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Nichts in den Pflanzen -  Nora Haddada

Nichts in den Pflanzen (eBook)

Roman | »Klug, abgründig und hintersinnig. Ein faszinierendes Debüt, ich konnte kaum aufhören zu lesen.« Benedict Wells, Spiegel Bestseller Autor

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
200 Seiten
Ecco Verlag
978-3-7530-0090-9 (ISBN)
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Die junge Drehbuchautorin Leila hat ihren ersten Vertrag bei einer großen Produktionsfirma unterschrieben. Ihre mäßig gelingende Schreibroutine kompensiert sie mit Nächten in Eckkneipen und auf Dinnerparties, die sie insgeheim langweilen. Man hält sich gegenseitig mit Erfolgsgeschichten am Leben - doch wie überlebt man wirklich zwischen Neid und Affären im harten Konkurrenzkampf der Kulturschaffenden?Witz, Verzweiflungstaten, Glamour, Selbstüberschätzung und Sinnsuche in einer scheinbar oberflächlichen Welt, deren Untiefen sich Stück für Stück beim Lesen auftun.

»Klug, abgründig und hintersinnig. Nora Haddada hat ein faszinierendes Debüt geschrieben, ich konnte kaum aufhören zu lesen.« Benedict Wells



Nora Haddada, geboren 1998 in Neunkirchen (Saar), studierte Kreatives Schreiben und Literaturwissenschaft in Hildesheim, Paris und Berlin. Sie arbeitete unter anderem als Drehbuchautorin, Vertretung in der Deutschen Botschaft Paris und Agentin in der Agentur Petra Eggers. Veröffentlichung in Zeitschriften und Anthologien, zuletzt im Missy Magazin und Bella Triste. Einladungen auf Konferenzen und Festivals wie das "Insert Female Artist Festival' und "The Power(s) of Language" (Stockholm). Sie lebt in Berlin.

Februar


Wir hatten uns zum Kino verabredet: Cry-Baby. Leon hatte sich ein Bier am Eingang geholt, ich verzichtete – ein temporärer Versuch in Abstinenz. Am Vortag hatte ich beschlossen, meine romantischen Ambitionen vorübergehend zu suspendieren, ich hatte beschlossen, dass ich, wie man so sagt, eine Pause brauchte. Dennoch – Laura war überzeugt, er könne mein Drehbuch weiterreichen, es würde ihm sicher gefallen, man müsse es nur eher so »by the way« erwähnen, das dürfe nicht so geplant wirken, man müsse sich schon auch für ihn als Menschen interessieren.

Um dennoch keine falschen Signale zu senden, hatte ich also nach der Arbeit nicht geduscht, hatte meinen Rucksack mitgenommen und war verschwitzt und in vom Tag abgenutzter Kleidung angekommen. Als wir uns zur Begrüßung näherten, roch ich Seife und Parfüm, sein rosa Pulli sah frisch gewaschen aus und hob die grünen Augen vorteilhaft hervor. Plötzlich schämte ich mich; ich bildete mir ein zu riechen, wie sein sauberer Geruch sich mit meinem Polyesterschweiß vermischte, und versuchte schnell wieder eine Distanz zwischen uns aufzubauen. Vor dem Film gab es eine Anmoderation. Irgendwas über die Rettung des letzten unabhängigen Kinos der Stadt, es ging um Geld. Während des Applauses lehnte er sich rüber und sagte: »Man hört nie auf zu klatschen, die Abstände werden nur größer.« Ich lachte. Der Film war okay. Ich fühlte mich dümmlich an diesem Abend; ich hatte so wenig gegessen, dass ich nicht denken konnte, und als wir dann schließlich mehrere Vorspeisenplatten in einem kleinen libanesischen Restaurant gegessen hatten, war ich so müde, dass ich kaum die Augen aufhalten konnte.

Ich fragte ihn nach seiner Arbeit, und er erzählte mir von dem Politikstudium, von Praktika im Europarat, vom Ein- und Aus- und Wiedereintritt bei den Grünen und seiner plötzlichen Entscheidung, die Politik für den Film zu verlassen. Von dem Kollektiv, das ihm, allein aufgrund seines unschuldigen Interesses, Jobs als Set Runner besorgt hatte. Davon, wie er schnell Posten als Aufnahmeleiter bekommen hatte, weil »Leute mir das einfach zugetraut haben«, schließlich, wie er in einer Regieassistenz und nach einer kurzen Zeit in einer der größten Produktionsfirmen des Landes gelandet sei und nun gelegentlich für A24 scoute, aber das »wirklich nur nebenbei«. Er jonglierte mit Namen und Kontakten, verbeiläufigte absurde Zahlen von Budgets und Crews, normalisierte schwindelerregende Ziele – mit einem Lachen, einem Optimismus und einer Selbstverständlichkeit, die mir Hitze in die Wangen und meinen Puls in die Höhe trieb.

Ich brach mein Abstinenz-Vorhaben und bestellte Wein, was alles nur noch verschlimmerte und meinen dümmlichen in einen dummen Zustand versetzte. Zu allem Unglück wurde Leon mit jedem Glas lustiger, und ich bemerkte, wie ich Gefallen daran fand, Eigenarten zu sammeln: wie er seinen rechten Fuß auf den Zehenspitzen balancierte und ihn abknickte, wenn er zu reden begann. Dass er vor jedem großen Schluck einen kleinen nahm, als würde er jedes Mal aufs Neue überprüfen, ob sein Wein nicht plötzlich heiß geworden war. Wie er zärtlich mit den Fingerkuppen über den Tisch fuhr, wenn er zuhörte. Wie sich eine kleine Falte in der Wange bildete, wenn er lächelte. Wie er sich auf die Unterlippe biss und sie unvermittelt aus den Zähnen gleiten ließ, wenn er etwas witzig fand. Wie er sich beim Sprechen nach hinten lehnte, sodass ich mich vorbeugen musste; kleine subtile Dominanzspiele, auf die ich mich jedes Mal einließ. Wie er das Kondenswasser von seinem Bierglas aufzufangen versuchte, wenn ein Tropfen langsam das Glas herunterlief. Die langen Finger, der definierte Hals, die vollen Lippen. Eine Aura der Einfachheit, der Leichtigkeit.

»Was?« Er lachte.

»Was?«

»Du schaust mich so an.«

»Ach ja?«

»Ja.« Ich lachte. »Du sprichst ja auch.«

»Wie höflich.«

»Sehr höflich.«

»Was machst du eigentlich gerade?«

»Ich arbeite an einem Drehbuch.«

»Wirklich?«

»Wirklich.«

Er lachte: »Na dann erzähl mal.«

Um Mitternacht schlug er mir vor, ihn zu einer Berlinale-Party zu begleiten. Ein befreundeter Dokumentarfilmer, Linus, hatte den Ort des halb offiziellen Treffens eines wichtigen Dokumentarfilmfestivals ausfindig gemacht, das im Rahmen der Berlinale eine sonst immer allzu überlaufene Bar gemietet hatte. Er schleuste uns routiniert an dem Türsteher vorbei und erklärte, als wir mit unseren drei Bieren unter den hohen, schrägen Fenstern saßen und auf die draußen davongleitenden Hochbahnen schauten, dass er uns nicht alleine zum Vergnügen eingeladen hatte.

Er hatte sich so gedacht, dass wir uns als seine Produzenten ausgeben könnten; dass wir hier die richtigen Leute ausfindig machen könnten; dass wir seinen Film pitchen und so seinen Dokumentarfilm auf dem Festival platzieren könnten. Er schlug Leon brüderlich auf die Schulter und sagte, »Bro« – er bekomme das sowieso hin, er bekomme so was immer hin; und ich sah einen gewissen Ehrgeiz hinter dem entschuldigenden Blick aufblitzen, den Leon mir als Antwort zuwarf. Dann sah Linus mich an: »Du natürlich auch.«

Ich leerte mein Bier zu schnell und ging zurück zur Bar, wo ich versuchte, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die nach irgendwem aussahen, was sich allerdings bald als Strapaze erwies, weil niemand nach irgendwas aussah. Die einzigen, die irgendeine Form von Prestige in ihre Toilette gemischt hatten, waren Emporkömmlinge, die es nur nötig hatten, so auszusehen, als seien sie wer, weil sie niemand waren: jung, überstylt, schön, mit auffälligem Make-up, dicken Creolen und Lederjacken, die sich nicht gut mit der verklemmten Körperhaltung vertrugen, die sie eingenommen hatten, nachdem der Türsteher sie ermahnt hatte, keine Bilder zu machen. Dann gab es eine Menge unauffälliger Leute zwischen dreißig und fünfzig, deren äußere Erscheinung erst recht keinen Aufschluss auf Status gab: Alte Jeans, abgewetzte Jacken, trockene Haare, tief gebundene Pferdeschwänze, unmodische Brillen und schlichte, gedeckte Rundhalspullover. Und so schloss ich schnell, dass sich eben nur die Mühe gaben, die etwas beweisen mussten oder wollten – was wiederum bedeutete, dass die Ambitionslosen ununterscheidbar von jenen waren, die sich an der unerträglichen Protzerei der Bescheidenheit ergötzten, nicht mal mehr die kleinen Unterschiede nötig zu haben.

Eine Schaumkrone nach der anderen stieg am Hals diverser Biergläser empor, während ich über meine Strategie sinnierte, bis mir auffiel, dass ich Leon und Linus aus den Augen verloren hatte und sie auch nach ausführlicher Sondierung in keiner der kleinen Grüppchen am Fenster finden konnte. Ich schloss meine Weste, als mir auffiel, dass ich das gleiche Top wie einer der Emporkömmlinge trug. Und da meine Analysen sich als unbrauchbar erwiesen hatten, waren ich und meine Methode dem reinen Zufall überlassen: Ich begann ein Gespräch mit dem mittelalten Mann neben mir an der Bar, der mit braunen Kordhosen und trübem Blick in die Menge schaute.

»Letztes Jahr war das Bier besser.«

Seine Augen hoben sich, er schaute mich an, zunächst verwirrt, dann, als hätte er eine Offensichtlichkeit zu spät realisiert, mit einem nachgezogenen Lächeln.

»Äh … Ja.« Er schaute in die Menge, ein Ausdruck von Zufriedenheit, dann Angst.

»Bist du auch Teil von dem Festival?«

»Nein, nein, ich bin Produzentin.«

Er musterte mich mit einem kleinen Schmunzeln, eine bald schon wieder weggehuschte Reaktion auf das Decrescendo in meinem »Produzentin«.

»Bist du an der Uni?«

»Nein, nein, ich bin einfach so … Produzentin.«

»Ach so, ach so. Und bist du von hier?«

»Äh … ja.« Und dann nach einer Pause: »Und du?«

»Leipzig.«

»Macht Sinn.«

»Wieso?«

»Wegen des Festivals.«

»Ach so … Ja.«

Wir schauten wieder in die Menge. Ich trank ein bisschen schneller und wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um von Linus und seinem Film zu reden, aber da hatte ich schon ein Gespräch über Agnès Varda begonnen, beziehungsweise, es versucht, denn er fragte:

»Wer?«

Und ich sagte: »Agnès Varda.«

Und er sagte: »Ahh, die Modedesignerin.«

Und ich nippte verzweifelt an meinem Bier, als er hinzufügte: »Von wo genau hier kommst du?«

»Aus genau dem Viertel.«

Er schürzte anerkennend die Lippen. »Dann kennst du bestimmt noch diese Bar, die sie hier direkt gegenüber früher hatten, die hier … wie hieß sie noch mal.«

»Ja, ja, die … Ja, wie hieß sie …« Ich schaute auf mein Bier, schaute aus dem Fenster auf den Ort, der Gegenüber sein konnte; fragte mich, ob wir beide Scheißkarten hatten, und sagte auf gut Glück: »Lilos Bar?«

Er musterte mich kurz, zog die Augenbrauen zusammen: »Ja, vielleicht hieß sie so.«

Ich schaute wieder in die Menge, nickte ihm gerade schon zur Verabschiedung zu, als er wieder anfing:

»Wer hat dich mitgebracht?«

»Wie bitte?«

Er sagte es lauter: »Wer hat dich mitgebracht?«

»Wieso denkst du, ich wurde mitgebracht?«

»Du siehst so verloren aus.«

Mein Kopf wurde heiß; ein bisschen weniger laut, als ich wollte, wiederholte ich: »Ich bin Produzentin, ich wurde eingeladen.«

Bier, Fenster, Menge, dann: »Ich muss jetzt auch.«

Er hielt mich am Arm fest. »Willst du mal was trinken gehen?« Und lächelte mit einer...

Erscheint lt. Verlag 22.8.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkohol • Berlin • Boheme • Debüt • Debütautorin • Deutsche Autorin • Drehbuchautorin • Einsamkeit • Film • Filmindustrie • für Fans von Benedict Wells • Gesellschaft • Künstlerin • Liebe • Liebesgeschichte • Liebeskummer • Partys
ISBN-10 3-7530-0090-6 / 3753000906
ISBN-13 978-3-7530-0090-9 / 9783753000909
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