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Alte Schuld (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
448 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28272-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alte Schuld -  Lea Stein
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Eine misshandelte Frau und ein mysteriöser Toter mitten auf St. Pauli - Schutzpolizistin Ida Rabe ermittelt in einem gefährlichen Fall
Hamburg, 1948: Die Währungsreform steht vor der Tür, Bargeld soll an die Zivilbevölkerung verteilt werden und die komplette Polizei ist in Bereitschaft versetzt worden. Doch Schutzpolizistin Ida Rabe hat einen viel brisanteren Fall auf dem Tisch: Eine misshandelte Frau, Vera, sucht ihre Hilfe. Der mutmaßliche Täter: ein Brite, der enge Kontakte zur Hamburger Polizei hat. Als wenig später der Verdächtige ermordet aufgefunden wird, womöglich mit einem hoch gefährlichen Kampfstoff vergiftet, und man Vera verhaftet, geht Ida einen riskanten Weg: Sie beginnt in den eigenen Reihen zu ermitteln.

Der zweite Fall für Ida Rabe

Lea Stein ist das Pseudonym der Autorin und Journalistin Kerstin Sgonina, die bereits mehrere Romane veröffentlichte. Als sie mit 18 nach Hamburg zog, verliebte sie sich sofort in die Stadt. Nach dem Abitur schlug sie sich auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau durch. Heute lebt sie mit ihrem Mann, den beiden Kindern und ihrem Hund in Brandenburg. Die Romane um Polizistin Ida Rabe sind ihre erste Krimi-Reihe.

1

Davidwache, Hamburg-Sankt Pauli


Mittwoch, 9. Juni 1948, 7:28 Uhr

»Ach, verdammter Mist!«, schimpfte Ida Rabe, nachdem sie die letzte Stufe hinabgestolpert war und fast der Länge nach hingeschlagen wäre. Die Treppe, die in den Keller der Davidwache führte, war schmal und halsbrecherisch steil, dazu gab es kaum Licht, stattdessen aber Unmengen von Spinnweben, die nicht mal den Anstand besaßen, sich in den Ecken zu verstecken.

Auf der Suche nach einem Schuldigen an ihrem Beinahesturz sah Ida an sich hinab. Und hatte ihn schon gefunden: Die Sohle ihres linken Schnürstiefels hatte sich aus der Verklebung gelöst. Wie die Zunge eines hechelnden Hundes hing sie von der Vorderkappe herab. Um vorwärtszukommen, würde sie den ganzen Tag mit Storchenschritten umherlaufen müssen. Die Herren in den oberen Stockwerken würden sich bei ihrem Anblick kugelig lachen. Verärgert schnitt Ida eine Grimasse und machte, dass sie weiterkam.

»Du hast nicht zufällig Schusterleim bei dir?«, fragte sie statt einer Begrüßung, als sie die Tür zu ihrem Büro aufstieß. Irgendwie reichte ihr der Tag schon jetzt, dabei war es gerade erst halb acht.

Heide antwortete ihr nicht, sondern blickte konzentriert auf ihr Merkbuch. »Vier Kaninchen«, sagte sie, ohne aufzusehen, und strich sich eine hellblonde Strähne aus der Stirn. Ihr Gesicht glänzte. Seit Tagen schon hing eine Hitzeglocke über der Stadt, die Idas Laune nicht gerade hob. Sie war ein Inselkind, sie liebte eine steife Brise, rasch dahinziehende Wolken und sogar Regen. Temperaturen von fast dreißig Grad, und das im Juni, war nichts, was ihr gefiel.

»Zwei Hühner«, redete Heide weiter, »und nicht zu vergessen: drei Brombeerranken. Kannst du das glauben? Wie schafft man es nur, die alle in einen Sack zu stopfen?«

»Wozu in aller Welt sollte man das tun?«, fragte Ida. Immer noch war sie damit beschäftigt, überhaupt einzutreten. Kein Kinderspiel angesichts des desolaten Schuhs und gleich doppelt so kompliziert, weil der Uniformrock der Weiblichen Polizei schmal war und dazu aus dermaßen festem Stoff, dass man daraus ein wetterfestes Zelt basteln könnte.

»Um sie zu stehlen«, erklärte Heide, »wozu denn sonst?«

»Womöglich gab es zwei Säcke«, erwiderte Ida und zog endlich die Tür hinter sich zu, wobei sie erneut ins Stolpern geriet und beinahe gegen den Schrank krachte, der wie alle Möbelstücke, die im Büro der Weiblichen Polizei an der Reeperbahn zu finden waren, in einem beklagenswerten Zustand war.

Heide hob den Kopf. »Was in aller Welt ist los mit dir? Bist du betrunken?«

»Ha, wovon denn?« Alkohol war ein seltenes Luxusgut – es sei denn, man war bereit, plötzliche Blindheit zu riskieren. Den selbst gebrauten Kartoffelschnaps, den sich die Verzweifelten reinschütteten, bekam man an jeder Ecke. Aber darauf verzichtete sie gern. »Hier.« Sie deutete auf ihren Schuh, von dem die Sohle kraftlos herunterbaumelte. »Der ist wohl hin.« Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen und beugte sich hinab, um den Schaden zu begutachten. Diesen abgelatschten Schuh mit Leim zu reparieren konnte sie gleich vergessen.

Sie brauchte Nägel. Oder neue Schuhe. Die würde sie allerdings stehlen müssen, und das stand einer Polizistin und angehenden Oberbeamtin nun wirklich nicht gut zu Gesicht. Aber neue Schuhe würde sie sich in hundert Jahren nicht leisten können.

Heide beugte sich wieder über ihr Merkbuch und runzelte die Stirn. »Ich wünschte, das wäre unser einziges Problem.«

Ida verschränkte die Beine, um die vermaledeite Sohle nicht sehen zu müssen. Solange sie saß, konnte sie arbeiten. Und wenn sie arbeitete, ging es ihr gut. »Was gab’s noch?«

»Ich weiß nicht, ob die Leute nicht allesamt den Verstand verloren haben«, murmelte Heide statt einer Antwort. »Es kommt mir vor, als würden sie nachts nur deswegen ihr Zuhause verlassen, um irgendwem was wegzunehmen. Ganz egal, was! Und wenn es ein einziger abgelatschter Schuh ist!«

»Ich nehme ihn«, sagte Ida trocken. »Wenn es ein linker in Größe 41 ist.«

Heide warf ihr einen genervten Blick zu, wandte sich dann aber wieder den Aufgaben für den heutigen Tag zu. Nachdenklich betrachtete Ida ihre Kollegin, die leise vor sich hin murmelte und sich mit einer müden Geste erneut eine Strähne aus der Stirn zupfte. Blass sah Heide aus, besorgt und müde. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, ähnelte ihre Kollegin nicht einem frisch vom Himmel gehüpften Engel.

»Und es ist nicht nur so, dass jeder seinem Nachbarn die Haare vom Kopf klaut – da sind ja auch noch die anderen Sachen …«

Interessiert lehnte sich Ida vor. »Welche anderen Sachen?«

Heide klappte ihr Merkbuch zu. Schnippischer, als Ida es von ihr gewohnt war, fragte sie: »Warum sollte es dich interessieren?«

»Weil auch ich hier arbeite«, antwortete Ida verblüfft.

»Ja, aber du bist in vier Tagen weg, dann hocke ich allein da.«

»Du bist sauer«, konstatierte Ida. »Wegen des Lehrgangs?«

»Ich bin nicht sauer.«

Was verdammt sauer klang.

»Stört es dich, dass Miss Watson mich für den Lehrgang vorgeschlagen hat?«, fragte Ida. »Du weißt, dass ich nicht drum gebettelt habe.« Wenn sie vor Aufregung auch kaum mehr schlafen konnte.

Angenommen, ihr Schuh war bis Sonntag wieder in Ordnung, würde sie einen dreimonatigen Oberbeamtenlehrgang in Niedersachsen besuchen, und wenn sie Glück hatte, würde sie eines Tages entweder eine Leitungsposition innerhalb der Weiblichen Polizei einnehmen oder sich zu einer Stelle hocharbeiten, die schon lange zu ihren heimlichen Wünschen gehörte. Allerdings wusste Ida so gut wie jede andere, dass dieser Traum wohl ein Traum bleiben würde. Zwar gab es in keiner anderen Besatzungszone eine uniformierte Weibliche Schutzpolizei. Aber auch in Hamburg durften Frauen diesen besonderen Karriereweg nicht einschlagen, der Ida vorschwebte: den einer Kriminalkommissarin.

Weil Heide laut und verärgert in ihrem Merkbuch zu blättern begann, das sie gerade doch erst ostentativ zugeklappt hatte, hakte Ida nach: »Du hättest es genauso verdient wie ich, das weiß ich doch auch. Aber was erwartest du von mir? Dass ich den Lehrgang absage?« Da Heide darauf nicht antwortete, fügte Ida hinzu: »Oder gibt es etwas anderes, warum du wütend auf mich bist?«

»Ich bin nicht wütend!«

Was, erneut, sehr wütend klang.

Doch wahrscheinlich würde sie die Sache nur schlimmer machen, wenn sie weiterpulte, also machte Ida ein Friedensangebot: »Bis Sonntag sind es vier Tage. Vier Tage, in denen ich dich unterstützen kann. Was hältst du davon, wenn ich bis dahin keinen eigenen Fall mehr übernehme und ausschließlich dir zuarbeite?«

Die Skepsis in Heides Gesicht war unübersehbar.

»Ich assistiere dir nach Leibeskräften!«

»Ach, Ida.« Heide schnaubte. »Du wirbelst Staub auf, wo immer du hingehst, was bedeutet, dass ich andauernd mit einem Ascheeimer und einem Besen hinter dir herrennen und versuchen muss, alles so weit in Ordnung zu bringen, dass kein größerer Schaden entsteht. Und dafür habe ich gerade echt keine Zeit.«

Das saß! Natürlich stimmte es ein klein wenig, ansonsten würden sie die Worte ja nicht so treffen. Ida machte sich öfter unbeliebt als beliebt, aber dafür konnte sie sich auch durchsetzen – und war das nicht genau das, was eine gute Polizistin ausmachte? Außerdem räumte Ida selbst hinter sich auf. Und dass sie mehr Schaden als Nutzen anrichtete, entsprach auch nicht den Tatsachen.

»Es gibt keinen Grund, gemein zu werden«, sagte Ida nach einer Weile, in der sie mit sich gekämpft hatte, auch Heide ein paar Beleidigungen an den Kopf zu werfen.

Verstockt starrte diese auf ihren Schreibtisch. »Entschuldige«, rang sie sich schließlich ab und warf Ida ihr Merkbuch zu. »Seite achtzehn. Jablonski. Gestohlene Kaninchen und Hühner. Dein Fall.«

Reichlich verschnupft notierte sich Ida die Daten in ihr eigenes Merkbuch und warf Heide ihres zurück. Kaninchen. Hühner. Sie konnte sich Gott weiß was Spannenderes vorstellen. Am deprimierendsten daran allerdings war, dass die Chance, den Diebstahl aufzuklären, gegen null ging. In Zeiten wie diesen wurde alles geklaut. Und nicht nur das: Menschen wurden umgebracht, weil sie drei Mark in der Tasche hatten oder mit einer fast vollen Zigarettenpackung gesehen worden waren. Niemand scherte sich um zwei, drei Hühner, die den Besitzer wechselten, und die Polizei kam nicht einmal ansatzweise hinterher.

Da ihr nichts Besseres einfiel, rupfte Ida den Schnürsenkel aus den Löchern ihres Schuhs und umwickelte die Sohle damit. So würde sie zumindest vom Fleck kommen.

»Sag mir wenigstens, welche Fälle du auf dem Tisch hast, ich komme mir ja wie eine ungelernte Hilfskraft vor.«

Nach einem übertriebenen Seufzer begann Heide herunterzubeten, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hatte. »… dann gab es noch die üblichen Streitereien und Schlägereien, Prügel für die Ehefrau, Prügel für den Ehemann und tausend andere Sachen. Die Kaninchen, Hühner und Brombeerranken, um die du dich kümmern sollst, wurden übrigens in Hamm gestohlen. Das heißt, es ist eine ganz schöne Strecke von hier. Damit bist du bis Sonntag beschäftigt. Ich mache den Rest.«

Ida wollte gerade anmerken, dass sie durchaus auch noch für das eine oder andere Zeit finden würde, da wurde sie durch ein leises Klopfen unterbrochen.

»Ja?«, rief Ida.

Nach kurzem Zögern wurde die Klinke heruntergedrückt. Die Tür öffnete sich zwei, drei Zentimeter, aber niemand trat...

Erscheint lt. Verlag 11.1.2024
Reihe/Serie Die Ida-Rabe-Reihe
Die Ida-Rabe-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • Charly Ritter • Davidwache • eBooks • Familiensaga • Frauenleiche • Gerichtsmedizin • Hamburg • Heimatkrimi • Historische Kriminalromane • historischer Krimi • Historischer Roman • Hulda Gold • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Liebe • Medizin • Mord • Nachkriegszeit • Neuerscheinung • Norddeutschland • Polizei • Schicksal • Starke Frau • St. Pauli • Thriller • Vierzigerjahre • weibliche Ermittlerin • Weibliche Kriminalpolizei • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-28272-1 / 3641282721
ISBN-13 978-3-641-28272-1 / 9783641282721
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