Das Haus Zamis 69 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5459-0 (ISBN)
Der Schatten bebte, veränderte seine Konturen. Etwas drang daraus hervor. Kam auf mich zu. Ich saß wie gelähmt in meinem Bett. Konnte mich nicht rühren. Nicht einmal schreien. Meine Brust wurde schwer. Ein dunkler Ton summte in meinen Ohren. Wie das Brummen eines riesigen Insekts. Die Schwärze kam näher. Waren es Finger, die gierig nach mir tasteten? Ein kalter Hauch an meinem Hals. Entsetzen packte mich. Noch immer war ich zu keiner Regung fähig, konnte auch meine magischen Sinne nicht einsetzen ...
Stimmt Georgs Vermutung? Gibt es einen »Maulwurf« innerhalb der Zamis-Familie, der den Oppositionsdämonen Interna aus dem engsten Familienkreis verrät? Coco bleibt nicht sehr viel Zeit, darüber zu spekulieren, denn unvermutet meldet sich ihre Mutter Thekla in Wien zurück. Doch sie hat sich auf seltsame Weise verändert ... Abermals werfen die Schatten der Vergangenheit ihr finsteres Netz über die Zamis-Sippe. Die Ereignisse gehen zurück auf das Jahr 1939: Georg verlässt Wien und tritt seine »Grand Tour« an. Seine erste Etappe führt ihn ausgerechnet nach Asmoda, in das Schloss der Gräfin Anasthasia von Lethian ...
3. Kapitel
Asmoda, 1939 (Georg)
Das Schloss bot keine Überraschungen. Es entsprach zumindest auf den ersten Blick allen Klischees einer düsteren, verwunschenen Burg. Dunkle Mauern erhoben sich majestätisch und Ehrfurcht gebietend über mein Haupt, als wir durch das Burgtor traten.
Das Schloss verfügte sicher über unzählige Zimmer. Hinzu kamen die üblichen Nebengebäude, Stallungen, eine ehemalige Wachstube, ein früheres Gesindehaus. Was nun dort untergebracht war, erfuhr ich nicht. Mir fiel jedoch sofort auf, dass alles reichlich verfallen und heruntergekommen wirkte. Ob Vater gewusst hatte, in was für eine Bruchbude er mich schickte? Dennoch ließ ich mir meine Enttäuschung nicht anmerken. Die Gräfin wies mich in den Garten. Dort sollte ich mich von der Reise ausruhen, während sie noch einige Angelegenheiten zu erledigen hatte. Dienstpersonal sah ich keins.
Die Schlossherrin wies mir den Weg zum Gartentor in der Schlossmauer. Angespitzte Eisenpfähle bildeten ein Halbrund unter einem Torbogen, gehalten von eisernen Querbalken. Kleine Tierschädel umschlossen die Kreuzverstrebungen als Dekoration. Vermutlich stammten sie von Füchsen, Mardern oder Wieseln.
Etwas an dem Anblick irritierte mich. Erst als ich näher trat, erkannte ich, was nicht stimmte. Die Schädel wirkten nicht wie drapiert oder zusammengesetzt, sondern als seien die Stangen hindurchgetrieben worden, ja, sogar durchgewachsen, denn ich konnte keine Bruchstellen in den bleichen Knochenplatten finden. Quietschend öffnete sich die Gittertür und zeigte mir einen staubigen, ausgedörrten Pfad in ein Labyrinth aus wild wachsenden, übermannshohen Rosenbüschen. Die Rosen standen in voller, dunkelroter Blüte. Genauso rot wie der Lippenstift der Gräfin.
»Geh nur, sieh dich satt«, hörte ich ihre düsterschöne Stimme sagen. Kühle Fingerspitzen strichen über meinen Nacken. Doch als ich mich umdrehte, war die Schlossherrin verschwunden. Und mit ihr mein Koffer.
Ich wandte mich wieder dem Garten zu. Obwohl der Anblick wunderschön war, strömten die Gewächse einen süßlichen, unangenehmen Duft aus.
Ich brauchte mehrere Minuten, bis mir klar wurde, dass er mich an Moder erinnerte. Da bemerkte ich auch die vielen toten Insekten, die an den Dornen klebten, ja sogar Sperlinge, Eidechsen und Feldmäuse hingen in den Sträuchern in verschiedenen Stadien der Verwesung.
Der Geruch betäubte meine Nase, aber der Anblick ließ mich kalt. Es war nicht erstaunlich, dass viele Hexen und andere Mitglieder der Schwarzen Familie, Pflanzen den Vorzug gaben, die ebenso wie ihre Besitzer eine Gier nach Blut und qualvollem Töten durchströmte.
Die Rosen jedoch mussten ihrer Größe und Dicke nach zu urteilen Jahrhunderte alt sein. Dass der Garten je eine Heckenschere gesehen hatte, wagte ich zu bezweifeln. Irgendwo hinter den Hecken schimmerte ein verwittertes Gebäude hervor. Anscheinend ein Pavillon. Ihn wollte ich aufsuchen.
Je tiefer ich in den Garten eindrang, umso schmaler wurde der Pfad. Immer öfter musste ich mich vorsichtig an überhängenden Ranken vorbeimogeln, wollte ich nicht mit zerkratzten Händen und zerrissenem Hemd von diesem Spaziergang zurückkehren.
Immer wieder schimmerte zwischen den Hecken das Dach des Pavillons hervor, aber obwohl ich dem gewundenen Weg weiter und weiter folgte, kam ich ihm nicht näher. Ab und an führten Trampelpfade durch die lebenden Mauern. Sie sahen aus wie Wildwechsel, als ob größere Tiere das Areal durchstreiften. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was für lebensmüde Viecher sich hierher wagten. Ich hatte bisher keinen einzigen Kadaver gesehen, der größer war als eine Eidechse.
Rechts von mir hörte ich ein leises Keuchen, unterbrochen von einem unterdrückten Schluchzen. Das war die helle Stimme eines Kindes. Eines ängstlichen Kindes.
»He«, rief ich halblaut, um die Person auf der anderen Seite des Rosenbuschs nicht unnötig zu erschrecken. »Was ist denn los?«
Das Schluchzen erstarb.
»Hallo?«, fragte ich weiter. »Kannst du sprechen?«
»Wer bist du?«, antwortete eine Jungenstimme verschüchtert.
»Ein Besucher«, gab ich zurück.
»Du bist der Junge vom Bahnhof, oder?«, fragte die Stimme von der anderen Seite der Hecke.
»Du hast mich gesehen?«
»Ja. Es kommen nicht oft Leute her.«
Ich verkniff mir das »Kein Wunder«, das mir auf der Zunge lag. Stattdessen sah ich mich nach einem gangbaren Weg durch das Gesträuch um. Zum Glück erspähte ich nicht weit von mir einen Trampelpfad, der hoffentlich auf die andere Seite führte. »Warte. Bleib, wo du bist, ich bin gleich bei dir.«
Als ich endlich aus dem Dornengestrüpp herauskroch, waren meine Unterarme um ein paar Striemen reicher. Aber wenigstens blutete ich nicht.
Der Junge erwartete mich. Sein Blick verriet Angst. Er musterte mich neugierig, sah sich aber immer wieder um. Seine nackten Füße scharrten im Staub. Er trug eine kurze, mehrfach geflickte Hose und ein von häufigem Waschen ergrautes Hemd. Die Hosenträger spannten an den Schultern. Eigentlich war ihr Besitzer herausgewachsen.
Der fremde Junge war wahrscheinlich ein paar Jahre jünger als ich, aber zwei Köpfe größer. Ich war seit meiner Flucht aus dem brennenden Haus meiner Ziehfamilie in Berlin nicht einen Fingerbreit mehr gewachsen. Auf den ersten Blick sah ich noch immer aus wie ein Sieben- oder Achtjähriger.
Da mir die Atmosphäre des Gartens nichts ausmachte, betrachtete ich den Jungen freimütig. Während seine linke Hand mit dem Saum seiner Hose spielte, verbarg die rechte etwas hinter dem Rücken. Ich tat so, als fiele mir nichts auf.
»Ich bin Georg. Und du?«
»Mischa.«
Ich beschloss, Mischas Unruhe für mich zu nutzen und zu erfahren, was ihn hierhergetrieben hatte. Freiwillig schien er ja nicht an diesem Ort zu sein. »Was machst du hier?«, fragte ich und lächelte mein unschuldigstes Kinderlächeln.
»Ich hab mich verlaufen.«
»Du bist im Schlossgarten«, half ich freundlich aus.
»Weiß ich«, zischte er. Erneut sah er sich um.
»Wartest du auf jemanden?«, erkundigte ich mich höflich.
Er schüttelte den Kopf. »Kannst du mir den Ausgang zeigen?«
»Wir könnten ihn gemeinsam suchen«, schlug ich vor.
Er nickte.
Hinter mir knackten Rosenranken.
Mischa blickte über meine Schulter und begann zu schreien.
Wien, Gegenwart (Coco)
Die merkwürdige Anzeige in der Zeitung fiel niemandem auf. Außer mir. Da stand mein Name. Coco Zamis. Wenn man die zweiten Buchstaben der Werbeanzeige des Taubenzüchters Vult Rimari von oben nach unten las, funktionierte es ebenso wie diagonal rückwärts. In beiden Fällen war dort eindeutig mein Name zu lesen. Ich rief die Nummer an, die als einzige Kontaktmöglichkeit unter der Anzeige angegeben war. Dort war jedoch nur eine standardisierte Bandansage zu hören.
Den ganzen Abend und die Nacht verbrachte ich im Schein meiner Nachttischlampe mit der Werbeanzeige und dem Telefon. Ich hatte ja eine ausreichende Portion Schlaf bekommen und fühlte mich nicht im Geringsten erschöpft. Aber selbst wenn ich alle Wörter auf der Zeitungsseite rückwärts oder senkrecht las oder alle »E»s und »U»s strich oder die Häufigkeit bestimmter Buchstaben zählte, mehr als meinen eigenen Namen konnte ich in der Anzeige nicht finden.
Wenigstens wurde ich nicht gestört. Vater hatte Georg für weitere Befreiungspläne eingespannt. Mich hatte er dabei außen vorgelassen. Das war mir nur recht. Ich fragte auch nicht nach. Sollten die beiden doch annehmen, dass ich schmollte. Die Uhr im Wohnzimmer kündigte bereits die vierte Morgenstunde an, als ich entnervt aufgab und noch einmal zum Telefon griff.
Ich lauschte der belanglosen Ansage vom Band. Fünfmal. Zehnmal. Zwanzigmal. Dreißigmal. Es wurde langweilig. Fünfunddreißigmal. Die Eintönigkeit der Automatenstimme war besser als Laudanum. Vierzig-irgendwas. Ich hatte aufgehört, mitzuzählen. Nachdem ich mindestens eine Dreiviertelstunde sinnlos ein Tonband in mein Ohr hatte plärren lassen, gab ich auf. Ich wollte gerade die Verbindung beenden, da knackte es in der Leitung. Eine Taube gurrte. Das war der Gipfel der Frechheit, ein schlechter Scherz. Ich legte auf.
Doch das Gurren dauerte an. Erstaunt hob ich den Kopf und sah zum Fenster. Es stand auf Kippe, um ein wenig Frischluft hereinzulassen. Das Gurren kam eindeutig von draußen.
Ich ging näher.
Nachts um vier war unser Garten wie alle anderen auch in Dunkelheit getaucht. Ich vermutete, dass der Vogel in den Zweigen eines Haselbusches in der Nähe meines Fensters hockte. Erst als ich gegen die Scheibe klopfte, verstummte das Tier.
Dann sah ich die Bewegung. Ein kleiner, fetter Schatten glitt aus den Haselzweigen zu meinem Fenster hoch, flog direkt in meine Richtung, zielte genau auf mich. Instinktiv zuckte ich zurück. Doch das dumpfe Pochen des Vogelköpfchens auf Glas blieb aus. Stattdessen ertönte ein einzelner Schmatzlaut, als der Schatten...
Erscheint lt. Verlag | 6.6.2023 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-5459-8 / 3751754598 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5459-0 / 9783751754590 |
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