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Kinder der Flut (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
256 Seiten
btb Verlag
978-3-641-28098-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kinder der Flut - Lydia Millet
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Shortlist National Book Award - ein hintergründiger Roman zur Klimakrise und dem Konflikt zwischen Boomer-Eltern und der nachfolgenden Generation.
Die fünfzehnjährige Evie verbringt den Sommer mit ihrer Mittelschicht-Familie am Strand irgendwo an der Ostküste der USA. Ihre Eltern haben gemeinsam mit Freunden aus Collegezeiten ein geräumiges Sommerhaus gemietet. Während die Erwachsenen die Tage mit Alkohol, Drogen und Sex verbringen, sind ihre Kinder sich selbst überlassen und verwildern zusehends. Evie kümmert sich um ihren kleinen Bruder Jack. Er ist ein verträumter, intelligenter Junge, der sich Sorgen um die Umwelt macht und dem Tiere sehr am Herzen liegen. Von einer der Mütter hat Jack eine Kinderbibel bekommen, deren Geschichten er verschlingt und für bare Münze nimmt. Als ein verheerender Wirbelsturm aufzieht und sintflutartiger Regen alles zu zerstören droht, verlassen die Kinder das Haus, um inmitten des Chaos einen sicheren Ort zu finden. Sie schlagen ihr Lager auf einer Farm auf, wo es noch ausreichend Vorräte gibt, bis auch hier das Unheil zuschlägt. Doch am Ende werden sie es sein, die es schaffen, sich an die neue Umwelt anzupassen.

Lydia Millet ist vielfach ausgezeichnete Autorin von Romanen und Erzählbänden. In Boston geboren und in Toronto aufgewachsen, lebt sie heute mit ihrer Familie in der Nähe von Tuscon, Arizona. Dort arbeitet sie seit vielen Jahren als Redakteurin für das Center for Biological Diversity. Millet war Finalistin für den Pulitzer Preis, erhielt den renommierten Award of Merit von der American Academy of Arts and Letters und stand mit »Kinder der Flut« auf der Shortlist des National Book Award. Mit »Kinder der Flut« liegt nun erstmals ein Roman von ihr auf Deutsch vor.

2

Es war ein Schock, als wir das Flussdelta mit seinen verflochtenen und sich verschiebenden Sandbänken sahen: Unwillkommene Kolonisten waren an unserer Küste gestrandet.

Zuvor waren die Dünen immer, wenn wir das Meer erreicht hatten, einsam und verlassen gewesen, abgesehen von Vögeln und wogenden Gräsern. Wir konnten mutterseelenallein in Ruhe am Strand entlangspazieren, mit seinen Einsiedlerkrebsen, dem Treibholz und dem Seetang.

Jetzt waren da noch andere. Eine Grillparty. Fleisch lag auf dem Rost, der Geruch trieb bis zu uns herüber. Sonnenschirme mit leuchtend rot-weißen Streifen waren aufgestellt.

Wo waren sie hergekommen? Man gelangte nur mit dem Boot hierher … yep: Da war es. Eine majestätische Jacht in Cremeweiß und Gold dümpelte vornehm vor der Küste.

Am Strand spielten Teenager Volleyball.

Wir fühlten uns unserer Rechte beraubt, hatten aber keinen Plan. Und auch keine moralische Überlegenheit. Es war ein öffentlicher Ort.

Die Situation wurmte uns.

Doch wir mussten nur Geduld haben. Bald würde die Sonne untergehen, und wir wären allein. Zunächst bauten wir unseren provisorischen Schutz auf der anderen Seite der verzweigten Wasserrinnen – einen Pavillon ohne Wände, als Dach die verschlissenen Planen aus dem Geräteschuppen, von denen das Vinyl in Fetzen abging.

Wir banden die Planen an den Büschen am Rand der Dünen fest und stützten sie mit Angeln und Skistöcken ab. Viel Wind würden sie nicht aushalten. Schlafsäcke und zusammengelegte Kleidung dienten uns als Kissen. Zumindest bis zum Sonnenaufgang, während die Kolonisten in ihren Luxuskojen schliefen, würden wir unser eigenes Reich aus Salzwasser und Sand haben.

Wir kauten unsere durchweichten Sandwiches und sahen zu, wie die Griller ihre gestreiften Sonnenschirme zusammenlegten. Von der Jacht her kam ein schnurrendes glänzendes Rennboot ins flache Wasser gefahren.

Aber hey! Was war das denn?

Matrosentypen in weißen Uniformen sprangen mit Bündeln aus dem Boot. In Nullkommanichts waren elegante Zelte aufgebaut – hochwertige in glänzendem Cremeweiß, passend zur Jacht, das Logo eines Alpinausrüsters auf der Seite. Mit Türklappen und Regenschutz. Vier Stück, ordentlich aufgereiht. Eine kleine Stadt über der Flutmarke.

Wir starrten diese hübschen Zelte an.

Die Jachtkids umarmten ihre Eltern und sagten Gute Nacht, während wir bibberten. Das Boot düste davon. Sie machten ein kleines Feuer und setzten sich in zusammenpassende Campingstühle im Kreis darum. Sogar ihre Marshmallowspieße waren vorgefertigt – sie hielten die Metallstäbe über das Feuer und rösteten sie.

Na gut. Wir würden auch ein Feuer machen. Ein großes. Ihr Feuer würde verschwinden gegen unseres. Unser Feuer würde umwerfend sein.

Wir hatten Scheite vom Holzhaufen dabei und zum Anzünden uralte Ausgaben des New York Observer, die wir aufgestöbert hatten. Dank Rafe auch einen Benzinkanister. (Marshmallows waren schließlich Kinderkram. Außerdem hatten wir keine.) Juicy hatte den letzten Wettbewerb gewonnen und einen Gegenstand zum Kaputtmachen mitgebracht, und so schichteten wir einen prächtigen Stoß auf. Obenauf setzte ich das Objekt seiner Wahl: ein antikes Holzschwein mit einem Babyhäubchen. Und sehr langen Wimpern.

Bald schlugen die Flammen hoch. Schwarzer Rauch und beißende Dämpfe, auch von Benzin und womöglich bleihaltiger Farbe, trieben mit dem Wind zu den Jachtkids hinüber. Geschieht ihnen recht, sagte Rafe. Wir kicherten hämisch wie Hexen am Feuer.

Bald darauf tanzten Stirnlampen auf uns zu. Mannhaft wateten Jachtkids durch das Flussdelta, barfuß und braungebrannt, die Shorts genau in der richtigen Länge. Einige von uns erhoben sich stolz, andere nahmen eine eher unterwürfige Haltung ein.

»Hey, Leute!«, sagte der Große ganz vornedran. Eine blonde Strähne fiel ihm über die Stirn. Er trug ein Poloshirt. Er war ein wandelndes Werbeplakat für Abercrombie & Fitch. »Alter! Was’n geiles Feuer! Ich hab ein bisschen Gras. Will jemand was rauchen?«

Und grinste breit.

»Na logo«, sagte Juicy.

Und so zerbröckelte das Imperium.

Ich persönlich war zu dieser Zeit gerade dabei, mich mit dem Ende der Welt auseinanderzusetzen. Zumindest der Welt, wie wir sie kannten. Das taten viele von uns.

Die Wissenschaftler sagten, das Ende sei jetzt da, die Philosophen sagten, mit der Welt sei es schon immer zu Ende gegangen.

Die Historiker sagten, es habe bereits früher finstere Zeiten wie das Mittelalter gegeben. Es würde sich alles klären, denn mit etwas Geduld käme am Ende die Aufklärung und dann eine breite Palette von Apple-Geräten.

Die Politiker behaupteten, alles würde gut. Es würden Anpassungen vorgenommen. Genau wie unser menschlicher Erfindungsreichtum uns diesen Schlamassel eingebrockt hatte, so würde er uns auch wieder davon befreien. Vielleicht würde es mehr Elektroautos geben.

Daran merkten wir, dass die Lage ernst war. Denn ganz offensichtlich logen sie.

Uns war natürlich klar, wer dafür die Verantwortung trug: Schon vor unserer Geburt war es eine ausgemachte Sache gewesen.

Ich wusste nicht so recht, wie ich es Jack beibringen sollte. Er war ein feinfühliger kleiner Kerl und sehr umgänglich. Voller Hoffnung und Angst. Er hatte oft Albträume, und ich tröstete ihn, wenn er daraus hochschreckte – es waren Träume von verletzten Kaninchen oder gemeinen Freunden. Beim Aufwachen wimmerte er »Hase, Hase!« oder »Donny! Sam!«.

Das Ende der Welt, das würde er wohl nicht so gut aufnehmen. Aber es war eine Christkindsituation: Eines Tages würde er die Wahrheit herausfinden, und wenn sie nicht von mir kam, würde ich am Ende wie eine Politikerin dastehen.

Die Strategie der Eltern bestanden im Leugnen, darauf beharrten sie. Sie leugneten natürlich nicht die Wissenschaft – schließlich waren sie liberal. Eher leugneten sie die Realität. Ein paar hatten uns in Survival-Camps geschickt, in denen die Glücklichen lernten, Knoten zu binden. Motoren zu reparieren. Sogar stehendes Wasser ohne chemische Filter zu sterilisieren.

Aber die Haltung der meisten war simpel: Business as usual.

Meine Eltern verheimlichten die Wahrheit vor Jack. Und er war bereits misstrauisch, weil in der zweiten Klasse eine Lehrerin eine erdrückende Information über Eisbären hatte durchsickern lassen: Das Meereis schmolz. Das sechste Massensterben. Jack sorgte sich auch um die Pinguine. Er war Pinguinfanatiker – er kannte sämtliche Arten und konnte sie in alphabetischer Reihenfolge aufzählen und sie malen.

Wir mussten uns einmal zusammensetzen, er und ich. Aber wann?

Ich schob es vor mir her. Der Junge war erst neun. Er konnte immer noch keine Uhr lesen, die Zeiger hatte.

Dann kamen die Jachtkids, mit ihrem medizinischen Cannabis und ihren straffen Körpern. Sie gingen alle auf dasselbe Internat. Und stammten aus Südkalifornien, Bel Air und Palos Verdes und den Palisades.

Wir begriffen bald, dass es dort anders zuging.

»Eure Leute«, fragte das Alphamännchen bekifft. Sie hatten ihre Campingstühle hergetragen: Auf Handtüchern sitzen kam für sie nicht infrage. »Haben sie schon ein Refugium?«

»Ein Refugium?« Sukey nahm einen Zug. Hielt die Luft an. Sie saß ein bisschen zu nahe bei ihm, schien sich in der Abercrombie-Aura zu sonnen. »Du meinst – ein Gut, auf dem sie Pot anbauen?«

»Du bist ja lustig.« Der Alpha stupste sie mit seiner muskulösen Schulter. Im Spaß.

Er hieß James. Man nannte ihn nicht Jim.

»Zum Totlachen.« Sukey reichte Juicy den Joint.

»Na, du weißt schon, so ein Refugium zum Überleben, wenn das Chaos ausbricht? Unseres ist in Washington«, sagte ein anderes Jachtkid. Er hatte sich ein affiges Tuch um den Hals gebunden.

Echt keine gute Idee. In Sachen Mode schien er bei denen das Äquivalent zu Low zu sein.

»State natürlich, nicht District. Eh klar«, fügte er hinzu.

»Unseres ist in Oregon«, sagte James. »Eine riesige Solaranlage. Sieht verdammt aus wie Ivanpah. Mit sage und schreibe elf Notstromgeneratoren.«

Juicy hatte keine Ahnung, wovon sie redeten, aber das hatte ihn noch nie aufgehalten.

»Glaub’s nicht, elf, das ist ja quasi Overkill«, sagte er.

James legte geduldig, aber weise den Kopf schief.

»Auf dem Land ist in technischen Dingen Redundanz entscheidend«, erklärte er. »Es geht um mehrere Fehlerquellen. Integriertes Systemdesign.«

»Nimm’s mir nicht übel«, sagte ich, »aber wir haben keinen Dunst, wovon du redest.«

»Sprich für dich selbst«, protestierte Sukey.

»Ach so?«, sagte ich. »Okay, Sukey, erklär’s mir.«

»Hey, Jack!«, rief sie. »Magst du noch was Süßes? Komm rüber! Die haben S’mores mitgebracht!«

Klassisches Ablenkungsmanöver. Das musste ich ihr lassen.

»Ich muss mal«, sagte Jack, ein bisschen wehleidig.

»Pinkel doch einfach ins Meer, kleiner Mann«, sagte James. »Das Meer ist groß. Es packt vielleicht den sinkenden pH-Wert nicht, aber dein Pipi schafft es.«

Jack schüttelte verlegen den Kopf.

Er hatte ein Buch über furchterregende Tiere gelesen. Wenn man ins offene Wasser pinkelte, konnte es sein, dass ein bestimmter Fisch dem Urinstrahl folgte und sich mit Widerhaken in den Penis grub. Ein Flussfisch im Amazonas und wahrscheinlich ein Fabelwesen, aber er hatte das Buch letztes Jahr gelesen, und ich vermutete, dass er sich jetzt daran erinnerte.

»Ich gehe mit ihm.« Ich stand...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2024
Übersetzer Elke Link
Sprache deutsch
Original-Titel A Children's Bible
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • amerikanische gegenwartsautorin • Amerikanische Gegenwartsliteratur • Amerikanische Ostküste • dystopischer Roman • eBooks • Generationenkonflikt • Klimaroman • Klimawandel • Neuerscheinung • Roman • Romane • Shortlist National Book Award
ISBN-10 3-641-28098-2 / 3641280982
ISBN-13 978-3-641-28098-7 / 9783641280987
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