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Der Teegarten (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman - Nach dem SPIEGEL-Bestseller »Der Teepalast« der zweite große historische Abenteuerroman von Elisabeth Herrmann.
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
720 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-24058-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Teegarten -  Elisabeth Herrmann
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Bremen, 1874. Schon als kleines Mädchen träumt Bettina Vosskamp davon, ihrem Elternhaus zu entfliehen. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, zu ihrer geliebten Großmutter Lene nach Indien zu reisen, die dort eine Teeplantage besitzt. Als sie 'Brennys Garden' in Darjeeling viele Jahre später erbt, ist sie entschlossen, Lenes Lebenswerk zu bewahren. Doch sie ahnt nicht, dass sie vor einer fast nicht zu bewältigenden Herausforderung steht: wirtschaftliche Nöte, ein Erdbeben, das droht, alles zunichte zu machen, und der Kampf, sich in einer harten Männerwelt zu behaupten, verlangen ihr alles ab. Aber Bettina lässt sich nicht entmutigen - und setzt alles daran, nicht nur das Vermächtnis der Vosskamps zu bewahren, sondern endlich auch ihr eigenes Glück zu finden ...

Elisabeth Herrmann wurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin arbeitete sie beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman »Das Kindermädchen« ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Joachim Vernau sehr erfolgreich vom ZDF mit Jan Josef Liefers. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis, den Deutschen Krimipreis und den Glauser für den besten Jugendkrimi 2022. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin und im Spreewald.

Prolog


Bremen, 18. April 1874


Die Tür schlug hinter ihr ins Schloss. Es gab kein Zurück mehr.

Bettina Vosskamp, elf Jahre alt, stand frierend im Seiteneingang des schönsten Hauses am Bremer Markt: dem Teepalast. Schlagartig machte ihr die Kälte dieses Vorfrühlingstages klar, dass das Abenteuer begonnen hatte. Ein steter, frostiger Wind trieb Wolken vor sich her, die nichts Gutes verhießen.

Sie verknotete ihr Kopftuch unter dem Kinn und lugte vorsichtig zum Standbild des Bremer Roland. Ja, er lächelte. Mild und großzügig, dieser riesige steinerne Mann, der mit Ritterschwert und Schild Wacht hielt über die Freiheit der Stadt.

Ich will auch frei sein, dachte sie. Du verstehst mich. Dann wandte sie sich ab und lief in die schmale Gasse hinter dem Schütting Richtung St. Ansgarii. Vorne, auf dem Marktplatz, herrschte reges Treiben. Aber nur ein paar Schritte weiter, in den Schatten der kleinen Gassen, warteten zerlumpte Gestalten auf das Mittagsläuten vom nahen Dom. Sie hatten sich hinter dem Gildehaus der Kaufleute zusammengefunden, um die Ersten zu sein, wenn der Teepalast die Pforte an der Rückseite des Hauses für sie öffnen würde. Dann gab es Tee für die Armen – heiß und süß –, und das übrig gebliebene Gebäck vom Vortag.

Doch damit könnte es bald vorbei sein. Unnütze Geldausgabe, hatte Bettinas Vater Joost behauptet. Sie mussten Geld einnehmen und nicht zum Fenster hinauswerfen. Der Teepalast war ein Restaurationsbetrieb mit Ladengeschäft und nicht der vaterländische Frauenverein vom Roten Kreuz.

Hartherzigkeit hatte Großmutter Helene ihrem Sohn vorgeworfen. Es war der letzte Streit der beiden Starrköpfe gewesen. Nur einer von vielen, aber er musste zu diesem Bruch geführt haben. Helene war nach Indien zu ihrer Teeplantage aufgebrochen, und alle vermuteten, dass sie nie mehr zurückkommen würde.

Bettina vermisste ihre Großmutter so sehr, dass es wehtat. Ihre Eltern waren sicher gute Christenmenschen, aber Helene war viel mehr: gütig, liebevoll, großzügig, und etwas, das sie besonders machte und sich nur hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert wurde – frivol. Bettina hatte nur eine vage Vorstellung davon, was das sein könnte. Aus dem Mund ihrer Eltern klang es wie etwas Schlechtes. Aber wenn die Damen, die nachmittags in den Teepalast auf eine Tasse Brenny’s kamen, in den Modezeitungen blätterten und den neuesten Klatsch und Tratsch austauschten, hatte das Wort einen fast bewundernden Klang. Frivol.

Vielleicht war das, was Bettina vorhatte, auch frivol. Ihr Vater würde es wohl Fisimatenten nennen, ihre Mutter war härter. Buurdeern – du benimmst dich wie ein Bauernmädchen. Fluddertrine. Hast Grappen in’n Kopp. Da kriggt man jo dat Gräsen, wenn ich dich seh! Nein, liebevoll war Bettinas Mutter nicht. Und bei den Beschimpfungen, die bei der geringsten Kleinigkeit auf Bettina herunterprasselten, gab sie sich auch gar nicht erst die Mühe, hochdeutsch zu reden, wie sie das sonst mit den feinen Damen im Teepalast machte, sondern verfiel ins Hamburger Platt ihrer Heimatstadt. Grote Klappe un keen Bodder up’n Kopp. Große Klappe und nichts dahinter. Frech. Aufsässig. Gefräßig. Am Schlimmsten war, dass sie Bettina nach diesem letzten großen Streit um den Tee für die Armen strikt verboten hatte, hinauf zu ihrer Großmutter zu gehen.

Und so war Helene abgereist, ohne ihre Enkelin noch einmal in den Arm zu nehmen. Bettina musste schlucken, als sie daran dachte, wie die Kutsche vor dem Haus gehalten hatte und ihre Großmutter eingestiegen war. Vor vier Wochen war das geschehen, an einem Tag, der sich noch grauer und eisiger präsentiert hatte als der heutige. Durch die verregneten kleinen Fensterscheiben hatte sie nur schemenhafte Umrisse erkennen können. Ein paar kleine Kisten und Koffer waren verladen worden, dann hatte sich die Gestalt noch einmal umgedreht und zu ihr hinaufgesehen.

»Endlich ist sie aus dem Haus!«, hatte ihre Mutter hinter ihrem Rücken gesagt und sich zufrieden über ihren Stickrahmen gebeugt. »Jetzt kehrt Ruhe ein, ein für alle Mal. Ihr böses Blut wird dich jetzt nicht mehr vergiften.«

Bettina hatte sich auf die Lippen gebissen, um nicht loszuheulen. Und den Entschluss gefasst, dieses Haus zu verlassen. Das böse Blut, Helenes Erbe, brodelte in ihr. Wenn sie schon verderbt bis in die Tiefen ihrer Seele war, dann würde ihr Verschwinden ja eher Freude als Bestürzung auslösen.

Sie sind froh, wenn sie mich los sind, dachte sie und trat entschlossen hinaus auf die Straße. Sie wusste, dass sie das Richtige tat.

Ein schmaler, hoch aufgeschossener Junge in viel geflickter Kleidung löste sich aus der Gruppe der Bettler, sah sich vorsichtig um und eilte dann auf sie zu. Seine Mütze saß schräg auf dem Kopf, und obwohl er sie fast wütend anblitzte, fiel ihr bei seinem Anblick ein Stein vom Herzen.

»Da bist du ja endlich!«, herrschte er sie an.

»Ich musste erst Fräulein Mitzi ablenken!«

»Eure Katze?«

»Meine Gouvernante.«

Er schnaubte verächtlich. Sie kannten sich seit Kindertagen. Bettina Vosskamp, die Tochter aus gutem Hause, und Finn ohne Nachnamen, der Laufbursche, der sie immer zum Lachen gebracht hatte. Mal jonglierte er mit Bäcker Susewinds Schmalzkrapfen, mal lockte er sie vor die Türe, wenn er wieder einmal ein Spatzenkind gefunden hatte und es für ihn eine Frage der Ehre war, es durchzufüttern, bis es flügge wurde. Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn, sagte Mamsell Schwicke dann immer, wenn sie Bettina zurück ins Haus zog und dem Jungen eine Kopfnuss verpasste.

Bettina war nicht dick, aber im Vergleich zu dem mageren Burschen ziemlich wohlgenährt. Er hatte ein offenes Gesicht und ein lausbübisches Grinsen, und die Kombination aus schmalen blauen Augen und breitem Mund erinnerte an ein Wiesel, was durch seine abstehenden Ohren noch betont wurde.

»Na, die wirst du so schnell nicht mehr brauchen. Hast du es?«

Sie nickte und fuhr mit der Hand in die Tasche ihres Rocks. Das kühle Gold ließ ihr einen Schauer den Rücken hinunterrieseln. Aber vielleicht war es auch nur die Kälte.

»Lass sehen.«

Sie holte die Taschenuhr hervor. Er schnappte schneller danach als eine Elster.

»Und die funktioniert?«

Mit klammen Fingern zeigte sie ihm, wie der Deckel aufsprang. Es war neun Uhr zweiundfünfzig.

»Und die ist echt?«

»Ja.«

»Und was ist das?« Er wies auf den kunstvoll gearbeiteten Deckel und einen tiefgrünen, funkelnden Stein.

»Ein Smaragd.«

Den hat mir einmal ein Maharadscha geschenkt.

Warum?

Er war in mich verliebt. Aber ich nicht in ihn. So hat er mir den Stein zum Abschied gegeben, und ich habe diese wunderschöne Uhr daraus machen lassen. Siehst du die goldenen Blütenblätter, die den Stein umranken und gleichzeitig halten? Das ist eine Chrysantheme, mit einem Herz aus kleinen Diamanten. Eines Tages wirst sie mit eigenen Augen sehen. Eines Tages …

Die Uhr gehörte ihrer Großmutter, die sie bestohlen hatte.

Nein, nicht bestohlen. Die wird einmal dir gehören, mein Kind. An dem Tag, an dem du deine große Liebe heiraten wirst.

Aber so lange konnte sie nicht warten. Da wäre sie ja schon uralt.

Finn beäugte die Kostbarkeit von allen Seiten. »Und was ist das drum herum?«

Er meinte die Blütenzweige aus Gold.

»Eine Chrysantheme«, sagte sie in schulmeisterlichem Ton, als ob das jeder auf den ersten Blick erkennen würde.

»Und was ist eine Kri-krisante?«

Bettina musste ein Kichern unterdrücken.

»Chry-san-the-me«, verbesserte sie ihn. »Eine Blume«, setzte sie schnell hinzu, weil nicht davon auszugehen war, dass Finn sich mit so etwas auskennen würde und sie sich auch nicht über ihn lustig machen wollte. »Aus ihr wird Tee gemacht.«

Jetzt eine Tasse Brenny’s, mit Sahne und Kluntjes … Noch konnte sie sich eine Erklärung ausdenken, warum sie allein auf die Straße gegangen war. Einfach umkehren und zurück in die warme Stube oder in der Küche verschwinden, in der die Köstlichkeiten zubereitet wurden, die die Vosskamps den Damen zum High Tea servierten. Törtchen. Kuchen. Dieses fluffig-buttrige Gebäck aus England, das man Scones nannte. Sie konnte sich eines vom Backblech stibitzen und sich dann von Fräulein Mitzi erwischen und zurück an die Tafel in ihrem Lernzimmer bringen lassen. Keiner würde etwas merken.

Sie wollte gerade sagen, gib sie mir wieder, aber da hatte Finn die Uhr schon zugeklappt und eingesteckt. Dass sie so schnell von ihrer Hand in seine Tasche gewandert war, gefiel ihr nicht. Aber sie traute sich auch nicht zu protestieren. Die Bettler, die sich gegen die eiskalte Zugluft in den Kellereingang des Gildehauses zurückgezogen hatten, spähten schon die ganze Zeit in ihre Richtung.

»Wir müssen los. Ist das alles?«

Bettina hielt ein kleines Bündel unter den Arm geklemmt. In ihm befanden sich dicke Strümpfe, die letzten Osterkekse, ein paar Pfennige aus ihrer Spardose und etwas Wäsche. Sie hatte keine Ahnung, was man in Indien brauchte, aber das würde sich irgendwie ergeben. Spätestens, wenn sie Helene und die Teeplantage Brenny’s Garden in Darjeeling gefunden hatte.

Das Märchenland. Der Ort, an dem ihre Großmutter glücklich war.

»Ja. Und du? Hast du nichts dabei?«

Er grinste sie an und tippte sich an die Stirn. Vierzehn war er oder vielleicht schon fünfzehn? Auf jeden Fall ein welterfahrener Bursche, der schon einmal in Bremerhaven...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2023
Reihe/Serie Der Teepalast
Der Teepalast
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • 2023 • Abenteuer • Abenteuerroman • Bremen • brennys garden • Darjeeling • eBooks • Familiensaga • historisch • historische frauenunterhaltung • Historische Romane • Kaiserzeit • Kolonialismus • Misogynie • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • New York • Starke Frauen • Teepalast • Teeplantage • VOSSKAMP
ISBN-10 3-641-24058-1 / 3641240581
ISBN-13 978-3-641-24058-5 / 9783641240585
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