Hugo von Hofmannsthal: Grenzenlose Verwandlung (eBook)
928 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491849-5 (ISBN)
Prof. Dr. em. Elsbeth Dangel-Pelloquin lehrte Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Stellvertretende Vorsitzende der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft. Buchpublikationen zu Schnitzler, Hofmannsthal und Jean Paul, Aufsätze u.a. zu Keller, Stifter, Aichinger, zur Literaturgeschichte des Kusses, der Tränen und der Scham, zu komparatistischen Themen (u.a. zu Maurice Blanchot) und zu Autorinnen der Gegenwartsliteratur.
Prof. Dr. em. Elsbeth Dangel-Pelloquin lehrte Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Stellvertretende Vorsitzende der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft. Buchpublikationen zu Schnitzler, Hofmannsthal und Jean Paul, Aufsätze u.a. zu Keller, Stifter, Aichinger, zur Literaturgeschichte des Kusses, der Tränen und der Scham, zu komparatistischen Themen (u.a. zu Maurice Blanchot) und zu Autorinnen der Gegenwartsliteratur. Alexander Honold, geb. 1962 in Valdivia/Chile, ist Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Lehr- und Forschungsaufenthalte führten ihn u. a. nach New York, Stanford, Santa Barbara, Hamburg, München und Wien. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Kulturtheorie der Moderne, Erzählforschung, Landschafts- und Reisetexte, Literatur und Musik. Publikationen u. a.: »Poetik der Infektion. Zur Stilistik der Ansteckung bei Thomas Mann«, Berlin 2021; »Der Erd-Erzähler. Peter Handkes Prosa der Orte, Räume und Landschaften«, Stuttgart 2017.
[...] in der reichhaltigen, wohldurchdachten, somit hinreißenden Biografie [...].
So entsteht ein facettenreiches Gesamtbild. Das Warten auf die erste Hofmannsthal-Biografie hat sich gelohnt, sie ist ein Standardwerk – und wird es lange bleiben.
Den gelungenen Auftakt ins Hofmannsthal-Jahr macht die Biographie.
Ergriffen, nachdenklich und bereichert schließt man die neunhundertseitige Hofmannsthal-Biografie [...].
Zum vorliegenden Buch
Von der biedermeierlichen elterlichen Wohnung in der Salesianergasse 12 im innerstädtischen Wiener Bezirk Landstraße bis zum barocken Wohnhaus in Rodaun im südöstlichen Außenviertel Liesing sind es etwa 13 Kilometer, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln in weniger als einer Stunde zurückgelegt werden können, wobei es gut und gerne den halben Radius des Wiener Stadtgebiets zu durchqueren gilt. In biographischer Hinsicht liegen zwischen der Geburtsstätte Hugo von Hofmannsthals und seinem Wohnhaus und Sterbeort etwas mehr als 55 Lebensjahre; auch nach damaligen Begriffen noch keine wirklich lange Spanne an menschlicher Existenz.
Dieser kleine topographische Radius bildet den Rahmen eines Lebens, das von einer unruhigen Reisetätigkeit, einem bewegten kulturpolitischen Engagement und einem kaum zu überblickenden Bekanntenkreis erfüllt war, wovon ein immenses Briefwerk zeugt. In literarischer Hinsicht weitet sich der begrenzte Raum auf ein vielgestaltiges, an den Rändern offenes Werk, das sich in allen Gattungen und über die Grenzen des Sprachkunstwerkes hinaus zu den nichtsprachlichen Künsten hin bewegt, das mit der gesamten europäischen Tradition ein ›unendliches Gespräch‹[1] führt und mit seinem teilweise fragmentarischen Charakter auf eine moderne, prozessuale Ästhetik setzt.
In Hofmannsthals Geburtsjahr 1874 lag die Ringstraßen-Euphorie bereits ein paar Jahre zurück, der Gründerkrach vom Mai des Vorjahres wirkte noch nach. Das letzte Jahrhundertviertel konnte sich im Rahmen einer äußerlich vergleichsweise stabilen Friedenszeit entfalten, in der allerdings die innere gesellschaftliche Ordnung der Habsburgermonarchie unter den Druck verschärfter politisch-ethnischer Konflikte und sozialer Ungleichheit geriet. In Wien machte sich die von internationalen Handelsbeziehungen beförderte wirtschaftliche Expansion durch ein enormes demographisches Wachstum bemerkbar. Das kulturelle Gefüge der Residenzstadt wiederum wurde – offenkundig in stärkerem Ausmaß, als das in mancher anderen traditionellen Kunstmetropole geschah – durch mehrere Modernisierungswellen in vehemente Bewegung versetzt, an denen die spätere Fin de Siècle-Generation beteiligt war.
Hofmannsthals künstlerisches Wirken entfaltet sich vor dem Hintergrund der Wiener Moderne mit ihrer spannungsreichen Verbindung aus Traditionslast und Aufbruch, quirligen Verkehrsformen und problematischer Seelenzergliederung. Sein Werk hat an zwei Jahrhunderten teil. Die jugendlichen Anfänge in den neunziger Jahren standen im Zeichen einer strahlenden Meisterschaft, von Dichterkollegen und Publikum als »Wunder früher Vollendung« (Stefan Zweig) bestaunt. Die Schwelle des Säkulums bedeutet auch in Hofmannsthals Schaffen eine einschneidende Zäsur, sie fällt mit dem Abschied vom mühelos-genialen lyrischen Frühwerk zusammen. 1902 erschien sein wohl folgenreichster Text Ein Brief (als ›Brief des Lord Chandos‹ bekannt), der im fiktionalen Medium eine grundlegende Infragestellung der Register sprachlichen Darstellens, ja des begrifflichen Zugriffs auf die Wirklichkeit überhaupt formuliert. Die Folgejahre führten zu einer verstärkten Öffnung für das Zusammenspiel mit nichtsprachlichen Zeichen- und Ausdrucksformen wie Musik, Tanz und Pantomime.
Wenige Jahre nach der Jahrhundertwende begann Hofmannsthal, sich bewusst und konsequent vom überkommenen Konzept der einsamen Schreibtisch-Autorschaft zu lösen, und ging eine Reihe von wagemutigen künstlerischen Kooperationen ein. Einmal mit dem Theatermagier Max Reinhardt und noch folgenreicher mit dem Komponisten Richard Strauss. Fast ein Dutzend Opern- und Ballettwerke brachte das so unterschiedlich temperierte Duo Strauss/Hofmannsthal in den knapp zweieinhalb Jahrzehnten seiner Zusammenarbeit hervor, darunter unsterbliche Meisterwerke, die von den Bühnen der Welt nicht mehr wegzudenken sind.
Hofmannsthal avancierte in den Jahren zwischen 1906 und 1914 zu einem auch in Deutschland und darüber hinaus angesehenen Dichter. Wenn überhaupt sich die Hochphase seines literarischen und öffentlichen Erfolges in einer konkreten Zeitspanne fassen lässt, so ist sie in diesem Zeitraum zu sehen, dessen Ende wiederum nahe heranreicht an eine neuerliche Epochenschwelle. Der Ausbruch des Weltkriegs, der trotz einer Fülle von unheilvollen Vorzeichen für Hofmannsthal wie für viele andere völlig überraschend geschah, riss ihn jäh aus seinen erfolgreichen Projekten.
Er nahm sich nun mit Kulturvorträgen, Herausgebertätigkeiten und einer erheblichen Zahl an ideologisch übersteuerten Kriegsartikeln jahrelang der ›Forderung des Tages‹ an – nur um dann auf seiner Prag-Mission 1917 schmerzvoll erkennen zu müssen, dass im scheinbar so glorreichen Vielvölkerhaus Habsburg etliche der Nationen entschieden nicht mehr wohnen wollten. Hatte der Dichter im Rosenkavalier und sogar noch im Plan des Schwierigen dem alten Österreich bewegende Abschiedsgesänge gewidmet, so machte der Weltkrieg die Verlorenheit jener elegischen Traumwelten unwiderruflich klar.
Für sein langgehegtes Unterfangen einer österreichischen Literatur- und Traditionspflege, das während des Weltkriegs auf die staatlich-politische Geographie des alten Reiches bezogen gewesen war, nahm Hofmannsthal nach der Niederlage nun andere, ›geistige‹ Dimensionen in den Blick. Mit der Gründung der Salzburger Festspiele setzt seine dritte große Werkphase zu Beginn der zwanziger Jahre mit einem Geniecoup ein. Aller kulturkonservativen Gewandung zum Trotz sind dort, etwa in der spektakulären Entgrenzung der Spielstätten und im Einbezug vorrealistischer, performativer Theaterkonzepte, die experimentierfreudigen Impulse von ehedem wirksam geblieben. Durch die damit geschaffene neue Intensität des Theatererlebnisses wurde Hofmannsthals und Reinhardts Salzburger Festspielunternehmen nach schwierigen Anfangsjahren zu einer Erfolgsgeschichte ohnegleichen und gab – wie immer man dies bewerten mag – einen der frühsten Inkubationsorte der gegenwärtigen kunstmedialen Eventkultur ab.
Während dem Dichterjüngling von einst die Proben eleganter Verskunst leicht von der Hand gegangen zu sein schienen, bereitete das Schreiben Hofmannsthal später manchmal Mühe, wovon die vielen Fragmente zeugen. Gleichwohl hat er mit Beharrlichkeit in den zwanziger Jahren einige seiner bedeutendsten Werke geschaffen. Von seinem Endpunkt her gesehen, dem tödlichen Schlaganfall im Juli 1929, der Hofmannsthal vor der Beerdigung seines Sohnes traf, stellt sich dieses Schriftstellerleben wie ein Schauplatz verlassener und unvollendeter Projekte dar. Den Lauf dieses Lebens allein von den Auspizien eines fast tragisch anmutenden Endes her zu betrachten, wäre freilich ebenso unangemessen wie andererseits die Verengung auf die dichtende Jünglingsgestalt.
Hofmannsthal, der als einer der wichtigsten Repräsentanten der deutschsprachigen Literatur der Jahrhundertwende und als der bedeutendste Vertreter der literarischen Wiener Moderne gilt, hat von früher Jugend an bewusst und konsequent das Leben eines Dichters geführt und seinen Platz in der Literaturwelt einzunehmen verstanden. Sein Denken und sein Selbstgefühl waren auf große literarische Vorbilder (wie Goethe, Molière, Calderón) bezogen und entwickelten sich aus dem Wechselspiel der Aneignung von etablierten Formen und ihrer fortwährenden, oft wie traumwandlerisch in Gang gesetzten Verwandelung.
Die Anerkennung seiner Dichtungen durch Kollegen und Publikum war Hofmannsthal zwar durchaus wichtig, doch stellte sie nicht die vorrangige Antriebskraft für seine literarische Karriere dar. Diese fand ihre Quelle in der von Daseinsschwere befreienden Kraft der Imagination, die ihm unzählige poetische Inspirationen für Motive, Figuren, Szenen und Gefühlsausdrücke eingab. Zwar litt Hofmannsthal zeitlebens auch immer wieder am Stocken dieser Inspiration und an langen unproduktiven Phasen, aber niemals zog er seine bereits als Schüler realisierte Einsicht in Zweifel, dass er über ein ganzes Bündel höchst außergewöhnlicher sprachkünstlerischer Begabungen verfügte (Rhythmusgefühl, feines Gehör, visuelle Empfänglichkeit, Gesichtersinn, Figuren- und Rollengespür, Vielsprachigkeit und rhetorische Versatilität) und damit die Vollmacht und auch Verpflichtung besaß, kraft seiner Worte den Zauber der Dichtung in die Welt zu bringen.
Hofmannsthal lebte sein Leben stets auch als ein Beobachter und Verfasser seiner selbst. Dem Befund einer vermeintlichen »Ich-Verschwiegenheit«, wie er bei Hermann Broch gedeutet wird, widerspricht eine überwältigende Menge an Aufzeichnungen und Briefen, in denen dieses Ich sich minutiös ausspricht und mitteilt, und auch die Fülle der Sozialbeziehungen, in welchen es sich spiegelt. Hofmannsthal dichtete sich gleichsam ›in sein Leben hinein‹, ohne aber – wie andere Kollegen hauptsächlich auf dem Prosagebiet – das Material der eigenen Biographie zum Stoff der literarischen Werke zu machen.
›Biographie‹ ist ein mehrdeutiger Terminus. Sie meint nicht nur das Buch, das im Nachhinein über ein gelebtes Leben geschrieben wird, sondern ist auch im Gegenstand des Beschreibens selbst als Formprinzip je schon präsent. Man lebt und formt fortlaufend seine eigene Biographie, während und solange man in den Dingen des Lebens steht; man entspricht den geforderten Verbindlichkeiten, indem man Entscheidungen trifft und Erarbeitetes fixiert, und ist dabei immer der Stromgewalt des Wandels unterworfen, der von alledem am Ende wenig bestehen lässt. Wenn es dabei, wie hier, um das Leben, die Biographie eines Dichters geht,...
Erscheint lt. Verlag | 24.1.2024 |
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Zusatzinfo | 32 Seiten Tafelteil mit 56 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Biographie • Ein Buch von S. Fischer • Hugo von Hoffmansthal • Jahrhundertwende • Jedermann • Moderne • Richard Strauss • Rosenkavalier • Salzburger Festspiele • Wien |
ISBN-10 | 3-10-491849-X / 310491849X |
ISBN-13 | 978-3-10-491849-5 / 9783104918495 |
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Größe: 15,5 MB
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