Die Wahren Bastarde (eBook)
656 Seiten
Panini (Verlag)
978-3-7569-9998-9 (ISBN)
Jonathan French ist der Autor der Autumn's Fall Saga und der Geteilte Lande-Trilogie. Sein Debütroman The Exiled Heir wurde 2012 bei den Georgia Author of the Year Awards als bester Erstlingsroman nominiert. Als engagierter und energiegeladener Redner leitete Jonathan diverse Podiumsdiskussionen auf Fan-Messen wie der DragonCon, der TimeGate und der CONjuration. Kürzlich hatte er das Vergnügen, in einer Episode der Webserie Retroblasting als Berater für die kulturellen Auswirkungen des Dungeons & Dragons-Franchise präsentiert zu werden. Jonathan wohnt derzeit mit seiner Frau und seinem Sohn in Atlanta.
Jonathan French ist der Autor der Autumn's Fall Saga und der Geteilte Lande-Trilogie. Sein Debütroman The Exiled Heir wurde 2012 bei den Georgia Author of the Year Awards als bester Erstlingsroman nominiert. Als engagierter und energiegeladener Redner leitete Jonathan diverse Podiumsdiskussionen auf Fan-Messen wie der DragonCon, der TimeGate und der CONjuration. Kürzlich hatte er das Vergnügen, in einer Episode der Webserie Retroblasting als Berater für die kulturellen Auswirkungen des Dungeons & Dragons-Franchise präsentiert zu werden. Jonathan wohnt derzeit mit seiner Frau und seinem Sohn in Atlanta.
23
Augenweide saß neben Stummklotz, bis er starb.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange es dauerte. Als der letzte zitternde Atemzug in seinem gebrochenen Körper rasselte, war der Schlamm auf Weides Haut verkrustet, ihre Stiefel waren trocken, die Wunden an ihren Schultern geronnen. Die Kerze im Hinterzimmer der Apotheke war mehrmals ausgetauscht worden – einmal von Bekir, ein anderes Mal von Feger. Vielleicht auch ein drittes Mal.
Nachdem Stummklotz ins Haus gebracht worden war, hatten sie ihn so gut es ging gewaschen, aber das Blut und der Dreck machten es unmöglich, seine Wunden zu sehen. Jeder feuchte Lappen enthüllte eine weitere Wunde, einen weiteren freigelegten Knochen. Was auch immer geschehen war, es war schnell und brutal gewesen. Die Wachen auf der Mauer hatten gesehen, wie er ein Schwein in den Hof geführt hatte. Als sie nur wenige Minuten später zurückkamen, lag er am Boden.
»Er konnte nicht um Hilfe rufen«, hatte Weide einem der Kerzenlieferanten zugeraunt.
Irgendwann während ihrer hilflosen Nachtwache war Honigwein hereingekommen und hatte ihr gesagt, Faulpelz sei am Leben und wach. Seine Verletzungen würden heilen.
»Gut«, war alles, was sie als Antwort herausbrachte.
Die guabische Frau, die als Teilsiegs Apothekerin gedient hatte, war nach dem Untergang der Brennerei in die Stadt zurückgekehrt, aber die Hungersnot hatte ihren alternden Körper strapaziert. Sie war im letzten Winter gestorben und hatte damit jegliche Hoffnung, Stummklotz wiederherzustellen, mit sich genommen. Die Regale in ihren Räumen waren ohnehin fast leer. Was nützten ein paar Kräuter und Salben gegen einen eingeschlagenen Schädel? Das war der Moment, in dem sie wussten, dass es hoffnungslos war. Fegers Rasierlappen hatte das Grauen offenbart. Als Schlamm und Blut entfernt waren, lag das Hirn des armen Mischlings frei. Auf der anderen Seite des Tischs hatte die Witwe des Gerbers weiter die Wunde unter Stummklotz’ Rippen genäht, aber ihre Hände waren nicht mehr so flink wie früher.
Weide hatte Xhreka holen lassen. Die Halblingsfrau hatte nur ihr einziges Auge zusammengekniffen.
»Ich weiß, wie man Zähne zieht und Knochen richtet. Dinge, die ich in der Grube aus der Not heraus gelernt habe. Das hier … Ich bin keine Heilerin. Ich glaube auch nicht, dass es eine Rolle spielen würde, wenn ich es wäre.«
Sie war nicht lange geblieben, nachdem sie ihre Worte ausgesprochen hatte.
Stummklotz bekam ein paar Mal vor dem Ende einen Anfall. Der erste schreckte Augenweide aus ihrer zusammengesunkenen Starre auf dem Hocker neben seiner Pritsche auf. Einen Moment lang dachte sie, er sei vielleicht zu sich gekommen. Das war das Schlimmste: Sie fürchtete, er könnte in schrecklichen Qualen erwacht sein, wusste nicht, was sie tun sollte, fragte sich, ob sie sein Leiden beenden sollte, nur um festzustellen, dass sie keine Waffe hatte. Zweifellos waren einige der Kräuter, die von den Dachsparren hingen, giftig, aber sie hatte keine Ahnung, welche. Sie würde ihn ersticken müssen, ihm Nase und Mund zuhalten. All das ging ihr in einem einzigen, verdammten Augenblick durch den Kopf. Neben diesen düsteren Gedanken keimte die Hoffnung auf, dass er lange genug wach sein würde, um ihr etwas über das Geschehene zu erzählen.
Es war eine lächerliche Hoffnung. Dieser stumme Mischling, der keinen Laut von sich gab, selbst wenn er von Krämpfen geplagt wurde, erzählte ihr durch Gesten eine Geschichte, die sie bereits kannte.
Der erste Anfall endete. Weitere folgten, schwächer, in immer größeren Abständen. Weide machte sich nicht die Mühe, zu zählen. Warum war keiner der anderen Bastarde mit ihr hier drin, um in seiner letzten Stunde bei ihrem Bruder zu sein?
Ach, richtig. Sie hatte ihnen befohlen, sie in Ruhe zu lassen. Befohlen mit einem Schrei und einem geschleuderten Hocker. Dieser Hocker? Nein, der andere war an der Wand zerschellt. Feger hatte den, auf dem sie jetzt saß, zusammen mit der neuen Kerze gebracht. Der Kerze, die jetzt ein glühender Stummel war. Das Fleisch von Stummklotz und das Wachs hatten eine ähnliche Farbe und Beschaffenheit. Das konnte sie in dem schwindenden Licht sehen.
Und dann kam der letzte Atemzug, die Luft, die eindrang und nicht mehr herauskam, gefangen im Moment des Todes. Stummklotz sah nicht friedlich aus. Sein Gesicht war immer noch schmerzverzerrt und gezeichnet. Augenweide saß weiter da und starrte auf diese gequälte Maske, bis die Kerze erlosch.
Auf steifen Beinen stehend, die Füße voller stechender Ameisen, streckte sie in der Dunkelheit die Hand aus und berührte den Arm ihres gefallenen Reiters. Beinahe hätte sie die Worte gesagt, aber sie waren irgendwie zu vulgär, also ließ sie sie in ihrer Kehle verwelken.
Nichts zu sagen, war besser. Das hätte auch Stummklotz getan.
Draußen im Hauptraum fand Augenweide Feger, die mit einem Stück Käse und einem halben Becher Wein auf einem Tablett wartete. Weide nahm den Wein, trank ihn in einem Zug aus, stellte den Becher ab und zeigte müde auf den Käse.
»Nimm du ihn.«
»Honigwein sagte mir, dass du das sagen würdest«, antwortete Feger leise mit gesenktem Blick. »Er sagte, ich solle darauf bestehen.«
»Du hast dich gerade erst von der Krankheit erholt, Feger. Iss.«
Es entstand eine Pause. Langsam stellte Feger das Tablett auf einem Tresen ab, auf dem früher Kräuter gemahlen wurden. Sie hob den Käse hoch und riss ihn in zwei Teile.
»Ich esse die Hälfte«, sagte sie und hielt Weide eins der Stücke hin.
»Verdammt.« Weide atmete ein und nahm es.
Sie kauten schweigend und zogen den Genuss jedes Bissens in die Länge.
»Ist er tot?«, fragte Feger schließlich.
Augenweide seufzte. »Ja.«
»Ich … werde ihn noch besser säubern. Bevor du … bevor …«
»Nicht nötig. Die Rotte wird es tun.«
Feger gab einen leisen Laut der Zustimmung von sich, bevor sie das Tablett in die Hand nahm. Sie blieb einen Moment stehen, hielt es in der Hand und schaute darauf hinunter, bevor sie zur Tür hinausging.
Weide blieb zurück und wünschte sich um alles in der Welt, sie müsste sich nicht dem stellen, was sie außerhalb der niedrigen Räume der Apotheke erwartete. Aber sie hatte sich lange genug hier versteckt, und ihr Grund zum Bleiben wurde immer kälter.
Draußen war es tiefe Nacht. Der Regen hatte aufgehört und die Luft war kühl. Uidal stand an der Tür. Weide hatte ihn geschickt, um Honigwein und Vollkorn zu suchen und ihnen zu befehlen, sich mit ihr auf den Mauern zu treffen. Die Abgeschiedenheit ihres Privatgemachs lockte, aber Teilsieg wurde belagert. Die Aufgaben nahmen kein Ende, für niemanden. Und jetzt fehlte ihnen ein Mann, ein guter Mann. Da konnte man genauso gut auf einem Posten stehen und Berichte hören.
Weide stieg die Treppe hinauf, erreichte das obere Ende der Palisade und ging bis zur Südwand. Dort blieb sie stehen, und zwar aus keinem anderen Grund als dem, dass sie dort am weitesten von den Schweineställen entfernt war.
Vollkorn kam als Erster und trug Weides Waffen. Ohne ein Wort zu sagen, übergab er sie.
Augenweide zog die Augenbrauen hoch, als sie die Katare sah. »Ich bin überrascht, dass die überlebt haben. Sie steckten noch in Waisenmädchen, als …«
»Ich habe sie aus dem Dreck gefischt«, sagte Vollkorn. »Ich dachte, du wärst verrückt, weil du dich geschnitten hast und so, aber es hat funktioniert.«
»Ich glaube nicht, dass ich das war, Vollkorn. Dieses Geräusch, dieser … Schrei. Nein. Das war nicht ich.«
Das Dreiblut schnitt eine Grimasse. »Was dann?«
»Niemand hat etwas gesehen?«
»Nicht ich, nicht die anderen. Was immer die Sau getötet hat, hat keine Spuren hinterlassen. Wenn du es nicht warst, dann war es vielleicht das, was sie verzaubert hat … die Zeit lief ab.«
»Möglich«, sagte Weide, aber sie war nicht überzeugt.
Honigwein schloss sich ihnen an.
»Hast du es ihr gesagt?«, fragte er und sprach an Weide vorbei mit Vollkorn, der nur den Kopf schüttelte.
»Mir was gesagt?«
»Kürbis ist weg«, sagte Honigwein. »Er sagte, diese Rotte sei verflucht. Er sagte …«
Weide hielt eine Hand hoch. Mehr brauchte sie nicht zu hören.
»Er wird nicht der Letzte sein«, stellte sie fest und starrte in das schattenverhangene Brachland.
»Keiner von uns wird irgendwohin gehen«, polterte Vollkorn. »Es sei denn, du befiehlst es.«
»Du hast verdammt recht, dass ich es befehle. Wir werden verdammt noch mal verschwinden. Niemand kann mehr etwas dagegen tun.« Es war die kalte Wahrheit, und sie fühlte sich wie eine Fotze, weil sie es gesagt hatte, aber da Klotz tot war, hatte Iltis keine Mehrheit mehr. Weide deutete mit ihrem Kinn über die Umzäunung. »Wir sind da draußen besser dran. Hier drinnen, da hat Kürbis recht, sind wir verflucht.«
Sie blieben eine Weile stehen, alle drei.
Honigwein brach das Schweigen. »Wie hat Feger es aufgenommen?«
Weide sah zu ihm hinüber und kniff die Augen zusammen.
»Stummklotz«, sagte Honigwein etwas zögerlich.
Und dann ging Weide ein Licht auf. Sie machte ein angewidertes Geräusch, das gegen sie selbst gerichtet war. »Scheiße … ich bin eine Fotze.«
»Du wusstest es nicht«, sagte Vollkorn und versuchte, tröstend zu klingen, was ihm nicht gelang.
Weide stützte sich mit den Ellbogen zwischen den Palisadenpfählen ab, ließ ihre Stirn auf dem rauen Holz ruhen und schüttelte den Kopf.
Sie hatte es wirklich nicht...
Erscheint lt. Verlag | 22.4.2023 |
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Reihe/Serie | Die Geteilten Lande |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Ardor Benn-Saga • Ardor Benn-Trilogie • Astounding-Award • Crawford Award • Drachen • episch • Fantasy • Locus-Award • magisch • Meisterdieb • Thief • World Fantasy Award |
ISBN-10 | 3-7569-9998-X / 375699998X |
ISBN-13 | 978-3-7569-9998-9 / 9783756999989 |
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