Danzig (eBook)
560 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-28607-1 (ISBN)
Johanna ist glücklich. Der Aufbau der neuen Forster-Werft auf dem Strohdeich vor den Toren von Danzig schreitet gut voran. Ihr Ehemann Berthold und sein Sohn aus erster Ehe, Pawel, arbeiten voller Tatendrang am ersten Schiff, das schon bald zu Wasser gelassen werden soll. Auch Johanna drängt darauf, sich mehr in die Geschäfte der Werft einzubringen. Inzwischen schätzen Berthold und Pawel ihre zupackende Art, aber als Frau hat sie sehr zu ihrem Missfallen immer noch wenig zu entscheiden. Außerdem geht ihr Pawel weiterhin aus dem Weg. Er kann nicht vergessen, was beim Brand der Lagerhalle in Neufahrwasser geschehen ist ...
Und einem ist Johannas Erfolg nach wie vor ein Dorn im Auge: ihrem Bruder. Theodor intrigiert gegen sie, wo er kann, und versucht Johanna und der Werft immer weitere Steine in den Weg zu legen. Als es zu einem Eklat bei der ersten Schiffstaufe kommt, steht nicht nur der Ruf des jungen Schiffsbauunternehmens auf dem Spiel, auch Johannas Ehe wird einer Zerreißprobe ausgesetzt ...
Die große Danzig-Saga im Überblick:
1. Danzig. Tage des Aufbruchs
2. Danzig. Zeiten des Sturms
3. Danzig. Jahre der Freiheit
Hilke Sellnick ist eine der erfolgreichsten Autorinnen im deutschsprachigen Raum. Ihre historischen Romane erscheinen unter Pseudonym, begeistern Hunderttausende Leser*innen und stehen immer wieder an der Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Die neue Danzig-Trilogie im Penguin Verlag ist ein Herzensprojekt, welches sie unter ihrem Klarnamen veröffentlicht. Darin erzählt sie die mitreißende Geschichte einer jungen Frau, die im ausgehenden 19. Jahrhundert gegen alle Widerstände eine Werft aufbaut und für ihre Liebe kämpft.
Theodor
Er hat einen festen Schlaf und erwacht erst, als Luise ihn am Arm zerrt. Was sie dabei flüstert, ist nicht zu verstehen, weil es in Ächzen und Stöhnen untergeht.
»Was ist denn?«, murmelt er schlaftrunken.
Dann kommt er zu sich und begreift. Das Kind! Sie bekommt ihr Kind. Er springt in panischem Schrecken aus dem Bett und läuft barfuß in den Flur.
»Traude! Frau Döppel!«, brüllt er heiser.
Oben in den Dienstbotenkammern des alten Danziger Handelshauses regt sich nichts; wenn es darum geht, mitten in der Nacht die Hebamme zu holen, sind die Angestellten schwerhörig. Zumal draußen Schnee liegt und eisige Februarkälte den Atem gefrieren lässt.
Wütend hämmert der Herr des Hauses gegen die Tür, hinter der sein Bruder Ernst schläft. »Steh auf! Luise ist in den Wehen! Nun mach schon!«
Aus dem ehelichen Schlafzimmer ist deutlich Luises Ächzen zu vernehmen. Es macht ihm Angst. Seine Ehefrau hat mehrere lebensgefährliche Fehlgeburten erlitten, eigentlich hätte sie – so die Warnung des Arztes – nicht mehr schwanger werden dürfen. Es ist aber doch geschehen, und Gott hat es gefügt, dass sie das Kind dieses Mal ausgetragen hat. Nur: Wird sie die Geburt überleben? Luise ist zart, der starke Blutverlust bei den Fehlgeburten hat sie jedes Mal an den Rand des Todes gebracht.
Sein jüngerer Bruder scheint es nicht eilig zu haben, aus dem Bett zu steigen. Ungeduldig nimmt Theodor das Nachtlicht von der Flurkommode, reißt die Tür von Ernsts Schlafzimmer auf und leuchtet hinein. Natürlich – da liegen beschriebene Papierbögen auf dem Tisch, und die heruntergebrannte Kerze steht daneben. Er hat wieder die halbe Nacht lang an seinen überflüssigen Traktaten geschrieben. Ernst sieht sich als großer Literat – was für ein Unsinn!
»Hast du nicht gehört? Zieh dich an und hol die Hebamme herbei!«
»Wieso denn ich?«, knurrt es verschlafen hinter den Bettvorhängen. »Ist es vielleicht mein Kind?«
Wut überkommt Theodor. In letzter Zeit erlaubt sich Ernst Frechheiten, die er sich früher dem älteren Bruder gegenüber nicht herausgenommen hätte. Es scheint, dass ihm seine Verlobung mit der reichen Reederstochter Annemarie Jonkers zu Kopf gestiegen ist; schließlich bringt sie nützliche Geschäftsverbindungen zur Reederei ihres Vaters mit sich.
»Soll ich dir Beine machen?«, brüllt Theodor und nähert sich drohend dem Bett. Er hat keine Hemmungen, dem jüngeren Bruder die Decke wegzureißen und ihn an den Haaren aus den Kissen zu zerren.
»Ich gehe, gnädiger Herr!«, ertönt es da hinter ihm.
Ein Licht ist im Flur aufgetaucht, doch die nachtgewandete Gestalt ist weder Traude noch die Wirtschafterin. Es ist Danuta, die ein wollenes Tuch um die Schultern gelegt hat.
»Nein!«, bestimmt Theodor. »Du nicht.«
Das fehlte noch, dass ausgerechnet Danuta bei Nacht und Kälte durch die Stadt läuft und vielleicht gar überfallen wird. Soll Traude oder die Döppel sich die Beine erfrieren. Mag Ernst sich kalte Ohren holen. Danuta ist eine Weile Bedienstete in diesem Haus gewesen, aber nun ist sie die Mutter seines heiß geliebten kleinen Söhnchens Christian, ihr darf nichts geschehen.
»Aber Ihre Frau braucht eine Hebamme, gnädiger Herr!«, jammert Danuta. »Sie ist zart, und die Geburt wird alle ihre Kraft kosten …«
Mit einem Fluch steigt jetzt Ernst aus dem Bett und reißt sich die Schlafmütze vom Kopf, mit der er seine »Künstlerlocke« vor nächtlicher Zerzausung schützt.
»Raus aus meinem Zimmer!«, schimpft er. »Ich ziehe mich an. Leg mir Theodors Pelz zurecht, Danuta! Und die gefütterten Stiefel!«
»Na endlich!«, sagt Theodor befriedigt.
Dann steigt er die Dachbodentreppe hinauf, um den beiden Angestellten Feuer unter dem Hintern zu machen. Aufstehen. Lampen anzünden. Den Ofen im Schlafzimmer heizen. Wasser abkochen. Den Imbiss für die verfressene Hebamme richten. Tee zubereiten. Sich zur Verfügung halten. »Verdammt noch mal! Wenn euch eure Stellung lieb ist, dann sputet euch!«
Die beiden sind schon angekleidet. Natürlich haben sie seinen Ruf vorhin gehört, aber schlau, wie sie sind, haben sie abgewartet und gehofft, nicht in die Kälte hinausgeschickt zu werden.
»Zu Diensten, gnädiger Herr«, schwatzt die Wirtschafterin übereifrig und knickst vor ihm. »Ich musste nur das Kleid überziehen, kann doch nicht im Hemd vor dem gnädigen Herrn erscheinen …«
Die Döppel ist klein und stämmig, aber hässlich wie die Nacht; die Vorstellung, sie im Hemd zu sehen, ist nicht angenehm. Auch das Hausmädchen, die magere, schmalbrüstige Traude, ist keine Schönheit. Er schickt sie zu Luise, die Wirtschafterin Frau Döppel macht sich derweil in der Küche zu schaffen.
Er selbst wird das Eheschlafzimmer vorläufig nicht betreten. Dort ist er fehl am Platz, Geburten und Ähnliches sind Frauenangelegenheiten, geheimnisvolle Vorgänge voller düsterer und erschreckender Details, von denen ein Mann nichts zu wissen braucht. Er wartet im Flur, bis Traude wieder herauskommt.
»Nun?«, fragt er.
»Sie hat Wehen, gnädiger Herr …«
»Das weiß ich. Und sonst?«
»Es wird wohl noch dauern. Wenn die Hebamme da ist, wissen wir mehr.«
»Kümmere dich um sie!«
»Natürlich, gnädiger Herr …«
Er bleibt noch einen Augenblick im Flur stehen, um zu lauschen. Als Luises Ächzen und Jammern wieder vernehmbar ist, steigt das unbehagliche Gefühl in ihm auf, dass er selbst an diesen Leiden nicht unschuldig ist. Schließlich hat er seinen Vorsatz, keinen ehelichen Beischlaf mehr zu pflegen, nicht eingehalten.
Sie hat es so gewollt, beruhigt er sich. Mehr noch: Es war ihr sehnlichster Wunsch, und immerhin hat sie das Kind dieses Mal ausgetragen. Was gebe ich auf das Geschwätz von Dr. Sternberg? So Gott will, wird Luise einen gesunden Sohn zur Welt bringen und ihn aufwachsen sehen.
Es ist kalt in dem ungeheizten Flur, und da er nichts weiter tun kann, um die Dinge zu befördern, zieht er sich in die Kammer zurück, die er selbst als Kind bewohnt hat und die jetzt für Gäste zur Verfügung steht. Es ist eng dort, weil man verschiedene Dinge abgestellt hat, um sie aus dem Weg zu haben, außerdem sind Laken und Kissen des Bettes vor Kälte klamm, sodass er eine Weile braucht, um einschlafen zu können. Dann jedoch schlummert er tief und fest.
Erst gegen Morgen zur gewohnten Zeit erwacht er. Es ist noch dunkel, im Haus herrscht Totenstille. Er setzt sich im Bett auf und spürt die eisige Kälte, die sein Nachthemd durchdringt. Niemand hat ihn geweckt, um ihm eine Mitteilung zu machen, das kann nichts Gutes bedeuten. Beklommen steht er auf und ruft nach Traude, damit sie ihm seine Kleider bringt.
»Wie geht es meiner Frau?«
»Sie schläft, gnädiger Herr.«
»Sie schläft? Ist das Kind denn geboren?«
»Nein, gnädiger Herr. Die Wehen haben wieder aufgehört. Die Hebamme hat kräftig gefrühstückt, dann ist sie heimgegangen, weil es wohl noch eine Weile dauern wird. Wir sollen ihr Nachricht geben, wenn die gnädige Frau wieder Schmerzen bekommt.«
Was für eine Enttäuschung! Die ganze Aufregung umsonst, die Kosten für die Hebamme, die sie ohne Zweifel einfordern wird, für nichts und wieder nichts. Wieso hat eine Gebärende Wehen und dann wieder nicht? Ist die Geburt eines Kindes nicht ein Geschäft, das man so eilig wie möglich hinter sich bringen sollte? Aber Luise war schon immer unzuverlässig …
Draußen auf der Langen Gasse ist jetzt das Kratzen der Schneeschaufeln zu hören, ein Fuhrwerk rasselt vorüber, das Geräusch der Pferdehufe klingt dumpf auf dem verharschten Schnee. Er wartet, bis die Wirtschafterin einen Krug mit warmem Wasser bringt, dann wäscht er sich, rasiert sich und kämmt sorgfältig das Haar über die kahle Stelle in der Schädelmitte, die er sich beim Brand seiner Halle im vergangenen Jahr eingehandelt hat. Auch seine Hände sind betroffen. Zum Glück hat er alle Finger behalten, aber an den Innenflächen gibt es einige Stellen, die er mit Salbe bestreichen muss, weil die geheilte Haut empfindlich und nicht mehr elastisch ist. Es stört ihn, weil er nicht mehr gut zufassen kann und ihm oft Dinge aus den Händen gleiten, auch muss er sich vorsehen, dass er wichtige Schriftstücke nicht mit der Salbe besudelt. Dennoch ist er – alles in allem – recht glimpflich bei diesem verheerenden Feuer davongekommen. So mancher »gute Freund« oder Bekannte in Danzig hat Theodor Berend wohl schon auf dem Friedhof gesehen und darauf gewartet, dass das alteingesessene Handelshaus in Konkurs ging. Aber er hat sein Unternehmen über diese Katastrophe hinweggesteuert. Einige letzte Verbindlichkeiten, die man ihm gestundet hat, sind noch abzutragen, aber er hat die Fristen so gut es ging eingehalten, und der Getreidehandel, zu dem er endlich Zugang gefunden hat, lässt auf wachsende Gewinne hoffen. Noch ist die Mottlau zugefroren, was die Schifffahrt behindert. Aber die Kälte kann ja nicht ewig dauern, spätestens in zwei Wochen ist der Danziger Hafen wieder eisfrei. Oben in Neufahrwasser, wo die Weichsel in die Ostsee mündet, können die Schiffe anlegen; seine Lagerhalle käme ihm jetzt sehr zupass. Aber die liegt noch als Brandruine im Sand, und es hat sogar geheißen, dass sich diebisches Volk an seinen Backsteinen bedient hätte. Wie ärgerlich das alles ist!
Beim Frühstück ist er zunächst allein, weil Ernst wieder einmal verschlafen hat. Das gibt ihm Zeit, über die Ungerechtigkeit der Welt nachzugrübeln, die einem kriminellen Mistkerl erlaubt, aus purem Rachedurst eine Lagerhalle voller Holz in...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2024 |
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Reihe/Serie | Die Danzig-Saga der Bestsellerautorin | Die Danzig-Saga der Bestsellerautorin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • Anne Jacobs • Bestseller 2024 • Danzig • eBooks • Familiensaga • Fenja Lüders • Frauenromane • historische familiensaga • Historische Romane • Historischer Roman Bestseller • historischer Roman Frauen • Liebesromane • Lisa Graf • Miriam Georg • mutige Frauen • Neuerscheinung • Ostsee • Ostsee-Saga • Tuchvilla |
ISBN-10 | 3-641-28607-7 / 3641286077 |
ISBN-13 | 978-3-641-28607-1 / 9783641286071 |
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