Morgen mach ich bessere Fehler (eBook)
429 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-4754-7 (ISBN)
Eigentlich ist Elli auf dem Weg zu einer Familienfeier ins Allgäu, zusammen mit ihrer sechsjährigen Tochter Paula und dem chronisch schlecht gelaunten Großonkel Heinz. Aber als ihr der Rechtsanwalt Cano fünfhundert Euro bietet, wenn sie ihn umgehend nach München bringt, greift Elli zu, denn das Geld ist knapp. Die Fahrt quer durch die Republik erweist sich als echte Herausforderung für das ungleiche Quartett. Heinz hat an allem etwas auszusetzen, Cano treibt Elli mit seiner Arroganz zur Weißglut, Murphys Gesetz schlägt erbarmungslos zu, und alles geht schief. Wenn sie jemals in München ankommen wollen, müssen die vier sich zusammenraufen und so manches Vorurteil über Bord werfen. Elli und Cano, die Chaos-Queen und der Paragrafenreiter, kommen sich dabei unerwartet näher, als ihnen lieb ist ...
<p>Petra Hülsmann wuchs in einer niedersächsischen Kleinstadt auf. Nach einem erfolgreich abgebrochenen Studium der Germanistik und Kulturwissenschaft arbeitete sie in Anwaltskanzleien und reiste sechs Monate mit dem Rucksack durch Südostasien, bevor sie mit ihren Romanen die Bestsellerliste eroberte. Petra Hülsmann lebt mit ihrem Mann in ihrer Lieblingsstadt Hamburg.</p> <p>www.petrahuelsmann.de</p>
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 31/2023) — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 30/2023) — Platz 11
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 29/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 28/2023) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 27/2023) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 26/2023) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 25/2023) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 24/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 23/2023) — Platz 2
Es lief alles nach Plan.
Nur der Plan war halt leider scheiße.
Man hat im Leben immer eine Wahl. Immer. Selbst wenn man glaubt, keine Wahl zu haben. Ob man stehen bleibt oder die Richtung ändert, ob man eine Sache durchzieht oder einen Rückzieher macht – es ist die eigene Entscheidung, die eigene Wahl. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn erstens ist es oft so, dass einem die zur Verfügung stehende Alternative nicht besonders gefällt, und zweitens stellt sich immer erst hinterher heraus, ob man eine gute oder eine schlechte Wahl getroffen hat. Und die Suppe, die man sich einbrockt, ist nicht immer lecker, so viel steht fest.
Bei mir war es leider so, dass ich ein unleugbares Talent dafür hatte, mich für das Falsche zu entscheiden, egal, wie sehr ich auch versuchte, das Richtige zu tun. Selbst wenn ich nicht spontan aus dem Bauch heraus handelte, sondern erst mal tief durchatmete, über die Sache nachdachte und sämtliche Eventualitäten in Erwägung zog, hinterher saß ich trotzdem viel zu oft vor einem Teller unappetitlicher Miese-Wahl-Suppe.
So wie auch jetzt, als ich nachts um vier im strömenden Regen in Gummistiefeln und durchweichter Funktionsjacke durch den Schmodder stapfte, einen Beutel mit Seed Bombs in den klammen kalten Händen. War es mir wie eine gute Idee erschienen, heute Nacht aktiv bei der neuesten Aktion meiner Umweltgruppe mitzumachen, anstatt wie sonst nur im Hintergrund an den Vorbereitungen und Planungen beteiligt zu sein? Absolut nicht. Immerhin hatte ich eine Tochter, und das, was wir hier taten, war eher so semilegal. Um nicht zu sagen, illegal. Hatte ich mich trotzdem bereit erklärt zu helfen, weil vier von zehn Mitgliedern krank geworden waren und die Aktion kurz vor dem Platzen stand? Natürlich. Ich konnte meine Freunde doch nicht hängen lassen. Es war also meine Wahl gewesen, meine Entscheidung. Monatelang hatten wir geplant, den Vorgarten der FIB Chem – des größten Chemieunternehmens Hamburgs – umzugestalten und aus dieser Schotterwüste einen Naturgarten zu machen. Eine Oase mitten in der Großstadt, neuer Lebensraum für unzählige Insekten, Vögel und Reptilien. Trotz aller widrigen Umstände, Grippe, Regen und Sturm hatte sich die Security bislang nicht blicken lassen, und es lief absolut reibungslos. Sogar einen kleinen Naturteich hatten wir innerhalb kürzester Zeit angelegt und zusätzlich zu den sporadisch geworfenen Samenbomben heimische Wildstauden gepflanzt. Ich war stolz darauf, an dieser Aktion beteiligt zu sein. Nur die Umstände waren es, die mich an meiner Entscheidung zweifeln ließen. Kalter Regen drang am Kragen in meine Jacke ein, lief in einem Rinnsal über meine Brust und versickerte in meinem BH. Bei jedem Schritt schmatzten meine Gummistiefel im Matsch. Mein Rücken tat weh, ich war hundemüde, und schon in ein paar Stunden musste ich meine sechsjährige Tochter Paula wecken, in die Kita bringen und anschließend im Bioladen arbeiten. Mit einem tiefen Seufzer warf ich meine letzten Seed Bombs und steckte meine klammen Hände in die Jackentaschen, um sie zu wärmen. Meine Finger berührten Rosa, die kleine Stoffhasendame, die Paula mir mitgegeben hatte, damit sie auf mich aufpasste. Meine Tochter war der beste Grund, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und genau das taten wir hier. Also Schluss mit der Jammerei. Jammern hatte mich noch nie weitergebracht.
Ein paar Meter entfernt entdeckte ich meinen Mitbewohner Samuel, der auf dem Boden hockte und Äste und Zweige zu einem Totholzstapel aufschichtete. Ich ging zu ihm, hockte mich ebenfalls hin und sagte: »Hey, Sami, ich helfe dir.«
Dankbar lächelte er mich an. »Das ist nett, Elli.«
»Ist doch klar.«
Für eine Weile arbeiteten wir einträchtig schweigend vor uns hin, während unsere Mitstreiter unsere Spuren beseitigten und die Transporter mit Schubkarren, Spaten und sonstigen Gerätschaften beluden.
»Kommt mal zum Ende, ihr beiden«, ermahnte uns Antje, die zusammen mit Sami und mir diese Aktion geplant hatte und die ebenfalls Teil unserer Hausgemeinschaft war. »Wir müssen bald los, bevor die Security doch noch auftaucht oder die ersten Mitarbeiter eintrudeln.«
»Nur kein Stress, Antje«, erwiderte Sami. Das war sein Lebensmotto. Er ließ sich durch absolut gar nichts aus der Ruhe bringen, niemals. »Es dauert eben so lang, wie es dauert, stimmt’s, Elli?«
»Schon irgendwie, aber ich hätte auch nichts dagegen, bald nach Hause zu kommen. Dann könnte ich wenigstens noch ein kleines Nickerchen machen.«
Er nickte verständnisvoll. Als mein Mitbewohner und guter Freund bekam er tagtäglich mit, wie turbulent mein Leben war und wie wenig Zeit mir neben Tochter, zwei Jobs und der Gartengruppe für mich blieb. Seine Tiefenentspanntheit in jeder Lebenslage konnte ich nur bewundern. Ich selbst gab mir zwar Mühe, entspannt zu bleiben, aber es gelang mir leider nicht immer. Von dieser Kleinigkeit mal abgesehen, waren Sami und ich uns sehr ähnlich. Wir hatten die gleichen Ansichten, Geschmäcker und Interessen, verbrachten die Abende gemeinsam in der WG-Küche, und in letzter Zeit fingen wir sogar an, die Sätze des anderen zu vervollständigen. Irgendetwas veränderte sich zwischen uns. Es kam mir vor, als würde Sami mir tiefer in die Augen schauen. Er berührte mich häufiger, wenn auch meist wie zufällig. Und er bezog Paula und mich automatisch in seine Pläne mit ein, als wären wir zu einem wir geworden, ohne dass ich es wirklich bemerkt hatte. Wir waren kein Paar oder so, aber mich beschlich immer wieder das Gefühl, dass wir diese Richtung eingeschlagen hatten. Was wirklich toll war. Sami war ein prima Kerl, eigentlich der ideale Vater für Paula, und den brauchte sie ganz dringend. Für mich wäre er natürlich auch der ideale Mann, alle sagten das. Sami war lieb, intelligent und wahnsinnig fürsorglich. Neulich hatte er mir sogar mit einem Taschentuch die Nase abgewischt, nachdem ich geniest hatte. So fürsorglich war er!
»Hör mal«, sagte Sami unvermittelt, während wir die letzten Zweige aufschichteten. »Ich denke, es wäre gut, wenn wir beide mal ganz in Ruhe miteinander sprechen würden. So, über uns. Ich meine, du hast vielleicht bemerkt, dass ich …«
»Scheiße, da kommt jemand!«, rief Antje aus einiger Entfernung. »Rückzug! Sofort!«
Mein Herz machte einen Riesensatz und rutschte mir dann mit Karacho in die Hose. Wie angenagelt hockte ich im Matsch, starrte in Antjes Richtung und hatte plötzlich vergessen, wie man atmete oder sich bewegte.
»Komm schon, Elli, schnell!«, rief Sami.
»Ja, aber …«, setzte ich an, doch in meinem Hirn herrschte gähnende Leere, und Sami war ohnehin schon verschwunden. Das war genau der Grund, warum ich bei diesen Aktionen fast nie aktiv mitwirkte. Wenn die Devise ›fight or flight‹ hieß, entschied mein Gehirn sich leider stets für die Option, die eigentlich nicht zur Wahl stand: freeze. Ich hörte, wie meine Mitstreiter alles stehen und liegen ließen, und erkannte in der Morgendämmerung schemenhaft, wie sie zu den Transportern liefen. Mein Blick glitt in die andere Richtung, wo vor dem Verwaltungsgebäude ein paar Lichtkegel, vermutlich von Taschenlampen, ein Tänzchen aufführten. Während ich reglos und mit weit aufgerissenen Augen im Regen hockte, waren die Neuronen in der Schaltzentrale meines Gehirns offenbar schwer damit beschäftigt, die Situation erst mal ausführlich zu analysieren, auszuwerten und durchzudiskutieren. Zum Glück für mich wurde der Beschluss gefasst – und sogar auch prompt umgesetzt –, den Panic Button zu drücken und folgende Botschaft rauszuschicken: Cortex an Motoneurone, Cortex an Motoneurone: Bewegen! Abhauen! Jetzt! Ich sprang auf, nur um gleich mit meinen eingeschlafenen Beinen einzuknicken und wieder im Matsch zu landen. Aber ich rappelte mich auf und rannte, besser gesagt, humpelte zu den Transportern. Die ersten beiden waren schon weg, also lief ich, so schnell es mit eingeschlafenen Beinen eben ging, stolperte über einen liegen gebliebenen Spaten, fing mich aber gerade noch rechtzeitig und legte einen olympiagoldwürdigen Endspurt zum letzten Wagen hin, der bereits im Anrollen war.
»Komm schon, Elli!« Gesine streckte mir durch die offene Tür eine Hand entgegen. Ich ergriff sie und rannte verzweifelt neben dem Transporter her. »Jetzt halt doch mal an«, rief Gesine Sami zu, der daraufhin langsamer fuhr. In dem Moment zog ich mich mit ihrer Hilfe hoch und landete halb auf ihrem Schoß. »Scheiße«, stieß ich wild schnaufend aus und schlug die Tür zu. »Das war knapp.«
Sami drückte das Gaspedal durch, und ich ließ mich auf den Sitz neben Gesine fallen. Unwillkürlich glitt meine Hand in meine Jackentasche, um mir Beistand bei Rosa, Paulas Stoffkaninchen, zu holen, doch ich griff ins Leere. Oh nein. Rosa war Paulas Ein und Alles, und meine Tochter hatte mich hoch und heilig schwören lassen, Rosa heil und unversehrt wieder mit nach Hause zu bringen. Ohne Rosa ging Paula nirgendwo hin. Keine Paula ohne Rosa, keine Rosa ohne Paula; die beiden waren eine Einheit. Ohne Rosa würde Paula nie wieder schlafen! »Stopp«, rief ich. »Anhalten!«
»Was?«
»Halt an!«
»Spinnst du?«, brüllte Sami und hörte sich nun doch minimal gestresst an.
»Rosa ist noch da, ich muss sie holen!«
Sami, der Paulas Fixierung auf ihr Kuscheltier nur zu gut kannte, legte eine Vollbremsung ein. Auf der Ladefläche des Transporters purzelten die Spaten und Schubkarren mit einem Heidenlärm durcheinander. »Beeil dich, Elli!«
Ich öffnete die Tür und sprang aus dem Transporter. Im Weglaufen...
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | alleinerziehend • Allgäu • Altern • Familie • Gegensätze ziehen sich an • Gemeinschaft • Hamburg • Humor • Knut • Liebe • Liebesroman • Reise • Road-trip • Roadtrip • Seniorenheim • Solidarität |
ISBN-10 | 3-7517-4754-0 / 3751747540 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4754-7 / 9783751747547 |
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