Tatort Weihnachten (eBook)
352 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30855-1 (ISBN)
Sie sehnen sich nach etwas Aufregung in der Adventszeit? Sie brauchen noch ein mörderisch gutes Geschenk? Perfekt! Wir bieten festliche Spannung, die Ihnen garantiert den Atem stocken lässt. 12 renommierte Krimi-Autor*innen haben sich zusammengefunden und begeben sich mit Ihnen auf eine spannungsgeladene Reise an die schönsten Tatorte Europas. Freuen Sie sich auf mitreißende Kurzgeschichten: ob blutig oder heiter, ob gruselig oder voller Witz. Alle Autor*innen liefern zudem ein weihnachtliches Rezept zu ihrem Krimi.
Für Spannung mit weihnachtlichem Genuss sorgen: Gisa Pauly, Luis Sellano, Lilly Alonso, Sabine Thiesler, Jan Beck, Beate Maxian, Petra Ivanov, Marcel Häußler, Carine Bernard, Susanne Mischke, Fynn Jacob und Horst Eckert.
Himmel, geht’s mir gut! So gut, dass ich meine Zufriedenheit unbedingt mit Ihnen teilen muss! Was hat man von dem ganzen Glück, wenn man nicht darüber reden kann? Wenn Sie mir nun noch den Gefallen tun könnten, ein wenig neidisch zu sein, wäre mein Glück vollkommen. Es ist einfach herrlich! Vor mir das Meer, über mir die Möwen, in den Haaren der Wind, in der Nase der Geruch, den es nur hier gibt. An der Nordsee, auf Sylt. Und hinter mir, auf der anderen Seite der geschlossenen Balkontür mein Mann, der hier viel leichter zu handeln ist als zu Hause. Natürlich ist er nicht wirklich zufrieden oder gar glücklich – das ist er eigentlich nie, es sei denn, Schalke hat gewonnen –, aber ihm ist natürlich bewusst, dass ich ihn heute eigentlich zu Bauer Harmsen geschickt hätte, um die Weihnachtsgans abzuholen. Dass er dieser lästigen Pflicht entronnen ist, gefällt ihm außerordentlich. Er mag Bauer Harmsen nicht, und vor allem mag er den Stress nicht, der mit dem Einzug der Weihnachtsgans in unsere Wohnung beginnt. Jahr für Jahr!
Aber in diesem Jahr nicht! Denn diesmal haben wir alles anders gemacht. Sie sollten sich das auch mal überlegen. Wir haben uns in den Strom der Weihnachtsflüchtlinge eingefügt. Keine Weihnachtsgans, keine Geschenke, kein Tannenbaum, kein Ärger mit der elektrischen Beleuchtung, keine Gäste, die bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag bleiben. Weihnachtsboykott! Herrlich! Haben Sie sich schon mal zu diesem Wagnis durchgerungen? Denn … ein Wagnis ist es natürlich, wenn man mit einer uralten Tradition bricht. Das muss man sich vorher gut überlegen.
Allmählich wird es kalt auf dem Balkon. Besser, ich gehe wieder rein. Und dann … na, dann genieße ich, dass ich in diesem Jahr keine Arbeit haben werde, obwohl Weihnachten ist. Ich könnte einen Spaziergang machen, könnte sogar shoppen gehen. Nein, nicht einkaufen fürs Weihnachtsessen, fürs Kuchenbacken, für den Mitternachtssnack in der Heiligen Nacht, sondern durch die Geschäfte schlendern und mir all das Hübsche ansehen, was dort ausliegt. Früher war vor Weihnachten ja keine Zeit für so was. Ich muss mich nicht einmal um Weihnachtsgeschenke kümmern. Eckart und ich haben es sogar so weit getrieben, dass wir uns in diesem Jahr nichts schenken werden.
Eckart hat gesagt: »Wenn schon, denn schon!«
Und er hat recht. Wir machen alles anders, wir feiern Weihnachten nicht zu Hause, sondern auf Sylt, und dazu gehört eben auch, dass wir bei dem Geschenkemarathon nicht mitmachen. Sollten Sie schon seit November versuchen, die richtigen Geschenke für Ihre Angehörigen zu finden, dann tun Sie mir leid. Es geht nämlich auch anders. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir! Während Sie sich um den Christstollen kümmern müssen, mache ich einen Strandspaziergang.
Ich wende mich ab von dem herrlichen Blick aufs Meer, um wieder hineinzugehen, da höre ich eine Stimme vom Nachbarbalkon. Eine männliche Stimme, und sie spricht ganz leise. Sie werden doch verstehen, dass ich mich da umdrehen und noch einmal ans Balkongeländer stellen muss? Neugier macht warm, plötzlich friere ich gar nicht mehr so sehr. Kennen Sie das?
»Fünfzigtausend mindestens«, flüstert die Stimme auf dem Balkon, eine lispelnde Stimme, die Schwierigkeiten mit den Zischlauten hat. »Vielleicht auch hunderttausend. Im Urlaub sind die Leute risikofreudiger. Deswegen ziehen wir das Ding ja hier auf Sylt durch.«
Leider kann ich den Mann nicht sehen, denn der Vermieter der Ferienwohnungen hat versucht, den Bewohnern durch Trennscheiben das Gefühl zu geben, sie säßen ganz allein auf ihrem Balkon. Ich würde ja gerne mal einen langen Hals machen und um die Trennscheibe herumschauen, aber das traue ich mich nicht. Wenn er mich dann sieht! Dann könnte er ja glatt meinen, ich wäre neugierig. Und kurz darauf ist es sowieso zu spät. Ich höre, dass er aufsteht und sich die Balkontür schließt. Fünfzigtausend! Wovon der wohl geredet hat?
Wie erwartet winkt Eckart nur ab, als ich ihm den Vorschlag mit dem Spaziergang mache. »Ich denke, in diesem Jahr wird alles anders? Jeder macht, was er will.« Er legt die Zeitung beiseite und greift nach der Fernbedienung. »Ich gucke jetzt ›Weihnachten bei Hoppenstedts‹.« Und dann sagt er, während ich meinen Schal hervorkrame, den verhängnisvollen Satz: »Bring mir aber keine neue Weinkaraffe mit. Und auch kein Mokkaservice. So viel Platz haben wir nicht im Kofferraum.«
Mir rutscht der Schal aus der Hand. »Was redest du da?«
Eckart grinst. »Meinst du, ich wüsste nichts von der Auktion auf der Friedrichstraße? Stand doch im Schaufenster des Auktionshauses. Ein riesiges Plakat. Das hast du auch gesehen, gib’s zu. Du willst nicht spazieren gehen, sondern irgendeinen Nippes ersteigern.«
Nein, ich hatte es nicht gesehen. Aber gut, dass ich nun Bescheid weiß. Ich liebe Auktionen! Sie auch? Was ich bei solchen Gelegenheiten schon alles ergattert habe! Eine Büste von Kaiserin Sissi, Spitzenvorhänge, kristallene Kerzenleuchter – alles spottbillig. Aber kurz vor Weihnachten? Für so was hat man dann ja keine Zeit. Es sei denn … ja, Sie wissen schon.
Dass ich jetzt, ohne den geringsten Stress und ohne mir Gedanken über die Weihnachtsgans und den Rotkohl machen zu müssen, am Schaufenster eines Sylter Auktionshauses vorbeispazieren und sogar hineingehen kann, versetzt mich in Euphorie. Man sieht Eckart an, dass er bereut, was er gesagt hat. Aber seine Reue kommt eindeutig zu spät. Nun weiß ich von der Weihnachtsauktion, nun werde ich auch hingehen.
»Aber nicht schon wieder Porzellan oder Glas«, ruft Eckart mir nach. »Das geht unterwegs zu Bruch.«
Der Laden ist gerammelt voll, denn draußen hat es zu regnen begonnen. Viele sind gar nicht daran interessiert, etwas zu ersteigern, die meisten wollen bestimmt nur im Warmen sitzen oder mal gucken, wie viel andere Leute für ein Gemälde, für Kristallvasen oder feines Geschirr auszugeben bereit sind.
Als ich komme, gehen gerade Porzellanfigürchen über die Theke. »Zum Ersten … zum Zweiten …« Hübsch, wirklich hübsch. Vermutlich aus Meißen. Danach kommen goldene Füllfederhalter zur Auktion, die niemand haben will, und dann diverses elektronisches Spielzeug. Da bieten plötzlich auch die Leute mit, die eigentlich nur zugucken wollten, wie andere ihr Geld ausgeben. Jedenfalls kommt es mir so vor. Und dann Gemälde! Eine Lithografie von Margot Laffon geht für läppische dreihundert weg, ein Adrian Ghenie beginnt dagegen mit dreizehntausend Euro Startpreis. Kennen Sie das? Wenn sich vor Ihren Augen etwas abspielt, was Sie haben könnten? Womöglich unter Wert? Ein Kunst-Schnäppchen, von dem Sie mit einem Mal wollen, dass es kein anderer bekommt? In unseren vier Wänden tummeln sich viele dieser Schnäppchen, es gibt wahrlich keinen Grund, sich um ein weiteres zu bemühen. Trotzdem vibriere ich vor Spannung, als ein Gemälde nach dem anderen weggeht. Noch nie habe ich ein Bild gekauft, da kenne ich mich nicht aus. Bei uns hängen nur gerahmte Familienfotos, die »Betenden Hände« von Albrecht Dürer und im Schlafzimmer ein großes Kreuz über dem Bett, weil wir ja schließlich fromme Menschen sind. Es gibt also echt keinen Grund, sich bei jeder Kleckserei Gedanken über den Preis zu machen.
Dann macht der Auktionator es spannend. Neben ihm steht auf einer Staffelei ein verhülltes Bild in einer Größe von etwa 50 mal 50 Zentimeter. Der Maler sei unbekannt, sagt er, womöglich handele es sich um einen Schüler von Tizian oder von Jacopo Palma il Vecchio, vielleicht sogar von Letzterem selbst. Vermutlich stamme es aus dem 17., vielleicht auch 18. Jahrhundert. »Dieses Bild ist wie ein Blind Date«, sagte der Auktionator. »Es kann alles werden, nur wenig oder auch unbedeutend bleiben. Der bisherige Besitzer hat jedoch eine entsprechende Expertise eingeholt und ist davon überzeugt, dass das Bild einen großen Wert besitzt. Deswegen geht das Gemälde in die Auktion für einen Eröffnungspreis von zwanzigtausend.«
Erstauntes Gemurmel ringsum und lange Hälse, als der Auktionator den Vorhang hebt. Ein Gemälde, im Stil der venezianischen Meister, kommt zum Vorschein. Ich weiß sogar, wie es heißt. Das fällt mir ein, obwohl ich vollkommen fassungslos bin: »Die Heilige Familie in Ägypten«. Woher ich das weiß? Es hat mir mal gehört. Nur ganz kurz, eigentlich war es jahrzehntelang im Besitz meiner Großmutter gewesen. Und die hatte es mir vererbt, als sie starb. Ehrlich gesagt, ich war ein bisschen sauer, dass sie mir dieses blöde Bild hinterließ, wo ich doch so viel für sie getan hatte, als sie krank wurde. Meine Geschwister hatten Bargeld bekommen und ich dieses Bild. Anfang zwanzig war ich damals, hatte mir meine ersten IKEA-Möbel gekauft, zu denen wahrlich kein Gemälde dieser Art passte. Aber Horst, mein damaliger Freund, fand es toll. Er hatte ein Faible für so was. Und so habe ich es ihm geschenkt.
Mir wird schlecht, so richtig speiübel. Wie ein Sturm fährt mir die Einsicht entgegen, dass es besser gewesen wäre, das Bild zurückzuverlangen, als er sich von mir trennte. Eiskalt wird der Sturm, als mir klar wird, dass meine Oma sich vielleicht sogar eine Menge dabei gedacht hatte, mir gerade dieses Bild zu vermachen. Zwanzigtausend? Wenn es noch mir gehörte, könnte ich endlich die Wohnlandschaft aus rotem Leder kaufen, auf die ich schon lange scharf bin. Horst, dieser Mistkerl! Ob der damals schon gewusst hat, dass das Bild so viel wert ist?
»Fünfundzwanzigtausend! Dreißigtausend!«
Ich glaube, ich werde ohnmächtig.
»Vierzigtausend!« Eine männliche Stimme, eine lispelnde Stimme. Das Z und das S zischen aus seinem Mund.
Ich drehe...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2023 |
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Co-Autor | Lilly Alonso, Petra Ivanov, Gisa Pauly, Luis Sellano, Sabine Thiesler, Jan Beck, Fynn Jacob, Susanne Mischke, Beate Maxian, Horst Eckert, Marcel Häußler, Carine Bernard |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | 2023 • Adventskalender • Adventskalender 2023 • Adventskalender Buch • Adventskalender für Erwachsene • Adventskalender Krimi • eBooks • Geschenk Weihnachten • Kochbuch • Kochbücher • Kochen • Krimi • Krimi Anthologie • Krimi Kurzgeschichten • Kriminalromane • Krimis • krimis schwarzer humor • Kurzgeschichten Advent • Kurzgeschichten Weihnachten • Neuerscheinung • Rätsel • Regionalkrimi • Reisen • Rezepte • Thriller • Thriller Kurzgeschichten • Urlaubskrimi • weihnachten 2023 • Weihnachtsanthologie • Weihnachtskrimi |
ISBN-10 | 3-641-30855-0 / 3641308550 |
ISBN-13 | 978-3-641-30855-1 / 9783641308551 |
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