Die Königin von der Ruhr (eBook)
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4828-5 (ISBN)
Ein spannender biografischer Roman über eine der großen Frauen des Ruhrgebiets: Margarethe Krupp
November 1902. Als ihr Mann Friedrich überraschend stirbt, ist Margarethe Krupp einen Moment wie erstarrt. Dann ergreift sie die Initiative. Denn es gilt, das Unternehmen des Verstorbenen vor den Begehrlichkeiten der Verwandten zu bewahren. Es geht um nicht weniger als das Krupp-Imperium im Herzen des Ruhrgebiets, die gigantische Produktion, Tausende Mitarbeiter. Erst in vier Jahren wird ihre Tochter Bertha, die Firmenerbin, volljährig und geschäftsfähig sein. So lange soll Margarethe als ihre Treuhänderin regieren. Sie weiß, dass diese Zeit nicht ausreicht, um sich in der Firmengeschichte zu verewigen, doch sie hat eigene Pläne - und ist entschlossen, sie zum Wohle ihrer Arbeiter umzusetzen. Kann sie, der als Frau so wenig zugetraut wird, an die Stelle Ihres verstorbenen Mannes treten?
Birgit Ebbert widmet Margarethe Krupp ein ebenso einfühlsames wie überraschendes Porträt und erzählt von der Entstehung der weltbekannten Margarethenhöhe.
<p><strong>Birgit Ebbert</strong> ist freie Autorin und lebt im Ruhrgebiet. Als Diplom-Pädagogin schreibt sie Ratgeber und Lernhilfen sowie Kinderbücher und Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Seit ihrer Dissertation über Erich Kästner ist sie fasziniert von der deutschen Geschichte, was sich in ihrer Literatur widerspiegelt. In Kurzgeschichten und Romanen zeigt sie, dass hinter Geschichte immer auch Leben und Geschichten stecken.</p>
Birgit Ebbert ist freie Autorin und lebt im Ruhrgebiet. Als Diplom-Pädagogin schreibt sie Ratgeber und Lernhilfen sowie Kinderbücher und Erinnerungsgeschichten für die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Seit ihrer Dissertation über Erich Kästner ist sie fasziniert von der deutschen Geschichte, was sich in ihren Büchern widerspiegelt. In Kurzgeschichten und Romanen zeigt sie, dass hinter Geschichte immer auch Leben und Geschichten stecken.
KAPITEL 1
November 1902
Margarethe blieb nur diese eine Nacht zur stillen Trauer. Schon morgen würde das Protokoll die Hände nach ihrem Mann ausstrecken und die Tage bis zur Beerdigung genauso bestimmen wie die vielen Wochen und Jahre, seit sie und Friedrich gemeinsam am Grab seines Vaters gestanden hatten. Die Leitung des Imperiums war mehr als ein Beruf, sie war eine Bestimmung, und die hatte Friedrich und sie vereinnahmt, seit Alfred Krupp im Juli 1887 verstorben war. Ihr Schwiegervater hatte seinem Sohn die Herrschaft über sein Stahlimperium nur nach langen inneren Kämpfen hinterlassen und diesem erst auf dem Totenbett vergeben, dass er gegen seinen Willen Margarethe von Ende geheiratet hatte. Die letzten Worte, die der alte Mann von sich gegeben hatte, lauteten gar: »Beste Marga!«
Margarethe stützte sich auf die Fußlehne des großen Bettes, in dem ihr Mann gestorben war und nun aufgebahrt lag. Am Ende hatte er dem Unternehmen sein Leben geopfert, so oder so.
Ein Rascheln an der Tür zwischen den Wänden mit der grünen Seidentapete mahnte zum Aufbruch. Nicht einmal diese Stunde hatte sie für sich allein; der Bestatter, die Prokura, das Hauspersonal – alle warteten darauf, dass sie ihre Routinen fortführen konnten.
Sie tat, als hätte sie nichts gehört. Es war immer schwer, dem Tod eines geliebten Menschen ins Auge zu sehen und ihn zu begreifen; die Ereignisse der letzten Wochen aber hatten ihr dies fast unmöglich gemacht. Dass sie ihren Mann, mit dem sie seit Langem zwar keine stürmische Liebe, aber doch eine tiefe Zuneigung verband, in seiner letzten Stunde nicht begleitet hatte, würde sie nicht verzeihen. Ihm nicht, den Ärzten nicht, die sie vor zwei Wochen zwangsweise in eine Klinik nach Jena geschickt hatten, und ihrem Bruder Felix nicht, der sie unter dem Einfluss all dieser Menschen zur Abreise überredet hatte. Vor allem aber verzieh sie sich selbst nicht, dass sie sich nicht stärker gewehrt hatte. Denn sie war immer stark gewesen, hatte sich gegen ihre Eltern durchgesetzt und dadurch ihren Schwestern einen guten Start ins Leben ermöglicht. Die ungeheuerlichen Angriffe auf Friedrich, die ihr vor Wochen anonym zugesandt worden waren, hatten jedoch ihren Geist vernebelt und ihre Kräfte aufgezehrt.
Wieder nahm sie ein Rascheln hinter sich wahr. Eine Bewegung der Türklinke war nicht zu hören, dafür aber der Rock des Dienstmädchens.
Margarethe wandte nur leicht den Kopf, und schon wurde es ruhig. Die Zeit lief dennoch unerbittlich weiter. Dabei hatte sie so viele Fragen, auf die sie nie eine Antwort bekommen würde. So viele Gerüchte, die sich wie Stachel in ihr Herz bohrten …
»Warum?« Margarethe sah ihren Mann an und entdeckte in seinem Gesicht jenen Zug von Traurigkeit, der ihr schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Damals, als sie noch ein Backfisch gewesen war.
Ein wehmütiges Lächeln stahl sich in Margarethes Antlitz. An jenem Nachmittag hatte sie, mit gerade mal achtzehn Jahren, ihren Vater bei seinem Antrittsbesuch bei Alfred Krupp begleitet. August von Ende war soeben Regierungspräsident in Düsseldorf geworden, und er wäre fehl an diesem Platz gewesen, hätte er nicht gewusst, wer der wichtigste Mensch in seinem Revier war: der Stahlmagnat, der reichste und mächtigste Industrielle aus Essen, von ihm »Ruhrkönig« genannt. Daher hatte ihn sein erster Weg auf den Hügel geführt, wo der Industrielle mit seiner Frau Bertha und ihrem Sohn Friedrich in einem Gutshaus residierte.
Margarethe erinnerte sich noch gut an ihre Verwunderung über die verkehrte Welt.
Die Krupps lebten auf einem Anwesen, das sich leicht mit dem Grundbesitz eines Grafen, Herzogs oder Fürsten messen konnte, während ihre Eltern, auf deren weitreichende Adelsgeschichte vor allem ihre Mutter so stolz war, in vergleichsweise nahezu beengten Verhältnissen wohnten.
Die Kutsche, die sie mit ihren Eltern zum Haus brachte, war auf einen Feldweg eingebogen, der einen kahlen Hügel hinaufführte, an dem sich Äcker und Felder befanden. Sie hielt vor einem zweistöckigen weißen Haus mit einem Giebeldach, das in ein einstöckiges Gebäude mit Uhrenturm überging.
»Wie schön, dass Sie uns im Klosterbuschhof gefunden haben.« Eine gut aussehende Frau begrüßte sie mit warmer Stimme. Bertha Krupp, die Dame des Hauses, hatte es zeit ihres Lebens verstanden, den Menschen um sie herum ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Sie war freundlich, liebenswürdig und an ihrem Gegenüber interessiert. Ihr Gesicht war ebenmäßig, wie von einem Bildhauer aus Marmor gemeißelt, das dunkle lange Haar trug sie zurückgekämmt, wie es sich für eine Frau in den mittleren Jahren in jener Zeit gehörte, und die braunen Augen blickten freundlich auf die Gäste. Nun, ihre Nase war vielleicht ein bisschen zu lang geraten, aber das fiel für Margarethe nicht ins Gewicht, da sie selbst unter einer weitaus gröberen Dreiecksnase litt, wie sie auch ihr Vater besaß. Wie oft hatte sie sich gewünscht, ein Mann zu sein und mit einem Schnurrbart die Wirkung des dominanten Dreiecks inmitten ihres sonst zarten Gesichts zu verändern.
»Bitte verzeihen Sie, dass wir Sie nicht in unserem neuen Domizil empfangen.« Bertha Krupp zeigte auf das imposante Gebäude nebenan. »Es sollte längst fertig sein, aber das kann mein Mann Ihnen besser erklären. Bitte kommen Sie herein.«
Margarethe konnte sich kaum vom Anblick Bertha Krupps lösen, die so hinreißend aussah und sie so freundlich begrüßt hatte, und sie spürte, dass auch ihre Eltern von der Frau des Industriellen verzaubert waren.
Beim Essen berichtete Alfred Krupp, dass die Bauarbeiten an der Villa durch den Krieg ins Stocken geraten seien. »Das Kellergeschoss war bereits fertiggestellt, da mussten die Franzosen die Baustelle verlassen, als Frankreich uns den Krieg erklärte. Die deutschen Steinmetze wurden eingezogen, und schon war keiner mehr da, um die Villa fertigzustellen. Ausgerechnet da brach auch noch das Mauerwerk, weil das Haus über einem Stollen errichtet worden war. Der Erker hat sich komplett vom Gebäude gelöst. Die reine Schlamperei! Ich sage Ihnen, diese Architekten und Techniker sind Kretins!«
Friedrich hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um sich zu seinen Eltern und den Gästen zu gesellen. Der junge Mann mit dem kurzen braunen Haar und den freundlichen Augen in einem runden Gesicht sprach nicht viel. Er wirkte zwischen der gewandten Mutter und dem dominanten Vater fehl am Platz. Vielleicht war es das, was Margarethe für ihn einnahm. Noch heute, nach so vielen Jahren, konnte sie die Beklemmung bei Tisch spüren und sah Friedrichs erstarrte Miene bei Alfreds Ausbruch vor sich.
Kaum hatte der junge Mann sich hingesetzt, sagte sein Vater wie aus dem Nichts: »Mein Sohn Friedrich will auch so ein Techniker werden! Er hat sich in den Kopf gesetzt zu studieren. Am Polytechnikum in Braunschweig. Was halten Sie davon?«
Er musste August von Ende nicht ansehen, um deutlich zu machen, wem die Frage galt. Die Frauen am Tisch hatten in der Konversation keine Rolle gespielt, sie waren schmückendes Beiwerk und lächelten einander allenfalls zu; mal freundlich, mal wohlwollend, manchmal besorgt.
Vielleicht hatte sich August von Ende durch das freundliche Wesen Bertha Krupps zu wohl gefühlt, womöglich hatte er auch einmal zu oft nach dem Weinglas gegriffen und die Fallstricke der Frage dadurch nicht bemerkt. Jedenfalls äußerte er freimütig: »Das ist ein gutes Ansinnen. Kinder sollten ihre Berufung erkennen, und Eltern sollten sie dabei unterstützen. Haben Sie bereits mit den Studien begonnen, Herr Krupp?«
Friedrichs Miene spiegelte Staunen und Interesse wider, während das Gesicht seines Vaters einfror. Jeder am Tisch spürte, dass dies das Ende einer nicht einmal begonnenen Beziehung zwischen dem politischen Beamten und dem Unternehmer war.
Friedrich rettete die Situation, indem er Margarethe ansprach. »Wie gefällt es Ihnen in Düsseldorf? Haben Sie sich bereits eingefunden? Wo haben Sie vorher gelebt?« Fragen, die Fremde stellen, wenn sie einander das erste Mal begegnen. Aber aus dem Mund des bis dahin schweigsamen 18-Jährigen entfalteten sie in dieser Situation eine besondere Wirkung.
Margarethe reagierte bewusst oder unbewusst klug, indem sie die Region pries und einiges von dem wiedergab, was ihr Vater während der Fahrt in der Kutsche über das Ruhrgebiet erzählt hatte. Sie spürte, dass Friedrich sie als intellektuell ebenbürtig ansah, obwohl sie sich neben seiner Mutter wie ein hässliches Entlein fühlte. Sie wusste, dass sie nicht hübsch war, aber sie besaß einen scharfen Verstand, war offen für Neues und hatte durch die ständigen Umzüge der Familie von Breslau über Kassel und Schleswig nun nach Düsseldorf viel zu erzählen, was sie in dieser Minute aber zurückhielt. Jetzt galt es, zuerst den Frieden am Tisch zu sichern.
Margarethe erinnerte sich noch gut an Berthas wohlwollenden Blick beim Abschied. »Besuchen Sie uns gerne wieder einmal«, hatte sie vorgeschlagen und mit einem warmherzigen Lächeln unterstrichen, dass dies nicht nur eine Floskel war. Bis heute fragte Margarethe sich, ob ihre Schwiegermutter sie damals bereits als mögliche Ehefrau für ihren Sohn ins Auge gefasst hatte oder einfach nur einer jungen Frau den Einstieg in die Gesellschaft ermöglichen wollte. Vielleicht hatte sie aber auch nur eine Gesprächspartnerin gesucht, die nicht wegen ihres Mannes auf den Hügel kam wie die unzähligen anderen Gäste, die ständig bewirtet werden mussten.
»Warum?« Die Erinnerung an die Anfänge ihrer Beziehung brachte Margarethe zurück in die Gegenwart, zu der Frage, die sie beschäftigte, seit...
Erscheint lt. Verlag | 24.11.2023 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Architektur • Barbara Krupp • bewegend • Emanzipation • Erbe • Essen • Gartenstadt • historisch • Industriearchitektur • Inspirierend • Kaiserreich • Margarethe Krupp • Margarethenhöhe • mutige Frauen • Pionierinnen • Ruhrgebiet • Saga • Sozialer Wohnungsbau • spannend • Starke Frauen • Villa Hügel |
ISBN-10 | 3-7517-4828-8 / 3751748288 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4828-5 / 9783751748285 |
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