Last Call Manila (eBook)
250 Seiten
Transit Buchverlag
978-3-88747-450-8 (ISBN)
Jose Dalisay, 1954 geboren, ist einer der bekanntesten und meist ausgezeichneten Schriftsteller der Philippinen. Er schreibt Gedichte, Kurzgeschichten, Romane und auch politische Bücher. Er ist Professor für Englische Literatur an der Universität der Philippinen, war als Gastdozent längere Zeit in den USA, in England und Italien. Seine Romane sind ins Italienische und Französische übersetzt. Er lebt in Manila.
Die Frau in der Kiste
Die Verwandtschaft der Toten
Eine Busladung voller Regines
Der Anblick von Trauer
Bis zur Unkenntlichkeit
Vollmond in Hongkong
Ein Berg frisch gewaschener Wäsche
Über Wasser gehen
Ein neues Zuhause
Eine Schwesternschaft aus Trauer
Das kreischende Holz
Eine auffällige Verfärbung
Die märchenhafte Fontäne
Glossar
Tod einer Haushaltshilfe
Von Thomas Wörtche
Der philippinische Autor Jose Dalisay erzählt in seinem Krimi "Last Call Manila" vom brutalen Alltag in seiner Heimat – und von den philippinischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die rund um den Globus unter prekären Bedingungen ihr Geld verdienen. Jose Dalisay ist einer der produktivsten, renommiertesten und gewichtigsten Autoren der Philippinen. Schon allein deshalb ist es begrüßenswert, dass der Berliner Transit Buchverlag ihn mit seinem Roman "Last Call Manila" bei uns endlich vorstellt.
Es geht um einen Sarg, der aus Jeddah in Saudi-Arabien per Luftfracht auf dem Flughafen inManila landet. Im Sarg die sterblichen Überreste einer Frau namens Aurora V. Cabahug, so sagen wenigstens die Begleitpapiere. Aber Aurora V.
Cabahug ist unter dem Namen Rory als Nachtclubsängerin in der philippinischen Provinz quicklebendig. Allerdings ist ihre Schwester Soledad, die zu den unzähligen Philippinos und Philippinas gehört, die in rund um den Globus meist prekäre Arbeitsverhältnisse akzeptieren müssen, seit geraumer Zeit nicht mehr auffindbar.
Rory, die ihrer Schwester Soledad ihren Namen geliehen hatte, und ein Polizist namens Walter machen sich auf die Reise nach Manila, um den Sarg nachhause zu bringen. Kaum haben sie die Kiste auf ihren kleinen Van geladen, wird der gestohlen …
Das liest sich ziemlich makaber. Und damit ist auch die Grundstimmung des Romans ganz gut charakterisiert. Entlang der kriminalliterarisch konventionellen
Frage, "was ist mit Soledad passiert, wie ist sie in Saudi-Arabien ums Leben gekommen?" erzählt Dalisay oft grimmig, lakonisch und mit viel Gespür für schwarzen Humor aus dem philippinischen Alltag, in dem das Ungeheuerliche
dauernd passiert, aber kaum beachtet wird. Von absurden Todesfällen, unfasslich inkompetenter und korrupter Polizei, von schlimmster Umweltverschmutzung, der Kluft zwischen arm und reich, vom Überleben und der Moral des Überlebens und von Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen, die vom vorherrschenden Katholizismus auch noch gestützt wird - einem Katholizismus, der ähnlich wie die politischen Strukturen ein Erbe der Kolonialgeschichte der Philippinen ist.
Soledads Geschichte hingegen steht stellvertretend für die vielen philippinischen Hausmädchen, Seeleute und Dienstboten aller Art, die, fast unsichtbar, überall auf der Welt schuften, mehr oder weniger als Arbeitssklaven, als Sexsklavinnen, mehr oder weniger rechtelos. Soledad hatte schon in Hongkong schlechte Erfahrungen gemacht, in Saudi-Arabien verliert sich ihre Spur. "Einfach so", lautet der letzte Satz des Romans.
Dalisay erzählt strikt auktorial, manchmal abschweifend und mäandernd, um die komplizierten sozialen Verhältnisse und die Würde der menschlichen Existenzen nicht zu verkürzen, aber auch dieser auktoriale Erzähler muss passen, wenn es um Soledads Tod geht. Denn alle Institutionen, die eigentlich für Aufklärung zuständig wären, versagen. Das heißt: Sie interessieren sich nicht für eine philippinische Haushaltshilfe. Und der Erzähler des Romans hat keine Möglichkeit, dieses Desinteresse fiktional zu unterlaufen. Er kann die Makrostrukturen beschreiben, ein Einzelschicksal jedoch ehrlicherweise nicht.
Was bleibt ist die Erkenntnis des Makabren, Bizarren und Grotesken dieser Welt – nicht als ästhetisches Spiel, sondern als hammerharte Realität. Und so gefriert uns das Lachen.
Jose Dalisay ist mit »Last Call Manila« der Neueinstieg (Platz 7) auf der Krimibestenliste im Juni 2023: »Im Sarg aus Saudi-Arabien liegt Aurora Cabahug. Polizist Walter kennt – erstaunlich – eine Sängerin gleichen Namens, verwandt mit der Toten. Gemeinsam erforschen sie das Schicksal der in der Fremde Ermordeten. Einfühlsam, sachlich erzählt: vom Leid und Kampf philippinischer Arbeitsmigrantinnen.«
Ein Sarg fliegt von Saudi-Arabien nach Manila. In ihm befindet sich die Leiche einer jungen Frau, die ein Jahr zuvor die Philippinen verließ. Der Name allerdings, der auf dem Sarg steht, ist nicht ihr eigener, sondern der ihrer Schwester. Und diese Aurora Cabahug ist nicht tot, sondern eine sehr lebendige 21-Jährige, die in einer verschlafenen philippinischen Kleinstadt als Barsängerin ihr Geld verdient, von einer Karriere im internationalen Musikbusiness träumt und sich einstweilen um den zweijährigen Sohn ihrer großen Schwester Soledad kümmert, die im Ausland für die Familie Geld verdient. Die Familie, das sind nur noch die beiden Schwestern und das Kleinkind, denn die Eltern und der Bruder sind viele Jahre zuvor bei einem Feuer ums Leben gekommen.
Bis wir das alles über die weibliche Hauptfigur erfahren haben, vergeht einige Zeit; denn dieser im Original 2008 erschienene Roman des auf den Philippinen sehr bekannten Autors Jose Dalisay begleitet nicht nur Aurora, genannt Rory, dabei, wie sie sich auf den Weg macht, den Sarg der toten Soledad aus Manila abzuholen, sondern verweilt auch bei Nebenfiguren gern etwas länger.
Es ist ein bisschen so, als entfalte sich vor der Leserin eine narrative Mind Map, die sich wie ein Erzählkrake in alle Richtungen streckt. Das fühlt sich zunächst etwas eigenartig an, entfaltet aber nach einer gewissen Eingewöhnungsphase großen Reiz. Es ist ja gar nicht so, als würde die Erzählung abschweifen; vielmehr gehört es zu ihrer inneren Logik, das schicksalhafte und meist zufällige Ineinandergreifen all dieser Menschenleben dadurch fühlbar zu machen, dass sie allen Figuren den gleichen aufmerksamen Ernst spendet.
Auch von der männlichen Hauptfigur, einem Polizisten namens Walter, dem es obliegt, Rory zu begleiten, müssten wir im Grunde gar nicht so viel wissen, wie wir hier erfahren. Aber Walters längst vergangene Beziehung zu einer jugendlichen Prostituierten, die zum Ende seiner Ehe führte, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf seinen einerseits ehrbaren, andererseits etwas schwachen Charakter, sondern beleuchtet wiederum eine weitere Facette der philippinischen Gesellschaft.
So entsteht, während ganz allmählich das Ausmaß von Soledads Tragödie deutlich wird und Walter und Rory sich im Gewirr von Manila behaupten müssen, ein breit angelegtes, atmosphärisch reiches Bild einer ziemlich desolaten Gesellschaft, deren Mitglieder unaufhaltsam auseinanderzustreben scheinen. Die Sehnsucht nach dem Ausland, die Millionen Menschen in die Arbeitsmigration treibt, wird nicht allein durch materielle Not angetrieben. Auch der Zusammenhalt der Menschen im Land lässt zu wünschen übrig. Rory und ihre verstorbene Schwester sind sich nie nahe gewesen; und auch Walter hat, in Manila angekommen, keine Ahnung gehabt, dass seine Mutter und Schwester dort schon längst nicht mehr in der alten Wohnung leben. Ihren letzten, vor Monaten angekommenen Brief hatte er nie geöffnet.
Was der verstorbenen Soledad angetan wurde, werden wir nicht genau erfahren; aber da auch ihre Perspektive zur Geltung kommt, wissen wir irgendwann genug, um es uns ungefähr vorstellen zu können. Damit sind wir hier, abgesehen vom Autor, auch die einzigen. Und die Sache, die mit dem Sarg dann noch passiert, ist eine ziemlich groteske Metapher auf das Schicksal der Lebenden und der Toten in einer Welt, in der jeder Mensch nur um sich selbst zu kreisen scheint.
Um über die Philippinen mehr zu erfahren eignet sich ›Last Call Manila‹ hervorragend: Denn der Roman erzählt nicht nur eine Kriminalgeschichte – die ist tatsächlich nicht viel mehr als der lockere Knoten, der eine Handvoll äußerst lebendig gezeichneter Figuren miteinander verknüpft –, sondern er entfaltet darüber hinaus ein so intensives Panorama der philippinischen Gesellschaft, dass der Roman auch als Sozialreportage gelesen werden kann. Trotzdem liest sich der Roman alles andere als eine Tirade, sondern ist unglaublich bunt, sprachlich frisch übersetzt und teils sogar richtig witzig. Das liegt an Dalisays spitzen Figurenzeichnungen, seinen detailreichen Milieuschilderungen und seinem Sinn für kleine Absurditäten. Ein geradezu unterhaltsamer Mix aus journalistischer Analyse und feinstrichiger Malerei.
Last Call Manila (Soledad's Sister)
Das ist eine Preziose: Meines Erachtens ist LAST CALL MANILA von Jose Dalisay der erste Kriminalroman eines Philippinischen Autors oder einer Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde (Korrekturen werden dankend genommen). Jose Dalisay, geboren1954, ist ein auf den Philippinen und darüber hinaus weithin anerkannter Autor, Theatermann und Herausgeber (unter anderem einer zehnbändigen Geschichte der Philippinen). LAST CALL MANILA ist 2008 erschienen und war bereits im Jahr zuvor für die asiatische Variante des Man Booker Prize nominiert.
Eine 11. Schulklasse in Paranaque las und diskutierte über das Buch, Aleiza Marielle A. Villena kam zu dem Schluss:
"Soledad's sister is like an eye opener to us Filipinos because it was mentioned there that Filipinos take risks to work in other countries in exchange of their own safety and life in order for them to have enough money for their family to use in their everyday lives."
Abgesehen von diesen eher lebenspraktischen Einsichten vermittelt LAST CALL MANILA den europäischen Leserinnen einen verstörenden Einblick in die Zwänge der OFW (Overseas Filipino Workers). Paradigmatisch steht für ihr Schicksal die Soledad des Originaltitels: in Hongkong vergewaltigt, als Mutter eines unehelichen Kindes diskriminiert und in Saudi-Arabien ermordet. Soledad bedeutet Einsamkeit, und das Ausmaß der darin enthaltenen Entfremdung wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass Soledad nicht einmal unter ihrem richtigen Namen als Leichnam in die Heimat zurückkehrt, die sie verlassen musste, um ihr Kind und ihre Schwester zu ernähren. Dalisay verpackt diese kruden Fakten in einem Kriminalroman, der vieles nicht erklärt oder auflöst, sondern als opake, schreckliche Realität eines Lebenskampfes schildert.
LAST CALL MANILA zeigt einmal mehr, welche Schätze in den Literaturen abroad schlummern und gehoben werden können. Weshalb die Übersetzung verdienstvoll gefördert wurde von Litprom e.V., einer der wichtigsten Brücken des deutschen Literaturbetriebs in die Kulturen des globalen Südens.
»Makaber. Das ist die Grundstimmung dieses Romans. Dalisay erzählt grimmig, lakonisch und mit viel Gespür für schwarzen Humor aus dem philippinischen Alltag, in dem das Ungeheuerliche dauernd passiert, aber kaum beachtet wird. Von absurden Todesfällen, unfasslich inkompetenter und korrupter Polizei, von schlimmster Umweltverschmutzung, der Kluft zwischen arm und reich, vom Überleben und der Moral des Überlebens und von Gewalt gegen Frauen auf allen Ebenen. Es ist die Geschichte vieler philippinischer Hausmädchen, Seeleute und Dienstboten aller Art, die, fast unsichtbar, überall auf der Welt schuften, mehr oder weniger als Arbeitssklaven, als Sexsklavinnen, mehr oder weniger rechtelos.«
http://culturmag.de/crimemag/thomas-woertche-bespricht-last-call-manila/153676
Ein Roman voller Überraschungen, üppig erzählt und gekonnt komponiert. Er zeichnet ein fesselndes, ungeschminktes und einfühlsames Bild unserer heutigen Gesellschaft aus philippinischer Perspektive
Nicht nur als Krimi lesen, viel besser ist es, es als ein Lebenszeichen aus einem Winkel der Welt zu begreifen, aus dem in Deutschland nur alle paar Jahre ein Stück Literatur erscheint. »Last Call Manila« erlaubt dem lesenden Weltreisenden einen so berührenden wie spannenden Einblick in eine andere Existenz.
Die Übersetzung fängt den lakonischen Stil ein. Dalisay erzählt kühl, jedoch nie verharmlosend, nie ohne Mitleid. Gebrochen wird die Nüchternheit, wenn der Autor Menschen und Landschaften beschreibt. Da schwingen sich Vergleiche zu poetischen Bildern auf. So kurz und treffend, wie er diese Bilder projiziert, gelingt es Dalisay auch, die Figuren lebendig werden zu lassen, die sein Buch bevölkern. Mit wenigen Sätzen zeichnet er Lebensumstände, Kindheiten, Affären nach und lässt aus Nebenfiguren Charaktere werden, deren Handlungen und Motivationen man schon nach einem Absatz nachvollziehen kann. So trifft man auf den knapp zweihundert Seiten kleine und große Gauner, Sängerinnen, Putzfrauen, Angestellte und Polizisten – Frauen und Männer, die von einem besseren Leben träumen und am Ende doch feststellen müssen, dass dem Schicksal, in einem armen Land unter ärmlichen Verhältnissen geboren zu sein, kaum zu entrinnen ist.
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2023 |
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Übersetzer | Niko Fröba |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Arbeitsmigration • Arbeitssklaven • Ausbeutung • Gewalt • Mord • Philippinen • Versklavung |
ISBN-10 | 3-88747-450-3 / 3887474503 |
ISBN-13 | 978-3-88747-450-8 / 9783887474508 |
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