Gegenwind (eBook)
224 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7575-3730-2 (ISBN)
Jessica Zenner ist 1994 im beschaulichen Saarland geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Mediengestalterin stieg sie 2017 ohne Rückflugticket in ein Flugzeug nach Australien und reiste daraufhin zwei Jahre um die Welt. Ihre eigenen Erfahrungen und Eindrücke sind stets zentrales Thema in ihren Texten, die sie auf ihrem Reiseblog www.freigereist.com und in den Sozialen Medien unter dem Pseudonym freigereist veröffentlicht. Nach ihrer Rückkehr 2019 studierte sie Leisure & Tourism Management in Stralsund und ist als selbstständige Grafikdesignerin und freie Autorin tätig.
Jessica Zenner ist 1994 im beschaulichen Saarland geboren. Nach ihrer Ausbildung zur Mediengestalterin stieg sie 2017 ohne Rückflugticket in ein Flugzeug nach Australien und reiste daraufhin zwei Jahre um die Welt. Ihre eigenen Erfahrungen und Eindrücke sind stets zentrales Thema in ihren Texten, die sie auf ihrem Reiseblog www.freigereist.com und in den Sozialen Medien unter dem Pseudonym freigereist veröffentlicht. Nach ihrer Rückkehr 2019 studierte sie Leisure & Tourism Management in Stralsund und ist als selbstständige Grafikdesignerin und freie Autorin tätig.
2. Widerstand
»Vielen Dank für Ihre Buchung!«
Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Ich las den Satz laut vor, der in violetter Schrift auf Tobis Bildschirm flackerte. Er besiegelte unsere Entscheidung. Der Flug war gebucht. Oh mein Gott! Ich sprang wie ein Flummi im Arbeitszimmer herum und grinste dabei über beide Ohren. In nur zwei Wochen schon sollte unser Flug von Hamburg nach Kevlafík starten.
Zwei Wochen sind für die Vorbereitung einer Radtour im Übrigen viel zu wenig Zeit, wenn man:
a) absolut keine Ahnung von Radtouren hat,
b) zwei komplett unbrauchbare Drahtesel besitzt,
und c) mitten in der Prüfungsphase steckt.
Die Kombination aus diesen drei Faktoren brachte Tobi schier zur Verzweiflung. Er verbrachte jede freie Minute, die er zwischen Lernen und Prüfungen aufbringen konnte, im Keller. Er versuchte zu retten, was irgendwie ging.
»Das geht schon so«, sagte ich mit ernster Miene, als wir beide vor meinem Fahrrad standen, die Hände wie echte Fahrrad-Profis auf die Hüften gestützt. Also, mit „meinem“ Fahrrad, ein weiß gestrichenes Mountainbike ohne Marke, meinte ich eigentlich Tobis Kinderfahrrad, dass er mir zu Beginn des Studiums geschenkt hatte, weil ich zu geizig war, um für das schlimmste Fortbewegungsmittel der Welt auch nur einen Cent auszugeben.
Wer braucht schon ein Fahrrad, wenn er auch zu Fuß gehen kann? Es war definitiv nicht mehr das Jüngste, aber für meine zehnminütige Tour zur Uni reichte es. Die fuhr ich gerade noch mit Zähneknirschen, aber weiter entferntere Strecken konnte man mir wirklich nicht mehr zumuten. Dementsprechend wenig Ahnung hatte ich von Fahrrädern.
Als gelernter KFZ-Mechatroniker hatte Tobi zu meinem späteren Glück einen etwas professionelleren Blick auf die Materie. Mein Fahrrad brauchte dringend eine neue Kette. Und ein neues Tretlager, eine Kassette, ein Ritzel, neue Griffe, Brems- und Schaltbowdenzüge, einen neuen Mantel im Vorderreifen und neue Pedale.
Na, wenn er meint.
Aber auch Tobis Fahrrad war bei genauerem Hinschauen nicht gerade in Topform. Die Zeit saß uns im Nacken, und mit jedem weiteren Versuch, es wieder in Gang zu bringen, kamen neue Probleme hinzu. Das Fahrrad war die reinste Katastrophe, freundlich ausgedrückt.
Das Tretlager war bereits so fest korrodiert, dass er es nur mit brutaler Gewalt und einer Säge herausbekam. Die Korrosion hatte das Gewinde aufgefressen, wodurch auch das neue Tretlager keinen Halt fand. Es musste also ein neues Gewinde her. Das erforderte jedoch ein spezielles Werkzeug, welches im Umkreis von über 100 Kilometern nirgends zu finden war. Im Fahrradladen legte man ihm nahe, dass der Rahmen nicht mehr zu retten sei. Ich erinnere mich noch gut daran, wie verzweifelt Tobi an diesem Tag nach Hause kam. Es war ein absolutes Desaster. Eines stand jedenfalls fest: In diesem Zustand würde sein Fahrrad keinen Meter weit fahren.
Während er parallel schon nach neuen Fahrrädern auf Ebay Kleinanzeigen Ausschau hielt, schien es in Rostock dann doch plötzlich einen Laden zu geben, der das heiß ersehnte Werkzeug hatte. Lange Rede, kurzer Sinn: Einen Tag vor Abflug standen im Keller zwei voll ausgestattete, abfahrbereite Mountainbikes. Tobi hatte ganze Arbeit geleistet.
Unser Flugzeug nach Reykjavík sollte am Folgetag um sieben Uhr morgens abheben. Bis zum Flughafen Hamburg waren es gute drei Stunden mit dem Auto, also beschlossen wir, die Nacht durchzumachen und so früh wie möglich am Flughafen zu sein.
Die Uhr am Handgelenk zeigte bereits 16 Uhr. Während Tobi im Keller die letzten Kleinigkeiten erledigte, machte ich mich ans Packen. Als Weltreisende und erfahrene Backpackerin war ich natürlich geübt, sämtliche Rucksäcke effizient zu packen. Aber mit unserer „neuen Art zu Reisen“ stand ich plötzlich vor neuen Herausforderungen. Wie zur Hölle packt man eine Fahrradtasche?
Ich beschloss, erstmal alle brauchbaren Gegenstände auf einzelne kleine Häufchen im Wohnzimmer aufzuteilen und das Tetris spielen an Tobi abzugeben. Was für andere eine anstrengende und nervtötende Aufgabe ist, macht ihm unheimlich Spaß. Er ist der absolute König darin, Gegenstand für Gegenstand genaustens nebeneinander zu platzieren. Bei ihm hätte auch ein Elefant in die Fahrradtasche gepasst.
Nach rund zwei Stunden waren die Taschen gepackt und gesammelt in einen riesigen schwarzen Sack gesteckt. Unser Aufgabegepäck. Die Sache mit dem Elefanten ist nur die: Egal, wie gut du ihn in die Fahrradtasche packst, er ist einfach zu schwer. Auch wenn wir natürlich keinen sanften Riesen ins Aufgabegepäck gesteckt hatten, sorgte der Blick auf die Waage für Ernüchterung.
»Wie sollen wir denn bitte sieben Kilogramm loswerden?«, fragte ich erschrocken.
Tobi sagte nichts. Ich wusste, was das bedeutete. Wir mussten alle Taschen erneut öffnen, umpacken, auspacken, wiegen. Immer und immer wieder, bis das zulässige Maximalgewicht von 23 Kilogramm erreicht war. Das war für mich eine absolute Katastrophe, denn das hieß auch, dass die Taschen nun nicht mehr nach Sinn, sondern nach Gewicht gepackt wurden. Dann kuschelte der Schraubenschlüssel mit meiner Unterwäsche, und etwa 30 Proteinriegel landeten im Handgepäck.
Na großartig. Was sollen die bei der Kontrolle am Flughafen von mir denken, wenn ich 30 Riegel mit an Bord nehme? Sowas konnte ich ja gebrauchen. Gegen 23 Uhr hatten wir es endlich geschafft, alle Gepäckstücke gleichmäßig aufzuteilen. Plötzlich fiel mir eine andere essenzielle Sache ein, die noch immer mit einem großen Fragezeichen versehen war.
»Du sag mal, wo parken wir nun eigentlich unser Auto?«
Eine berechtigte Frage. Zwar kam diese immer mal wieder zwischen uns auf, trotzdem schien die Parksituation in Hamburg bei Tobi nicht so viel Nervosität auszulösen, wie es bei mir der Fall war.
»Ich kenn‘ da jemanden«, hatte er immer wieder gesagt, und mich wunderte es nicht, dass dieser „jemand“ dann plötzlich doch keinen Parkplatz anzubieten hatte. Auch das schien Tobi nicht sonderlich aus der Fassung zu bringen.
»Dann parken wir es eben am Flughafen. Das ist mit den Fahrrädern sowieso angenehmer, weil wir nicht so weit laufen müssen.«
Recht hatte er. Für den Transport im Flugzeug hatten wir uns zuvor Kisten aus einem Fahrradladen besorgt. Mein Rad war bereits auseinander gebaut und verstaut. Ich stellte mir vor, wie ich mich mit dieser riesigen Kiste in die Hamburger U-Bahn zwängen würde. Er hatte mich überzeugt.
Wir luden meine Kiste ins Auto. Tobis Fahrrad schnallten wir auf das Dach. Der Plan war, dass ich seines am Flughafen einpacken sollte, während Tobi das Auto zum Parkplatz brachte.
Der Parkplatz. Da war ja was. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus und vertrieb all die Aufregung. Ich traute mich kaum noch zu fragen. Als wir im Auto saßen und ich das Fahrzeug Richtung Hamburg auf die Autobahn lenkte, konnte ich nicht länger an mich halten. Diese Nervosität machte mich fertig. Ich atmete tief ein und begann zu sprechen.
»Nochmal wegen des Autos … also … muss man da nicht normalerweise einen Parkplatz reservieren, bevor man ankommt?«
Tobi seufzte. »Ja.«
»Und … hast du das vorhin noch gemacht?«
Er tippte nervös auf seinem Handy herum. Ich wartete auf eine Antwort, konnte sie mir aber schon denken.
»Shit.«
Ich sah ihn kurz an. Es war dunkel und ich konnte nicht viel sehen. Aber ich erkannte, dass er mit weit aufgerissenen Augen auf seinen hell erleuchteten Bildschirm starrte. Wieder Stille.
»Erde an Tobias, was ist denn nun?«
»1050 Euro wollen die haben.«
Jetzt war ich diejenige, der die Worte fehlten.
»Wie jetzt?«
»Na ja, die wollen 1.050 Euro haben. Weil es eine Expressbuchung wäre. Und … weil es der letzte Parkplatz ist.«
Atmen. Tieeeef einatmen.
Ich versuchte mich zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Es war spät. Unter normalen Umständen hätte ich schon längst im Bett gelegen. Mit 18 war es für mich kein Problem gewesen, nächtelang wach zu sein. Neun Jahre später fehlten mir zu dieser Uhrzeit einfach gewisse Hirnzellen, um zur Problemlösung beizutragen. Ich spürte Panik in mir aufsteigen.
»Ähh. Und nun?«
Mehr brachte ich nicht raus. Wenn wir unser Auto nicht einmal am Flughafen stehen lassen konnten, wo sollten wir es sonst abstellen? In seiner Verzweiflung wählte Tobi wahllos irgendwelche Nummern aus dem Internet, die auf den ersten zehn Seiten der Google-Suche erschienen. Obwohl ich erwartete, dass mitten in der Nacht niemand mehr ans Telefon gehen würde, hatte Tobi Erfolg. Schon beim ersten Versuch meldete sich eine kräftige Männerstimme, die uns aber sofort reinen Wein einschenkte.
»Vier Wochen? Da werden Sie niemanden finden, der ihren Wagen aufnimmt. Sie können es natürlich versuchen, aber ich warne sie. Ich kenne mich aus, die Parkservices platzen aus allen Nähten. Hier gibt’s viele schwarze Schafe. Die anderen werden Ihnen große Versprechen machen, aber letztendlich stellen Sie Ihr Fahrzeug auch nur in einer Seitenstraße ab.«
Ich konnte nicht viel verstehen. Zu meinen Ohren drangen lediglich die Worte „schwarze Schafe“ und „Seitenstraße“ durch. Mehr musste ich auch nicht verstehen.
Na, wie schön. Da geht einem doch das Herz auf.
Letztendlich fand Tobi doch noch eine Firma, die zumindest telefonisch angab, noch Restplätze auf ihrem Gelände zu haben. Dass das Auto dort gut aufgehoben sein würde, wagte ich zu bezweifeln. Aber wir hatten keine andere Wahl.
Oh, man! Dann kommen wir zurück und haben...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2023 |
---|---|
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abenteuer • Fahrradreise • Gegenwind • Island • Persönlichkeitsentwicklung • Radreise • Reisebericht |
ISBN-10 | 3-7575-3730-0 / 3757537300 |
ISBN-13 | 978-3-7575-3730-2 / 9783757537302 |
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Größe: 7,3 MB
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