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Als die Welt entstand (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
272 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
978-3-552-07375-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als die Welt entstand - Drago Jancar
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Eine Geschichte vom Aufwachsen in Zeiten des Umbruchs: Der große slowenische Erzähler Drago Jan?ar über die Widersprüche der Gesellschaft im Maribor der 1950er
Danijel weiß nicht, wem er es recht machen soll: dem Vater, der mit seinen Kameraden vom kommunistischen Kämpferbund permanent den Sieg über Nazideutschland feiert, oder der Mutter, die ihn trotz allem zum Religionsunterricht zu den Kapuzinern schickt? Staatlich verordneter Pioniereid da, Glaubensbekenntnis von Pater Aloisius dort.
Veränderungen kündigen sich an, als die junge Sekretärin Lena in die Erdgeschosswohnung einzieht und damit nicht nur Danijels Fantasie anregt, sondern den ganzen Stadtteil in Unruhe versetzt. Meisterhaft erzählt Drago Jan?ar diese Geschichte aus dem Maribor der ausgehenden 1950er Jahre, in der sich die Widersprüche der slowenischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg spiegeln.

Drago Jancar, geboren 1948 in Maribor, lebt in Ljubljana und gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren seines Landes; seine Romane, Essays und Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt. 1974 wurde er wegen »feindlicher Propaganda« inhaftiert. Zahlreiche Auszeichnungen: u. a. Kresnik-Preis, Jean-Améry-Preis und 2020 Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur. Zuletzt erschienen: Die Nacht, als ich sie sah (2015), Wenn die Liebe ruht (2019) und Als die Welt entstand (2023).

Aber egal: Jetzt, wo sie den glückstrahlenden Pepi Patagon hätte heiraten müssen, war dieser Mensch aufgetaucht. Das war jedenfalls schwer zu verstehen.

Vasilka sagte, dass der Mensch, der das Fräulein in der Erdgeschosswohnung besuchte, der echte Guido Rutter sei. Sie hatte es in einer der alten Zeitungen ihres Vaters gelesen.

Und wenn er es nicht war, dann war er ihm sicher sehr ähnlich.

Vasilka stapelt die alten Zeitungen um, in denen sie oft gelesen haben.

— Da ist es. In der Edinost. Aus dem Jahr 1910.

— Was redest du? Wie lang ist das schon her!

— Ist doch egal. Lies es.

Aber noch bevor Danijel die vergilbte Zeitung zur Hand nimmt, liest Vasilka schon laut vor, sie findet es recht amüsant.

Die Entführung der Ivanka Požar

Am 14. des vergangenen März trug der pensionierte Wachmann Jakob Požar seiner achtzehnjährigen Tochter Ivanka, wohnhaft in der Via Campanile Nr. 11, auf, ihr zehnjähriges Schwesterchen Lucija in das Kloster in Volosko bei Opatija zu bringen. Zu diesem Zwecke händigte ihr der Vater außer dem für die Reise benötigten Geld auch 24 Kronen aus, die sie dem Kloster geben sollte. Einige Tage danach erfuhr der Vater, dass Lucija dem Kloster in Volosko übergeben worden war; seine Tochter Ivanka aber war nicht nach Triest zurückgekehrt. Der arme Vater unternahm in seinem Schreck alles, um zu erfahren, wo sich Ivanka aufhielt. Doch alle Nachforschungen waren vergebens. Erst vor einigen Tagen teilte ein gewisser Denipote, wohnhaft in der Via Chiozza Nr. 15, Požar mit, dass wahrscheinlich ein gewisser Guido Rutter, Privatbeamter, 30 Jahre, verheirateter Kindsvater, zuvor wohnhaft in der Via Cavana Nr. 18, seine Tochter mit sich genommen hatte. Denipote erzählte Požar, dass er selbst in Ivanka verliebt gewesen sei und in dem Wissen, dass sie etwas mit Rutter hatte, in seiner Eifersucht die beiden beobachtet habe. Er hätte erfahren, dass sich beide zusammen nach Rijeka begeben wollten, und beschlossen, ihnen zu folgen. Damit er unerkannt bliebe, habe er sich einen falschen Bart aufgeklebt. Darum sei er in Rijeka auch unter dem Verdacht der falschen Identität verhaftet und von der Polizei nach Triest zurücküberstellt worden. Die beiden Verliebten aber seien, wie Denipote erfuhr, nach Venedig weitergereist.

Požar meldete dies der Polizei und begab sich selbst nach Venedig, wo er mit Hilfe der dortigen Quästur seine Tochter fand und sie zurück nach Triest brachte. Das Mädchen erzählte dem Vater, dass, sowie sie das ganze Geld ausgegeben und alle Wertsachen versetzt hatte, Rutter, der sich von ihr habe aushalten lassen, verschwunden sei. Vorgestern wurde er hier in Triest aufgespürt, verhaftet und dem Gericht übergeben. Rutter leugnet, er ist der Polizei aber wohlbekannt. So lieh er sich bei einem Silvio Carpone aus Triest zwei wertvolle Arbeiten aus, erstattete sie aber nicht mehr zurück. Im vergangenen Karneval bat er um die Erlaubnis, in öffentlichen Lokalen als Mandolinen- und Gitarrenspieler auftreten zu dürfen. Die Erlaubnis wurde ihm erteilt, doch er verwendete sie dazu, mit seinem Spiel und Gesang junge Mädchen zu verführen, denen er später alle Wertsachen abnahm. Wie festgestellt wurde, war Ivanka Požar nicht sein einziges Opfer, das sich in Venedig ohne alles wiederfand. Nun wartet der erwähnte Schurke in der Untersuchungshaft auf seinen Prozess.

— Ist das nicht eine gute Geschichte?, fragt Vasilka und lacht.

Der Herbst war in jenen Jahren schwerer als der Frühling. Er ist ja sowieso schwerer, weil er dunkel ist, aber damals hassten die Leute einander im Herbst noch eher, je mehr sie sich im Frühling liebten, umso mehr hassten sie einander im Herbst. Nicht gleich, nicht plötzlich, das kam langsam wie die länger werdenden Schatten, wie die kürzer werdenden Tage, wie die dunklen Wolkenstöße, die über dem Pohorje hereinzogen, und wie die Schritte der Arbeiter, die morgens durch die Pfützen auf dem Gehsteig platschten. Nun fragten sie dich am Morgen nicht mehr, ob du etwas Schönes geträumt hättest, denn es war nicht mehr möglich, nachts etwas Schönes zu träumen. Es kam ja auch im Frühling nicht oder zumindest sehr selten vor. Doch du konntest beim Duft des Flieders in den Gärten zumindest denken, dass es etwas Schönes sein würde, und manchmal war es auch so, du träumtest nicht immer von der Bombe, manchmal stahl sich doch etwas anderes in deinen Traum, Lena im Unterkleid oder Vasilka mit dem blonden Haar oder Mama mit Brot und Marmelade.

Im Herbst aber aus und vorbei, im Herbst lauschte man dem Tapsen des Regens auf den Fenstern, dem Heulen des Winds über den Dächern, jenen Dächern, über die König David ging. Dann habe ich manchmal förmlich vor Augen gehabt, sagt Danijel, wie es vor Jahren hier gewesen sein musste, als in den Fenstern keine Scheiben waren und der Regen über eine unsichtbare Wand aus kalter Luft in den leeren Fenstern rieselte. Scheiben hat es keine gegeben, das wissen wir, sie haben es uns schon so oft erzählt, sagt Danijel, es hat keine Scheiben gegeben, weil es kein Glas gegeben hat, noch lange Jahre nach dem Krieg haben die Leute die Fenster mit Pappe abgedeckt oder im Winter mit Brettern vernagelt.

Und genau diese großen Augen der leeren Fenster habe ich oft im Schlaf oder Halbschlaf gesehen, sagt Danijel. Obwohl ich damals noch in irgendeinem Winkel gehockt bin und darauf gewartet habe, die Welt zu erblicken. Meine Mama, meinen Vater, Professor Fabjan und Lena.

Der Mensch, den Vasilka und er Guido nennen, weil er halt so ein Guido ist und außerdem noch Gitarre spielt, hat mit seinen Besuchen bei Lena mitten im Sommer begonnen. Im Sommer ist er noch nachts zu Besuch gekommen, dann, im Herbst, schon am helllichten Tag.

Guido besucht Lena nun schon am helllichten Tag. Während Pepi Patagon irgendwo in Unterkrain auf den Dächern geht, kommt Guido mit seinem Motorrad gefahren. Jetzt stellt er es nicht mehr am Straßeneck ab und wirft Steine gegen ihr Fenster. Er kommt direkt in den Hof geknattert, bleibt unter ihrem Fenster stehen, und dieses Motorrad steht dann da, steht einfach da, aha, Lena hat wieder Besuch.

Der Besucher ist nicht Pepi, weil Pepi dort wohnt, Pepi ist nicht zu Hause, er ist mit seiner großen Tasche zum Bahnhof gegangen.

Auch er wird sich ein Motorrad kaufen. Als er und Vater neulich in der Küche gesessen sind, hat er wieder gesagt, dass er sich bald eine DKW kaufen werde, das sei eine gute Maschine, eine deutsche. Ein paar Aufträge noch, ein paar Blitzableiter und Dachrinnen, und die DKW geht sich aus, er hat sie sich beim Mechaniker, der Maschinen aus zweiter Hand, gebrauchte, aber fast noch wie neue, verkauft, schon angesehen. Danijel denkt, dass sich Pepi ein Motorrad kaufen will, um selbst damit durch die Straße zu knattern, wenn er aus der Arbeit kommt, und nicht müde wie ein Maulesel die Tasche vom Bahnhof herzuschleppen. Er wird schön nach Unterkrain fahren, den Blitzableiter montieren und mit Geschenken für Lena zurückkommen. So wäre es auch richtig, nicht wie jetzt, wo ihr Guido Geschenke bringt, manchmal auch Blumen.

Im Hof des roten Hauses steht ein kleines Gebäude, das man die Waschküche nennt. In den Dörfern treffen sich die Frauen bei den Brunnen oder am Sonntag vor der Kirche, hier in der Stadt aber treffen sie sich in der Waschküche, wo sie die Kochwäsche aus den großen Kesseln nehmen und sie in Eimer geben. Die Waschküche ist ein großes Informationszentrum. Durch die Dampfwolken hindurch tauschen die Wäscherinnen alles aus, was sie über das Leben und die Welt wissen. Und hier hört man alles Mögliche über Lena, die von zwei Männern besucht wird.

Besuchen tut sie eigentlich nur der zweite, lachen die Wäscherinnen. Der erste besucht sie nicht mehr. Obwohl er ihr Bräutigam ist.

In der letzten Zeit weiß man es schon mit Gewissheit, nicht nur vom Hörensagen: dass sie eigentlich als Arbeiterin angefangen hat, dass sie Vorarbeiterin und dann Sekretärin des Werksleiters war. Und davor seine Liebhaberin. So sprachen die Frauen in der Waschküche im Hof, Danijel hörte sie so reden, o ja, aus Neid, dachte er, natürlich aus Neid, es war ihnen sicher nicht recht, dass dieser Mandolinen-Guido mit Geschenken und Blumensträußen kam. Das stimmt sicher nicht, sie lügen.

Bevor sie Sekretärin des Werksleiters geworden sei, habe der Werksleiter sie in eine Schule für Sekretärinnen, in die Verwaltungsschule geschickt. Und als sie dann Sekretärin war, habe sie den Werksleiter oder er sie verlassen, denn der Werksleiter sei verheiratet gewesen, und es habe auch sonst nicht gepasst, dass seine Sekretärin auch seine Geliebte war. Für eine Weile sei sie nach Hause gegangen, bevor sie dann an einem Sonntag im ...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2023
Übersetzer Erwin Köstler
Sprache deutsch
Original-Titel Ob nastanku sveta
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller • Ehrengast • Gastland • Jugoslawien • Kommunismus • Liebesgeschichte • Marburg • Maribor • Nachkriegszeit • Nationalsozialismus • Religion • Slowenien • Staatspreis • Tito • Widerstand
ISBN-10 3-552-07375-2 / 3552073752
ISBN-13 978-3-552-07375-3 / 9783552073753
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