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Der Trost der Schönheit (eBook)

Spiegel-Bestseller
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2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01654-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Trost der Schönheit -  Gabriele von Arnim
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Trost finden. In einer Welt, die so überwältigend, ängstigend, fordernd sein kann. Trost finden im Empfinden von Schönheit, weil das, so Gabriele von Arnim, nicht weniger ist als Selbsterhalt. «Ich brauche Schönheit. Den Trost der Schönheit. Denn wenn ich Schönheit sehe, höre, lese, spüre, dann glaube ich an Möglichkeiten. An Wege, Räume, Purzelbäume.» Der Trost der Schönheit ist eine schillernde Verbindung aus autobiografischem und essayistischem Erzählen: keine Kulturgeschichte, die ihren Gegenstand mit Theorie einhegen will, sondern eine literarische Spurensuche. Gabriele von Arnim fragt nach den Formen und Wirkungen dessen, was wir schön nennen; nach dem Glück und den dunklen Seiten der Empfindsamkeit. Die Suche führt zurück in die Kindheit, zu einem Mädchen aus kühl geführtem Haus, das erst lernen muss, zu fühlen, um Schönheit - einen tröstlichen Moment lang - in all ihrer endlichen Fülle wahrnehmen zu können. Nach dem Spiegel-Bestseller Das Leben ist ein vorübergehender Zustand ein neuer bewegender Bericht aus dem Innern. Ein Buch, das den Blick weitet für die Welt um uns und ihre Vergänglichkeit, das Mut macht zum Aushalten von Ambivalenz.

Gabriele von Arnim wurde 1946 in Hamburg geboren. Sie hat studiert, promoviert und zehn Jahre als freie Journalistin in New York gelebt. Danach schrieb sie u.a. für DIE ZEIT und SÜDDEUTSCHE, BR und WDR und arbeitete als Moderatorin für ARTE, SDR/SWR und SF. Sie schreibt Rezensionen für Zeitungen und Hörfunk, moderiert Lesungen, hat mehrere Bücher veröffentlicht und lebt in Berlin.

Gabriele von Arnim wurde 1946 in Hamburg geboren. Sie hat studiert, promoviert und zehn Jahre als freie Journalistin in New York gelebt. Danach schrieb sie u.a. für DIE ZEIT und SÜDDEUTSCHE, BR und WDR und arbeitete als Moderatorin für ARTE, SDR/SWR und SF. Sie schreibt Rezensionen für Zeitungen und Hörfunk, moderiert Lesungen, hat mehrere Bücher veröffentlicht und lebt in Berlin.

Prolog


Es regnet und stürmt. Unfreundlich sei es da draußen, hat die Nachbarin gesagt, die schon mit ihrem Hund spazieren war, hat vom unfreundlichen Draußen gesprochen, als sei das Draußen ein mürrischer Mensch. Es ist November, die Zeit des fahlen Lichts, der Anfechtungen, der Trübnis und des pandemischen Hustens. Ich sitze an meinem kleinen Frühstückstisch und schaue matt aus dem Fenster in die Tristesse, lasse den Blick gleiten hinunter auf die Straße, auf der Menschen sich ducken unter ihren Schirmen, die sie klammernd halten, damit der Wind sie ihnen nicht entreißt. Sie schlagen die Krägen ihrer Mäntel hoch und hasten durch Pfützen auf dem Gehweg. Auf einmal aber sehe ich am Zaun des Spielplatzes auf der anderen Straßenseite einen – vom Regen glänzend schimmernden – länglichen Wunderteppich aus gelben, braunen, rötlichen und grünen Blättern. Kein Trugbild. Sondern schönste Wirklichkeit. Ein bunter, nass glitzernder, freundlicher Blätterstreifen. Ein zartes Glücksgefühl durchzieht mich, und ich mache mir zufrieden meinen Frühstückstoast.

 

Ich brauche Schönheit. Den Trost der Schönheit. Denn, wenn ich Schönheit sehe, höre, lese, spüre, dann glaube ich an Möglichkeiten, an Wege, Räume, Purzelbäume. Schönheit kann Gefühle befreien, kann uns den Mut geben, Neues zu wagen, oder die Kraft, Unveränderbares zu ertragen. «Und was schön ist, bringt Freude», heißt es bei Euripides. Ganz so einfach ist es nicht. Denn Schönheit ist die kleine Glut, das kleine Entzücken, das große Gebrause, Schönheit ist aber auch der Stich ins Herz. Und immer wieder ist sie Zuflucht, die ich brauche – ein Blick, ein Stein, eine Rose, ein Wolkengarten. Die zärtliche Abendsonne im Nacken.

Ich brauche die kleinen Gesten – das Lächeln des Jungen, der mir die Tür aufhält, das fröhliche Winken der fremden Frau, die mich im Frühling mit einem riesigen Tulpenstrauß aus dem asiatischen Gemüseladen kommen sieht.

Der Trost der Schönheit ist auch Verteidigung der eigenen kleinen Wirklichkeit gegen die WeltWirklichkeit. Gegen die nächtlichen Angriffe auf meine Gefasstheit. Wenn Bilderfetzen, Gedankenfragmente, Phantasien, Wirbel, Entsetzen und Hast als Flimmergestöber im Kopf durcheinanderstürzen. Gelesenes, Gehörtes, Erlebtes, Ängste, Hoffnungen, Nachrichten. Es wütet die Zusammenhanglosigkeit, und der Tinnitus schreit zufrieden ob des Getümmels. Auch Banalitäten blähen sich auf in der stillen Dunkelheit. Überflüssige Füllmasse für den strapazierten Kopf, der nicht mehr aufnehmen will, was er jeden Tag hört und liest und denkt, und es doch gewissenhaft speichert.

Wir leben in Zeiten extremer Herausforderungen – politisch, gesellschaftlich, ökologisch, ökonomisch, seelisch. Wir zerstören unsere Welt in atemberaubender Geschwindigkeit. Wachstum – dieses fragwürdige, längst umstrittene ökonomische Gebot – bedeutet Verbrauch, immer mehr Verbrauch. Dabei kaufen wir doch jetzt schon lauter unsinniges Zeug, das wir gar nicht brauchen. Was könnte ich ausmisten bei mir?

Es gebe seit 2020, schreibt der Sozialpsychologe und Klimawarner Harald Welzer in seinem Buch «Aufhören», mehr tote Masse als Biomasse auf der Erde, also mehr Hergestelltes als Lebendiges. Seither sehe ich eine Welt vor mir mit mehr Plastikenten als Radieschen, mehr Lautsprechern als Vögeln, mehr Stühlen als Bäumen. Wenn wir so weitermachen, gibt es irgendwann mehr Autos als Menschen. In den USA kommen schon jetzt 650 Autos auf 1000 Einwohner. Weltweit werden 3,1 Autos pro Sekunde produziert. Wieder wurde ein Vorgarten in der Nachbarschaft zugepflastert. Soll es ein Parkplatz werden?

 

Atmen, tief atmen. Einatmen, Ausatmen. Atmen.

 

«Wahrscheinlich alle Religionen lehren», schreibt Navid Kermani, «daß … sich bei jedem Atemzug die Weltseele – also das, was alle Geschöpfe miteinander verbindet – mit der einzelnen Seele vermischt.»

 

Atmen, tief atmen. Einatmen, Ausatmen. Atmen.

 

Und was tue ich in dieser Welt? Was verdränge ich, was übersehe ich, was nehme ich hin, wo mache ich mit? Denke ich streng genug? Handle ich genug? Was heißt genug? Wie geht es mir eigentlich?

Es sitzt die Angst in mir (immer drängeln sich dort Ängste), nicht mehr genug Zeit zu haben, alles einzufangen, damit ich es erzählen kann. Immer will ich mir alles erzählen. Als könnte ich mit dem Erzählten ruhiger leben als mit dem Unerzählten. Und natürlich hat das alles auch mit dem Altern zu tun. Mein Gesicht liegt in Falten. Mein Geschirr ist angeschlagen. Mein Küchentresen hat Flecken. Wir sind abgenutzt, gehen dahin, strapaziert und zerbrechlich.

Man könnte doch meinen, man würde abgebrühter im Alter, weil man schon so viel gesehen hat. Aber je älter ich werde, desto mehr nehme ich die Welt wahr, desto mehr bedrängt mich, was ich sehe, höre, lese, bedenke. Der Schutzschild zwischen dem Wahnsinn dort (welcher Sinn liegt eigentlich im Wahn?) und meinem Sein hier wird dünner. Die Scheuklappen fliegen davon im Sturm. Und das, was ich sehe, höre, lese, bedenke, bleibt nicht als kühles Wissen in mir, eingefroren und ungefühlt, es berührt mich, sticht mich, bedroht, durchzieht, bedrückt mich.

Ich brauche Trost. Ein Gefühl, das mich wärmt, behütet, mich sichert in mir. Weil mich angeht, was mich erschreckt. Wie wird sie sein die Welt, in der meine Enkel leben werden und alle anderen mit ihnen? Wie eigen-willig werden sie sein können. Werden sie sagen und singen dürfen, was sie sagen und singen wollen. Werden sie ihren Kindern zeigen können, dass aus Raupen Schmetterlinge werden.

Ich brauche Trost, weil mich die Welt beschwert, wie sie ist.

Mich ängstigt der Verlust des Konzepts von Gemeinwohl, die Herablassung der Habenden gegenüber den Habenichtsen, die Radikalisierung derjenigen, die Ungewissheit und Fragen nicht aushalten und Antworten wollen. Egal, welche, egal, wie falsch sie auch sein mögen. Hauptsache, es sind Antworten, die sie in die Welt schreien können. Es ängstigt mich die Verrohung von Sprache und Handlung. Es ängstigen mich die Waffensucht, die Menschenverachtung, die Terroristen, die Rassisten, die Sexisten und Misogynisten, die auf andere herabsehen müssen, um sich selbst stark zu fühlen.

Es ängstigen mich die staubigen Dürren, die alles verschlingenden Fluten, die sterbenden Bäume, die versiegelten Städte und wir, die wir – fast – so weitermachen wie bisher. Ich fürchte mich vor den leeren Phrasen, den zynischen Machtspielen und der gierigen Verantwortungslosigkeit. Dem «Weiter so» der Höhnischen und Rücksichtslosen, die die Erde ausbeuten, vergiften, zerstören.

Und es sind nicht nur sie, ich bin es auch. Auch ich hänge sicher noch irgendwo am Haken des strukturellen Rassismus, ruhe traulich in meiner bequemen kleinen Wirklichkeit, habe ein Auto und steige hin und wieder in ein Flugzeug. Viel zu hoch ist mein «Weltverbrauch», wie Harald Welzer es nennt. Ich lebe behaglich, gönne mir Refugien, bin Teil des allgemeinen GiermatzLebens.

«Spaziergang im Regen, Schwimmen im Bergsee in Tirol. Oper in München – alles herrlich, sanft und fast verwerflich schön. Alles wird gespeichert», so steht es in meinem Tagebuch, «um den Nachrichten aus der Welt standhalten zu können.»

Das sind Sätze einer Person, die mit Privilegien lebt. Aber darf ich nicht verzagen, weil es mir gut geht? Wie verhalte ich mich richtig. Was heißt richtig. Wie sicher ist mein innerer Kompass.

Wie unangemessen ist es, meinen Cappuccino unter dem Blätterdach hoher Bäume zu trinken, während in Afghanistan Menschen, die auch von unserer Regierung schmählich im Stich gelassen wurden, sich verstecken, bangen, darben, in ständiger Todesfurcht leben – was wir uns nicht einmal vorstellen können. Wie ist es, zu Hause zu sitzen und auf seinen Mörder zu warten? Da kann man nicht mal eben im Bergsee baden, um Kräfte zu sammeln.

Und doch: Wir können nur etwas ändern, wenn wir etwas tun. Und dafür brauchen wir Kraft. Es sei die Kraft der Hoffnung der Minderheiten, die die Welt verändere, hat eine der argentinischen «Madres de Plaza de Mayo» gesagt, der Mütter, die dort standen und protestierten, weil ihre Söhne und Töchter verschwunden waren, verschleppt von der Regierung.

Die Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Silvia Bovenschen hat – mit ihrem untrüglichen Gespür für das Elend unserer Welt – geschrieben, dass sie sich vom Heute verabschiede, weil sie in ihm keine Poesie und schon gar keinen «Trost für das Leiden der Kreatur» zu sehen vermöge.

Man braucht Courage, um einen solchen Satz zu schreiben. Weil man neben den Fakten und dem Wissen das Fühlen zulässt, den Schmerz hineinlässt in die Zone der Empfindsamkeit. Wie gern und wie oft möchten wir uns schützen mit NichtWissen-, durch NichtErkennenWollen von gesellschaftlichen Entwicklungen. Wissen tut weh. Und das Erkennen erst recht, weil man dann das Wissen fühlt.

 

«Bloß nichts fühlen», hat mir vor vielen Jahren eine Frau gesagt, die ich gefragt hatte nach der Stimmung im Deutschland der NachNaziZeit. «Bloß nie mehr etwas fühlen.»

Sie kam aus der Generation, in der man ohnehin Gefühle verwerflich fand und sie fürchtete, weil sie so unkontrolliert durch den Äther dringen. Die Abwehr hatte Tradition in Deutschland. Schon Fontane lässt Effi Briests Mutter sagen: «Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um schwach und zärtlich zu sein und alles mit...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Achtsamkeit • Alter • Altern • Ästhetik • autofiktionales Schreiben • Bücher Neuerscheinungen 2023 • Connie Palmen • Daniel Schreiber • das innere Kind • Das Jahr des magischen Denkens • Das Leben ist ein vorübergehender Zustand • Essay • Joan Didion • Nachdenken über das Leben • Philosophie • Schönheit • Siri Hustvedt • Spiegel Bestseller-Autorin • Trauer • Trost • Trost finden
ISBN-10 3-644-01654-2 / 3644016542
ISBN-13 978-3-644-01654-5 / 9783644016545
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