der Zeit die amerikanisierte Schreibweise ›Callas‹ ergab. Erst mehr als zwei Jahre später wurde das Kind am 28. Februar 1926 in der griechisch-orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit in New York auf die Namen Anna Maria getauft. Das kleine amerikanisch-griechische Migrantenmädchen stand vor der schwierigen Herausforderung, irgendwo im Nirgendwo zwischen Sophia Cecelia Anna Maria Kalos und Maria Kalogeropoulou, zwischen New York und Athen, zwischen den allmählich auseinanderdriftenden Kräften ihrer konfliktreichen Familie eine eigene Identität zu entwickeln – eine Herausforderung, die sich als folgenreich und lebenslänglich erweisen sollte.
Marys Taufpaten waren Leonidas Lantzounis sowie ein weiterer befreundeter Arzt, Dr. Karouzos.3 »Wenn man ein Kind über das Taufbecken hält, so ist man auch ein ganzes Leben lang für dieses Kind verantwortlich«, berichtet Lantzounis:
Als Methodios Kourkoulis – er war damals unser Priester – Mary ins Taufwasser tauchte, schien sie das sehr zu genießen. Sie planschte herum und wollte gar nicht mehr herauskommen. Ich erinnere mich noch genau. Es machte ihr auch nichts aus, als man ihr das heilige Öl aufs Haupt strich, und sie ließ es auch bereitwillig zu, als man ihr gemäß unserer Tradition die Locken schnitt. Aber sie schrie mörderisch und tobte, als man ihr das Taufgewand überstülpte.4
Momentaufnahmen wie diese vermitteln das Bild einer geborgenen frühen Kindheit. Lantzounis jedenfalls kam seiner Verantwortung als Taufpate für dieses besondere Kind uneingeschränkt nach. Er blieb ein Leben lang der wichtigste Ansprechpartner von Maria Callas in New York und war gegen Ende ihres Lebens der wichtigste Adressat ihrer Briefe.
Die gesellschaftliche Herkunft dieser griechischen Mittelschichtsfamilie war provinziell geprägt: »Meine Mutter, Evangelia Dimitriadou, aus einer Soldatenfamilie stammend, kommt aus dem Norden Griechenlands, während mein Vater, ein Bauernsohn, in Meligala auf dem Peloponnes aufwuchs«, schreibt Maria Callas in ihren Memoiren mit der ihr eigenen Mischung aus Understatement und kritischer Distanz.5 Tatsächlich hatte sie aus der Rückschau keinen Anlass, ihr Elternhaus und ihre Kindheit zu verklären.
Allerdings waren die Verhältnisse, denen sie entstammte, nicht ganz so bescheiden, wie es zunächst den Anschein hat. Die Familie der Mutter war für damalige Verhältnisse recht wohlhabend und verfügte über Landbesitz in der Gegend von Stylida in Mittelgriechenland, den ihr Großvater am Ende seiner militärischen Laufbahn als Oberst erworben hatte.6 »George Kalogeropoulos kam aus einer ärmeren Familie als wir«, unterstreicht auch Evangelia Callas stolz in ihren eigenen, allerdings nicht immer zuverlässigen Memoiren.7 Doch auch die ›Bauernfamilie‹ des Vaters war weder völlig kulturfern noch unvermögend – andernfalls hätte sich George gewiss nicht zum Studium der Pharmazie in Athen niederlassen und sodann seine eigene Apotheke in der Heimatstadt Meligala eröffnen können. Es war weit und breit die einzige Apotheke in dieser ländlichen Region. Die Familie besaß ein großzügiges Haus und beschäftigte mehrere Bedienstete. Materielle Not dürfte also kaum den Ausschlag für die Emigration gegeben haben.
Die Ausreise war mutmaßlich ohne das Mitwissen seiner Frau geplant worden: George teilte ihr seinen Entschluss erst mit, nachdem er bereits das Wohnhaus mit der Apotheke verkauft und die Tickets für die Überfahrt gebucht hatte.8 »Eines Morgens hörte ich meine Mutter hysterisch schreien, dann begann mein Vater, die Türen zu knallen, und unsere Hausangestellten machten sich so schnell wie möglich aus dem Staub«, sollte Marys ältere Schwester später berichten. »Allmählich tauchte das Wort Amerika in meinem Bewusstsein auf – und dann standen plötzlich überall Kisten und Kartons herum.«9
Über die plötzliche Emigration der Familie Kalogeropoulos und ihre privaten Beweggründe ist viel spekuliert worden. Evangelia warf George beständig eheliche Untreue vor. Später behauptete sie sogar, er habe die Tochter des Bürgermeisters von Meligala geschwängert und sei daher gezwungen gewesen, mit der Familie die Flucht zu ergreifen.10 Angesichts der beengten Verhältnisse einer Kleinstadt von rund 2000 Einwohnern wäre ein so folgenreicher Ehebruch zweifellos ein plausibles Auswanderungsmotiv. Maria Callas, die damals noch gar nicht auf der Welt war, liefert in ihren Memoiren eine andere, versöhnlichere Erklärung: »Wahrscheinlich wären sie dort geblieben, hätten sie nicht ihren einzigen Sohn, Vasily, verloren, als er drei Jahre alt war. Dieser Schmerz machte meinen Vater unstet, er wollte weit weg von dem Ort, an dem sein Sohn starb, und so entschloss er sich, nach Amerika auszuwandern.«11
Nicht zuletzt dürfte aber auch die dramatische politische Situation in Griechenland eine Rolle gespielt haben. 1923 erreichte die Wirtschafts- und Flüchtlingskrise nach dem Ersten Weltkrieg einen neuen Höhepunkt. Die bereits seit 1914 anhaltende Vertreibung und Vernichtung der griechischen Bevölkerung aus Kleinasien hatte sich während des Griechisch-Türkischen Krieges (1919–22) nochmals drastisch verschärft. Weit über eine Million Geflüchtete waren Anfang der zwanziger Jahre in Griechenland eingetroffen. Nach der Niederlage der griechischen Armee im August 1922 war es in Anatolien erneut zu entsetzlichen Massakern an der griechischen Zivilbevölkerung gekommen, die in der Brandschatzung der christlichen Viertel von Smyrna (Izmir) kulminierten. Dem damals sechzehnjährigen Aristoteles Onassis, von dem noch die Rede sein wird, gelang im Herbst 1922 die abenteuerliche Flucht von Smyrna nach Buenos Aires, zahlreiche Mitglieder seiner Familie wurden indessen ermordet. In Griechenland kam es im September 1922 zum Staatsstreich, König Konstantin I. musste ins Exil nach Großbritannien fliehen, führende royalistische Politiker seiner Regierung wurden hingerichtet. Zur Lösung des ethnischen Konflikts beschloss die Friedenskonferenz von Lausanne im Januar 1923 eine Konvention über den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch, alle türkischen Staatsangehörigen griechisch-orthodoxer Religion und alle griechischen Staatsangehörigen muslimischer Religion zwangsweise in das jeweils andere Land abzuschieben. Damit wurden die bereits vollzogenen Vertreibungen und Verbrechen an der griechischen Bevölkerung Kleinasiens nachträglich legitimiert.
Gewiss, das provinzielle Meligala war von den Brennpunkten dieser Schrecknisse weit entfernt. Doch die Katastrophe von 1922 und die menschlichen Tragödien der nicht abreißenden Flüchtlingsströme nach Athen waren dem Ehepaar Kalogeropoulos schmerzlich bewusst. Die meisten Verwandten Evangelias lebten...
Erscheint lt. Verlag | 8.9.2023 |
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Zusatzinfo | 38 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Aristoteles Onassis • Belcanto • Bellini • Biografie • Biographie • Buch Maria Callas • Die Stimme der Leidenschaft • Diva • Giovanni Battista Meneghini • griechische Sängerin • Ikone • Klassische Musik • Literatur Klassische Musik • Literatur Maria Callas • Literatur Sängerin • Maria Callas Biografie • Maria Callas Biographie • Maria Callas Diät • Maria Callas Geschichte • Maria Callas Herkunft • Maria Callas jung • Maria Callas Kinder • Maria Callas Künstlerbiografie • Maria Callas Künstlerinnenbiografie • Maria Callas Schlankheitskur • Maria Callas Sirmione • Maria Callas Sohn • Maria Callas Todesursache • Maria Callas Ursprung • Musikerbiografie • Musikerbiographie • Mythos • Oper • Operngeschichte • Opernsängerin • Primadonna • Sopranistin • Test • TEST2 • Verdi • Was weiß man über Maria Callas • Wer ist Maria Callas • Woher kommt Maria Callas |
ISBN-10 | 3-15-962181-2 / 3159621812 |
ISBN-13 | 978-3-15-962181-4 / 9783159621814 |
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