Ein recht dämonischer Todesfall (eBook)
376 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-1005-5 (ISBN)
Walter Fink hat sich schon früh und mit voller Absicht als Leser in den Strudel der Bücherwelt hineinziehen lassen. Neben seinem Studium der Geografie und der Philosophie träumte er bereits von einem eigenen Buch. Seit der Veröffentlichung seines ersten Romans "Qualitätsmanagement" ist die Freude am Schreiben größer denn je - und sie wird ihn aller Voraussicht nach zu Lebzeiten nicht mehr verlassen. Bis dahin schreibt, kocht und lebt Walter Fink mit seinem Partner und zwei Vögeln (keine Finken) in Wiesbaden.
1
Wiesbaden-Innenstadt
Samstag, 1. Januar
Das neue Jahr begann. Die Rauchschwaden der Silvesternacht hingen noch in der Luft, erinnerungsschwer und ahnungsvoll. Feuchter Dunst vermischte sich mit dem Pulverqualm und verhüllte die Stadt wie ein Bettlaken einen Langschläfer. Die Sonne zeigte sich nicht, sondern beleuchtete die Welt indirekt. Ganz allmählich gewannen die verwaschenen Konturen an Kontrast, sodass man den Tagesbeginn leicht übersehen konnte.
Die Stadt erwachte am Neujahrstag sehr zögerlich zum Leben. Selbst die üblichen Frühaufsteher holten sich ihre Brötchen heute später. Es war kaum Verkehr in den nebligen Straßen. Nur hier und da konnte man das monotone Dröhnen von Kehrmaschinen vernehmen, die den Schutt der vergangenen Nacht entfernten. Sie schälten sich aus dem Zwielicht und verschwanden wieder darin. Wer konnte, drehte sich noch einmal im Bett um, nachdem es wieder still geworden war. Was sollte man auch tun, wohin sollte man gehen? Es war Neujahr, Feiertag. Alles, wofür sich ein Aufstehen gelohnt hätte, war geschlossen. Neben den Bäckereien gab es nur ein paar vereinzelte Supermärkte, die trotzdem geöffnet hatten.
Einer davon lag, wie die restliche Stadt, halb unter der wattigen Schicht aus Dunst verborgen. Auf dem weitläufigen Parkplatz standen nur wenige Autos. Wie eine Herde frierender Tiere schmiegten sie sich in der Nähe des Eingangs aneinander. Eine Taube, so grau wie die Welt ringsum, segelte über das Dach hinweg. Lautlos wie ein Geist drehte sie eine Runde über den Parkplatz und blickte auf das Gelände hinab. Fußgänger waren keine zu sehen, auch wenn sie heute ausnahmsweise nicht Gefahr liefen, beim Überqueren des Parkplatzes überfahren zu werden.
Der Vogel landete hinter dem Supermarkt. Es war niemand in der Nähe, der die nächste heranfliegende Taube hätte bemerken können. Sie war nicht viel mehr als ein Rascheln von Federn und ein Windhauch in der kalten Luft. Aber sie war nicht die letzte. Weitere Tauben folgten, überquerten den Parkplatz, gewannen an Höhe, um den Supermarkt zu überfliegen und landeten hinter dem Markt.
Dort befand sich die Laderampe, gesäumt von Müllcontainern. Auf dem Boden tummelten sich bereits weitere Tiere. Sie liefen aufgeregt durcheinander und alle versuchten, etwas vom Boden aufzupicken. Frisches Brot! Ein Festschmaus. Eine Taube hopste auf der Suche nach Krümeln durch die Menge der Vögel. Sie flatterte kurz und erklomm eine dunkle, weiche Erhebung. Na also, da waren ja noch mehr Krümel, die bisher keine der anderen Tauben entdeckt hatte.
Arglos steckte sie ihren Schnabel in den Kragen der Frau, die auf dem Betonboden lag. Die roten Striemen um ihren Hals sagten ihr nichts. Wichtig war nur die Plastiktüte an dem ausgestreckten Arm, aus der all das schöne Brot herausgefallen war. Mit jeder Minute, die verstrich, landeten mehr Tauben. Sie pickten und zerrten und scharrten. Doch die Frau auf dem Boden rührte sich nicht.
***
Vera Fox fror erbärmlich. Sie schlurfte über eine hart gefrorene Wiese und stolperte dabei alle paar Meter über ausgebrannte Feuerwerksraketen und andere rußgeschwärzte Trümmerteile, die ihr das Gefühl gaben, ein subpolares Schlachtfeld zu überqueren. Sie steckte in einem olivgrünen Parka und auf dem Rücken trug sie einen alten Armeerucksack. Obwohl sie bereits eine gewisse Strecke zu Fuß hinter sich hatte, zitterte sie noch immer vor Kälte. Sie hätte ihr warmes Bett an einem solchen Tag auch niemals freiwillig verlassen, hätte nicht der Hunger sie aus den Federn getrieben. In der letzten Zeit war sie einfach nicht zum Einkaufen gekommen und nun waren ihre Vorräte erschöpft. Deshalb tappte sie am Neujahrsmorgen im Halbschlaf über einen Trampelpfad, der über eine Wiese hinweg auf einen der wenigen geöffneten Supermärkte zuführte.
Sie zog den Kopf ein und erschauerte, als eine Taube dicht über sie hinwegflog und der kalte Lufthauch über ihre Haut strich. Der Vogel landete bei der Laderampe, die sich jetzt langsam aus dem Dunst schälte. Innerlich war Fox schon mit der Einkaufsliste beschäftigt. Speck würde sie kaufen, entschied sie. Und Eier. Alles Weitere würde sich ergeben.
Sie war schon fast an der Laderampe angelangt, als sie bemerkte, dass etwas anders war als sonst. Als erstes fiel ihr eine merkwürdige Unruhe auf. Sie brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass sie von einer Ansammlung Tauben herrührte, die aufgeregt zwischen den Müllcontainern herumliefen. Dann sah Fox den Mann in Uniform, der ein rot-weißes Absperrband spannte. Er hatte sie noch nicht bemerkt. Fox ging langsam näher und sah schließlich, was der Grund für die Absperrung war. Auf dem Boden vor der Laderampe lag, zu den Seiten hin von hohen Müllcontainern verdeckt, eine Frau auf dem Bauch. Sie hatte eine Hand über den Kopf ausgestreckt. Offenbar hatte sie darin eine Plastiktüte voller Brot gehalten, das jetzt aber ringsherum verteilt lag. Es musste die Tauben angelockt haben. Die schienen auch jetzt nicht bereit zu sein, ihre Beute ohne Weiteres aufzugeben.
Der Polizeibeamte hatte das Absperrband befestigt und drehte sich um. Als er Fox sah, verzog er das Gesicht zu einem Lächeln. »Guten Morgen. Sorry, aber ich kann Sie hier leider nicht durchlassen. Sie müssen außen herum über die Wiese gehen.« Er runzelte die Stirn. »Arbeiten Sie hier?«
»Nein.« Fox starrte auf die Leiche neben dem Beamten. »Ich will nur einkaufen.«
»Hey!«
Fox blickte auf. Eine Polizistin tauchte neben den Müllcontainern auf. Mit ihren Schritten teilte sie die Menge der Tauben am Boden.
»Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter!«
Fox ärgerte sich über die unfreundliche Art der Frau. Natürlich gab es etwas zu sehen. Sie entschied sich aber, keine Diskussion anzufangen. Dazu fühlte sie sich an diesem Morgen nicht in der Lage. Sie wandte sich schon ab und nickte dem Beamten zum Abschied zu, als ihr der nachdenkliche Gesichtsausdruck auffiel, mit dem er Fox musterte.
»Warten Sie mal, kenne ich Sie nicht?«, fragte er nachdenklich.
»Glaub ich nicht«, antwortete Fox. Der Mann trug einen modischen schwarzen Bart und hatte ein blitzend weißes Lächeln wie aus einer Werbung für Zahnersatz.
»Doch, doch! Sie sind die Hauptkommissarin, die gekündigt hat!« Er zeigte tatsächlich mit dem Finger auf sie und schaute triumphierend drein. Seine Kollegin schien gar nicht damit einverstanden zu sein, dass er eine dahergelaufene Gafferin plötzlich in den Status einer Ex-Kollegin erheben wollte. Sie sah Fox äußerst zweifelnd an.
»Mja, das stimmt«, sagte Fox widerstrebend. »Vera Fox.«
»Genau! So heißt sie«, bestätigte der Beamte und lächelte stolz. Er kam zum Flatterband herüber und reichte Fox seine Hand, die sie widerstrebend schüttelte. »Kommissar Guido Vogler. Das ist meine Kollegin.« Ihr Name schien nichts zur Sache zu tun. Sie machte selbst auch keine Anstalten, sich Fox vorzustellen, sondern schnaufte nur und drehte sich um.
»Ich warte vorne auf die Spurensicherung und den Arzt«, sagte sie in genervtem Ton und verschwand wieder. Der Kommissar, der sich als Vogler vorgestellt hatte, strahlte Fox unvermindert an. Angesichts der vielen Tauben ringsum hielt Fox seinen Namen für einen schlechten Scherz.
»Und, sind Sie hier, um uns zu helfen?«, fragte er und zwinkerte übertrieben.
»Nein, ich will eigentlich nur einkaufen«, antwortete Fox, konnte aber trotzdem die Augen nicht von der Toten am Boden abwenden. Vogler sah auch hinab.
»Nach Aussage der Marktleiterin war ihre Schicht um zwölf Uhr vorbei. Sie hat sich an der Aufbackstation noch ein paar nicht verkaufte Backwaren mitgenommen und ist dann gegangen«, erzählte er drauflos. Fox war irritiert und fühlte sich einen Moment lang wieder wie in ihrer ehemaligen Rolle als Hauptkommissarin. Sie wollte sich schon mit einer schroffen Bemerkung abwenden, als ihr etwas auffiel.
»Das ganze Brot liegt hier verstreut, aber die Tüte da scheint immer noch voll zu sein. Was ist da drin?«
»Tja…« Vogler schien mit sich zu ringen, ob er ein Geheimnis verraten sollte. Schließlich leuchteten seine weißen Zähne wieder auf und er kam näher an das Absperrband heran. »Sie behalten das ja für sich, oder? Sie waren ja auch mal bei der Truppe.« Fox verzog keine Miene. Der Beamte schob die Brust heraus, bis seine Uniform sich darüber spannte. »Das Brot ist nicht beim Sturz aus der Tüte gefallen. Jemand hat es absichtlich herausgeholt und weggeworfen.«
»Was? Und was ist dann in der Tüte?«
Vogler legte Fox eine Hand auf die Schulter und beugte sich vertraulich vor. »Das werden Sie nicht glauben: Der Täter hat Müll reingestopft.«
Fox beäugte die Hand auf ihrer Schulter, als wäre sie eine Tarantel. »Müll?«
Vogler nickte. »Ja, aus dem Container da hinten. Er hat eine Hand voll...
Erscheint lt. Verlag | 19.12.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7568-1005-4 / 3756810054 |
ISBN-13 | 978-3-7568-1005-5 / 9783756810055 |
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