Der Buchclub - Ein Licht in dunklen Zeiten (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01602-6 (ISBN)
Annie Lyons hat schon früh erkannt, dass Bücher so ziemlich das Beste im Leben sind. Und sie hatte das Glück, ihr gesamtes Berufsleben mit ihnen zu verbringen: zunächst als Buchhändlerin in der Charing Cross Road in London und danach elf Jahre lang im Verlagswesen. Nach einem Kurs für kreatives Schreiben beschloss sie, ihren ersten Roman zu schreiben. Sie brauchte zwei Jahre, um ihn fertigzustellen, und weitere zwei, um ihren ersten Verlagsvertrag zu bekommen. Nach einem Auslandsjahr in München lebt sie heute als Autorin zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im Südosten von London.
Annie Lyons hat schon früh erkannt, dass Bücher so ziemlich das Beste im Leben sind. Und sie hatte das Glück, ihr gesamtes Berufsleben mit ihnen zu verbringen: zunächst als Buchhändlerin in der Charing Cross Road in London und danach elf Jahre lang im Verlagswesen. Nach einem Kurs für kreatives Schreiben beschloss sie, ihren ersten Roman zu schreiben. Sie brauchte zwei Jahre, um ihn fertigzustellen, und weitere zwei, um ihren ersten Verlagsvertrag zu bekommen. Nach einem Auslandsjahr in München lebt sie heute als Autorin zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im Südosten von London. Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.
Prolog
London, 1911
Gertie Bingham stand in der Warteschlange bei Piddocks Fleischerei und ließ den Blick von der Auslage zum Schaufenster hinaus und zu dem Laden auf der anderen Straßenseite schweifen als sie urplötzlich ein heftiges Sehnen überkam. Sie hatte das «Zu vermieten»-Schild entdeckt, das dort im Fenster hing. Es war wie Liebe auf den ersten Blick. Sie kannte das Gefühl so gut. Manche Menschen glauben, sich zu verlieben geschehe allmählich, so wie Garn sich nach und nach von der Spule wickelt, aber für Gertie war es etwas Unmittelbares. Ein Pfeil ins Herz. Unerwartet. Aufwühlend. Für die Ewigkeit.
Unwillkürlich stieß sie einen aufgeregten Schrei aus. Die Dame vor ihr in der Schlange, Miss Crow, deren Name gut zu ihrem stechenden Krähenblick passte, gab ein vernehmliches Geräusch der Missbilligung von sich.
«Verzeihung!» Gertie verließ ihren Warteplatz und drängelte sich zur Tür durch. «Das ist es! Endlich habe ich einen Ort gefunden.»
An besagtem Ort war noch ein Hutmachergeschäft untergebracht. Genauer gesagt, Buckinghams Hutmacherei eleganter Kopfputz für die Dame von Welt. Die Beechwood High Street leistete sich nicht nur einen, sondern gleich zwei Hutmacher, dazu eine Fleischerei, eine Bäckerei und darüber hinaus ein Kerzengeschäft, auch wenn dieses sich etwas umfassender als «Haushaltswarenhandlung» bezeichnete. Der Mangel an wirklich interessanten Geschäften trieb Gertie schier zur Verzweiflung. Sie war im Herzen Londons aufgewachsen und empfand das Leben hier, im südöstlichsten Zipfel der Metropole, mitunter als geradezu stumpfsinnig. Sie sehnte sich nach kultureller Bereicherung, einem Theater, einem Konzertsaal. Am allermeisten jedoch fehlte Gertie eine Buchhandlung.
Das Angebot in Beechwood war durchaus charmant, jedoch größtenteils praktischer Natur. Es gab neben oben erwähnten Geschäften eine Schneiderei, eine Apotheke und eine Confiserie, betrieben von Mrs. Perkins, die, wie Gertie zugeben musste, die besten hausgemachten Toffees zubereitete, die sie je gekostet hatte. Auch bei Travers’ war sie Stammkundin, der von Gerald Travers und seiner Frau Beryl betriebenen Gemüsehandlung. Und Mr. Piddock war ein hervorragender Fleischer aber Gertie sehnte sich nach mehr, und an diesem strahlenden Junimorgen sah es so aus, als wäre ihr Traum unvermittelt in greifbare Nähe gerückt.
Sie raffte die Röcke und eilte den Hügel zur öffentlichen Bibliothek hinauf, um ihrem Ehemann Harry die frohe Botschaft zu verkünden. Gertie stürmte durch die schweren Mahagonitüren und handelte sich von Miss Snipp, der Ersten Bibliothekarin, eine scharfe Rüge ein.
«Darf ich Sie daran erinnern», zischte sie mit einem tadelnden Blick über den Rand ihres Zwickers hinweg, «dass dies eine Bibliothek ist, Mrs. Bingham? Und keine Ihrer lärmenden Suffragettenversammlungen?»
«Verzeihung», raunte Gertie. «Ob mein Mann wohl kurz zu sprechen wäre?»
Miss Snipp hatte schon den Mund geöffnet, um sie auch für diese abwegige Idee zu tadeln, als die Tür zum Arbeitszimmer des Bibliotheksdirektors geöffnet wurde und Harry erschien, eine Teetasse samt Untertasse und einen Roman von P.G. Wodehouse in Händen. Harry bemerkte Gertie nicht gleich, und sie fühlte sich an das köstlich schwindelnde Gefühl erinnert, das sie damals überwältigt hatte, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren.
Wer Harry Bingham nur flüchtig betrachtete, auf den mochte er, gelinde gesagt, recht seltsam wirken. Die schlaksigen Arme und Beine schienen zu lang für den Körper und ließen unwillkürlich an ein Fohlen denken, das gerade laufen lernte. Der Schlips hing schief wie immer, und die Finger waren mit Tintenflecken beschmiert, doch das tat Gerties Liebe zu ihm keinen Abbruch. Im Gegenteil, es gehörte zu den Schlüsselelementen, die sie zu diesem zerzausten, charmanten Mann hingezogen hatten, als er vor vielen Jahren eines Tages in der Buchhandlung ihres Vaters vor ihr gestanden hatte.
Gertie hatte das Glück, in eine Familie von Freigeistern hineingeboren worden zu sein. Ihr Vater Arthur Arnold hatte kurz vor der Jahrhundertwende gemeinsam mit seinem Bruder Thomas am Cecil Court in London die Buchhandlung Gebrüder Arnold gegründet. Arthur und seine Frau Lilian hatten bei der Erziehung von Gertie und ihrem jüngeren Bruder Jack nie einen Unterschied gemacht. Eines der ersten Bücher, das Gerties Mutter ihr zu lesen gegeben hatte, war Original Stories from Real Life von der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft gewesen. Lilian Arnold galt als unerschütterliche Suffragette, und Gertie wurde zu einem wachen Verstand und zur Entwicklung eines untrüglichen Instinkts für Ungerechtigkeiten erzogen. Innerhalb der vier Wände ihres Zuhauses, wo Debatten und Diskussionen an der Tagesordnung waren, war das alles schön und gut. Als die Mutter jedoch beschloss, ihre Tochter auf eine Mädchenschule zu schicken, eckte Gertie an, denn ihre Schulkameradinnen erkannten, dass Gertie sich keineswegs nach einem Leben in häuslicher Beschaulichkeit und Ergebenheit sehnte.
«Wozu um alles in der Welt wurde mir ein Hirn geschenkt, wenn ich nicht damit denken darf?», beklagte Gertie sich bei ihrer Mutter.
«Hab Geduld, Liebes. Nicht alle Menschen sehen die Welt mit deinen Augen.»
Doch Geduld gehörte nicht zu Gerties Stärken. Sie war immer in Eile, immer darauf aus, sofort das nächste Buch zu verschlingen, eine neue Idee aufzusaugen oder sie in die Welt zu entlassen wie einen aus dem Netz befreiten Schmetterling. Ihre Mutter drängte sie, die Universität zu besuchen, doch auch für ein Studium fehlte es Gertie an Geduld. Sie wollte hinaus ins Leben, wollte in der Welt wirken. Also bat sie ihren Vater um eine Anstellung in seiner Buchhandlung, wo das Schicksal es gut mit ihr meinte und sie Harry begegnete.
«Gertie, wir haben einen Neuzugang», hatte Onkel Thomas eines Tages zu ihr gesagt. «Wärst du so nett, ihn mit unseren Räumlichkeiten und Abläufen vertraut zu machen?» Gertie hatte den Blick von den Karteikarten gehoben, mit denen sie gerade beschäftigt gewesen war, und sofort gewusst, dass sie in die beunruhigend blauen Augen jenes Mannes schaute, den sie einmal heiraten würde. «Harry Bingham, Gertrude Arnold.»
«Sie dürfen mich Gertie nennen», sagte sie, stand auf und gab Harry die Hand.
Aus Harrys Kragen kam ein rötlicher Schimmer den Hals hinauf ins Gesicht gekrochen. «Sehr erfreut», sagte er und zog die Hand, so schnell es die Höflichkeit erlaubte, wieder zurück, um sich die große, runde Brille zurechtzuschieben. Sie verlieh ihm etwas Eulenhaftes, und in Verbindung mit der schlaksigen Figur machte ihn das in Gerties Augen nur umso attraktiver.
Als Lehrling war er schüchtern, doch Gertie merkte schnell, dass alle Verlegenheit verflog, sobald sie anfingen, sich über Bücher zu unterhalten. Sie entdeckten ihre gemeinsame Liebe zu Charles Dickens und Emily Brontë. Nicht lange, und aus gemeinsam verbrachten Arbeitstagen wurden abendliche Theaterbesuche und Wochenendspaziergänge im Park. Ein paar Jahre später heirateten sie, zogen auf die Südseite des Flusses, und Harry wurde Bibliothekar. Das frisch verheiratete Ehepaar hatte fest damit gerechnet, dass ihr gemütliches kleines Haus schon bald von fröhlichen Kinderstimmen erfüllt sein würde, doch nach Jahren voll herzzerreißender Enttäuschungen hatten sie sich der bitteren Tatsache fügen müssen, dass es nicht sein sollte. Ganz die praktische Stoikerin, führte Gertie unbeirrt ihr Leben fort.
Und als sie jetzt in der Hutmacherei auf der Hauptstraße plötzlich das «Zu vermieten»-Schild im Schaufenster erblickte, erkannte ihr ungeduldiger Geist darin augenblicklich die Lösung und für sie beide eine aufregende Zukunft.
«Eine Buchhandlung?», fragte Harry, als sie sich bei ihm einhakte und ihn mit auf einen Mittagsspaziergang durch den Rosengarten neben der Bibliothek nahm.
«Weshalb denn nicht? Das könnten wir zwei mit links, und außerdem: Fändest du es nicht auch schöner, an einem Ort zu arbeiten, an dem du nicht ständig flüstern musst, um nicht von der schnippischen Miss Schnippschnapp angeschnappt zu werden?»
«Ach, Gertie, so schlimm ist Miss Snipp nun auch wieder nicht.»
«Wenn du meinst …» Gertie zog ihn hinter eine große Eiche und gab ihm einen Kuss.
Harry lächelte und küsste sie zurück. «Was wäre ich nur ohne dich, Gertie Bingham?»
«Ein tragisch einsamer Mann mit gebrochenem Herzen», erwiderte sie.
Kurz darauf wurden sie persönlich bei Miss Maud und Miss Violet Buckingham vorstellig, den zwei Schwestern, die Buckinghams Hutmacherei seit dem Tod ihres Vaters vor dreißig Jahren gemeinsam geführt hatten. Die beiden Damen wirkten höchst angetan von dem sympathischen Paar, das da vor ihnen stand, und beglückwünschten Gertie zu ihrem «elegant sittsamen» Kopfputz.
«Oh, Maud, sind sie nicht reizend, die beiden?»
«Absolut reizend, Vi.»
«Und mit was genau gedenken Sie zu handeln, meine Lieben?»
«Mit Büchern», sagte Gertie.
«Ach, Bücher! Wie wundervoll. Ist das nicht wundervoll, Vi?»
«Wundervoll», bestätigte Violet.
Es war in der Tat wundervoll, denn Violet und Maud erklärten sich nicht nur bereit, den Kaufvertrag für das Ladengeschäft zu unterschreiben, sondern wurden auch zu treuen Stammkundinnen der Binghams.
An dem Tag, als Gertie schließlich die Pforten zu ihrem Abenteuer öffneten, atmete sie bewusst den herrlichen Geruch neuer Bücher ein. Für sie war dieser Duft berauschender als Champagner, und sie konnte sich...
Erscheint lt. Verlag | 1.11.2023 |
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Übersetzer | Sabine Längsfeld |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 1930er Jahre • 1940er Jahre • Buchclub • Bücher • Buchhändlerin • Buchhandlung • Buchliebhaber • England • Familie • feelgood • Flüchtling • Flüchtlingsmädchen • Frauen • Freundschaft • Gemeinschaft • Geschenke für Frauen • Glück • Krieg • Lektüre • Lesen • Liebe • Literatur • London • Romane Neuerscheinungen 2023 • Schicksal • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-644-01602-X / 364401602X |
ISBN-13 | 978-3-644-01602-6 / 9783644016026 |
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