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Als der Sturm kam (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
448 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60529-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als der Sturm kam -  Anja Marschall
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»Als der Sturm kam« | Die Hamburger Sturmflut von 1962 Deiche brechen im Minutentakt, Straßen werden zu reißenden Flüssen, Menschen sind vom Wasser eingeschlossen. Es ist die Stunde der Wahrheit. Für die spannende Reihe »Schicksalsmomente der Geschichte« erzählt Anja Marschall in ihrem historischen Roman von Hamburgs dramatischsten Stunden seit dem Zweiten Weltkrieg: Als die Flutkatastrophe über Hamburg hereinbricht, wird die Schreibkraft Marion der Leitung von Polizeisenator Helmut Schmidt unterstellt. Ein Krisenstab muss eingerichtet, NATO-Verbündete um Hilfe gebeten, Hubschraubereinsätze geplant werden. Marion kämpft gegen Müdigkeit und hat Angst um ihre bettlägerige Mutter, die mitten im überfluteten Gebiet von Wilhelmsburg in einer Gartenkolonie wohnt. Zur gleichen Zeit versucht der Hubschrauberpilot Hermann unter Einsatz seines Lebens, die Menschen von den Dächern ihrer Häuser zu retten. Die Nacht ist eiskalt, und das Wasser steigt noch immer ... 100.000 vom Wasser eingeschlossene Menschen, 15.000 Helfer, 315 Tote: Die Hamburger Sturmflut von 1962 war für die Hansestadt die größte Katastrophe der Nachkriegszeit. Im Februar 1962 wütet an der Nordseeküste ein Orkan. Gefühlt weit weg für die Hamburger, die sich in Sicherheit wähnen. Doch der Sturm ist längst auf dem Weg und überrascht die Menschen im Schlaf. Kurz nach Mitternacht brechen in Minutenfolge die Deiche, die Hamburg schützen sollen. Straßen werden zu reißenden Flüssen, in der gesamten Stadt fällt der Strom aus. Helmut Schmidt, damals Polizeisenator in Hamburg, beginnt noch in der Nacht, die Rettungsaktionen zu koordinieren. Exzellent recherchiert und packend erzählt: Anja Marschall schildert in ihrem bewegendem Roman die Geschichte der Menschen, die in den Stunden der Sturmflut um ihr Leben kämpfen. Anja Marschall kam im Jahr der Sturmflut in Hamburg zur Welt. Dort arbeitete sie vor ihrer schriftstellerischen Karriere u.a. als Lokaljournalistin und Pressereferentin. Bei Piper erschien zuletzt ihre Erfolgsserie »Töchter der Speicherstadt«.

Die gebürtige Hamburgerin Anja Marschall lebt als Autorin und Journalistin mit ihrer Familie in Schleswig-Holstein. Vor ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete sie als Erzieherin, Pressereferentin, Lokaljournalistin, EU-Projektleitung in der Sozialforschung, war Apfelpflückerin in Israel, Zimmermädchen in einem Londoner Luxushotel und Kioskverkäuferin an den Hamburger Landungsbrücken. Sie ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern eV« und des »Syndikats« sowie der Mary-E-Braddon-Gesellschaft. 

Die gebürtige Hamburgerin Anja Marschall lebt als Autorin und Journalistin mit ihrer Familie in Schleswig-Holstein. Vor ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete sie als Erzieherin, Pressereferentin, Lokaljournalistin, EU-Projektleitung in der Sozialforschung, war Apfelpflückerin in Israel, Zimmermädchen in einem Londoner Luxushotel und Kioskverkäuferin an den Hamburger Landungsbrücken. Sie ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern eV« und des »Syndikats« sowie der Mary-E-Braddon-Gesellschaft.

15:40 Uhr, Laubenkolonie Alte Landesgrenze e. V., Hamburg-Wilhelmsburg, hundert Kilometer landeinwärts


Marion Klinger stemmte sich gegen den Sturm, der an ihrem Mantel und dem Kopftuch riss. In den eiskalten Händen hielt sie zwei Einkaufstaschen, vollgepackt mit Lebensmitteln, die sie bei der PRO-Filiale in der Fährstraße gekauft hatte. Seit sie im Polizeihaus eine Anstellung als Schreibkraft gefunden hatte, ging es ihr und ihrer Mutter finanziell besser. Heute hatte sie roten Heringssalat und sogar ein Pfund Jacobs Kaffee dabei. Vielleicht stimmte das die Mutti ein wenig milder, denn in diesen Tagen waren die Schmerzen in ihren Beinen besonders schlimm.

Gertrud Klinger litt darunter, seit sie 1942 ausgebombt worden waren. Zwei Nächte hatte sie unter den Trümmern auf Hilfe gehofft, bevor man sie endlich fand. Die Knochenbrüche waren nie gut verheilt. Wie auch? Damals war Krieg gewesen. Bis zu Papas Tod hatte Marions Mutter wenig geklagt. Seither aber nörgelte sie über alles und jeden. Am meisten beklagte sie sich darüber, dass ihre Tochter noch immer nicht verlobt war, und das, obwohl sie den vierundzwanzigsten Geburtstag bereits hinter sich hatte. Dass kaum geeignete Heiratskandidaten existierten, wollte die Mutti nicht gelten lassen. »Eine Frau muss nehmen, was der liebe Gott ihr bietet«, sagte sie und mahnte Marion, nicht auf einen Prinzen zu hoffen, wenn es nun einmal nur Frösche gab. »Die Karin, ja, die war plietsch«, pflegte sie zu sagen. »Die hat sich rechtzeitig den Dieter geangelt. Sieh dir an, was aus dem Mädchen geworden ist. Zwei Kinder hat sie, dabei ist sie genauso alt wie du. Und ihr Dieter, der wird es noch weit auf der Werft bringen. Vorarbeiter ist er ja schon. Glaub mir, es dauert nicht lange, und die Karin zieht in eine der schnieken Wohnungen von der Neuen Heimat, drüben in Altona. Mit Badezimmer, Einbauküche, Balkon und allem sonstigen Pipapo.«

Marion hatte sich angewöhnt, nicht mehr auf die Litaneien ihrer Mutter zu reagieren, obwohl die Worte sie schmerzten. Früher hatte sie sich gewehrt, einmal sogar vorgeschlagen, die Mutti könnte sich ja selbst einen Mann suchen, wenn sie unbedingt aus der Laubenkolonie in eine Neubauwohnung ziehen wollte. Mit fünfundfünfzig Jahren war eine moderne Frau für so etwas nicht zu alt. Der Streit danach war zu heftig gewesen, um keine Wunden in beide Seelen zu graben.

Daher verzichtete Marion auf diese Replik, wenn die Vorwürfe mal wieder laut wurden. Manchmal fragte sie sich, warum ihre Mutter nicht stolz auf sie war. Immerhin hatte Marion eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin erfolgreich abgeschlossen und vor drei Monaten eine Anstellung im Polizeihaus am Karl-Muck-Platz angetreten. Heiraten konnte sie später auch noch, sollte ihr der Richtige zufällig über den Weg laufen. So leicht wie im Kino war es im echten Leben nämlich nicht, einen Mann zu finden, der zu einem passte. Und irgendeinen zu nehmen, nur damit die Mutti endlich zufrieden war, wollte Marion ganz bestimmt nicht.

Eine Böe riss sie fast um. Stolpernd versuchte Marion, ihr Gleichgewicht zu finden, als sie aus dem Augenwinkel einen Schatten bemerkte. Erschrocken machte sie einen Satz zurück. Da krachte ein dicker, kahler Ast genau an der Stelle zu Boden, wo sie eben noch gegangen war.

Sie musste vorsichtiger sein! Dass bei einem solchen Orkan Sachen durch die Luft flogen, war nichts Besonderes. Sie sprang über den Ast, der sich quer zum Weg gelegt hatte, als wollte er sie daran hindern weiterzugehen.

Stürme kannten sie in Hamburg zur Genüge. Wahrscheinlich waren die Landungsbrücken und der Fischmarkt längst überflutet.

Immer wieder musste sie mit den beiden Tüten in den Händen um Pfützen herumbalancieren, die sich in den Sand des Wegs gegraben hatten.

Sie passierte die Laube vom Ehepaar Kollwitz. Die Kollwitzens gehörten zu all jenen, die damals vor den Russen geflüchtet waren und ihre Heimat in Ostpreußen verlassen hatten, um in Hamburg neu anzufangen. Mit handwerklichem Geschick und viel Sinn für Humor hatte Opa Kollwitz die Gartenlaube zu einem Kleinod ausgebaut. Letztens hatte er sich ein tragbares Radio gekauft, aus dem manchmal Musik dudelte, während er im Garten das Gemüsebeet umgrub oder Obst pflückte.

Marion entdeckte den Nachbarn auf dem Dach seines Häuschens.

»Moin, Opa Kollwitz!« Sie winkte ihm zu.

»Moin, moin!« Er hielt den Hammer in der Hand hoch. »Die Dachpappe ist weggeflogen!«, rief er, als müsste er erklären, warum er bei diesem Wetter dort oben herumkraxelte.

Zwei Lauben weiter entdeckte Marion den kleinen Uwe, der seinem Vater half, Holzscheite von einem Stapel neben dem Haus in eine Schubkarre zu werfen. Uwe war in der ersten Klasse und seither sehr stolz darauf, dass er schon so groß war. Auf alle Fälle größer als seine Schwester Ursula, die jeder nur Klein-Uschi nannte, weil es in der Siedlung noch eine große Uschi gab, die eine Ausbildung zur Schneiderin machte.

Marion blieb am Gartentor stehen. »Na, seid ihr wieder fleißig? Und das bei diesem Wetter.«

Uwes Papa Dieter Krämer kam zur Pforte.

»Wat mutt, dat mutt. Von allein wird der Ofen nicht warm.« Er schob die Schippermütze tiefer ins Gesicht, damit sie ihm nicht vom Kopf wehte. »Und du? Heute schon Verbrecher gefangen? Oder haben die bei diesem Schietwetter frei?«

Marion lachte. »Ich habe dir oft gesagt, dass ich keine Polizistin bin, sondern nur eine Schreibkraft. Ich tippe Vernehmungsprotokolle und manchmal einen Brief, ich stenografiere oder kümmere mich um die Ablage.«

»Aber wenn du keine bösen Jungs fängst, dann doch hoffentlich bald einen stattlichen Udel in Uniform. Davon laufen bestimmt eine Menge im Polizeihaus herum, richtig?«

»Dass im Polizeihauptquartier auch Polizisten herumlaufen, liegt in der Natur der Sache«, entgegnete Marion, denn sie ahnte, warum er dieses Thema anschnitt. »War deine Karin etwa wieder bei Mutti?«

Dieter grinste breit. »Jo. Deine Mutter will wissen, wann sie endlich mit einem Beamten als Schwiegersohn rechnen kann. Falls da nichts zu finden ist, soll ich ran.«

Marion riss die Augen auf. »Wie bitte?«

»Na, die beiden Frauensleute haben ausklamüsert, dass ich dir ein paar von meinen Kollegen vorstellen soll. Die Howaldtswerke laden nämlich zum alljährlichen Fasching in die Kantine ein, und ich habe den Auftrag, dich zu fragen, ob du mitkommen willst.«

Marion seufzte. »Ich muss arbeiten. Leider.«

»Aber du weißt ja gar nicht, an welchem Tag der Schwof ist.«

»Muss ich auch nicht. Ich bin mir sicher, dass ich an dem Tag arbeiten muss, ganz bestimmt.« Konnte ihre Mutter nicht endlich damit aufhören, sie an den nächstbesten Mann zu verkuppeln? Wut stieg in Marion hoch.

Er lachte. »Genau. Die Jungs sind eh nichts für dich.«

Fragend legte sie den Kopf zur Seite und schaute ihn aus schmalen Augen an. »Was meinst du denn damit?«

Verlegen nahm Dieter die Mütze ab. »Na ja, bist halt was Besseres, so mit Mittlerer Reife und diesem Abschluss als Fremdsprachensekretärin. Jetzt hast du sogar eine Stelle bei der Polizei. Da trauen sich die Jungs von der Werft nicht ran, wenn du verstehst, was ich meine.«

Marion hörte im Kopf die Worte ihrer Mutter. »Für einen reichen Mann bist du nicht hübsch genug und für einen von unseren zu hochnäsig. Du bekommst niemals einen ab. Was habe ich in deiner Erziehung nur falsch gemacht?«

Hinter ihnen hatte Uwe aufgehört, Holz in die Schubkarre zu werfen, und näherte sich mit ein paar Salatblättern dem Hasenstall.

»Ich finde ja«, fuhr Dieter fort, »dass zu dir viel besser einer in Uniform passen würde oder was aus dem Büro. Keine Malocher, wie wir es sind, mit Dreck unter den Fingernägeln.«

Ähnliches hatte ihr die Mutti auch kürzlich gesagt. Nur hatte sie es nicht so nett formuliert. Ihrer Ansicht nach glaubte Marion, für einen einfachen und fleißigen Mann zu gut zu sein. Sie sei arrogant, darum würde ihre Tochter auch als alte Jungfer enden. Aber das stimmte nicht. Marion fand sich überhaupt nicht hochnäsig.

Damals hätte sie gerne den Dieter genommen, nur war ihre beste Freundin Karin schneller gewesen. Die hatte keine Hemmungen gehabt, ihr den Mann vor der Nase wegzuschnappen, obwohl sie wusste, wie...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2024
Reihe/Serie Schicksalsmomente der Geschichte
Schicksalsmomente der Geschichte
Schicksalsmomente der Geschichte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1960er • Bücher historisch • Bücher Neuerscheinungen 2023 • Deutsche Geschichte • Drama • Dramatischer Roman • Ensembleroman • Hamburg 1962 • Hamburger Sturmflut • Hamburg Sechzigerjahre • Helmut Schmidt • Historischer Roman • Historsicher Roman Hamburg • Hochwasser • Katastrophe • Katastrophenroman • Novitäten 2023 historische Romane • Novitäten 2023 Paperback • Reihe Schicksalsmomente • Roman deutsche Geschichte • roman hamburg • Roman historisch • Roman nach einer wahren Begebenheit • Schicksal • Schicksalsjahr • Schicksalsmomente • Sturmflut
ISBN-10 3-492-60529-X / 349260529X
ISBN-13 978-3-492-60529-8 / 9783492605298
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