Moabiter Sonette (eBook)
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-79443-8 (ISBN)
Albrecht Haushofer, 1903 in München geboren, 1945 in Berlin- Moabit erschossen, Geograph und Historiker, zunächst Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin und Berater der Dienststelle Ribbentrop, später Professor für Geographie an der Berliner Univer- sität, suchte seit Beginn des Zweiten Weltkriegs verstärkt den Kontakt zum Deutschen Widerstand, dem Kreisauer Kreis, der Gruppe um Carl Friedrich Goerdeler und Mitgliedern der Roten Kapelle. Seit 1941 politisch verfolgt und zeitweilig inhaftiert, wurde er 1944 nach dem Attentat auf Hitler in Bayern verhaftet und ins Gefängnis Berlin- Moabit gebracht, in dessen Nähe er kurz vor der Einnahme Berlins durch die Rote Armee von SS-Männern liquidiert wurde.
MOABITER SONETTE
I
IN FESSELN
Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll,
So kahl die Zelle schien, so reich an Leben
Sind ihre Wände. Schuld und Schicksal weben
Mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll.
Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt,
Ist unter Mauerwerk und Eisengittern
Ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern,
Das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.
Ich bin der erste nicht in diesem Raum,
In dessen Handgelenk die Fessel schneidet,
An dessen Gram sich fremder Wille weidet.
Der Schlaf wird Wachen wie das Wachen Traum.
Indem ich lausche, spür ich durch die Wände
Das Beben vieler brüderlicher Hände.
II
NÄCHTLICHE BOTSCHAFT
Noch andre Botschaft rieselt aus der Nacht
In meines Wesens kaum bewusste Schichten.
Im Wellengang von Tönen und Gesichten
Wird mir von Toten letzter Sinn gebracht.
Zu deuten, was ich fühle, bleibt versagt.
Die Toten rufen uns in eigner Weise
Mit Klängen wie von einer Sternenreise.
Nur Eines weiss ich, da der Morgen tagt.
So wenig in den stoffgebundnen Reichen,
Seit Schöpfertum im Sonnenkreis begann,
Ein Körnchen Staub verlorengehen kann,
So wenig darf ein Seelenhauch entweichen.
Wohin er weht, wenn er dem Leib entflieht –
Die Frage scheut, wer keine Grenze sieht.
III
TIBETISCHES GEHEIMNIS
In jenem Land, wo klare Winterstürme
Die höchsten Gipfel dieser Welt umwehn,
Soll man auf seltne Künste sich verstehn,
Geborgen in den Schutz der Klostertürme.
Die Weisesten der Weisen leben dort,
In Zellen eingemauert, ihrem Denken.
Der Seele streng beherrschte Strahlung lenken
Sie Andern zu, gelöst von Zeit und Ort.
Was Fugenspiel und Symphonie dem Tauben,
Was Rot und Grün dem Farbenblinden scheinen,
Gilt solche Kunst für stoffgebundnes Meinen.
Wo Geistes-Wunder, sonst ein scheues Glauben,
Schon hohes Können ist, verwandelt sich
Ins grosse Du hinein das kleine Ich.
IV
WELLENRUFE
Ich weiss vielleicht schon mehr von diesen Dingen
Als Taube von Musik; vielleicht so viel,
Wie einer hört von fernem Flötenspiel,
Der Wachs im Ohr hat: ein gedämpftes Klingen,
Doch immerhin genug, um einen Wert
Aus diesem oder jenem Ton zu hören,
Genug, den Spieler nicht im Spiel zu stören,
Genug, den Sinn zu wecken, der verehrt.
So lausch ich heute mit gebundnen Händen
Auf manches, was an viele schon sich wendet,
Auf manches, was an mich allein gesendet –
Und rufe selber aus des Kerkers Wänden,
Ob ungelenk und schwach, dem Nächsten zu:
Sei nicht in Sorge – Leben wirst auch Du!
V
AN DER SCHWELLE
Die Mittel, die aus diesem Dasein führen,
Ich habe sie geprüft mit Aug und Hand.
Ein jäher Schlag – und keine Kerkerwand
Ist mächtig, meine Seele zu berühren.
Bevor der Posten, der die Tür bewacht,
Den dicken Klotz von Eisen sich erschlösse,
Ein jäher Schlag – und meine Seele schösse
Hinaus ins Licht – hinaus in ferne Nacht.
Was Andre hält an Glauben, Wünschen, Hoffen,
Ist mir erloschen. Wie ein Schattenspiel
Scheint mir das Leben, sinnlos ohne Ziel.
Was hält mich noch – die Schwelle steht mir offen.
Es ist uns nicht erlaubt, uns fortzustehlen,
Mag uns ein Gott, mag uns ein Teufel quälen.
DER SCHIERLINGSBECHER
Man will noch in Athen den Ort bezeugen,
Wo Sokrates gewartet haben soll,
Bis jene Frist der frommen Feste voll,
Um sich dem tötlichen Gesetz zu beugen.
Ich ging vorüber an der dunklen Schwelle,
Den Blick zum Parthenon emporgewandt,
Und übersah, von lichtem Glanz gebannt,
Den Todesbecher in der Tageshelle.
Nun reut mich, dass ich dort vorüberging:
Es hätte sich geziemt, ins Knie zu sinken,
Und wissend von dem Schierling mitzutrinken.
Es war ein Grosser, der sich unterfing,
Des eignen Staates blinden Mordgewalten
Als Opfertier die Treue so zu halten.
VII
BARBARENTUM
In Syrakus, in einer wilden Zeit,
Hat man Gefangne deshalb losgegeben,
Weil sie von Jammer sich im Kerkerleben
Durch Chorgesang des Aischylos befreit.
Ein Dschingis Khan sogar, des Blutes voll,
Hat seine Streiter streng dahin beschieden,
Dass man beim Bau von Schädelpyramiden
Der Denker und der Künstler schonen soll.
Die Zeiten solcher Auswahl sind vorbei,
Wer wagte heut, ein Dschingis Khan zu sein?
Wer löste Chöre von Gefangnen ein?
So preisen wir vergangne Barbarei.
In unsrer Zeit sind all die Schädel gleich.
An Masse sind wir ja so schädelreich!
RUNDMARSCH DER GEFANGNEN
In Moskau hab ich einst ein Bild gesehn.
Van Gogh der Meister. Dunkler Quadern Bau.
Ein Innenhof. Gefangne, grau in grau,
Die hoffnungslos in engen Kreisen gehn.
Nun schau ich selber durch die Gitterstäbe
In einen Hof, darin man Menschen treibt
Wie Herdenvieh, das noch zu hüten bleibt,
Bevor man ihm das Beil zu spüren gäbe.
Als Herrscher aller dieser grauen Bahnen
Steht Einer draussen, den die Lust erfüllt,
Wenn Andre leiden: Einer, der noch brüllt,
Wenn Andre schweigend schon die Wandlung ahnen,
Die aus den Gräbern sprossend längst beginnt,
Bevor sie rot in rote Ströme rinnt.
DIE WÄCHTER
Die Wächter, die man unsrer Haft gestellt,
Sind brave Burschen. Bäuerliches Blut,
Herausgerissen aus der Dörfer Hut
In eine fremde, nicht verstandne Welt.
Sie sprechen kaum. Nur ihre Augen fragen
Zuweilen stumm, als ob sie wissen wollten,
Was ihre Herzen nie erfahren sollten,
Die schwer an ihrer Heimat Schicksal tragen.
Sie kommen aus den östlichen Bereichen
Der Donau, die der Krieg schon ausgezehrt.
Ihr Stamm ist tot, ihr Hab und Gut verheert.
Noch warten sie vielleicht auf Lebenszeichen.
Sie dienen still. Gefangen – sind auch sie.
Ob sie’s begreifen? Morgen? Später? Nie?
X
LAWINEN
Wem je die hohen Berge Heimat waren,
Der weiss, wie man die Hänge meiden muss,
An denen, in zermalmend-jähem Schuss
Lawinen donnernd in die Tiefe fahren.
Da mag ein ganzer Berg in Stille lauern,
Der kleinste Schneeball reisst die Hüllen auf,
Und weisse Lasten tosen ihren Lauf,
Begraben Täler unter Todesmauern.
Vermessenheit, Lawinen loszulösen!
Verbrecher, wer sich des Zerstörens freut,
Und Narr zugleich, wer nicht den Wurf bereut!
Vermessenheit, im Guten oder Bösen –
Ich büsse den Versuch! – sie aufzuhalten …
Ein Stoss – ein Wirbel – tötliches Erkalten …
XI
GERÄUSCHE
...Erscheint lt. Verlag | 1.4.2023 |
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Reihe/Serie | textura | textura |
Vorwort | Ursula Laack |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte | |
Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Geld / Bank / Börse | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Staat / Verwaltung | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Albrecht Haushofer • Deutschland • Dichtung • Drittes Reich • Gedicht • Geschichte • Lyrik • Nationalsozialismus • Sonett • Widerstand |
ISBN-10 | 3-406-79443-2 / 3406794432 |
ISBN-13 | 978-3-406-79443-8 / 9783406794438 |
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