Das Buch der verschollenen Geschichten. Teil 2 (eBook)
528 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12231-2 (ISBN)
J.R.R. Tolkien wurde am 3. Januar 1892 geboren. Er gilt als einer der angesehensten Philologen weltweit, vor allem ist er jedoch als Schöpfer von Mittelerde und Autor des legendären Der Herr der Ringe bekannt. Seine Bücher wurden in mehr als 80 Sprachen übersetzt und haben sich weltweit millionenfach verkauft. Ihm wurde ein Orden des Britischen Empire (CBE) und die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford verliehen. Er starb 1973 im Alter von 81 Jahren.
J.R.R. Tolkien wurde am 3. Januar 1892 geboren. Er gilt als einer der angesehensten Philologen weltweit, vor allem ist er jedoch als Schöpfer von Mittelerde und Autor des legendären Der Herr der Ringe bekannt. Seine Bücher wurden in mehr als 80 Sprachen übersetzt und haben sich weltweit millionenfach verkauft. Ihm wurde ein Orden des Britischen Empire (CBE) und die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford verliehen. Er starb 1973 im Alter von 81 Jahren. Christopher Tolkien, geboren am 21. November 1924, war der dritte Sohn J.R.R. Tolkiens. Als literarischer Nachlassverwalter widmete er sich mehr als vierzig Jahre lang der Veröffentlichung der unveröffentlichten Werke seines Vaters, vom Silmarillion und den Nachrichten aus Mittelerde über Beren und Lúthien bis hin zu Der Fall von Gondolin und der Reihe The History of Middle-earth. 2016 wurde er mit der die Bodley-Medaille für seine Verdienste um die Literatur geehrt. Er starb im Januar 2020 im Alter von 95 Jahren.
I. DIE GESCHICHTE VON TINÚVIEL
Die Geschichte von Tinúviel wurde 1917 geschrieben, der älteste erhaltene Text jedoch ist späteren Datums. Es handelt sich um ein mit Tinte über ein ausradiertes Bleistift-Original geschriebenes Manuskript; genaugenommen scheint diese Neufassung der Tinúviel-Geschichte eines der letzten Teilstücke der Verschollenen Geschichten gewesen zu sein, die mein Vater vollendet hat (vgl. Teil 1, S. 328f.).
Es existiert außerdem ein Typoskript dieser Geschichte, das zwar jünger ist als das Manuskript, aber derselben »Phase« der Mythologie angehört – mein Vater nahm das Manuskript zu Hilfe und veränderte den Text während des Abschreibens. Wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Fassungen werden auf Seite 73ff. behandelt.
Die Geschichte trägt im Manuskript die Überschrift: »Verbindungsstück zur Geschichte von Tinúviel, auch die Geschichte von Tinúviel«. Das Verbindungsstück beginnt mit der folgenden Passage:
»Groß muss die Macht Melkos gewesen sein, Böses zu tun«, sagte Eriol, »wenn er durch seine Arglist wirklich das Glück und den Glanz der Götter und Elben zerstören, das Licht ihrer Wohnstätte verdunkeln, und all ihre Liebe zunichte machen konnte. Das war gewisslich die schlimmste Tat, die er jemals vollbracht hat.«
»Fürwahr, niemals wieder ist eine solche Untat in Valinor begangen worden«, sagte Lindo, »doch Melkos Hand hat die Dinge in der Welt zum Schlimmen gewendet, und die Samen seiner Bosheit sind seitdem zu einer großen und schrecklichen Macht herangewachsen.«
»Nein«, sagte Eriol, »dennoch kann mein Herz nicht an anderen Kummer denken als an die Zerstörung der schönsten Bäume und an die Verdunkelung der Welt.«
Diese Passage wurde durchgestrichen und findet sich nicht im Typoskript, doch taucht sie in beinahe identischer Form am Ende des Kapitels Die Flucht der Noldoli wieder auf (Teil 1, S. 276f.). Der Grund dafür ist, dass mein Vater beschlossen hatte, anstelle von Tinúviel die Geschichte von Sonne und Mond auf die Kapitel Die Verhüllung von Valinor und Die Flucht der Noldoli folgen zu lassen (vgl. Teil 1, S. 328ff., wo die schwierige Frage der Neuanordnung der Geschichten gerade an diesem Punkt erörtert wird). Die Fortsetzung des Verbindungsstückes (»In den Tagen nun, bald nachdem diese Geschichte erzählt worden war«) bezog sich, als sie niedergeschrieben wurde, auf die Geschichten Die Verhüllung von Valinor und Die Flucht der Noldoli; aber es wird nicht deutlich, auf welche von beiden, nachdem Tinúviel aus der ursprünglichen Anordnung herausgenommen worden war.
Die zwei Fassungen des Verbindungsstückes ähneln einander anfangs sehr, doch als Eriol von seinem vergangenen Leben erzählt, weichen sie voneinander ab. Textgrundlage für den ersten Teil ist ausschließlich das Typoskript; sobald die Abweichungen beginnen, werden beide Fassungen nacheinander wiedergegeben. Die Erörterung der Geschichte von Eriols Leben findet sich in Kapitel VI.
In den Tagen nun, bald nachdem diese Geschichte erzählt worden war, seht, da näherte sich der Winter dem Lande von Tol Eressea, denn inzwischen hatte Eriol, dem seine Wanderlust aus dem Sinn gekommen war, geraume Zeit im alten Kortirion gewohnt. Niemals in diesen Monaten begab er sich über das wohlbestellte Ackerland hinaus, das außerhalb der grauen Mauern dieser Stadt lag, doch manch eine Halle der Sippen der Inwir und der Teleri empfing ihn als frohen Gast, und er wurde immer vertrauter mit der Sprache der Elben, und sein Wissen um ihre Gebräuche, ihre Geschichten und Lieder vertiefte sich.
Dann war plötzlich der Winter über die Einsame Insel hereingebrochen, und die Wiesen und Gärten hüllten sich in funkelnden Schnee; ihre Springbrunnen waren versiegt, all ihre blattlosen Bäume standen stumm, und die ferne Sonne glänzte trübe im Nebel oder zersplitterte auf den Kristallflächen langer Eiszapfen. Noch immer brach Eriol nicht auf, sondern sah dem kalten Mond zu, der aus den frostigen Himmeln auf Mar Vanwa Tyaliéva herabblickte, und wenn die Sterne über den Dächern blau aufschimmerten, lauschte er, doch nun vernahm er nicht den Klang von Timpinens Flöte; dieser Kobold nämlich lebt vom Hauch des Sommers, und bevor die geheime Ahnung des Herbstes die Lüfte erfüllt, besteigt er sein graues Zauberboot, und die Schwalben entführen ihn in die Ferne.
Gleichwohl erfuhr Eriol Lachen und Fröhlichkeit und auch Musik und Gesang in den Häusern von Kortirion – selbst Eriol, der Wanderer, dessen Herz vorher keine Ruhe gekannt hatte.
So kam nun ein grauer Tag und ein fahler Nachmittag, doch drinnen waren Feuerschein und behagliche Wärme, Tanz und Lärm fröhlicher Kinder, denn Eriol spielte mit den Jungen und Mädchen in der Halle des Wiedergefundenen Spiels ein großes Spiel. Schließlich, durch ihr Herumtollen ermüdet, warfen sie sich auf die Teppiche vor der Feuerstelle nieder, und eines der Kinder, ein kleines Mädchen, sagte: »Erzähl mir, o Eriol, eine Geschichte!«
»Was soll ich denn erzählen, o Veanne?«, sagte er, und sie, seine Knie umfassend, erwiderte: »Eine Geschichte von Menschen und von Kindern in den Großen Landen oder von deiner Heimat – und hattest du dort einen ebensolchen Garten wie wir, mit Mohnblumen und Stiefmütterchen, wie sie in meinem Gartenwinkel an der Laube der Drosseln wachsen?«
Es folgt nun die Manuskript-Fassung des restlichen Verbindungsstücks:
Da erzählte ihr Eriol von seiner Heimat, einer alten Stadt der Menschen, umgürtet mit einer Mauer, die nun zerbröckelt und verfallen war, vom nahen Fluss, über dem eine Burg mit einem großen Turm thronte. »Ein sehr hoher Turm, wahrlich«, sagte er, »und der Mond musste hoch klettern, ehe sich sein Antlitz über ihn erhob.« – »War er denn so hoch wie Ingils Tirin?«, fragte Veanne, doch Eriol antwortete, das könne er nicht sagen, denn viele, viele Jahre seien verflossen, seit er die Burg und ihren Turm zum letzten Mal gesehen habe. »Ich habe nämlich, o Veanne«, sagte er, »nur kurze Zeit dort gewohnt, nur bis zum Knabenalter. Mein Vater entstammte einem Küstenvolk, und die Liebe zum Meer, das ich nie gesehen hatte, lag mir im Blut, und mein Vater nährte diese Sehnsucht, denn er erzählte mir Geschichten, die sein Vater ihm einst erzählt hatte. Nun fügte es sich, dass meine Mutter bei einer grausamen Belagerung jener alten Stadt Hungers starb und mein Vater im bitteren Kampf auf den Mauern fiel, und ich, Eriol, am Ende zu den Gestaden des Westlichen Meeres entkam; und so habe ich seit jenen fernen Tagen meist auf den Wellen des Meeres oder an seinem Rande gelebt.«
Trauer erfüllte nun die Kinder ringsum wegen des Leides, das die Bewohner der Großen Lande befiel, und wegen Krieg und Tod, und Veanne, sich an Eriol klammernd, sagte: »O Melinon, zieh niemals in einen Krieg – oder hast du es schon einmal getan?«
»Ja, oft genug«, erwiderte Eriol, »doch waren es nicht die großen Kriege irdischer Könige und mächtiger Staaten, die grausam und bitter sind und die viele schöne Länder und liebliche Dinge, selbst Frauen und unschuldige kleine Mädchen wie dich, Veanne Melinir, zugrunde richten; doch ritterliche Kämpfe habe ich gesehen, bei denen kleine Scharen tapferer Männer zuweilen aufeinandertreffen und die Klingen kreuzen. Aber, ach, warum sprechen wir von diesen Dingen, meine Kleine; möchtest du nicht lieber etwas über meine ersten Abenteuer auf dem Meer erfahren?«
Da wurden sie alle sehr neugierig auf seine Geschichte, und er erzählte ihnen von seinen Streifzügen durch die westlichen Häfen, von den Gefährten, die er gefunden hatte, von den Ankerplätzen, die er kannte, von seinem Schiffbruch auf fernen westlichen Inseln, wo er schließlich auf einer einsamen Insel einem uralten Seemann begegnete, der ihm Obdach gab und ihm am Feuer in seiner abgelegenen Hütte sonderbare Geschichten erzählte von Dingen jenseits der Westlichen Meere, von den Zauberinseln und von jener einen, die in letzter Einsamkeit hinter ihnen lag. Vor langer Zeit habe er sie einmal in weiter Ferne aufschimmern sehen und sie später lange, lange vergeblich gesucht.
»Danach«, fuhr Eriol fort, »war meine Neugier nach den westlichen Inseln geweckt, und umso unermüdlicher befuhr ich das Meer auf der Suche nach mehr Geschichten dieser Art, und so fügte es sich tatsächlich, dass ich am Ende nach vielen großen Reisen, dank des Segens der Götter, nach Tol Eressea gelangte – und darum sitze ich nun hier und spreche zu dir, Veanne, bis mir die Kehle trocken geworden ist.«
Trotzdem bat ihn ein Junge, Ausir, mehr von Schiffen und von dem Meer zu erzählen, aber Eriol sagte: »Nein – jedoch es bleibt noch Zeit, bevor Ilfiniol den Gong zum Abendessen schlägt. So soll denn eines von euch Kindern mir eine Geschichte erzählen, die ihr gehört habt.« Da setzte sich Veanne auf, klatschte in die Hände und sagte: »Ich werde dir die Geschichte von Tinúviel erzählen.«
Die Typoskript-Fassung dieser Passage lautet wie folgt:
Da erzählte Eriol von seiner einstigen Heimat, einer uralten Stadt der Menschen, umgürtet von einer Mauer, die nun zerbröckelt und verfallen war, denn das Volk, das dort wohnte, hatte lange Zeit Reichtum und unbeschwerten Frieden gekannt. Ein Fluss strömte dort vorbei, über dem eine Burg mit einem gewaltigen Turm thronte. »Dort wohnte ein mächtiger Herzog«, sagte er, »und...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Reihe/Serie | Das Buch der verschollenen Geschichten | Das Buch der verschollenen Geschichten |
Übersetzer | Hans J. Schütz |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | All-Age-Fantasy • Amazon Prime • Auenland • Eriol • Eriol der Seefahrer • Herr der Ringe • Herr der Ringe: Die Ringe der Macht • High-Fantasy • Mittelerde • Ringe der Macht • Silmarillion • Tolkien Serie |
ISBN-10 | 3-608-12231-1 / 3608122311 |
ISBN-13 | 978-3-608-12231-2 / 9783608122312 |
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