Herr Winter taut auf (eBook)
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01699-6 (ISBN)
Stefan Kuhlmann wuchs in Norddeutschland auf und lebt heute als freier Autor in Berlin, wo er vor allem für Film- und Fernsehen schreibt. Aus seiner Feder stammen die Drehbücher zu mehr als 50 Spielfilmen und Serienepisoden, unter anderem zu der erfolgreichen ZDF-Reihe Familie Bundschuh. «Umweg zum Sommer» ist sein zweiter Roman.
Stefan Kuhlmann wuchs in Norddeutschland auf und lebt heute als freier Autor in Berlin, wo er vor allem für Film- und Fernsehen schreibt. Aus seiner Feder stammen die Drehbücher zu mehr als 50 Spielfilmen und Serienepisoden, unter anderem zu der erfolgreichen ZDF-Reihe Familie Bundschuh. «Umweg zum Sommer» ist sein zweiter Roman.
Ich wollte Champagner
«Mein Mann konnte die ersten Wochen im Ruhestand rein gar nichts mit sich anfangen. Ein unerträgliches Ekelpaket war er», sagte Frau Kramer, während Sophia ihr die Kosmetikartikel einpackte, die sie soeben bei ihr erstanden hatte.
«Malen Sie den Teufel nicht an die Wand», entgegnete Sophia mit einem Stoßseufzer. Sie dachte an Robert. Die Vorstellung, dass er ab dem folgenden Tag, dem ersten seines Daseins als Rentner, rund um die Uhr zu Hause sein würde, löste nicht ausschließlich Begeisterung in ihr aus.
«Irgendwann geht die schlechte Laune vorüber», tröstete Frau Kramer, die ihren skeptischen Blick bemerkt haben musste. «Jetzt singt mein Mann im Chor. Und einmal die Woche geht er als Vorleser in den Kindergarten. Die suchen immer wieder Ehrenamtliche, vielleicht wäre das auch was für Ihren.»
«Vielleicht», sagte Sophia und lächelte verlegen, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Sie blickte auf die Uhr. Warum kam er so früh nach Hause?
«Robert, bist du’s?»
«Ja. Enttäuscht?», rief er zurück, und während Frau Kramer lächeln musste, löste seine Anwesenheit bei Sophia schlagartig Unruhe aus: Es war ihre stille Vereinbarung gewesen, dass sie ihre Kunden nicht zu Hause empfing. Aber was hätte sie tun sollen, als Frau Kramer unangemeldet vor der Tür stand? Sie war nicht irgendeine Kundin, sie war eine ihrer besten. Ihr Mann allerdings war kein Typ für Small Talk und nettes Geplänkel. Er hatte aus seinem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht und sprach die Dinge genauso aus, wie sie ihm in den Sinn kamen. Sophia war immer sicher gewesen, dass keine Absicht dahintersteckte. Die Sätze fielen ihm einfach so aus dem Mund. Er meinte es nicht böse. Meistens jedenfalls … Was passieren würde, wenn Frau Kramer sich mit ihren Ideen für den Ruhestand ihres Mannes direkt an ihn wandte, konnte Sophia nur schwer abschätzen. Es war eindeutig besser, ihre Kundin zügig aus der Gefahrenzone zu bringen.
«Wir rechnen einfach beim nächsten Mal ab», sagte sie, hielt Frau Kramer die Tüte hin und dirigierte sie sanft in Richtung Tür.
Doch Frau Kramer ließ sich nicht beirren und zückte ihr Portemonnaie. «Ach was, ich hab’s sicher passend.»
Und gerade als Sophia dem Rausschmiss ein wenig Nachdruck verleihen wollte, trat Robert auch schon ins Wohnzimmer, seine Aktentasche in der einen und die Flasche Champagner, die sie sich für den Abend gewünscht hatte, in der anderen Hand.
«Tag», sagte er und schaute fragend zwischen Sophia und Frau Kramer hin und her.
«Da bist du ja schon», flötete Sophia und überlegte verzweifelt, wie sie Robert aus dem Zimmer bugsieren konnte. «Du könntest den Champagner kalt stellen, bis ich hier fertig bin.»
Robert schien jetzt erst zu bemerken, dass er die Flasche noch in der Hand hielt. Als ob sie ihn bei etwas ertappt hätte, versteckte er sie hinter seinem Rücken. Trotzdem rührte er sich nicht vom Fleck. «Der ist kalt.»
Er bewegte sich auch nicht, als sie ihm direkt in die Augen sah und ihm mit einem Kopfnicken bedeutete, dass er sie bitte mit ihrer Kundin alleine lassen solle. Er tat vielmehr so, als ob er nicht verstand, was sie von ihm wollte.
«Sei ein Schatz und tu’s einfach», sagte sie, und tatsächlich war Robert im Begriff, ihrem Wunsch ohne Murren nachzukommen, als ausgerechnet Frau Kramer ihr einen Strich durch die Rechnung machte.
«Seien Sie nicht so streng mit Ihrem Mann, jetzt, wo er im Ruhestand ist», mischte sich ihre Kundin plötzlich ein, indem sie Robert freundlich anlächelte. «Ein Leben ohne Wecker. Ist das eine herrliche Aussicht?»
Sophia hakte sich bei ihr unter und zog sie mit sich zur Tür. «Eine gute Reise wünsche ich. Sie müssen sicher noch eine Menge vorbereiten», sagte sie und hoffte, dass sie die Einzige war, der die leise Verzweiflung in ihrer Stimme auffiel.
Frau Kramer bekam tatsächlich nichts von Sophias wachsender Unruhe mit und ließ sich nicht drängen. Sie war neugierig auf Robert. Kein Wunder: Die stille Vereinbarung zwischen Sophia und Robert hatte dafür gesorgt, dass ihn nie jemand aus ihrem Kundenstamm zu Gesicht bekam – was bei einigen der Damen zu einer gewissen Legendenbildung geführt hatte.
Frau Kramer ergriff die einmalige Chance, baute sich vor Robert auf und musterte ihn wie das letzte Exemplar einer aussterbenden Tierrasse. Und obwohl Robert sie mit komplettem Desinteresse strafte, holte sie tief Luft und erklärte ebenso stolz wie ungefragt: «Wir fliegen auf die Seychellen. Unsere Tochter hat dort eine Tauchschule. Wir haben noch mit fünfundsechzig den Tauchschein gemacht.»
Robert musterte sie skeptisch. «In Ihrem Alter sollte man sich bestenfalls noch eine Sauerstoffflasche anlegen lassen, wenn man im Koma liegt.»
Sophia schloss die Augen. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken, aber zu ihrer Überraschung begann Frau Kramer, herzhaft zu lachen. «Mein Mann hat auch so einen trockenen Humor. Sie würden sich gut verstehen.»
«Das bezweifle ich», stellte Robert klar und brachte Frau Kramer damit erneut zum Lachen – was ihn deutlich irritierte.
«Im nächsten Frühjahr machen Martin und ich eine Kreuzfahrt», sagte Frau Kramer fröhlich und stieß Robert verschwörerisch in die Seite. «Ihre Frau hat mir erzählt, dass Sie beide auch bald eine machen werden.»
Sophia spürte Roberts bohrenden Blick. «Wir diskutieren das noch», warf sie eilig ein, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
«Warum fahren wir nicht zusammen? Ich könnte das Reisebüro anrufen und fragen, ob noch Kabinen frei sind», fuhr Frau Kramer fort.
«Bevor ich mich auf so einem Dampfer einsperren lasse, beschmiere ich mich lieber mit Leberwurst und gehe freiwillig in einen Löwenkäfig», brummte Robert.
Doch Frau Kramer ließ sich nicht beirren, sondern prustete vor Vergnügen los. Sie konnte sich kaum noch halten. Zweimal war es gut gegangen, dachte Sophia, doch spätestens beim nächsten Mal würde selbst eine Frohnatur wie Frau Kramer es begreifen: Robert war keineswegs ein Meister der Ironie, sondern meinte jedes einzelne Wort genau so, wie er es sagte.
Frau Kramer erkannte die Gefahr nicht und redete munter weiter. Sophia musste handeln. «Denken Sie daran, Sie haben mir Fotos versprochen», sagte sie, während sie ihre Kundin energisch zur Tür schob und sich dabei fast ein wenig übergriffig vorkam.
«Herr Winter, schön, dass wir uns endlich kennengelernt haben», rief Frau Kramer Robert aus dem Flur zu. «Warum kommen Sie beide nicht mal zu uns zum Essen?»
Sophia lächelte verlegen. «Mein Mann geht nicht gerne aus, er ist mehr so der häusliche Typ.»
Frau Kramer nahm ihre Erklärung mit wissendem Blick an. «Ach, verstehe. Mein Mann war am Anfang auch so. Aber das wird sich schneller ändern, als Sie denken. Manche Menschen entwickeln im Ruhestand mehr Aktivität als im Berufsleben.»
Sophia seufzte. Nun befürchtete sie endgültig, dass die Situation aus dem Ruder laufen könnte. Ohne es zu ahnen, hatte Frau Kramer einen Finger in eine tiefe Wunde gelegt. Und da kam Robert auch schon in den Flur. «Was wollen Sie damit sagen?»
«Ganz sicher nichts gegen deinen Beruf, Robert», flötete Sophia in dem Versuch, die Eskalation zu vermeiden. Obwohl ihn die Meinung anderer Leute normalerweise nicht sonderlich interessierte, sah das völlig anders aus, wenn er sich mit dem Klischee des faulen Beamten konfrontiert sah.
«Wir alle wissen, dass ohne euch Finanzbeamte die Welt im Chaos versinken würde, nicht wahr, Frau Kramer?»
Frau Kramer schien kein Wort zu verstehen. Aber sie lenkte ein – wahrscheinlich hatte sie intuitiv doch begriffen, dass es Zeit war zu gehen. «Ja, wahrscheinlich …», stammelte sie und ließ sich bereitwillig von Sophia zur Tür hinausschieben.
Als ihre Kundin endlich gegangen war, baute sich Sophia vor Robert auf. Sie war verärgert. Mehr als das. «Dir ist schon klar, dass du auf diese Weise mein Geschäft ruinierst, oder?» Sie seufzte und versuchte, sich zu beruhigen. «Was hast du überhaupt für eine Laune? Ist irgendwas passiert?»
«Nein», raunte Robert leise.
Sie sah ihn auffordernd an.
«Es ist nichts», beteuerte er.
Sie sah die leise Spur eines schlechten Gewissens in seinem Gesicht. Immerhin. Dann fiel ihr Blick auf seine Hand, und sie sah sich die Flasche, die er mitgebracht hatte, genauer an.
«Schaumwein? Heute? Ich dachte, wir trinken Champagner?!»
«Den gab’s nicht im Tank-Shop», antwortete er kleinlaut und bemüht, der Sache nicht zu viel Bedeutung beizumessen.
«Im Tank-Shop?!»
«Im Supermarkt werden sie in Zukunft auf uns verzichten müssen.»
«Hast du dich wieder mit dem Filialleiter angelegt?»
Ertappt blickte Robert zu Boden.
«Das ist nicht dein Ernst.» Sophia nahm ihm die Flasche aus der Hand, stellte sie recht unsanft auf den Tisch und wandte sich zum Gehen.
Robert sah sie irritiert an. «Wo willst du hin?»
«Räum schon mal die Küche auf und sieh nach dem Braten.»
«Jetzt lass gut sein. Ich meine … Hauptsache, es sprudelt, oder?»
Sophia verschwand ohne ein weiteres Wort.
Robert hörte das Geklimper des Schlüssels, den sie vom Schlüsselbrett zog, und dann die Tür, die geöffnet wurde und wieder ins Schloss fiel. Er blickte ihr nach und ärgerte sich über sich selbst. Er hätte wissen müssen, dass genau das passierte. Er war ein sturer Hund, aber wenn’s drauf ankam, war Sophia sturer. Wenn sie Champagner wollte, wollte sie Champagner....
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Best Ager • Dora Heldt • Ehe • Ein Mann namens Ove • Ellen Berg • Handelsvertreter • Humor • humorvolle Romane • Kosmetik • Lustige Bücher • lustige bücher für erwachsene • lustige bücher für männer • Make-up • Mehr Zeit mit Horst • Senioren • Witwer • witzige Bücher |
ISBN-10 | 3-644-01699-2 / 3644016992 |
ISBN-13 | 978-3-644-01699-6 / 9783644016996 |
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