Tove Ditlevsen (eBook)
256 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3339-4 (ISBN)
Ein Must-read für alle Tove-Ditlevsen-Fans.
Die erste Biographie über die Autorin der »Kopenhagen-Trilogie«, von Bestseller-Autor Jens Andersen.
Jens Andersen erzählt in dieser Biographie aus Tove Ditlevsens Leben, von dem unwahrscheinlichen Weg, den sie als Schriftstellerin gegangen ist, ihrem turbulenten Werdegang mit allen Höhen und Tiefen, ihrem Leben als Frau, Mutter und Künstlerin. Tove Ditlevsen schrieb Autofiktion, lange bevor das Wort erfunden wurde, und setzte sich und ihre Beziehungen kompromisslos in ihrer Literatur ein. Sie hatte eine paradoxe Sehnsucht nach einem geordneten bürgerlichen Familienleben, schaffte es aber nie, sich darin einzurichten. Zugleich schrieb sie gerade dann, wenn das Familienleben kompliziert wurde, ihre besten Texte. Sie liebte es, aufzutreten, und hatte einen überbordenden Humor und Sinn für Komik. In dieser Biographie werden die außergewöhnliche, lebenshungrige Seite ihrer Persönlichkeit, ihr zügelloser Freisinn und die radikale Modernität ihres Schreibens zum ersten Mal beleuchtet.
»Ein reiches, gelungenes Porträt, das neues Licht auf Tove Ditlevsen als Autorin, Phänomen und Mensch wirft.« Kristeligt Dagblad.
»Es ist fast unheimlich, wie verdichtet die dänische Schriftstellerin menschliche Seelenlandschaften zu vermessen imstande war.« taz.
»Eine monumentale Autorin.« Patti Smith.
Jens Andersen hat sein Studium der Nordistik an der Universität von Kopenhagen mit einer Promotion abgeschlossen und arbeitete viele Jahre als Literaturkritiker für große dänische Zeitungen. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat er sich einen Namen gemacht als einer der besten internationalen Biographen von Autorinnen und Autoren wie Astrid Lindgren und Hans Christian Andersen. Seine Bücher werden in über zwanzig Sprachen veröffentlicht. Er lebt in Kopenhagen. Ulrich Sonnenberg lebt als freier Übersetzer und Herausgeber aus dem Dänischen und Norwegischen in Frankfurt am Main. Er übersetzte u. a. Jens Andersens Bücher über Astrid Lindgren und Hans Christian Andersen. 2013 erhielt er den Übersetzerpreis des Staatlichen Dänischen Kunstrats.
Jens Andersen hat sein Studium der Nordistik an der Universität von Kopenhagen mit einer Promotion abgeschlossen und arbeitete viele Jahre als Literaturkritiker für große dänische Zeitungen. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat er sich einen Namen gemacht als einer der besten internationalen Biographen von Autorinnen und Autoren wie Astrid Lindgren und Hans Christian Andersen. Seine Bücher werden in über zwanzig Sprachen veröffentlicht. Er lebt in Kopenhagen. Ulrich Sonnenberg lebt als freier Übersetzer und Herausgeber aus dem Dänischen und Norwegischen in Frankfurt am Main. Er übersetzte u. a. Jens Andersens Bücher über Astrid Lindgren und Hans Christian Andersen. 2013 erhielt er den Übersetzerpreis des Staatlichen Dänischen Kunstrats.
2
Tove Irma Margit Ditlevsen wurde am 14. Dezember 1917 im Stadtteil Vesterbro im Zentrum Kopenhagens geboren. So steht es in der Geburtsurkunde. Dennoch behauptete die Schriftstellerin ihr gesamtes Leben, sie sei ein Jahr später geboren worden – am 14. Dezember 1918. Vielleicht lag es an dem überwältigenden Interesse an ihrem literarischen Debüt 1939. Ein Journalist soll bei Erscheinen des Buches der einundzwanzigjährigen Autorin von Pigesind (Mädchenseele) erklärt haben, sie würde für die Leser seiner Zeitung noch viel interessanter sein, wenn man schreiben könne, Fräulein Ditlevsen sei tatsächlich erst zwanzig Jahre alt. Angeblich hatte sie nichts dagegen. Es war ja das perfekte Alter, oder wie sie ein paar Jahre später in einer Erzählung schrieb: »Zwanzig Jahre, und Geist und Haut fein, leicht und rein.« Eine andere Erklärung der kleinen Lüge stammt gewissermaßen von Tove Ditlevsen selbst: Sie war sich bereits 1939 ihrer Rolle als Künstlerin so bewusst, dass sie ein deutliches Gleichheitszeichen zwischen dem lyrischen Ich ihrer Gedichte und der Autorin des Debüts setzen wollte. Sie unterstrich es sogar in einem der Gedichte des Buches. Das Gedicht »Die bösen Jahre« endet mit den Worten:
Verschwindet, ihr bösen Geister, die so grausam töten
die warmen Augen und die frischen Lippen,
komm Lippenstift und hilf mir lügen,
denn ich will nie älter als zwanzig sein.
Was auch immer der Grund gewesen sein mag, die kleine Unwahrheit erwies sich mit der Zeit als recht unpraktisch, wenn es um die Ausstellung offizieller Dokumente wie einen Pass oder einen Trauschein ging, und es war auch ein wenig komisch, wenn dänische Zeitungen Tove Ditlevsens vierzigsten und fünfzigsten Geburtstag mit Glückwunschartikeln würdigten. Denn in Wahrheit war sie ja bereits einundvierzig beziehungsweise einundfünfzig Jahre alt.
Der Ausgangspunkt für den Menschen und die Schriftstellerin Tove Ditlevsen war der Topos des armen Kindes, das in den grauen Arbeitervierteln von Kopenhagen aufwuchs. »Keine spätere Erfahrung kann je die Erlebnisse der Kindheit auslöschen«, schrieb sie, und bis zu ihrem Tod blieb Ditlevsen ihrer Vergangenheit in der Hedebygade 30 A, 4. Stock rechts verbunden, einem Hinterhaus des Kopenhagener Stadtteils Vesterbro. Immer wieder konnte sie auf eine neue Art und Weise über ihre Kindheit und Jugend schreiben. Man erlebt als Kind alles zum ersten Mal, hat Tove Ditlevsen einmal gesagt, danach ist alles andere nur Wiederholung. Für sie wurde die Straße der Kindheit zu einer äußerst lebendigen, vitalen Verkehrsader im Geist. Ein Stück Vergangenheit voller Glück und Unglück, Magie und Realismus, wo sie stets ihr wahres Ich wiederfinden konnte.
Die Straße der Kindheit wurde zur Basis ihres Werks und 1942–43 der Titel eines Romans sowie eines längeren, episch angelegten Gedichts. In achtundzwanzig Strophen wird die Sehnsucht nach der alten Gemeinschaft im Hinterhof und im Quartier rund um die Hedebygade beschworen. Im zentralen Mittelteil des Gedichts lässt Ditlevsen den Geist des Viertels selbst zu Wort kommen:
Ich bin die Straße deiner Kindheit,
ich bin die Wurzel deines Wesens,
ich bin der klopfende Rhythmus
in allem, wonach du dich sehnst.
Ich bin die grauen Hände deiner Mutter
und die bekümmerte Seele deines Vaters,
und ich bin das leichte, verschwommene Gespinst
deiner frühesten Träume.
Ich gab dir meinen großen Ernst an einem Tag,
als du verirrt und verlassen warst,
und in einer triefenden Regennacht
träufelte ich dir ein wenig Wehmut ins Gemüt.
Vesterbro war im Kopenhagen der 1920er und 1930er Jahre ein armes Arbeiterviertel, geprägt von hässlichen Mietskasernen mit billigen, heruntergekommenen Wohnungen und engen, dunklen Hinterhöfen mit mehreren Hinterhäusern. Heute ist der ganze Stadtteil gründlich saniert und eines der begehrtesten Wohngebiete der dänischen Hauptstadt.
In den 1920er Jahren wohnten auf einem Quadratkilometer über achtzigtausend Menschen in kleinen Wohnungen. Es waren vor allem Familien, in denen der Vater ein ungelernter Arbeiter war, der unter unsicheren Beschäftigungsverhältnissen in den kleinen und großen Fabriken rund um Vesterbro arbeitete. Der Stadtteil war berüchtigt für seine vielen Kneipen und mittellosen, gestrandeten Existenzen. Suff, Prostitution und Übergriffe gegenüber Müttern, Kindern und jungen Frauen gehörten zur Tagesordnung, hat Tove Ditlevsen erzählt.
Das oberste Gesetz der Straße lautete, sich der Allgemeinheit anzupassen; es hatte seinen Preis, sich von anderen allzu sehr zu unterscheiden oder abzuheben. In den zahlreichen Hinterhöfen der Hedebygade herrschte ein raues Regelwerk, das Tove Ditlevsen als »Sexualaufklärung an der Mülltonnenecke« beschrieb. Es beruhte auf Normen, die einzuhalten einem jungen Mädchen ausgesprochen schwerfallen mussten. Tove Ditlevsen berichtete in einem Zeitungsinterview 1973, dass man es sich zum Beispiel kaum erlauben konnte, noch Jungfrau zu sein, wenn man konfirmiert war. Aber ebenso wenig durfte man es sich erlauben, schwanger zu werden, bevor man achtzehn Jahre alt war.
Im vierten Stock der Hedebygade 46 A bei der vierköpfigen Familie Ditlevsen folgten die ungeschriebenen Regeln des Arbeiterviertels jedoch eher kleinbürgerlichen als proletarischen Gesetzen. Das oberste Gebot der Familie war das Aufrechterhalten einer korrekten und »normalen« Fassade; Alfrida Ditlevsen (1890–1965) – Toves und Edvins dominante und strenge Mutter – betonte: »Es macht nichts, wenn man etwas wunderlich ist, Hauptsache, es dringt nicht nach draußen!«
•••
Dass Eltern ihren Kindern mit ewigen Ermahnungen und Hinweisen, sich so normal wie alle anderen zu verhalten, einen lebenslangen Schaden zufügen können, ist ein sich wiederholendes Thema in Tove Ditlevsens Werk. Sie selbst nannte sich als Erwachsene eine »Abweichlerin« und hatte bis zu ihrem Tod einen messerscharfen Blick für die Folgen des Versuchs, das Gesetz der Normalität in einer Familie allzu handfest durchzusetzen – das Ergebnis ist die Zerstörung der zarten Seiten der kleinen menschlichen Seelen. 1970 schrieb sie in einem Zeitungsartikel, als Kind hätte sie sich immer gewünscht, normal zu sein. Daher hätte sie in all den Jahren, in denen sie zur Schule ging, Angst gehabt, jemand würde bemerken, dass sie es nicht war:
»Es war normal, mit bunten Stecknadeln und Puppen zu spielen, und ich verbrachte Stunden der Langeweile mit diesen Beschäftigungen, obwohl ich viel lieber im Gesangbuch gelesen hätte. Aber das war auf jeden Fall bei uns in der Straße nicht normal. Es ging vor allem darum, so zu sein wie alle anderen. Man sollte ihnen in der Kleidung, im Sprachgebrauch, beim Spiel, bei den Interessen und Beschäftigungen ähnlich sein. Aber ich war einfach nur groß, schlaksig und ungeschickt, und hatte ich eine Freundin, musste ich vor ihr verbergen, dass ich anders war.«
Dennoch widersetzte sich Tove der Konformität – und behielt ihre Haltung ein Leben lang bei. Immer wieder kam es vor, dass sie die besonderen Regeln eines Spiels zu Hause in der Straße oder auf dem Schulhof der Matthæusgade Skole nicht einhielt. Damit schloss sie sich häufig aus dem Kreis der Kinder aus und hatte schon früh das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein. Es war ein Gefühl der Fremdheit, nicht nur gegenüber ihren Schulkameraden, sondern auch gegenüber ihren Eltern und ihrem älteren Bruder. Eine Zeitlang war sie vollkommen sicher, dass Alfrida Ditlevsen nicht ihre wirkliche Mutter und sie ein vertauschtes Kind war. Das permanente Gefühl, »nicht richtig« zu sein, meldete sich auch, wenn die Leute über sie lachten, obwohl sie gerade etwas sehr Ernstes gesagt hatte. Und wenn Tove versuchte, komisch zu sein, reagierten die Menschen entweder verärgert oder wütend.
In einem Zeitungsartikel berichtete Ditlevsen 1972, dass ein anderer »Abweichler« in der Hedebygade dieses Missverhältnis ganz anders erlebte. Mit seiner langen, dramatischen Hasenscharte und seinem deformierten Schädel, in dem es...
Erscheint lt. Verlag | 10.10.2023 |
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Übersetzer | Ulrich Sonnenberg |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Ditlevsen. En biografi |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Autofiktionen • Biographie • Familienleben • Künstlerin • Leben • Leben und Werk • Schriftstellerin • Werdegang |
ISBN-10 | 3-8412-3339-2 / 3841233392 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3339-4 / 9783841233394 |
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