Killer ohne Kompromisse: 3 Krimis im Paket (eBook)
500 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7337-2 (ISBN)
Prolog
Uganda, internationaler Flughafen in Entebbe
Warten. Die wenigsten Menschen können es. Und die es gelernt haben, wissen, wie nervenaufreibend es sein kann.
Warten - ich hatte es gelernt. Und die beiden Männer neben mir auch.
Warten - auf den günstigen Augenblick, auf die Schwäche des Gegners, auf das Puzzlestück in einer Beweiskette, das eine bloße Theorie zur heißen Spur macht, auf den einen Widerspruch aus dem Mund des Untersuchungshäftlings, der sein Lügengebäude zusammenbrechen lässt. Warten auf Laborergebnisse, warten auf Pathologieberichte, warten auf Protokolle der Spurensicherung.
Und so weiter, und so weiter.
Ich hatte es gelernt, verdammt noch mal! Ich konnte warten. Aber nie war es mir so schwer gefallen, wie an jenem Abend auf dem Flugfeld des internationalen Flughafens von Entebbe.
Mein Mund fühlte sich trocken an, ständig versuchte ich, den stachligen Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, ich wusste nicht wohin mit meinen feuchten Händen, und meine nassen Schuhspitzen verschwommen vor meinen Augen. Seit Minuten betrachtete ich sie konzentriert, um nicht versehentlich dem Blick des Mannes neben mir zu begegnen.
Es war ein Märzabend. Regenzeit in diesem Teil der Welt. Den ganzen Tag hatte es gegossen. Bis vor einer Stunde, als wir vor der Flughalle aus dem Taxi gestiegen waren. Und jetzt - ausgerechnet in diesem Augenblick - jetzt riss der dicht bewölkte Himmel auf. Das Abendlicht breitete sich auf dem grauen Flugfeld aus.
Die Sonne hinter uns, im Westen, musste bereits tief über dem Horizont stehen. Ich merkte es an dem langgezogenen Schatten, der von meinen Schuhspitzen aus schräg auf das Flugfeld fiel. Und dieser Schatten machte mir auch bewusst, wie nervös ich war: Er schaukelte hin und her, tänzelte von einem Bein auf das andere, zuckte mit den Armen und Schultern und schien verzweifelt nach einem Fluchtweg zu suchen.
Der Schatten des Mannes links neben mir war vollkommen reglos. Als hätte jemand mit grauer Farbe die Umrisse eines menschlichen Körpers auf die steinerne Fläche des Flugfeldes gesprayt.
Der Schatten war kleiner als meiner. Und schmaler. Eine dünne Linie zog sich von seiner Hüfte an seinem Bein entlang bis zu seinem Schuh. Eine Krücke. Eine von zweien. Die zweite war in dem Schattenbild nicht zu erkennen.
Der dritte Schatten links daneben zappelte genauso unruhig hin und her wie meiner. Milos Schatten.
Ich hob den Kopf und blickte über das Flugfeld zu einem Hallenkomplex neben dem Tower. Zum hundertsten Mal in der letzten halben Stunde. Von dort musste das Fahrzeug kommen. Das Fahrzeug, auf das wir warteten.
Ein paar Schritte links von Milo stand eine sechsköpfige Gruppe. Zwei weiße Frauen, ein weißer Mann, drei dunkelhäutige Männer. Ich kannte sie nicht. Ich wusste nur, dass einige von ihnen Wissenschaftler waren. Und dass alle sechs das gleiche taten wie wir - warten.
Ich wandte mich nach rechts. Eine Rampe führte aus dem weit geöffneten Heck einer schmutzig-grünen Transall-Maschine auf das Flugfeld hinab. Zwei Gabelstapler standen vor der Rampe. Nur ein paar Schritte von mir entfernt.
Ein paar Uniformierte liefen neben der Rampe auf und ab. Soldaten der US-Airforce. Auch sie warteten.
Das Flugzeug mit seinem geöffneten Laderaum erinnerte mich an eine Geschichte aus meiner Kindheit. An diese Geschichte von dem riesigen Fisch, der aus den Fluten auftauchte, sein Maul aufriss und einen Mann verschluckte. Jona hieß er. Der Mann, nicht der Fisch.
Der Reverend der kleinen Freikirche von Harpersvillage, Connecticut, hatte uns die Geschichte in der Sonntagsschule erzählt. Angeblich hat der Fisch später sein Maul noch einmal aufgerissen und den Mann wieder ausgespuckt.
Die Transall würde in spätestens einer halben Stunde starten, über den Atlantik fliegen, in Washington landen, und die Luke ihres Laderaums würde sich noch viel weiter öffnen als das Maul eines Blauwals es kann. Und sie würde keine Lebenden ausspucken.
Der Schatten neben meinem Schatten wirkte noch immer wie in das Flugfeld hineingebrannt.
Mein Blick wanderte vom Kopf der starren Silhouette über ihren Oberkörper hinunter bis zu einem Paar schwarzer Wildlederschuhe. Sie waren genauso nass wie meine. Dann die Krücke neben grauen Hosenbeinen hinauf, über ein graues Jackett bis zu dem Gesicht des Mannes, dem der reglose Schatten gehörte. Zum Gesicht meines Chefs.
Jonathan McKees Gesicht hatte die Farbe schmutzigen Kerzenwachses. Seine Lippen waren weiter nichts als ein schmaler, blutleerer Strich. Ein netzartiger Verband bedeckte sein Ohr und fast die ganze rechte Hälfte seines Schädels. Seine grauen Augen fixierten eine Stelle im dunklen Himmel über dem Flughafentower, an der ich weiter nichts erkennen konnte als Regenwolken.
Der stachlige Kloß in meiner Kehle schwoll an. Ich ahnte, was er dort oben in dem trüben Himmel sah.
Keiner seiner Gesichtsmuskel bewegte sich, er zuckte nicht mit den Lidern. Nicht mal, als Milo sich räusperte und sagte: "Sie kommen."
Ich blickte zu dem Hallenkomplex neben dem Tower. Ein Konvoi aus drei Fahrzeugen näherte sich von dort.
Vorneweg ein Jeep. Dann ein Armeelaster. Hinter ihm noch einmal ein Jeep. Ich versuchte wieder den Stachelkloß in meinem Hals herunterzuschlucken und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Mein Magen schien ein riesiges, pulsierendes Loch zu sein.
Der Konvoi stoppte wenige Meter vor uns. Zwei Uniformierte stiegen aus dem ersten Jeep. Angehörige der ugandischen Streitkräfte. Sie liefen zu dem Armeelaster, aus dem vier Soldaten kletterten, fuchtelten mit den Armen, brüllten Befehle.
Aus dem Jeep hinter dem Armeetransporter stiegen zwei Männer in dunklen Anzügen. Ein Weißer und ein Schwarzafrikaner. Der amerikanische Botschafter in Uganda und ein Vertreter der ugandischen Regierung. Beide Männer kamen auf uns zu und drückten uns schweigend die Hände. Zum ersten Mal seit fast einer halben Stunde bewegte sich der Schatten meines Chefs.
Die Heckklappe des Lastwagens wurde heruntergeklappt, die Plane beiseite geschoben. Die Männer der US-Air-Force fuhren ihre Gabelstapler vor.
Zwei der ugandischen Soldaten kletterten auf die Ladefläche des LKWs. Der erste Gabelstapler rollte vor das Heck. Die langen Stahlzinken seiner Hebebühne verschwanden im Laderaum.
Nacheinander wurden sieben Zinksärge abgeladen.
Sie transportierten die Särge nicht gleich in den Bauch des Flugzeuges, sondern reihten sie vor uns und den sechs Wissenschaftlern auf. Einen nach dem anderen. Danach stiegen die ugandischen Militärs wieder in ihre Fahrzeuge und fuhren zurück zu den Flughallen. Jedenfalls der erste Jeep und der LKW. Unser Botschafter und der ugandische Regierungsvertreter blieben stumm bei uns stehen.
Aus der Gruppe der Wissenschaftler löste sich eine der beiden Frauen. Sie beugte sich zu den Särgen hinunter. Nacheinander schritt sie von Sarg zu Sarg. Bei jedem hob sie das angeplombte Etikett mit dem Namen des Toten und las es. Am vierten Sarg richtete sie sich auf. Direkt vor mir.
Sie griff in ihre Handtasche und zog ein gerahmtes Foto heraus. Etwa so groß wie ein durchschnittliches Buch. Mit einem Stück Nylonschnur befestigte sie das Foto an dem Etikett. Sekundenlang blieb sie mit gesenktem Kopf vor dem Sarg stehen. Danach ging sie zurück zu ihrer Gruppe.
Jetzt hatte ich freien Blick auf das Foto. Es war das Porträt eines Affen. Eines Gorillas. >SAMSON< stand über dem Kopf des Tieres. Und der Schriftzug am unteren Bildrand lautete: >DANKE<.
Sekunden verstrichen. Sekunden, in denen man nur den Düsenlärm landender oder startender Maschinen hörte. Ich fühlte mich, als hätte ich mich in die Dreharbeiten zu einem Film verirrt.
Irgendwann trat der ugandische Regierungsvertreter aus unserer Reihe und sah uns nacheinander an. Jonathan McKee blickte immer noch auf das nur ihm bekannte Bild in den Regenwolken über dem Tower.
Da auch sonst niemand reagierte, machte der Schwarzafrikaner eine Handbewegung in Richtung unserer Soldaten. Die Gabelstapler setzten sich in Bewegung. Sie transportierten die Zinksärge in das Flugzeug. Keiner von uns rührte sich. Wir warteten, bis auch der letzte Sarg im Bauch der Transall verschwand.
Irgendwann hob sich die Rampe der Maschine und verschloss den gewaltigen Laderaum. Die Triebwerke brüllten auf.
"Wir müssen einsteigen." Die Gestalt unseres Chefs straffte sich. Er stemmte seine Krücken in den Asphalt und bewegte sich auf die Gangway zu. Milo und ich trotteten hinter ihm her.
Keiner von uns sprach ein Wort. Wir kletterten die Stufen zur Einstiegsluke hinauf. Keiner von uns drehte sich um. Keiner von uns legte Wert darauf, noch einen letzten Blick auf diesen Teil des Globus zu werfen.
Wir waren erleichtert, endlich hier wegzukommen. Keiner von uns hätte je hier herkommen dürfen.
In der Sitzreihe hinter unserem Chef ließen wir uns in die Polster sinken und schnallten uns an.
Die Maschine startete. Zentralafrika blieb hinter uns zurück.
Aber nicht der Alptraum, den wir hier erlebt hatten. Der hatte sich ein für alle Mal in unsere Hirnwindungen eingebrannt. Eine böse Geschichte. Ich wünschte, ich könnte sie aus meinem Gedächtnis löschen.
Jemand sagte mal, man...
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7389-7337-0 / 3738973370 |
ISBN-13 | 978-3-7389-7337-2 / 9783738973372 |
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