Das dunkle Versteck (eBook)
365 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4764-6 (ISBN)
Nach dem Tod ihres Mannes findet Halla eine Pistole in einer Garage mitten in Reykjavík. Sie bringt sie zur Polizei. Als der pensionierte Kommissar Konráð davon erfährt, erinnert er sich, dass sein Vater eine ebensolche Waffe besaß. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung findet zudem heraus, dass aus dieser Waffe der tödliche Schuss in einem anderen ungeklärten Fall stammt. Damals wurde ein Mann namens Garðar aus heiterem Himmel erschossen. Konráð nimmt nun privat Ermittlungen auf, weil er wissen will, was sein Vater mit den Verbrechen zu tun hat. Eine Spur führt zu Gústaf, einem Arzt, der wegen Kindesmissbrauchs im Gefängnis sitzt. Auch Konráðs Vater war damals mit diesem Arzt in Kontakt ...
<p><strong>Arnaldur Indriðason</strong>ist der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit demGOLD DAGGER. Der fünfte Band seiner Kommissar-Konráð-Reihe,<strong>DAS DUNKLE VERSTECK,</strong>stand wochenlang auf Platz 1 der isländischen Bestsellerliste. Arnaldur Indriðason lebt mit seiner Familie in der Nähe von Reykjavík. Er erhielt 2021 den<b><b>JÓNAS-HALLGRIMSSON-PREIS</b>.</b></p>
Arnaldur Indriðason ist der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem GOLD DAGGER. Der fünfte Band seiner Kommissar-Konráð-Reihe, DAS DUNKLE VERSTECK, stand wochenlang auf Platz 1 der isländischen Bestsellerliste. Arnaldur Indriðason lebt mit seiner Familie in der Nähe von Reykjavík. Er erhielt 2021 den JÓNAS-HALLGRIMSSON-PREIS.
Sechs
Die Robbe machte es sich auf dem Stein bequem. Konráð hatte sie den ganzen Sommer lang nicht gesehen, aber jetzt, als der Winter eingekehrt und das Wetter wieder wechselhaft war, hatte sie plötzlich den Kopf aus der Bucht gesteckt, sich in aller Ruhe umgeblickt und dann auf den Stein gehievt. Dort wärmte sie sich in der Wintersonne und ließ sich nicht von dem kalten Nordwind beirren. Auf dem schwarzen Strand setzten ein paar Möwen zum Flug an und schwebten über die weiß gekleidete Landschaft.
Konráð saß ganz oben auf der Kiesbank und beobachtete eine Weile die Robbe, bevor sein Blick gen Norden Richtung Grótta schweifte, wo sich ein paar dick eingepackte Touristen vorsichtig über die großen Steine zum Leuchtturm auf der Landenge vortasteten. Als Konráð die Robbe noch einmal genauer betrachten wollte, war sie bereits lautlos in der Tiefe verschwunden. Da saß er also und erinnerte sich an seinen letzten Besuch an diesem Ort. Das war im Spätherbst gewesen, und er hatte eine Schar Ringelgänse gesehen, die über ihn hinweg nach Osten geflogen waren, so tief, dass er die Flügelschläge gehört hatte.
Je öfter er herkam, desto mehr lernte er die Natur an diesem Ort schätzen, egal ob im Sommer oder im tiefsten Winter. Auch mit Erna war er kurz vor ihrem Tod hierhergekommen, und den letzten Morgen ihres Lebens hatte sie in seinen Armen dort auf der Sandbank im Licht einer schönen Mondfinsternis verbracht.
Konráð stand auf und blickte sich nach der Robbe um, aber sie tauchte nirgendwo zum Atmen auf, also ging er zurück zum Parkplatz. Im Auto machte er die Heizung an und wartete, bis die Wärme sich im Innenraum ausbreitete. Ihm war draußen kalt geworden. Der Frost nagte trotz der dicken Winterjacke und Mütze an ihm. Nach den Unwettern der vergangenen Wochen war eine Kältewelle prophezeit worden, und die Vorhersagen schienen zu stimmen.
Er fuhr gerade los, als sein Handy klingelte und er am Straßenrand wieder anhielt. Es war Marta.
»Was treibst du so?«, fragte sie.
»Robben beobachten«, sagte Konráð.
»Robben beobachten?! Um Himmels willen, ich hab schon richtig Angst vor der Rente. Was ist das für ein Lärm bei dir?«
»Die Heizung im Jeep«, sagte Konráð und drehte sie runter. »Rufst du aus einem bestimmten Grund an?«
»Hast du in letzter Zeit mal mit Óliver gesprochen?«
Konráð verneinte, Óliver und er trafen sich ab und zu auf einen Kaffee oder gingen essen, hatten aber schon länger keinen Kontakt mehr gehabt. Konráð hatte ihn auf Anhieb gemocht, und sie waren seit vielen Jahren gut befreundet. Seine Wurzeln lagen in Spanien, und dort verbrachte er gerne kalte Winter wie diesen. Er hatte Konráð angeboten, sein Ferienhaus jederzeit nutzen zu können, aber daran war Konráð nicht sonderlich interessiert.
»Also hat er dir nicht von der Pistole erzählt?«
»Welcher Pistole?«
»Der Luger?«
»Nein.«
»Wir haben sie gefunden. Die Mordwaffe von 1955. Weißt du noch? Ein Mann wurde aus kurzer Entfernung im Múlahverfi erschossen.«
»Die Pistole ist aufgetaucht?«
»Ja.«
»War das eine Luger?«
»Óliver ist draufgekommen«, sagte Marta. »Gar nicht so dumm, diese Spanier. Die Spurensicherung hatte noch die Patrone, die damals in der Baracke gefunden wurde, und Óliver hat allerlei Sachen im Mikroskop überprüft und herausgefunden, dass die Patrone genau aus dieser Waffe stammt und aus keiner anderen. Irgendwelche Kratzer, die aufeinanderpassen. Ich schalte immer ab, wenn er bei diesen Dingen zu sehr ins Detail geht.«
Er hörte Marta an einer E-Zigarette ziehen, bevor sie ihm von der Frau erzählte, die an einem stürmischen Tag mit der in ein dreckiges Tuch gewickelten Waffe, die sie nach dem Tod ihres Mannes gefunden hatte, ins Präsidium an der Hverfisgata gekommen war. Sie wollte der Frau nachher einen Besuch abstatten und sie genauer zu dem Fund und ihrem Mann befragen.
»Macht ihn das nicht verdächtig? Den Mann?«
»Und wie«, sagte Marta und stieß Nikotindampf aus. »Aber er ist natürlich tot, also …«
»Wie alt war er denn damals, 1955?«
»Alt genug, um eine Waffe zu benutzen. Aber ich rufe eigentlich an, weil …, weil ich Olga vom Archiv getroffen habe. Ich war wegen der Akte da, und sie hat mir erzählt, dass du dich früher mal für den Fall interessiert hast. Ich wollte dich fragen, warum? Dieser Mord ist lange vor deiner Zeit bei der Polizei passiert.«
»Das weiß ich gerade auch nicht mehr«, sagte Konráð. »Hat Olga dazu was gesagt?«
»Sie meinte sich zu erinnern, dass du irgendwie neugierig warst. Also dachte ich, ich frage dich mal, was du damals herausfinden wolltest. Jaja, ich komme schon«, rief Marta genervt, jemand schien sie zu hetzen. »Ich muss los. Ruf an, wenn du dich an etwas erinnerst«, sagte sie und legte auf.
Konráð saß still im Auto. Langsam wurde es warm, und er drehte die Heizung noch weiter runter. Der Jeep war schon alt und mitgenommen und knarrte an vielen Stellen. Nach kurzer Überlegung beschloss Konráð, nicht länger zu warten. Er rief Óliver an und kam direkt zur Sache.
»Marta hat mir von der Pistole erzählt. Der Luger.«
»Ja?«
»Weißt du noch mehr darüber?«
»Du, ich bin gerade in der Bank«, sagte Óliver, und sein Westfjord-Akzent war zu vernehmen. Als kleiner Junge hatte er eine Weile in Ísafjörður gelebt. »Ich ruf dich gleich zurück.«
Fünf Minuten später meldete er sich und ließ durchklingen, wie stolz er war, die Pistole mit einem alten Mordfall in Verbindung gebracht zu haben. Er erzählte, sie sei jahrzehntelang nicht benutzt worden und in keinem guten Zustand, aber es handle sich definitiv um die Waffe von 1955. Er habe ein paar Probeschüsse für die Untersuchung abgegeben, und sie funktioniere einwandfrei.
Auf Konráðs Frage, woher die Pistole stammen könnte, antwortete Óliver, dass dieser spezielle Typ aus dem Krieg sei und viele deutsche Soldaten solche Luger-Pistolen gehabt hätten. Aller Wahrscheinlichkeit nach sei die Pistole im oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit Soldaten auf dem Heimweg von Europa nach Island gekommen. Nicht selten hätten sich die Soldaten der Alliierten die Luger der Nazis genommen und sie als eine Art Andenken behalten. Wie eine Trophäe.
Auf Ólivers Erzählung folgte ein langes Schweigen.
»Konráð?«, fragte er. »Bist du noch dran?«
»Also kann es sein, dass ein amerikanischer oder britischer Soldat sie damals ins Land gebracht hat?«, fragte Konráð.
»Nicht auszuschließen.«
»Könnte sie vom Flughafen stammen? Von der Militärbasis?«
»Natürlich. Aber das ist nur eine Vermutung«, sagte Óliver. »Sie kann auch von woanders gekommen sein.«
»Also könnte es ein Soldat gewesen sein, der den Mann im Múlahverfi erschossen hat?«
»Interessiert dich der Fall irgendwie besonders? Hast du ihn dir mal angesehen?«
»Ich versuche nur, mich warm zu halten«, sagte Konráð. »Das ist alles.«
»Ja, diese verdammte Kälte«, stöhnte Óliver, der nicht müde wurde, den isländischen Winter zu verfluchen. »Tagein, tagaus. Schnee und Frost und Finsternis. Immer diese nicht enden wollende Finsternis. Da hat doch niemand Lust drauf? Wer ist bloß auf die Idee gekommen, dieses Land zu besiedeln? Im Ernst, Konráð? Da hat doch niemand Lust drauf?«
Konráð steckte das Handy wieder in die Tasche und musste an seinen Vater denken, schüttelte aber sofort den Kopf, als wäre der Gedanke, der ihm gerade durch den Kopf ging, völlig verrückt und viel zu weit hergeholt.
Manchmal, wenn Seppi wütend auf ihn geworden war, ihn geschlagen oder beschimpft hatte, schien er seine Fehler im Nachhinein einzusehen und sich um Wiedergutmachung zu bemühen. Das konnte unterschiedlich ablaufen. Manchmal strich er Konráð einfach nur über den Kopf. Oder er nahm ihn mit in den Laden, wo er seinen Tabak kaufte, und steckte ihm irgendwelche Süßigkeiten oder eine Cola zu. Oder Geld fürs Kino. Spielte vielleicht mit ihm und verhielt sich freundlich und väterlich, redete mit ihm wie mit einem Ebenbürtigen. Sie müssten zusammenhalten, das sei wichtig, denn sie bräuchten einander in dieser beschissenen Welt. Seppi sei nicht nur sein Vater, sondern auch sein Freund, selbst wenn er Konráð manchmal ermahnen und maßregeln müsse, ändere das nichts an ihrem Verhältnis zueinander. Er habe ihn trotzdem sehr gern.
Oder zum Beispiel an seinem neunten Geburtstag, als Tante Addý zu Besuch gekommen war und Seppi ihm eine Ohrfeige verpasst hatte, weil er so dumme Fragen gestellt hatte.
Konráð war mit der Abenteuerinsel auf sein kleines Zimmer gegangen und eingeschlafen. Er wurde wach, als Seppi mit dem Buch in der Hand auf der Bettkante saß. Sein Vater blätterte darin, sah sich die Bilder an und fragte, ob es spannend sei. Konráð antwortete nicht, war immer noch gekränkt und wütend auf ihn. Seppi blickte von dem Buch auf, sah seinen Sohn lange an und strich ihm die Haare aus der Stirn.
»Sei nicht sauer«, sagte er. »Ich wollte das nicht tun. Manchmal überkommt es mich einfach. Ich muss mit dieser Trinkerei aufhören. Der Mann, nach dem du gefragt hast, ist nicht mein Freund, eigentlich geht er mir ziemlich auf die Nerven und … Er ist ein schlechter Verlierer, so wie heute Nacht auch, er wollte mich schlechtmachen. Ihn hätte ich schlagen sollen und nicht dich.«
Seppi lächelte.
»Ich habe was von ihm gewonnen, das dich interessieren könnte«, sagte er dann. »Willst du mal sehen?«
Konráð...
Erscheint lt. Verlag | 26.1.2024 |
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Reihe/Serie | Kommissar Konrad | Kommissar Konrad |
Übersetzer | Freyja Melsted |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Kyrrþey |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 50er-Jahre • 80er-Jahre • Bestseller • Bestseller-Autor • Islandkrimi • Island.-Krimi • Islands Nummer 1 • Keflavik • Kommissar Konrad • Konráð • Konrád-Reihe • pensionierter Kommissar • Reykjavik • Rückblende • skandinavische Spannung • Spurensicherung |
ISBN-10 | 3-7517-4764-8 / 3751747648 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4764-6 / 9783751747646 |
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Größe: 1,9 MB
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