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Marschlande (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491728-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Marschlande -  Jarka Kubsova
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Zwei Frauen, die Jahrhunderte trennen - der Wunsch nach Selbstbestimmung, der sie verbindet »Marschlande« ist der neue Roman der Bestseller-Autorin Jarka Kubsova Im Hamburger Marschland lebt ums Jahr 1580 Abelke Bleken. Sie führt allein einen Hof, trotzt Jahreszeiten und Gezeiten. Und sie versucht, sich gegen ihre Nachbarn zu behaupten, in einer Zeit, die für unabhängige Frauen lebensgefährlich ist. Fast fünfhundert Jahre später zieht Britta Stoever mit ihrem Mann und ihren Kindern in die Marschlandschaft. Ihre Arbeit als Geografin hat sie für die Familie aufgegeben, das neue Zuhause ist ihr noch fremd. Sie unternimmt lange Spaziergänge durch die karge Landschaft, beobachtet die Natur und lernt, in Bracks und Deichlinien die Spuren der Vergangenheit zu lesen. Dabei stößt Britta auf das Leben der Abelke, auf Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten, die beängstigend aktuell sind. Fasziniert taucht sie tiefer und tiefer ein - und merkt, wie viel sie im Leben der anderen Frau über sich selbst erfährt. »Jarka Kubsova erzählt furios und aufrüttelnd von zwei Frauen, die eine lebte um 1580, die andere in unserer Gegenwart, und an beiden Schicksalen lässt sich wunderbar ablesen, wie klein die Entwicklungsschritte im Feminismus bisher sind. Dieser Roman hallt nach und ist allerfeinster Lesestoff.«  Daniela Dobernigg, cohen+dobernigg BUCHHANDEL »Lesenswert bis zur letzten Seite und für mich der Roman des Jahres.« Karla Paul, Buchkolumne über »Bergland«

Jarka Kubsova wurde 1977 in Tschechien geboren, seit 1987 lebt sie in Deutschland. Sie arbeitete als Journalistin bei »Financial Times Deutschland«, »Stern« und »DIE ZEIT« sowie als Co-Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbu?cher. 2021 erschien ihr Debu?troman »Bergland«, der auf der Jahresbestsellerliste stand. Jarka Kubsova lebt in Hamburg. Fu?r »Marschlande« tauchte sie tief in die Geschichte der Stadt und der Vier- und Marschlande ein und forschte in Archiven u?ber Abelke Bleken und ihre Zeit.

Jarka Kubsova wurde 1977 in Tschechien geboren, seit 1987 lebt sie in Deutschland. Sie arbeitete als Journalistin bei »Financial Times Deutschland«, »Stern« und »DIE ZEIT« sowie als Co-Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher. 2021 erschien ihr Debütroman »Bergland«, der auf der Jahresbestsellerliste stand. Jarka Kubsova lebt in Hamburg. Für »Marschlande« tauchte sie tief in die Geschichte der Stadt und der Vier- und Marschlande ein und forschte in Archiven über Abelke Bleken und ihre Zeit.

atmosphärisch, dicht, spannend

[...] hohe poetische Schönheit.

Der Roman zeichnet ein nuancenreiches Bild der frühen Neuzeit [...].

Intensiv!

Kunstvoll, nahbar und packend [...].

Ein spannendes, aufwühlendes Leseerlebnis!

Jarka Kubsova schafft [...] die perfekte Mischung aus Unterhaltung und Aufklärung!

[...] erinnern. Wie auch Autorin Jarka Kubsova, die unverkünstelt von beiden Frauen erzählt [...].

Ein sehr berührendes Buch!

Jarka Kubsova setzt der Frau, deren Schicksal ihre Romanheldin Britta noch heute stark in den Bann zieht, ein Denkmal.

[...] bewegende[r] Roman über Leben und Schicksal zweier Frauen vor Hamburgs Toren.

Vor dem Sturm


Auf der Feldmark hinter den Häusern war etwas, eine Gestalt, die sich bewegte, vielleicht auch mehrere, genauer konnte Britta es nicht erkennen. Es war früher Morgen, Ende Oktober, die Landschaft trat gerade erst aus dem Nebel und der Dunkelheit hervor; weite, flache Marschwiesen, vereinzelte Gruppen winterkahler Baumkronen, hier und dort Pappeln, die schmal und hoch wie Säulen herausragten. Seit es Herbst war, stieg der Dunst beinahe jeden Morgen von den Feldern und Flussarmen auf, wie um daran zu erinnern, dass man hier im Niederungsgebiet der Elbe war. Sie stand allein am Rande der Straße und hatte dem Schulbus hinterhergesehen, in den ihre Kinder gerade gestiegen waren. Sie hatte gewunken, bis der Bus nicht mehr zu sehen war, auch wenn sie wusste, dass die beiden sich nicht mal nach ihr umgedreht hatten. Vor mehr als drei Monaten waren sie nach Ochsenwerder gezogen, Mascha und Ben machten noch immer bei jeder Gelegenheit deutlich, dass es für sie das Ende der Welt bedeutete. »Wir werden uns bald an alles gewöhnen«, beschwor Britta die beiden ständig. Beim letzten Mal hatte Mascha genervt die Augen verdreht. »Ja klar, Mama. Glaubst du dir das eigentlich selbst?«, hatte sie gesagt und war mit wehenden Haaren davongestampft. Britta hatte in dem Moment nicht gewusst, was sie mehr vor den Kopf stieß: der Ton, den die 13-Jährige neuerdings immer öfter anschlug. Oder dass sie sich von ihr durchschaut fühlte.

Philipp war der Einzige, der hier aufzublühen schien. Am Wochenende, manchmal schon an Tagen, wenn er früher von der Arbeit kam, schlüpfte er in seine Arbeitshose mit Werkzeuggürtel, trimmte den Rasen, kärcherte die Pflastersteine, reinigte die Regenrinnen. Manchmal hielt er inne, stemmte die Hände in die Seiten, blickte über Haus und Garten. Er sah dann so zufrieden aus wie lange nicht mehr.

 

Der Bus glitt in den Nebel, nur die Rücklichter waren noch zu sehen, zwei rot glühende Punkte, und auf der Höhe, auf der sie aus ihrem Blick verschwanden, bemerkte Britta die Regung auf dem Feld. Dunkle, stakende Schatten, nah am Boden und noch tief im milchigen Dunst. Sie zögerte kurz, dann zog sie ihren Mantel fester und folgte der Straße, die aus der Siedlung herausführte. Sie wollte jetzt wissen, was dort war. Die Straße war eigentlich ein Deich, oben asphaltiert, so war das fast bei allen Wegen hier, sie lagen auf den Deichkronen und ähnelten Bahndämmen, weshalb man oft das Gefühl hatte, wie aus einem Zug heraus auf die Landschaft und die Häuser herabzuschauen. Von manchen ragten gerade der First und zwei Fenster über den Deich, wie Stirn und Augen, als wollten sie schauen, was dahinter war oder wer dort ging.

Eine Frau, Mitte vierzig, halblanges dunkles Haar, eigentlich glatt, von der Feuchtigkeit hier neuerdings ständig lockig, fröstelnd, angespanntes Gesicht, darauf gucken sie jetzt, dachte Britta. Ohne offensichtlichen Grund herumzulaufen, reichte hier schon, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die meisten nahmen das Auto, in seltenen Fällen das Fahrrad, und wenn mal jemand zu Fuß unterwegs war, dann weil er einen Hund hatte. Sie war froh, als sie die letzten Häuser hinter sich gelassen hatte und das Gefühl, beobachtet zu werden, nachließ. Links und rechts lagen jetzt nur noch Felder, die meisten waren frisch umbrochen, das dunkle Innere nach außen gedreht, wie aufgeschürft. Es roch nach Erde und feuchtem Laub. Je näher sie dem Feld mit den Gestalten kam, desto deutlicher zeichneten sie sich ab, groß und grau, dicht aneinandergedrängt. Der Dunst wurde klarer, das Bild schärfer. Kraniche. Dutzende, langsam und schreitend bewegten sie sich über den Boden, wie geisterhafte Wesen, kein Ruf, kein Schrei war zu hören, sie waren vollkommen still. Einzelne hatte sie hier schon gesehen, auf den Marschwiesen oder den Elbufern, bewegungslos lauernd, wie Statuen. Aber jetzt hier so viele, wie eine Versammlung. Dann dämmerte es ihr, es musste ein Zug sein, auf dem Weg in den Süden, der hier eine Rast machte. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und wagte kaum zu atmen. Einer der Vögel sah sie jetzt direkt an, streng, beinahe böse, aus tiefgelben Augen und nur einen Moment lang. Dann warf er den Kopf nach hinten, streckte den Hals, machte sich groß und stieß einen langen, kehligen Laut aus, der wie ein Schrei klang, so laut, dass sie zusammenfuhr. Sofort ging der gleiche Schrei von Kehle zu Kehle, dann ein Ruck, noch einer, bis alle Vögel sich erhoben hatten und in den Himmel stießen. Eine Weile hingen die Rufe und die Flügelschläge in der Luft. Dann war der letzte Laut verklungen, und mit einem Mal war es wieder so still, dass ihr alles wie eine Täuschung vorkam. Sie stand sinnlos und wie verloren da, und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, lief sie weiter, immer tiefer in die Landschaft hinein. Wenn sie später daran zurückdachte, kam es ihr so vor, als hätte etwas sie dort hineingezogen.

Mehr als drei Monate waren sie hier und hatten Ochsenwerder und die Gegend drum herum noch immer nicht richtig erkundet. Philipp war an den Wochenenden nicht vom Haus wegzubekommen, die Kinder konnte sie erst recht nicht zu einem Spaziergang überreden, vor allem seit es kühler war, der Wind einem hier von jeder Seite um die Ohren pfiff oder Regen ins Gesicht schleuderte.

Wie anders alles ausgesehen hatte, als sie das erste Mal zur Besichtigung hier waren. Es war Sommer gewesen, und das Land hatte vor Fülle gestrotzt. »Willkommen in den Vier- und Marschlanden, dem Gemüsegarten Hamburgs«, hatte die Maklerin damals gesagt. Ohne einen Funken Enthusiasmus. Sie hatte es heruntergerattert wie die Daten zur Ausstattung und zum Energieausweis. Man musste Kaufinteressenten nichts andrehen oder schönreden, die Leute nahmen alles, was auf den Markt kam, egal welcher Zustand, egal welcher Preis. Nur Philipp blieb unbeeindruckt und wählerisch. Außer bei diesem Haus. »Wir nehmen es!«, hatte er gerufen, da waren sie noch nicht einmal im oberen Stockwerk angekommen.

Perplex hatte Britta ihm die Hand auf den Arm gelegt. »Können wir da vielleicht noch mal drüber reden?« Aber er eilte schon weiter. »Das ist es, Britta! Das ist es!«, hallte seine Stimme durch die leeren Räume. So begeistert hatte sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Und auf einmal wurde ihr klar, dass sie jetzt vielleicht am Ziel waren. Sie suchten schon so lange, dass es ein Ritual geworden war: Anzeigen durchforsten, Besichtigungstermine ausmachen, alle Fakten checken, eine Abfuhr kassieren oder selbst lieber die Finger davon lassen. Dann wieder von vorn anfangen, dem Traum nachjagen: vom Haus mit Garten, wo eine Schaukel für die Kinder hing; von etwas, das einem ganz alleine gehörte. Es würde dieses Haus werden, hatte sie auf einmal geahnt, und statt Freude spürte sie einen Stein auf der Brust.

»Ebenerdige Dusche, fugenlos verfliest!«, Philipp hatte offensichtlich das Bad entdeckt. »Es ist perfekt, Britta! Komm doch mal, das musst du sehen!« Sie ging seiner Stimme nach, musterte die kahlen weißen Wände, den offenen Grundriss. Ihr kam alles zu groß vor, zu kalt, zu leer. Aber gut, das war es ja auch. Wenn erst einmal die Sachen drin wären. Viel Platz hatten sie sich ja gewünscht, für jedes Kind ein eigenes Zimmer. Hier gab es sogar noch ein Gäste- und Arbeitszimmer. Wer träumte nicht davon? Und dann das Licht! Es fiel durch riesige Scheiben von allen Seiten herein. Sie schaute in den Garten. Eine mächtige Rotbuche voll dunklem Laub stand dort. Eine Schaukel würde die tragen. Aber eigentlich waren die Kinder schon zu groß dafür. Sie hielt inne. Etwas war seltsam an diesem Baum. Es war der Stamm. Der Baum schien aus vielen einzelnen Stämmen aus dem Boden zu wachsen.

»Stockausschlag.« Sie fuhr herum. Es war die Maklerin. Britta schaute sie irritiert an. »Eine alte Methode der Brennholzgewinnung. Holz war hier immer rar. Man schlug den Haupttrieb ab, neue wuchsen heraus, bis auch die wieder abgeschlagen wurden und so weiter. Solchen alten Baumbestand hat man selten bei neuen Häusern.« Britta nickte beeindruckt, während die Maklerin sie weiterhin ungerührt musterte. Sie würden den Zuschlag vermutlich sowieso nicht bekommen, die Frau schien keine großen Sympathien für sie zu haben, und draußen warteten schon die Nächsten.

»Falls Sie noch an die Elbe wollen: immer der Nase nach. Ist nur ein Katzensprung«, hatte die Maklerin am Ende des Termins gesagt und vom Haus nach links gedeutet. Aber Philipp hatte immer noch Fragen, es nahm kein Ende. Nachdem er sich losgerissen hatte, gingen sie ein Stück, um sich umzusehen. Britta ließ den Blick schweifen, und ob sie wollte oder nicht, ihre Skepsis löste sich auf. Auf den Feldern, die hinter den Häusern lagen, streckten sich lange Reihen von Gemüse, Kräutern und Blumen; Primeln, Bellis, Fleißige Lieschen. Dächer von unzähligen Gewächshäusern blitzten in der Sonne. Und dann der Fluss. Das Wasser leuchtete tiefblau, am Ufer kreischten planschende Kinder. Hohes Schilf stand an den Rändern, Kiebitze und Sumpfhühner quakten darin. Philipp und sie staunten und konnten es nicht fassen: das alles nur eine halbe Stunde Autofahrt vom Hamburger Zentrum entfernt. Beim Haus war sie sich noch immer nicht so sicher wie Philipp, aber in der Landschaft spürte sie etwas. Schön war sie, aber das war es nicht allein, da war noch etwas anderes.

Und jetzt war alles im Schwinden begriffen. Ihr war, als wäre sie auf etwas hereingefallen, einen Taschenspielertrick der Natur, die ihr jetzt grinsend präsentierte, wie es hier wirklich war: die Felder leer und dunkel, die meisten Lebewesen irgendwo verborgen, Zugvögel davongeflogen, das Reet trocken, fahl und totenstill. In den Bäumen hielten sich die letzten zittrigen Blätter, aber...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alltag • Als Großmutter im Regen tanzte • Altes Land • Anspruchsvolle Literatur • Bauern • Bergland • Care-Arbeit • Deich • Dorf • Ehe • Ein Buch von S. Fischer • ein zimmer für sich allein • Elbe • Emanzipation der Frau • Familie • Feminismus • Fluss • Formel der Hoffnung • Frauen • Freiheit • Frühe Neuzeit • Gegenwart • Geschichte • Hamburg • Hexe • Hexenverfolgung • Kinder • Land • Marschland • Mutterschaft • Natur • Norddeutschland • Recht • Romane über starke Frauen • Scheidung • Selbstbestimmung • Selbstfindung • Shortlist Lieblingsbuch der Unabhängigen • Vierlande
ISBN-10 3-10-491728-0 / 3104917280
ISBN-13 978-3-10-491728-3 / 9783104917283
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